Zur Zukunftsfähigkeit der Nachrichtendienste

Anmerkungen zum Abschlussbericht
der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“


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Dr. Gerhard Conrad

Unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten hat die im Sommer 2024 ins Leben gerufene überparteiliche „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“, geleitet durch die Verlegerin Jutta Jäkel, den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, Bundesfinanzminister a.D. Peer Steinbrück und Bundesinnenminister a.D. Thomas de Maizière, am 14. Juli 2025 ihren Abschlussbericht mit insgesamt 35 Empfehlungen vorgelegt.

Erklärtes Ziel der Initiative war es,

„die Funktionsfähigkeit des deutschen Staates zu stärken, indem die Hindernisse in der öffentlichen Verwaltung und den politischen Entscheidungsprozessen identifiziert und die notwendigen Reformschritte herausgearbeitet und vorgeschlagen wurden. Nach der Bundestagswahl 2025 sollen präzise Reformvorschläge, initiiert von prominenten Persönlichkeiten, eine gute Handreichung und Inspiration für künftige Regierungen sein. Die Initiatoren hatten mehr als 50 Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Lebensfeldern eingeladen, mit ihnen gemeinsam in sieben Arbeitsgruppen zu beraten, was geschehen muss“.

Betrachtet werden wesentliche Dimensionen staatlichen Handelns, wie Gesetzgebung, Föderalismus, Digitaler Staat & Verwaltung, Sicherheit, Abschiebungen & Datenaustausch, Wettbewerbsfähigkeit, Datenschutz, Klima, Soziales, Bildung und abschließend allgemeine Leitlinien für staatliches Handeln.

Unter Leitung von Thomas de Maizière, dem ehemaligen Chef/Bundeskanzleramt (2005-2009), Innenminister (2009-2011, 2013-2018) und Verteidigungsminister (2011-2013), hat hierbei die Arbeitsgruppe „Sicherheit und Resilienz“ auch die Nachrichtendienste behandelt und auf der Basis einer kurzen Lagebeschreibung die folgenden Empfehlungen formuliert, um diese „in den Stand zusetzen, unser Land wirksam zu schützen“:

“Hybride Kriegsführung gegen Deutschland und seine Verbündeten, Terrorismus und organisierte Kriminalität bedrohen unser Land. In dieser Lage unterliegen die deutschen Nachrichtendienste engen Begrenzungen und Einschränkungen bei der Aufklärung, Ermittlung und Verhinderung verfassungswidriger Aktionen oder politisch und terroristisch motivierter Anschläge.

Die deutschen Nachrichtendienste sind zu abhängig von Aufklärungsergebnissen befreundeter Dienste. Zukünftig kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Kooperationsbereitschaft von US-amerikanischen Nachrichtendiensten politischen Restriktionen unterworfen wird. Die Zeitenwende muss auch Konsequenzen für die Befähigung unserer nachrichtendienstlichen Kapazitäten haben, Deutschland zu schützen.

Das Misstrauen gegenüber Nachrichtendiensten ist in Deutschland historisch erklärbar. Angesichts der Bedrohungslage aus inneren und äußeren Anfeindungen  kann es aber nicht mehr handlungsleitend sein.

Konkret schlagen wir vor:

  • Deutsche Nachrichtendienste erhalten für die Auslandsaufklärung vergleichbare Befugnisse wie andere europäische Dienste, zum Beispiel in Frankreich, Schweden oder den Niederlanden.

  • Sie benötigen ferner Befugnisse für

    • eine Speicherung von Verbindungsdaten (Verpflichtung von Netzanbietern zur Speicherung von IP-Adressen),

    • biometrische Gesichtserkennung,

    • Online-Untersuchungen,

    • Einsicht in Finanzdaten und

    • im konkreten Verdachtsfall eines Anschlages den Zugriff auf Suchverläufe, die auf Telekommunikationsgeräten gespeichert sind.

  • Die Investitionen in die technischen Voraussetzungen nachrichtendienstlicher Aufklärung und entsprechende personelle Expertise werden erhöht in:

    • Open Source Intelligence,

    • Analyse sozialer Medien,

    • Satellitenprogrammen von BND und Bundeswehr.”

Diese bedeutsame Initiative anerkannter Vertreter von Politik, Rechtsprechung und Gesellschaft kommt gerade auch für eine anstehende sicherheitspolitische Neuorientierung zur rechten Zeit. Mehr denn je sind energische, bereits kurzfristig zu konzipierende und einzuleitende Maßnahmen auf allen genannten Gebieten erforderlich, um Jahrzehnte der Verdrängung und Verantwortungsdiffusion angesichts einer sich massiv und perspektivisch zuspitzenden globalen und dazu erneut im Osten imminenten Bedrohungslage zu überwinden. Es bleibt zu wünschen, dass gerade auch unter der Schirmherrschaft der Bundespräsidenten weitere politische, administrative und gesellschaftliche Initiativen zur Umsetzung der hier skizzierten Vorschläge gefördert werden können. Wichtig wird es vor allem auch sein, die einzelnen Bereiche weiter zu substantiieren, in denen dringender konkreter politischer, fachlicher und legislativer Handlungsbedarf besteht.

 

Die Zukunftsfähigkeit der Dienste – Ein sicherheitspolitischer Imperativ

Bereits wenige Tage vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat der GKND angesichts des massiven militärischen Aufmarsches an den Grenzen des Landes im Februar 2022 (Stellungnahme: Wenn nicht jetzt, wann dann?) auf die dringende Notwendigkeit einer umfassenden Neuorientierung, einer „Zeitenwende“, gerade auch im Bereich der Nachrichtendienste hingewiesen und auch danach immer wieder konkrete Handlungsfelder für die künftige Ertüchtigung der Dienste beschrieben. Angesichts der präzedenzlosen Herausforderungen für die innere und äußere Sicherheit Deutschlands, seiner Verbündeten und Freunde ist diese systematische Bestandsaufnahme der kurz-, mittel- und langfristig anzugehenden operativen, analytischen, organisatorischen oder auch rechtlichen Handlungsanforderungen für die künftige Auftragserfüllung unter den neuen Rahmenbedingungen unabweisbar. Konkrete, operationalisierbare und finanzierbare Vorhaben werden in den einzelnen Bedrohungs-  und Risikofeldern zu definieren und umzusetzen sein.

Hierbei werden Antworten auf die folgenden Fragen zu finden sein:

  • Welche technischen Aufklärungsmittel werden national und im Verbund mit Partnern auszubringen sein, um mögliche Bedrohungen durch ballistische und Marschflugkörper frühzeitig, d.h. im Idealfall unmittelbar nach Abschuss im Herkunftsland, zu erkennen und zeitnah bis zu ihrer Bekämpfung zu verfolgen? Hier wird der gesamte Bereich von Satelliten- und Fernmeldeaufklärung (IMINT, SIGINT) einer grundlegenden Aufwertung und gezielten Ausrichtung auf Bedrohungspotentiale ebenso zu unterziehen sein wie entsprechende Kapazitäten zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel (HUMINT).

  • Welche technischen Sensoren, Detektoren, Kommunikations-, Einsatz- und Führungsmittel sind zu entwickeln und in geeigneter Weise / auf geeigneten Trägern auszubringen, um die Bedrohung durch Drohnen als Aufklärungs- und Kampfmittel zu detektieren, zu lokalisieren und bis zur Bekämpfung zu verfolgen? Hierbei muss sowohl die Bedrohung durch Drohnen bzw. Drohnenschwärme größerer Reichweite aus Drittstaaten als auch die geheimdienstlich verdeckte Ausbringung von Drohnen im eigenen Land zur Bekämpfung kritischer Infrastruktur aller Art berücksichtigt werden. Auch in diesem Handlungsspektrum werden erhebliche Kapazitätsentwicklungen im Bereich der Spionageabwehr und Gegenspionage gerade auch im Inneren erforderlich sein, um der verdeckten Vorabdislozierung gegnerischer Kampfmittel entgegenwirken zu können.

  • Ost- und Nordsee einschließlich der deutschen Küstengebiete stehen bereits heute im Fokus hybrider Kriegführung gegen die eigenen see- und landgestützte kritische Infrastrukturen. Im Spannungs- und Konfliktfall entscheiden hier modernste, bord-, land- und luftgestützte hochleistungsfähige Detektion und frühestmögliche Zielerfassung und -bekämpfung über Leben und Tod. Voraussetzung für glaubhafte Abschreckung sind auch hier die Entwicklung von Resilienz und wirksamer Verteidigungsfähigkeit durch frühzeitig vorab ausgebrachte nachrichtendienstliche Kapazitäten aller Kategorien (HUMINT, SIGINT, IMINT, ELINT) zur systematischen Erfassung von materiellen und technischen Bedrohungen.

  • Der Weltraum hat in den vergangenen Jahren bereits dramatisch an Bedeutung als Dimension für terrestrisch relevante Kommunikation, Navigation und Datenhaltung gewonnen und wird dies absehbar auch weiterhin tun. Vorbereitungen zur kinetischen und technischen Austragung von Konflikten sind hier bereits seit längerem zumindest in relevanten Ansätzen erkennbar und erfordern aufgrund ihrer potentiell existenzgefährdenden Qualität für Deutschland und Europa ein Maximum an nachrichtendienstlicher wie wissenschaftlich-technischer Aufmerksamkeit. Auch hier wird es nicht mit einer passiven, reaktiven Nachverfolgung von Entwicklungen getan sein; entscheidend wird es sein, perspektivisch eigene Befähigungen zur Aufklärung sich entwickelnder Bedrohungselemente zu entwickeln, auszubringen und einzusetzen, um rechtzeitig geeignete Maßnahmen zur Abwehr und insbesondere zur Schaffung von Resilienz vorzuhalten. Auch hier sind alle Dimensionen perspektivischer nachrichtendienstlicher Arbeit im Sinne von „all sources intelligence“ gefordert.

  • Neben dem Weltraum ist der virtuelle Cyberraum nach der Jahrtausendwende zur bestimmenden Dimension für politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Handlungsfähigkeit, Sicherheit und Prosperität im globalen Maßstab geworden. Mit der Weiterentwicklung von Künstlicher Intelligenz und Quantum-Computing wird der Cyberraum endgültig konstitutiv für Existenz und Selbstbehauptungsfähigkeit von Gesellschaft und Staat. Damit verlagert sich ein erheblicher Anteil auch nachrichtendienstlicher Aktivität zwangsläufig in diese Dimension, in der in gleicher Weise Informations- und Handlungsüberlegenheit angestrebt und behauptet werden müssen, um gravierenden, wenn nicht existenziellen Schaden abzuwenden. Die technischen und operativen Befähigungen von Nachrichtendiensten, Sicherheitsbehörden und Bundeswehr, zu „Cyber Network Operations“ (CNO) bis hin zu Cyber Resilience, Cyber Defence und Cyber Network Attack (CNA) werden hier im Mittelpunkt erheblicher Aufbauleistungen, wo immer möglich im Verbund mit gleichgesinnten Partnern, zu stehen haben. Die eigenen wie gemeinsamen Befähigungen zur frühzeitigen Detektion, Abwehr und Unterbindung gegnerischer staatlicher wie nichtstaatlicher Cyber-Akteure müssen notwendig der weltweiten Dynamik und Vielfalt des Bedrohungsspektrums gerecht werden können.

  • Grundsätzlich sind Deutschland und Europa im Interesse von Vorbeugung und Schadensbegrenzung mehr denn je auf die rechtzeitige Erfassung und Qualifizierung von Gefährdungsmomenten für die Stabilität und Leistungsfähigkeit von Produktionsstandorten und Lieferketten weltweit angewiesen. So sehr hier auch offene Berichterstattung und Analyse in Medien und insbesondere der jeweils sach- und fachkundigen nationalen wie internationalen Wissenschaft eine ganz bedeutende Rolle für die Erfassung von Trends und Problemlagen auf strategischer Ebene spielen, so essentiell sind jedoch auch hier spezifische, überwiegend nur mit nachrichtendienstlichen verdeckten Mitteln (HUMINT, SIGINT/COMINT, IMINT) zu beschaffende und auszuwertende handlungsleitende Informationen, etwa zu konkreten politischen und militärischen Akteuren, klandestinen militärischen oder terroristischen Aktionen und Zielsetzungen, Informationsoperationen, Finanzmarkt- und Wirtschaftsmanipulationen. Beide Wissens-dimensionen ergänzen sich hier notwendig, wobei die nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung auf der wissenschaftlich etablierten Informationsgrundlage sachlogisch aufbaut bzw. von dieser ausgehen muss. Wer über Weltbetrachtung und -kommentierung hinaus politisch, diplomatisch oder gar militärisch operativ wirksam werden will und muss, kommt jedoch nicht an der ressourcenintensiven nachrichtendienstlichen Aufklärung konkreter Sachverhalte vorbei. Ein Land mit existenzieller Abhängigkeit von globalen Zusammenhängen wird somit im wohlverstandenen Eigeninteresse erhebliche Anstrengungen, zumeist mit Partnern vergleichbarer Interessenlage und operativer Kapazitäten zu unternehmen haben.

