Ausspähung des BMVg durch US-Dienste?

Fachliche Anmerkungen zur Medienberichterstattung der vergangenen Tage


Die folgende Fassung des Papers enthält keine Fußnoten. Die vollständige Fassung können Sie über das PDF abrufen

Dr. Gerhard Conrad

Die ZEIT und das ARD-Magazin Kontraste haben jüngst Mutmaßungen über eine mögliche „Überwachung des BMVg durch US-Geheimdienste“ verbreitet, die wiederum angeblich zu „umfangreichen und politisch äußerst heiklen Ermittlungen der Sicherheitsbehörden“ geführt hätten: Schon seit einiger Zeit sollen sowohl der Bundeswehr-Geheimdienst MAD als auch der Verfassungsschutz recherchiert haben, ob amerikanische Geheimdienste im Februar 2023 Mitarbeiter des Berliner Verteidigungsministeriums ausgespäht haben könnten.

Ausgangspunkt der Mutmaßungen ist die nachstehend in der ZEIT wiedergegebene Notiz aus den „Pentagon-Leaks“:

Weitreichende Schlussfolgerungen aus einem isolierten Fundstück sollten sich eigentlich verbieten. Wie stets, sollte am Anfang zumindest der Versuch einer umfänglicheren formalen wie inhaltlichen Kontextanalyse stehen, die zumindest teilweise selbst für Außenstehende möglich ist.

Bereits eine erste Durchsicht der im Internet verfügbaren Photographien von geleakten Dokumenten ergibt, dass dieses Exzerpt aus einem regional gegliederten, vermutlich täglich erstellten Sammelbericht (Intelligence Summary/INTSUM) stammt, in dem amerikanisches SIGINT-Aufkommen zu Ländern von sicherheitspolitischer Bedeutung für die USA zusammengestellt worden ist. Der hier relevante Abschnitt steht im Kapitel „China“, in dem sich noch eine weitere Meldung über die chinesische Sicht der US-Positionen zum Ballon-Zwischenfall über den USA befindet. Weitere Kapitel beziehen sich auf Russland, den Nahen Osten, Afrika und Asien. Das primäre „Target“ des Aufklärungsansatzes ist mithin – naheliegenderweise – China. Es geht um die Frage, ob und gegebenenfalls wie weit chinesische verteidigungspolitische Ambitionen auf Gegenliebe bei anderen Staaten stoßen.

Formal ist der Gesamtbericht in der Kopfzeile jeder Seite mit der Klassifizierung „TOP SE-CRET // SI-GAMMA // ORCON // NOFORN // FISA“ versehen. Die Bedeutung dieser Kürzel ist ihrerseits seit Jahren durch Veröffentlichungen der entsprechenden US-Dokumente im Internet zugänglich:

  • TOP SECRET: The level applied to information whose unauthorized disclosure could cause exceptionally grave damage to national security.

  • SI: Special Intelligence, or SI, is technical and intelligence information derived from the monitoring of foreign communications signals by other than the intended recipients.

  • SI-GAMMA: COMINT (SI) GAMMA (-G) sub-control system of COMINT

  • ORCON, a U.S. intelligence code word used to mark information as "originator controlled" = Further distribution/declassification subject to originator’s approval

  • NOFORN: No Foreign Eyes, also nur für US-Stellen bestimmt.

  • FISA: Autorisierte Fernmeldeaufklärung nach Foreign Intelligence Surveillance Act

Die Kennziffern des hier in Frage stehenden Abschnitts (TS//SI//RELTO USA, FVEY // FISA) lassen zusätzlich erkennen, dass die NOFORN-Einschränkung in diesem Abschnitt zugunsten der Five Eyes Community (FVEY) gelockert worden sind, die ihrerseits ein starkes Interesse an den chinesischen Aktivitäten haben. Bei den Five Eyes handelt es sich um den seit dem 2. Weltkrieg im Kern zwischen UK und USA etablierten, in den fünfziger Jahren erweiterten besonderen SIGINT-Verbund von USA, UK, Kanada, Australien und Neuseeland, der in dem Ruf steht, sich nicht gegenseitig aufzuklären. Das hier in Frage stehende Fernmeldeaufkommen dürfte somit nicht aus Five-Eyes-Kommunikation stammen. Die formale Analyse ergibt somit zweifelsfrei, dass es sich hier um einen von amerikanischer SIGINT/COMINT in nationaler Kompetenz erfassten Sachverhalt handelt.

Wie alle derartigen zusammengefassten Meldungen, gibt auch diese in ihrem Text keinen expliziten Anhaltspunkt, aus welchem konkreten Kommunikationsverkehr die Information gewonnen worden ist. Dies entspricht elementaren, allseits befolgten Erfordernissen des technischen Quellenschutzes.

Der Inhalt und der Duktus des Textes deuten jedoch darauf hin, dass es sich hier um die Zusammenfassung eines Berichts von Dritten über die Deutschen, nicht um die verkürzte indirekte Wiedergabe einer deutschen Kommunikation, handelt:

Die verteidigungspolitische Abteilung des deutschen BMVg habe am 20.02.2023 Stabsgespräche mit seinem chinesischen Pendant abgehalten. Der Referatsleiter für verteidigungspolitische Beziehungen zur VR China habe behauptet, Deutschland und China hätten sich darauf geeinigt, ein anderes gemeinsames Seminar an der BAKS zu halten und eine kooperative militärische Unterstützung der Vereinten Nationen anzustreben.

