Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde

Anmerkungen zum Daily Punch der Wirtschaftswoche „Versagen der Geheimdienste. Deutschland braucht dringend bessere Spione“


Die folgende Fassung des Papers enthält keine Fußnoten. Die vollständige Fassung können Sie über das PDF abrufen

Dr. Gerhard Conrad

Seit einem Jahr bietet die Wirtschaftswoche einen täglichen Newsletter mit dem programmatischen Namen „Daily Punch“ an, in dem nach eigenem Anspruch Kommentare zu politisch bedeutsamen Fragen „immer knackig und auf den Punkt“ gegeben werden.

So ist dies am 05. April 2023 auch in Bezug auf das „Versagen der Geheimdienste“ geschehen. Unter Berufung auf eine sich zuspitzende geopolitische Krise um Taiwan und einen sich verschärfenden Konflikt zwischen China und dem Westen bei sensibler Chiptechnik wird ein dringender Bedarf Deutschlands an funktionierenden Geheimdiensten konstatiert. Doch Deutschlands Auslandspione beim Bundesnachrichtendienst (BND) schwächelten offenbar. Der Dienst habe in den vergangenen anderthalb Jahren vor allem durch Peinlichkeiten von sich Reden gemacht. Erst sei Präsident Bruno Kahl vom russischen Überfall auf die Ukraine kalt überrascht worden und habe von „Spezialeinheiten in Sicherheit gebracht werden“ müssen. Etwas später sei dann ein Mitarbeiter mit rechtspopulistischen Vorlieben aufgeflogen, der für Russland innerhalb des Dienstes spioniert haben solle. Sichtbare personelle Konsequenzen in der Führungsspitze des Dienstes habe es keine gegeben.

Auch das BfV habe nicht gerade brilliert. Erst in jüngster Zeit habe es eine Warnung an die Hochschulen vor chinesischer Wissenschaftsspionage gegeben. Bezeichnend sei auch, dass Deutschland, anders als Australien und die USA, die Nutzung von TikTok auf dienstlichen Geräten nicht untersage.

Die verlässlichsten Informationen seien offenbar vor allem von „amerikanischen und britischen Spionen“ gekommen. Dies sei für eine Exportnation wie Deutschland eine unhaltbare Situation. Wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit basiere in einer Welt, die geopolitisch zunehmend unsicher werde, auch auf frühzeitigen und verlässlichen Informationen aus dem Ausland. Und einer klugen Analyse der Daten. Das müsse einfach funktionieren.

So sehr die letzte Aussage uneingeschränkt zu begrüßen und zu unterstreichen ist, so nachdrücklich muss dem Tenor und Duktus der ihr zugrundeliegenden Argumentation widersprochen werden.

Beide Dienste, BND und BfV, brauchen sich in Sachen Sensibilisierung und Warnung vor chinesischer Spionage in allen Dimensionen kaum etwas vorwerfen lassen. Hierfür reicht bereits ein kurzer Blick in die mediale Berichterstattung, die im aktuellen „Daily Punch“ praktischerweise einfach nicht zur Kenntnis genommen wird.

Allein eine ganz kursorische Recherche fördert schon einmal folgende Berichte zutage:

  • 2010: Verfassungsschutz sieht hohes Risiko. Nach dem Angriff chinesischer Hacker auf den US-Internetriesen Google wird klar, dass auch deutsche Unternehmen vor Online-Industriespionage aus China nicht sicher sind. Der Verfassungsschutz warnt: Besonders mittelständische Unternehmen geraten ins Visier der Datenspione.

  • 2010: Cyber-Attacken aus China nehmen zu. Bund plant nationales Cyber-Abwehrzentrum. Elektronische Spionage-Attacken aus China und Russland gegen Deutschland nehmen seit Jahren zu. Darauf hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln hingewiesen. Der Bundesverfassungsschutz habe schon seit einigen Jahren auf eine stetig zunehmende elektronische Spionage vor allem von Nachrichtendiensten aus China und Russland hingewiesen. Laut Stefan Paris, Sprecher des Bundesinnenministeriums, kämen die meisten Attacken aus der Volksrepublik China.

  • 2016: Unter Berufung auf den Verfassungsschutzbericht 2016 berichtet neben deutschen Medien auch Reuters: Germany big target of cyber espionage and attacks: government report. Germany is a big target of spying and cyber attacks by foreign governments such as Turkey, Russia and China, a government report said on Tuesday, warning of “ticking time bombs” that could sabotage critical infrastructure.