 

Schritte zur Ertüchtigung der Nachrichtendienste

Aus dem Gesagten wird offensichtlich, dass nachrichtendienstliche Aufklärung da ansetzen muss, wo Lagebewusstsein auf etablierter politik-, regional- und fachwissenschaftlicher Basis unter Nutzung offener Quellen in der Regel endet. Strategische Lagefeststellung und Lagebeurteilung durch Academia und Think Tanks ist von elementarer Bedeutung für die Priorisierung und Ausrichtung politischen Handelns. Sie ist damit zugleich auch eine notwendige Ausgangsbasis für die Steuerung nachrichtendienstlicher Aufklärung, die dann allerdings zu wesentlich höher aufgelösten, auch taktisch-operativ handlungsleitenden Ergebnissen führen muss: Konkrete politische, militärische, terroristische, wirtschaftliche, wissenschaftliche Akteure, ihre Dislozierung, Befähigungen und Absichten müssen zielgenau in Raum und Zeit ermittelt und nötigenfalls kontinuierlich verfolgt werden; zivile und insbesondere militärischen technische Entwicklungen und ihre konkreten Bedrohungspotentiale müssen nach Raum, Zeit und Schädigungspotential identifiziert und bewertet werden.

Es geht hier eben nicht um Weltsicht und Weltverständnis aus der gerade in Deutschland seit Jahrzehnten kultivierten Perspektive eines detachierten Beobachters aus sicherer Warte, sondern um unmittelbar politisch, militärisch, exekutiv und zivilgesellschaftlich handlungsbefähigendes Wissen für Deutschland und Europa als unmittelbar, wenn nicht sogar existenziell Betroffene. Der hier erforderliche Perspektivwechsel wird auf den Ebenen von Bundesregierung, Bundestag und Zivilgesellschaft gleichermaßen einzuleiten und zu vollziehen sein. Es handelt sich hierbei um einen grundlegenden Paradigmenwechsel, ohne den eine wirksame Erhöhung von Resilienz und – wo nötig – glaubhafter Abschreckungsfähigkeit zum Schaden für uns alle nicht gelingen wird.

Die sachlogischen Anforderungen an die Beschaffungs- und Analyseleistung von Nachrichtendiensten, die hochaufgelöste zeitgerechte handlungsbefähigende Informationen zu liefern haben, sind hier angesichts der konkreten operativen Herausforderungen, zeitlichen Zwänge und der politisch-operativen Risiken grundsätzlich hoch, zuweilen auch prima facie eher unrealistisch, in jedem Fall aber nur mit erheblichen, langfristig und systematisch angelegten Anstrengungen zu erfüllen. Sie bedingen ein Höchstmaß an personellen und materiellen Befähigungen, die es perspektivisch zu schaffen und weiter zu entwickeln gilt, wo immer möglich im Verbund mit leistungsstarken Partnern mit gleichartiger Werte- und Zielorientierung. Ein Anfang ist jedoch stets mit einem maximalen eigenen Kräfteansatz zu leisten. Das Streben nach internationaler Zusammenarbeit darf hier nicht zum Vorwand für mangelnde eigene Leistungsbereitschaft missbraucht werden.

Konkrete Handlungserfordernisse für die Dienste, die Bundesregierung und den Gesetzgeber ergeben sich vor diesem Hintergrund jedenfalls in folgenden, hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber auch unter Hinweis auf die grundsätzlichen Empfehlungen der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ aufgeführten Bereichen:

  • Prüfung und Einleitung zusätzlicher Projekte zur Erweiterung von technischen Optionen (OSINT, IMINT, SOCMINT, SIGINT, CNO) zur Gewährleistung zukunftsfähiger eigenständiger „situational awareness“ in prioritären Aufklärungsräumen.

  • Massiver Aufbau von militärischen satellitengestützten IMINT- und SIGINT/ELINT-Kapazitäten zur Luftraumüberwachung in der Tiefe des Raums zur frühzeitigen Detektion und Verfolgung von Bedrohungen durch Langstreckenflugzeuge, Drohnen, Marschflugkörper und Mittelstreckenraketen. Hier sind aufgrund der Größe der Aufgabe gemeinsame Anstrengungen mit europäischen Partnern erforderlich. Die globalen Fähigkeiten der USA können hier kein Maßstab sein; zu prüfen wird jedoch sein, in welcher Weise wenigstens eine möglichst tiefe Abdeckung der für Deutschland und Europa relevanten geographischen Räume möglich sein würde. 