Die Deutschen hätten jedoch der chinesischen Delegation klar gemacht, dass keine weitere Verteidigungszusammenarbeit möglich sei, bevor Peking nicht offener und transparenter werde.

Den Deutschen sei bewusst, das China eine „Charme-Offensive“ in Europa angesichts des heftigen US Drucks durchführe, und die Deutschen glaubten, dass sie solidarisch mit den USA seien, wenn sie eine signifikante Verteidigungszusammenarbeit mit China ablehnten.

In einem anderen Zusammenhang habe das BMVg zwischen 2020 und 2022 erfolglos versucht, ähnliche Stabsgespräche mit dem Indischen Verteidigungsministerium zu etablieren.

Die Art der Darstellung deutet stark auf die zusammenfassende Berichterstattung einer dritten Seite über die wesentlichen Elemente des deutsch-chinesischen Treffens hin. So wird darauf verwiesen, dass der zuständige Referatsleiter „behauptet habe, Deutschland und China hätten sich auf ein weiteres Seminar an der BAKS geeinigt“. Diese Behauptung muss mithin sachlogisch gegenüber einem Dritten getroffen worden sein, der darüber im Anschluss an seinen Korrespondenzpartner berichtet hat. Im gleichen Stil wird vom Autor des Berichts von „den Deutschen“ gesprochen, die hier ein Erklärungsinteresse gegenüber Dritten zu ihrer Position hatten. Deutlich wird die Autorenschaft von dritter Seite auch in der abschließenden Feststellung zu einer früheren erfolglosen deutschen Initiative gegenüber Indien, ein klarer Fall von ergänzender Hintergrundinformation für den Empfänger eines Berichts zur deutschen auf Asien bezogenen Verteidigungspolitik.

Die Schlussfolgerung liegt somit nahe, dass es sich hier um eine mittels Fernmeldeaufklärung durch die USA / NSA aufgefangene Kommunikation über die Inhalte eines Treffens zwischen BMVg und einer chinesischen Delegation gegenüber einer dritten Seite handelt, die wiederum hierzu einen Bericht erstellte und versandte, der seinerseits erfasst wurde. Die Kommunikation zu diesem Briefing stammt nicht von einer der Five Eyes Nationen, da diese sonst nicht für die Five Eyes freigegeben worden wären, sondern vom Vertreter einer anderen Nation, deren Kommunikation nach US-Regularien erfasst werden durfte.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Einlassung des Bundesverteidigungsministeriums vom 28.04.2023, der zufolge die US-Botschaft Vertreter des deutschen Verteidigungsministeriums zu einem vertraulichen Austausch über die indopazifische Region eingeladen habe. „Dass die USA Teile der vertraulichen Gesprächsinhalte verschriftlicht mit einem Geheimhaltungsgrad versehen haben, erscheint geboten und ist gängige Praxis“, sagte der Sprecher. „Da die Informationen durch uns mit USA direkt geteilt wurden, sind die diesbezüglichen Spionage-Verdächtigungen unbegründet.“

Es gibt keinen erkennbaren Grund, die Aussage der BMVg zu einem derartigen vertraulichen deutsch-amerikanischen Gespräch in Zweifel zu ziehen. Gleichwohl hätte die Verbreitung eines amerikanischen Kurzvermerks hierzu in einer mit den höchsten Geheimhaltungsgraden und Sperrvermerken geschützten Zusammenstellung von SIGINT-Berichterstattung der NSA sachlogisch definitiv nichts zu suchen, es sei denn, man wollte ernstlich annehmen, dass die USA eigene Fernmeldeverkehre abhörte. Zur Verteilung eines internen vertraulichen Vermerks zum Gespräch mit den Deutschen gäbe es andere geeignete, ebenfalls eingestufte Berichtsformate, wie die Pentagon-Leaks ja gleichfalls ausführlich demonstrieren. Wenn hier nicht von einer ebenfalls eher unwahrscheinlichen, recht groben Verletzung der eigenen formalen Regularien ausgegangen werden soll, handelt es sich mithin bei dem Abschnitt des NSA-Berichts um die zusammenfassende, quellenbereinigte Inhaltsangabe einer aufgefangenen Kommunikation durch eine dritte Seite zum Sachverhalt. Die Intelligence Community der USA ist bekanntlich riesig. Die Berichterstattung des US-Verteidigungsattaché-Stabes an das Pentagon über die Gesprächsrunde mit den Vertretern des BMVg ist so der NSA und ihren Nachrichtenbearbeitern mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht oder nicht zeitnah zugänglich. Aus der Sicht der NSA dürfte die Kommunikation zum Gespräch mithin von Neuigkeitswert gewesen sein und daher in die Sammelberichterstattung Eingang gefunden haben.

Die angesichts des strikten amerikanischen Quellenschutzes öffentlich kaum lösbare „forensische“ Frage bleibt mithin unverändert bestehen, aus welchem aufgefangenen internationalen Fernmeldeverkehr die NSA diesen Kurzvermerk generiert haben mag. Ihr werden all jene staatlichen Stellen in involvierten Ländern nachzugehen haben, die zu diesem Vorgang kommuniziert haben. Ob hierzu auch die Bundesrepublik Deutschland zählt, wird an berufener Stelle zu klären sein.

Für den Vorstand

Dr. Gerhard Conrad

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Zeitenwende auch für die Nachrichtendienste des Bundes?

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Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde