Geheimnisverrat und Resilienz
Anmerkungen zur Kommunikation bei Sicherheitsvorfällen
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Dr. Gerhard Conrad
Der aktuelle mutmaßliche Verratsfall zu Lasten des Bundesnachrichtendienstes und seine bisherige mediale Wahrnehmung bringen einige grundsätzliche Fragen mit sich, wie mit derartigen Ereignissen gerade auch in der Öffentlichkeit sachgerecht und zielführend umgegangen werden kann.
Geheimnisverrat hat je nach Schwere, Umfang und Umständen nicht unerhebliche negative Auswirkungen auf das betroffene wie auch das weitere Umfeld. Fragen nach Ursachen, Auswirkungen, der Bestandskraft und Wirksamkeit personeller wie materieller Sicherheit stellen sich intern wie auch im Außenverhältnis. Nicht selten drängen sich hierbei Worst Case-Szenarien langjährig unentdeckt gebliebener „Maulwürfe“ an zentralen Stellen eines Dienstes auf, auch wenn diese insbesondere zu Beginn von Ermittlungen zumeist ohne faktische Grundlage sind. Derartige Perzeptionen, sei es, dass sie intern entstehen und kursieren, sei es, dass sie über eine mediale Befassung von außen heran- und hineingetragen werden, sind geeignet, in erheblichem Maße zu ungerechtfertigten Imageschäden des betroffenen Dienstes wie zur Verunsicherung und Motivationseinbußen in der Belegschaft beizutragen.
Ein unabdingbares Kernelement von Krisenbewältigung und Resilienz ist somit neben den eigentlichen, bereits kurzfristig einzuleitenden operativen, administrativen und rechtlichen Schritten, mehr denn je eine sachgerechte und zielorientierte Kommunikation, nach innen wie nach außen.
Jedes Unternehmen weiß, dass dem „Fallout“ negativer Ereignisse durch geeignete, energische und nachhaltige Informationspolitik im Rahmen von Krisenkommunikation und Reputationsmanagement präventiv wie reaktiv entgegenzuwirken ist. Staatliche Stellen befinden sich hier grundsätzlich in der gleichen Situation. Auch sie sind gut beraten, ihr öffentliches Ansehen als ein wichtiges Gut zu bewahren und wo nötig sachlich begründbar zu optimieren beziehungsweise zu verteidigen. Das gilt – man möchte sagen in besonderer Weise – auch für Sicherheitsbehörden. Wirksame (!) Kommunikation nach innen wie nach außen ist damit das Gebot der Stunde gerade bei sicherheitsrelevanten Vorkommnissen.
Das Bundesministerium des Inneren hat bereits 2008 einen inzwischen mehrfach aktualisierten und erweiterten „Leitfaden Krisenkommunikation“ entwickelt, der wesentliche Aussagen und Anregungen für die Bewältigung herausfordernder Konstellationen enthält.
Eingangs wird (S.3) die folgende Problembeschreibung gegeben, die – mutatis mutandis – durchaus auch für das Verständnis der hier in Frage stehenden Situationen herangezogen werden kann:
Katastrophen und Krisen sind eine Quelle für Nachrichten, erfüllen sie doch ein Relevanzkriterium für Journalismus: Sie durchbrechen die Regel und repräsentieren eine Störung des Alltäglichen. Auf Seiten der Bevölkerung verursachen sie einen hohen Informationsbedarf, auf den angemessen reagiert werden muss. Das Interesse der Öffentlichkeit, der Wettbewerb von Medien sowie die gewachsene Bedeutung des Internets verstärken die Tendenz zu immer spektakuläreren Meldungen. Dieser Dynamik und dem Druck zur Veröffentlichung können sich viele Medien immer schwerer entziehen.
All dies erhöht auch für die Verantwortlichen in Krisen den Druck – die Folge können Fehlentscheidungen und Missverständnisse sein. Eine nicht vorbereitete oder fehlerhafte Krisenkommunikation kann die Situation unkontrolliert eskalieren lassen, das Vertrauen der Bevölkerung nachhaltig beeinträchtigen und somit die Glaubwürdigkeit verantwortlicher Stellen beschädigen. Auch das Betriebsklima und die Motivation des eigenen Personals können darunter leiden. Und schließlich werden widersprüchliche Aussagen von Verantwortlichen und Experten, Missverständnisse, Schuldzuweisungen und Diskussionen in den Medien zur Belastung für die Krisenbewältigung selbst.