  • Entwicklung, Aufbau und Modernisierung bestehender Cyber-Detektions- und Abwehrbefähigungen bei den Diensten bis hin zu KI-unterstützten Echtzeitmethoden, auch unter Einschluss von Cyber Network Attack-Tools gegen gegnerische Ziele nach Maßgabe der noch ausstehenden gesetzlichen Kompetenzzuweisungen an Dienste, BKA und/ oder Bundeswehr (Kommando Cyber- und Informationsraum).

  • Gleiches gilt für den Bereich der luft- und seegestützten Aufklärung von Untersee-Aktivitäten unter Einsatz und Fortentwicklung des gesamten Spektrums technischer Sensoren im Rahmen zwischen Diensten und Streitkräften integrierter militärischer und ziviler Intelligence, Reconnaissance and Surveillance (IRS/JIRS).

  • Etablierung eines Beschaffungs-, Entwicklungs- und Anwendungsschwerpunkts „Künstliche Intelligenz“ zur breitenwirksamen Unterstützung aller Aufklärungs- und Analysebereiche, auch unter dem Aspekt der Befähigung zur Massendatenerfassung und Analyse. Entwicklung neuer Ansätze im HUMINT- und operativen OSINT-Bereich (Avatare), von der Tippgewinnung, über Forschung, Anbahnung, Werbung und Führung. Hierbei werden möglichst frühe, gegebenenfalls erst einmal probeweise Schritte in ausgewählten Arbeitsbereichen anzustreben sein, um dem massiven internationalen Konkurrenz- und Handlungsdruck wo immer möglich zeitnah gerecht werden zu können. Mehr denn je gilt hier das Bonmot „Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte“.

  • Ergebnisorientierte Prüfung von sicherheitlich und rechtlich vertretbaren Kooperations- und Outsourcing-Optionen im Bereich OSINT/ SOCMINT, unter Einbeziehung ausgesuchter nachrichtendienstlicher Partner.

  • Konsequente Ausweitung redundanter zukunftsfähiger (Quantum-Computing) gesicherter Kommunikationsverbindungen im Bundeskanzleramt sowie zwischen diesem und allen anderen Ressorts und sachlich zuständigen Oberen Bundesbehörden.

  • Entwicklung einer politischen Initiative für eine deutlich intensivierte nachrichtendienstliche Unterstützung der EU in Lagefeststellung und Lagebeurteilung (EU INTCEN, EUMS.INT, SIAC).

  • Umfassende, bereits kurzfristig einzuleitende perspektivische personalwirtschaftliche Sachstandserhebung in den Diensten zur Erfassung künftiger, ggf. neuartiger Bedarfe an spezifischer auftragsgerechter Fach- und Sachkompetenz in den einzelnen Arbeitsbereichen. Ziel muss, gerade im Hinblick auf die sich demographisch abzeichnenden Veränderungen im Personalbestand ein maximaler Prozentsatz an ausgewiesener aufgaben- und fachspezifischer Expertise in allen Bereichen von Beschaffung und Auswertung sein. Möglichen künftigen Defiziten wird von vornherein durch ambitionierte, damit auch kostenintensive Nachschulungen und Ausbildungsgänge vorzubeugen sein.

  • Perspektivische quantitative personelle Stärkung der operativen und auswertenden Bereiche. Nachrichtendienstliche Arbeit erfordert aufgrund des mit ihr verbundenen besonders ambitionierten Anspruchs auf spezifische Informationsbeschaffung („known unknowns, unknown unknowns“) und deren kompetente Analyse einen hohen Ansatz spezifisch qualifizierten und motivierten Personals. Massive Stellen- und Personalzuwächse werden in den Kernbereichen, hier kurzfristig insbesondere auch bei Spionageabwehr und Gegenspionage in allen drei Diensten und taktischer wie strategischer militärischer Aufklärung (IRS, JIRS) durch BND und MilNwBw im engen Verbund mit europäischen Partnern unumgänglich sein.

  • All dies wird ohne eine Wiedervorlage der personalwirtschaftlichen, personalrechtlichen, status-, besoldungs- und vergütungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Dienste kaum zu leisten sein. Ziel muss es sein, wo nötig mit neuen „unkonventionellen“ Ansätzen größtmögliche Flexibilität und Effektivität in der Akkumulation und Förderung von spezifischen fachlichen Kompetenzen der Mitarbeiterschaft zu gewährleisten.