  • Im Mai 2019 berichtet die internationale Presse unter der Überschrift „Are the Gloves Coming Off in China-Germany Economic Relations? As Germany shifts its China approach, Huawei is in the crosshairs” über die klaren Aussagen des Bundesnachrichtendienstes zur Thematik: „By January 2019, however, the government was conducting a “reassessment” of the charges against Huawei. Germany’s intelligence and security agencies provided a new threat assessment regarding Huawei, and they explicitly advised the government to exclude the company from the development of 5G networks, which they described as a highly sensitive part of the country’s critical national infrastructure. Germany’s foreign intelligence service, the Bundesnachrichtendienst (BND), warned that the Chinese government could use Huawei technology for espionage and surveillance purposes through socalled electronic “backdoors” and could even compromise the networks’ safety of operations by installing hidden “kill switches” to effectively disable the 5G infrastructure. According to the BND, particular risks emanate from the unprecedented degree of interconnectedness between 5G and other sectors of the critical national infrastructure. The agency also pointed out that China’s security laws provide Beijing with a practically limitless ability to request data and information that Chinese companies (including private ones) have gathered abroad”.

  • 2019: BND-Chef sieht Beteiligung von Huawei an 5G sehr kritisch. Der BND hält wenig von den Plänen der Bundesregierung, Huawei am 5G-Ausbau zu beteiligen. Aufgrund der Abhängigkeit von Huawei zur chinesischen Regierung dürfe dem Unternehmen nicht voll vertraut werden.

  • 2019: Öffentliche Anhörung der Nachrichtendienste. Zum dritten Mal in der deutschen Geschichte tagte am 29. September 2019 das Parlamentarische Kontrollgremium für die Nachrichtendienste des Bundestages in öffentlicher Sitzung. Ebenfalls im Rahmen der digitalen Agenda standen die Fragen der Abgeordneten zum Ausbau des 5G-Netzes und einer möglichen Beteiligung des chinesischen Anbieters Huawei. Hierbei wurde vor allem BND-Präsident Kahl deutlich: Wo sensible deutsche „Kerninteressen“ und „die kritische Infrastruktur der Zukunft“ berührt seien, dürfe kein Akteur beteiligt werden, dem man nicht voll vertrauen kann. Dies sei bei Huawei und dessen Nähe zum kommu-nistischen Regime Chinas nicht gegeben.

  • 2020: Verfassungsschutz warnt: China wirbt Spione über LinkedIn an. Soziale Netzwerke sind längst in den Fokus ausländischer Geheimdienste gerückt. Aktuell sieht der Verfassungsschutz LinkedIn im Visier chinesischer Spione.

  • 2020: Germany Investigates 3 Suspected of Spying for China. Raids were carried out on the homes and offices of the three people, at a time when Berlin faces pressure over Huawei, the Chinese company that the U.S. has labeled a national security risk.

  • 2022: BND hält China für immer „rücksichtsloser“. Der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, ist wegen des Vorgehens Chinas besorgt. „Bei China beobachten wir schon länger eine sehr nachdrückliche, selbstbewusste und auch rücksichtslose Art, Interessen durchzusetzen – im politischen Raum, im nachrichtendienstlichen Raum, im wirtschaftlichen Raum, durchaus auch im militärischen Bereich. Das nimmt seit 2017 sehr stark zu“, sagte Kahl dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.

    2022: BfV: "Russland ist der Sturm, China der Klimawandel". In der öffentlichen Anhörung der drei Nachrichtendienst-Chefs im Bundestag geht es vor allem um Russland und China. Frühere Warnungen seien ignoriert worden.

  • 2022: Warnung des BND : Bundesnachrichtendienst warnt vor Gefahr durch China. Der BND war von dem Überfall Russlands auf die Ukraine nicht überrascht. Nun warnt der Dienst vor einer weiteren Bedrohung: das zur Globalmacht aufsteigende autokratische China.

  • 2022: Auch international wurden diese Aussagen mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen: „The top three security and intelligence officials didn’t pull any punches over China either. Kahl warned about a considerable threat from an “autocratic China rising to become a global power.” He said business, society, and politics in Germany have also been too trusting and “painfully dependent” on a power that “suddenly no longer seems welldisposed.” All three officials said they had been trying to “raise awareness in the business community” about China’s intentions. The influential Federation of German Industries broke ground in 2019 by writing a critical report on China and how German industry had to understand the consequences of becoming so dependent on China for exports and certain commodities. However, Kahl said, there is still “a lot of trust and naivete… that is not appropriate.”

  • 21.02.2023: New German research strategy encourages risk assessments on China collaboration. Mirroring a change in sentiment across the EU, Germany’s ‘future strategy’ demands more reciprocity from Beijing on access to research data. A separate China strategy, currently debated in government, could also shift German policy.