Dem ist im Hinblick auf die Relevanz öffentlichkeitswirksamer Pannen oder Verratsfällen in Nachrichten- und Sicherheitsdiensten wenig hinzuzufügen, auch wenn hier nicht notwendig das Ausmaß einer Krise im Sinne der Definition erreicht wird. Ihre mediale Behandlung folgt jedoch ähnlichen Gesetzmäßigkeiten, die ihrerseits Auswirkungen auf die betroffenen Behörden und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Situation selbst, aber auch in Bezug auf längerfristig relevante Reputation im politischen wie öffentlichen Raum haben, so dass hier in gleicher Weise entsprechend angepasste Ansätze und Verfahrensweisen in Betracht kommen.
Grundsätzlich wird im Leitfaden (S. 13) zur Bedeutung einer wirksamen Kommunikation festgestellt,
dass ein langfristiges und grundlegendes Ziel von Kommunikation der Aufbau von Vertrauen in und Glaubwürdigkeit von Behörden bzw. Unternehmen (ist). Krisenkommunikation muss so funktionieren, dass Vertrauen und Glaubwürdigkeit auch in der Krise bestehen bleiben. Erreicht wird dies durch offene Kommunikation mit der Öffentlichkeit, den Medien und allen anderen Zielgruppen, die die Behörde oder das Unternehmen für sich identifiziert haben. Erfolgreiche Krisenkommunikation setzt eine abgestimmte Kommunikationslinie mit den anderen von der Krise betroffenen Behörden … voraus.
Als zentrale Kategorien erfolgreicher Krisenkommunikation präsentiert der Leitfaden (S.14) Meinungshoheit und Präsenz:
In einer Krise ist es wichtig, die Meinungshoheit anzustreben und Präsenz zu zeigen. Indem eine Behörde … offen und ehrlich über Ursachen, Auswirkungen und die Folgen einer Krise informiert, werden Informationen kanalisiert und die Diskussion in der Öffentlichkeit geleitet. So kann ein durch die Krise akut drohender Schaden eventuell vermieden bzw. ein bereits entstandener eingegrenzt und die Gesamtsituation wieder in einen Normalzustand zurückgeführt werden. Um erfolgreich sein zu können, muss Kommunikation so weit wie möglich zielgruppengerecht sein.
Auf den ersten Blick stehen nun in einem nachrichtendienstlichen Kontext Geheimschutzbedürfnisse und Staatswohlinteressen dem hier beschriebenen Transparenzerfordernis ebenso entgegen wie im Fall von laufenden staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren strafprozessuale und strafrechtliche Bestimmungen. Unter Verweis auf diese Spezifika wird dann häufig nahezu jede Stellungnahme gegenüber den Medien verweigert, die jedoch ihrerseits im Rahmen ihrer rechtlichen Privilegierung (Recherchegeheimnis) Zugriff auf ihnen nicht selten rechtswidrig zur Verfügung gestellte Informationen aus Ermittlungsakten nehmen und diese öffentlich verwenden können. Im allgemeinen erfolgen auf diese breit angelegten und mit publizistisch hohem Profil und dramatisierendem „Spin“ verbreiteten Darstellungen dann nur schmallippige Verweise der betroffenen Behörden auf die laufenden Ermittlungsverfahren, gepaart mit betretenem, häufig bereits ominös wirkenden Schweigen auf politischer Ebene. Diese kommunikative Disparität führt dann zwangsläufig zu erheblichen Glaubwürdigkeits- und Ansehensverlusten in der öffentlichen Wahrnehmung sowie zu den im Leitfaden des BMI beschriebenen internen Folgeerscheinungen. Darüber hinaus ist es auch etablierte Praxis medialer Berichterstattung, zurückliegende, nicht selten bereits relativierte oder sich als gegenstandslos herausstellende „Skandale und Blamagen“ der betroffenen Dienste als Hintergrund und Katalysator der aktuellen Darstellung erneut aufzuführen. Hiermit entsteht ein Gefühl der „Unerträglichkeit“, jedenfalls aber der „Überfälligkeit“ weitreichenden Handelns, zumeist in personalpolitischen und legislativen Dimensionen. Sofern hier nicht wirksam von allen involvierten Seiten ein konsequentes und konsistentes Reputationsmanagement betrieben wird, kommen die betroffenen Behörden dann aus einer sachlich unbegründeten Defensive nicht mehr heraus., zum Schaden aller, die an deren Integrität und Handlungsfähigkeit im Sinne der Auftragserfüllung ein Interesse haben – und haben müssen.
Solchen sich verfestigenden Disparitäten in Wahrnehmung und Beurteilung sollte in Anlehnung an den Leitfaden des BMI durch eine proaktive, breit angelegte und nachhaltige Kommunikation nach innen wie außen entgegengewirkt werden. Fehlperzeptionen und pauschale Schlussfolgerungen bis hin zu Vorverurteilungen von Personen oder Institutionen sollten auf diese
Weise nicht ungehindert Wirkungsmacht entfalten können. Auch die bekannten rechtlichen und sicherheitsrelevanten Restriktionen lassen hier noch genügend Raum: So könnten insbesondere auf der informationellen Meta-Ebene Aussagen getroffen werden, die im Rahmen einer allseits abgestimmten Kommunikationsstrategie schon bei den ersten öffentlichen Stellungnahmen zum in Frage stehenden Fall proaktiv vorgebracht und – dem weiteren Verlauf der Debatte an-gepasst – weiterentwickelt, insbesondere aber nachhaltig und kontinuierlich zur medialen Geltung gebracht werden müssten. Auf diese Weise könnten ausufernde öffentliche Behauptungen tatsächlicher Art und Kommentierungen immer wieder in ihrer Relevanz relativiert werden, ohne sich in eine unzulässige, dafür aber umso heftiger eingeforderte Sachargumentation involvieren zu lassen. Auch die zwingenden Erfordernisse von Rechtmäßigkeit und Staatswohl könnten in solchen Stellungnahmen immer wieder deutlich in Erinnerung gerufen werden.
Im Rahmen eines solchen Ansatzes könnte der vorliegende Fall so allseits mit einem ganzen „Paket“ von – hier nur beispielhaft aufgeführten –, jeweils der konkreten Lageentwicklung anzupassenden generischen “Botschaften“ anlassbezogen kommunikativ begleitet werden:
Der GBA ermittelt seit vergangenem Jahr in einem Fall von mutmaßlichem schweren Landesverrat gegen einen Angehörigen des BND und weitere Personen.
Die Ermittlungsakten sind wie stets in solchen Fällen sowohl unter dem Aspekt der Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten, für die bis zum Abschluss des Verfahrens die Unschuldsvermutung zu gelten hat, darüber hinaus jedoch auch zum Schutz der Angehörigen und ebenso aus Staatswohlgründen unter Verschluss zu halten.
Die Weitergabe entsprechender Inhalte an unbefugte Dritte steht bekanntlich als Verrat von Dienstgeheimnissen unter Strafe (§ 353b StGB). Sie ist darüber hinaus auch in der Sache unzulässig, weil sie notwendig nur einen Ausschnitt eines noch in vielerlei Hinsicht nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren wiedergeben kann. Es wird mithin auf einer unzureichenden Faktenlage zur Unzeit öffentlich diskutiert und Meinungsbildung betrieben.
Die Sachverhalte gehören bis zur Anklageerhebung ausschließlich in die Bundesanwaltschaft und das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages für die Nachrichtendienste. Erst auf der Grundlage konsolidierter, beweiskräftig unterlegter Ergebnisse werden valide Schlussfolgerungen zu ziehen sein. Das gebietet die Achtung vor dem Rechtstaat und seinen Verfahren ebenso wie die Achtung vor den Persönlichkeitsrechten involvierter Personen.
Ein Ereignis wie der aktuelle mutmaßliche Verratsfall führt unverzüglich zu Maßnahmen der Schadenserhebung und Schadensbegrenzung nach innen wie außen. Das ist eine Standardreaktion bei allen von derartigen Vorfällen betroffenen Diensten. Auch der BND hat so unmittelbar nach Eingang des Warnhinweises umfassende interne Ermittlungen eingeleitet, die binnen kurzem sowohl zur Identifizierung der mutmaßlichen Tatbeteiligten als auch zur Verhinderung weiterer Informationsabflüsse geführt haben. In die weitergehende Schadenserhebung und Schadensbewertung sind von Anfang an alle fallrelevanten Stellen auf nationaler wie internationaler Ebene eingebunden worden.
Skandalisierungen, Dramatisierungen und Generalisierungen sind fehl am Platz und geeignet, den weiteren Ermittlungsverlauf wie auch Maßnahmen des BND zur Eigensicherung zu beeinträchtigen. Ausweislich der Kommunikation des Generalbundesanwalts vom Dezember 2022 beschränkt sich der Fall unverändert auf den Verdacht der unzulässigen Informationsweitergabe in zwei Fällen im Herbst 2022 an einen ausländischen Geheimdienst, die allerdings qualitativ den Tatvorwurf des schweren Landesverrats nach sich ziehen. Von einem langjährig begangenen Geheimnisverrat zu Lasten des Bundesnachrichtendienstes kann bisher jedoch nicht ausgegangen werden. Die öffentlich verbreitete Gleichsetzung des Vorgangs mit dem Fall Felfe aus den fünfziger und sechziger Jahren, ist damit sachlich unbegründet.
Überzeichnungen, Generalisierungen und Unterstellungen dieser Art sind geeignet, das Ansehen des Dienstes und seiner Angehörigen zu beschädigen, die mit Engagement und Pflichtbewusstsein ihren Auftrag erfüllen und gerade in den aktuellen Zeiten massiver sicherheitspolitischer Herausforderungen Anerkennung und Unterstützung gerade auch im öffentlichen Raum verdienen. In meiner Verantwortung für den Dienst und seine Angehörigen darf ich daher Maß und Zurückhaltung im öffentlichen Urteil von allen Seiten erwarten, insbesondere auch angesichts des bei weitem noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsstands.
Der Dienst hat von Anfang an im professionellen, vertrauensvollen Kontakt und Austausch mit allen fachlich involvierten nationalen und internationalen Stellen gestanden. Die Einbindung in einen derartigen Informationsaustausch unter Partnern hat ja bekanntlich auch zur raschen Aufdeckung, Unterbindung weiterer mutmaßlicher Verratshandlungen, zu gemeinsamer Schadensbegrenzung sowie zu den weiteren Ermittlungserfolgen geführt.
Der Dienst berichtet entsprechend seinen gesetzlichen Verpflichtungen kontinuierlich und umfänglich zum Fall, und dies sowohl an das BKAmt als auch den ermittlungsführenden GBA sowie das PKGr. Gemeinsam arbeiten wir im Rahmen der jeweiligen Verantwortlichkeiten an der raschen Aufklärung des Falls sowie auf der Grundlage eingehender Ermittlungsergebnisse an der Prüfung und Umsetzung möglicher Konsequenzen.
Wo gegebenenfalls Fehler gemacht worden sind, und im Zuge der Untersuchungen Schwachstellen ermittelt werden, werden die erforderlichen Konsequenzen im Interesse von Sicherheit und Aufgabenerfüllung auf der Basis gründlicher Sachverhaltserhebung und Analyse gezogen werden, unter Wahrung von Verhältnismäßigkeit und Verantwortung für die Dienstangehörigen.
Die Öffentlichkeit wird wie stets in solchen Fällen im Rahmen der gesetzlichen Regelungen informiert und beteiligt werden. Diese Regelungen bedingen jedoch eindeutig, dass dies vor Abschluss der Ermittlungen nicht geschehen kann. Zu öffentlichen Mutmaßungen zum Sachverhalt und noch weniger weitergehenden Unterstellungen darf daher schon aus diesem Grund von behördlicher Seite in der Sache keine Stellung genommen werden.
Würden derartige „Pakete“ Teil einer den Fall begleitenden, zwischen Dienst, BKAmt, GBA und PKGr abgestimmten und dann auch allseits implementierten Kommunikationsstrategie im Sinne des BMI-Leitfadens sein, könnte mit der gebotenen Eindeutigkeit, Entschiedenheit und Nachhaltigkeit nach innen und außen dem fatalen Eindruck betretenen oder gar ominösen Schweigens entgegenwirkt und zugleich auch um Verständnis für die Besonderheiten derartiger Fälle geworben werden. Negativen Konsequenzen für die Reputation des Dienstes und die Motivation seiner Angehörigen könnte so kontinuierlich eine klare gemeinsame Positionierung entgegengesetzt werden, die es dann ereignisorientiert weiterzuentwickeln und anzupassen gälte.
Für den Vorstand
Dr. Gerhard Conrad