  • Eine Straffung von Mechanismen der gerichtsähnlichen Vorabkontrolle (Verlagerung von einer Vorab- zur strengeren Verlaufskontrolle mit Korrekturfunktionen) unter Einbeziehung der Erfahrungswerte des Unabhängigen Kontrollrats (UKR) und der betroffenen Behörden sollte angestrebt werden, ebenso wie eine konsequente personalwirtschaftliche Kompensation der in Kontrollverfahren gebundenen Fachkräfte zur Wiederherstellung der vorherigen operativen und analytischen Kapazitäten in den betroffenen Bereichen.

  • Grundsätzliche Überprüfung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Dienste unter dem Aspekt der zur Auftragserfüllung zwingend erforderlichen Handlungsfähigkeit. Ein wesentlicher Maßstab muss hier die Vergleichbarkeit mit den Befähigungen der europäischen Verbündeten sein, mit denen Deutschland den gleichen Wertekatalog teilt, so etwa Frankreich, Schweden und die Niederlande. Dies ist ein mittlerweile auch von Sicherheitspolitikern im Deutschen  Bundestag zunehmend geteilter Ansatz, sowohl im PKGr als auch im Rahmen der aktuellen „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“, deren stichwortartige Empfehlungen bereits vorgestellt worden sind. Entscheidend ist in all diesen Bereichen die klare Definition der konkreten operativen Befähigungen, die zur zeitgerechten und wirksamen Auftragserfüllung erforderlich sind. Symbolhandlungen, in der Hoffnung, andere würden dann die „Decksarbeit“ machen, können wir uns nicht mehr leisten.

  • Geboten sein wird vor diesem Hintergrund jedenfalls eine Wiedervorlage der Übermittlungsvorschriften im BNDG und BVerfSchG unter den Aspekten ihrer Sachgerechtigkeit, Praktikabilität und rechtlichen Unabdingbarkeit. Beide Gesetzeswerke stehen gem. § 61 BNDG zum Ende 2025 zur Evaluierung ihrer Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit durch den Unabhängigen Kontrollrat an. Es wird dringend erforderlich sein, auch in diesem Zusammenhang der neuen Bedrohungslage angemessen Rechnung zu tragen und den Diensten den erforderlichen Handlungsspielraum zu geben.

  • Ebenso in Erwägung zu ziehen sein wird eine generelle Wiedervorlage und – wo nötig – Revision der in Umsetzung der BVerfG-Entscheidungen erfolgten ND-Gesetzgebung aus den Jahren 2019 bis 2025 vor dem Hintergrund der auf absehbare Zukunft grundlegend veränderten, unmittelbaren Bedrohungslage. Der Frage nach einer Neujustierung der Verhältnismäßigkeitsabwägungen des BVerfG zwischen existenziellen Sicherheitserfordernissen und Grundrechtsschonung darf hier nicht aus politischen Opportunitätserwägungen und bisherigen Festlegungen heraus aus dem Weg gegangen werden, soll hier die vielbeschworene „Zeitenwende“ nicht zur Leerformel verkommen. Dem sicherheitspolitischen Paradigmenwechsel kann und sollte sich gerade auch höchstrichterliche Urteilsfindung nicht entziehen.

Die ersten Schritte zum Aufbau einer integrierten Sicherheitsarchitektur in Deutschland sind mit der zum 27./28.08.2025 anstehenden Kabinettsentscheidung für einen Nationalen Sicherheitsrat eingeleitet worden. Beobachtern wie Beteiligten wird sicherlich bewusst sein, dass dies erst ein Anfang sein kann, dessen Umsetzung ganz erhebliche Anstrengungen und insbesondere auch einen grundlegenden Mentalitäts- und Methodenwandel in allen betroffenen Bereichen nach sich ziehen wird. Ohne geeignete Maßnahmen zur Aus- und Weiterbildung in Bund und Ländern zur Schaffung eines gemeinsamen Fundaments in Zielorientierung, Maßstäben und Verfahrensweisen wird dies wiederum kaum zu bewerkstelligen sein.

Mit dem im September anstehenden Wechsel an der Spitze des BND und der noch ausstehenden Personalentscheidung für das BfV wird auch für die Dienste eine Ära des raschen Wandels und der umfassenden Ertüchtigung einzuleiten sein, um den erforderlichen Beitrag zur Meisterung der gravierenden Herausforderungen zu leisten.


Für den Vorstand

 (Dr. Gerhard Conrad)

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Nationaler Sicherheitsrat und Lagezentrum - Anspruch und Wirklichkeit strategischer Steuerung