  • 23.03.2023: Verfassungsschutz warnt vor Tiktok-Risiken. Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht erhebliche Risiken bei der Verwendung der Kurzvideo-App Tiktok. Dabei geht es sowohl um den Umfang gesammelter Daten als auch Möglichkeiten staatlicher Einflussnahme… Unter anderem in den USA, Deutschland und Großbritannien ist die App auf Dienst-Handys von Regierungsmitarbeitern verboten, auch bei der EU-Kommission. Am Donnerstag kam das britische Parlament dazu..

Allein diese kursorische Zusammenstellung sollte für sich sprechen. Anzumerken bleibt hier, dass die öffentlichen Aussagen ohnehin nur in allgemeiner Weise die interne, bekanntlich unter Geheimhaltung stehende Berichterstattung der Dienste an die Bundesregierung wiedergeben können. Wie im Falle Russlands haben BND und BfV seit Jahren wenig Zweifel an den von China ausgehenden Risiken für die Sicherheit von Staat und Wirtschaft gelassen. Wie im Fall von Russland wird jedoch erneut offenkundig, dass auf politischer Ebene über Jahre hinweg andersgelagerten Interessen der Vorrang gegeben wurde.

Die Frage, wer hier „versagt“ habe, stellt sich mithin nicht im Hinblick auf die Dienste, die sehr wohl kontinuierlich von sich haben hören lassen, auch zu einer Zeit, in der gerade auch in Wirtschaftskreisen wie in der Politik der Blick durch handfeste Interessen und sachlich wenig begründete Selbstsicherheit gegenüber den Erkenntnissen der nationalen Dienste wie ihrer internationalen Partner geprägt war. Dass sich diese Haltung auch in der politisch gewillkürten personellen und materiellen Ausstattung der Dienste manifestiert hat, ist spätestens seit der „Zeitenwende“ nahezu deklaratorisches Allgemeingut ebenso geworden wie die wohlfeile Forderung, den Worten nun auch endlich Taten folgen zu lassen.

Die Bundeswehr ist „kaputtgespart“ worden, darüber sind sich ja nun alle Fachkreise und jene, die sich dafür halten, einig. Die Dienste haben – dies möge auch einmal zur Kenntnis genommen werden – ungeachtet einer seit 2013 vorherrschenden massiven medialen wie politischen Antistimmung durch stille Überzeugungsarbeit wenigstens Bestand halten bzw. diesen nach 2017 auch ausbauen können, wie allein schon die öffentlichen Jahresbudgets ausweisen. Dass damit die jahrzehntelange Unterfinanzierung und Untermandatierung im Zeichen der fiskalischen wie politischen „Friedensdividende“ nicht ungeschehen gemacht werden konnte, erschließt sich allen, die sich einmal Gedanken zu umfassenden betriebswirtschaftlichen Transformationsprozessen gemacht haben. Nicht umsonst ist ja unlängst die banale Erkenntnis, dass sich jahrzehntelange Versäumnisse bei der Bundeswehr allein schon aus objektiven Limitationen heraus nicht bis 2030 überwinden lassen würden, auch medial zur Kenntnis genommen worden. Darüber hinaus zeigt gerade auch die seit über einem Jahr geführte fundierte und verantwortungsvolle fachliche wie politische Diskussion in den USA über Fehlperzeptionen in Lagefeststellung und Lagebeurteilung zu Afghanistan und Ukraine, das auch dort, ungeachtet einer völlig anderen Dimension in Ausstattung und Mandatierung, Nachbesserungsbedarf in Methodik und Ansätzen besteht, dem sich die Intelligence Community und die politischen Aufsichtsgremien in gemeinsamer Verantwortung stellen

Dass auch die deutschen Dienste sich vergleichbaren Fragen widmen müssen und darüber hinaus angesichts der sich dramatisch akzelerierenden und verschärfenden geopolitischen Krisen sowie der technologischen Epochenwende von Quantum Computing und Künstlicher Intelligenz in ganz erheblichem Umfang zu ertüchtigen sein werden, bleibt unbenommen. Nur ist es illegitim und verfehlt, diese Forderung auf der Grundlage von sachlich uninformierten pauschalen „Versagensvorwürfen“ zu erheben. Die Dienste wie die auf sie zurückgreifenden Ent-scheidungsstrukturen in Politik, Militär und Sicherheitsbehörden stehen ganz erheblichen Herausforderungen gegenüber. Hier künftigem Versagen durch vorausschauende und konsequente Ertüchtigung vorzubeugen, ist aktuelle Aufgabe und Verantwortung von Politik und Diensten gleichermaßen.

Für den Vorstand

Dr. Gerhard Conrad

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Geheimnisverrat und Resilienz