Zeitenwende auch für die Nachrichtendienste des Bundes?
Anmerkungen zur Öffentlichen Unterrichtung des Parlamentarischen Kontrollgremiums vom 26.04.2023
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Dr. Gerhard Conrad
Am 26. April 2023 nahm das im allgemeinen geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium seine Befugnis zu einer öffentlichen Stellungnahme gemäß § 10 Absatz 2 Satz 1 des Kontrollgremiumsgesetzes wahr. Gegenstand der Öffentlichen Bewertung war die „Funktionsfähigkeit der Sicherheits- und Wiederholungsüberprüfungen nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz bei den Nachrichtendiensten des Bundes”.
Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich eine Problematik, die bereits 2014 mit dem Verratsfall Markus R. zulasten des Bundesnachrichtendienstes2, darüber hinaus aber auch bei den anderen Diensten und Sicherheitsbehörden immer wieder virulent geworden, jedoch seitens der Bundesregierung weder gesetzgeberisch noch auf dem Verordnungswege in Angriff genommen worden war: Die offenbar lückenhafte und rechtlich unzureichend mandatierte Eigensicherung von Nachrichtendiensten und anderen sicherheitsempfindlichen Behörden und Einrichtungen.
Gesetzliche Grundlage hierfür ist das „Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes und den Schutz von Verschlusssachen“, kurz Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) von 1994, das die „Voraussetzungen und das Verfahren zur Sicherheitsüberprüfung von Personen, die mit bestimmten sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten betraut werden sollen (Sicherheitsüberprüfung) oder bereits betraut worden sind (Wiederholungs-überprüfung)“ regelt.
Untersuchungen angesichts der sicherheitspolitischen Zeitenwende:
Bereits seit April 2022 hat sich das PKGr, nicht zuletzt angesichts der neuen Gefährdungslagen im Gefolge des russischen Überfalls auf die Ukraine, der Frage gewidmet, ob die bisherigen Regelungen des SÜG und ihre praktische Umsetzung in allen Diensten des Bundes (BfV, BND und BAMAD) den aktuellen und absehbaren Herausforderungen nach der Zeitenwende noch entsprächen. Dies ist um so mehr der Fall, als die von BfV und BAMAD vorgenommenen Überprüfungen eben nicht nur der Eigensicherung dienen, sondern auch maßgeblich zum essentiellen Schutz aller anderen Behörden mit sicherheitsempfindlichen Bereichen und Einrichtungen der Kritischen Infrastruktur, und mithin gesamtstaatlicher Resilienz beitragen sollen.
Der aktuelle Verratsfall im BND hat zusätzlich auch ein besonderes Augenmerk auf die ebenfalls auf dem SÜG beruhenden Verfahren der Eigensicherung des Dienstes gerichtet und die Dringlichkeit eines allgemein konstatierten Handlungsbedarfs unterstrichen. Die Eigensicherung der Nachrichtendienste – so das PKGr – sei fortwährend zu überprüfen, um die Gefahr fremder Einflussnahme und von Informationsabflüssen zu verhindern.
Gleichwohl geht der Überprüfungsansatz des PKGr erklärtermaßen deutlich über den aktuellen Verratsfall im BND hinaus, auch wenn dies in der medialen Berichterstattung und Kommentierung zugunsten der liebgewordenen Topoi und Schemata immer wieder einmal gerne übergangen wird. Es wäre gut und sachdienlich, wenn sich auch in der öffentlichen Wahrnehmung allmählich die Einsicht durchsetzen könnte, dass die Verantwortlichkeit für die gesetzlichen und sachlichen Rahmenbedingungen nachrichtendienstlicher Arbeit bei der Bundesregierung und ihren Ressorts und – keinesfalls zu vergessen – beim Deutschen Bundestag liegt und bekanntlich in einem Rechtsstaat auch zwingend liegen muss. Das PKGr richtet sich daher mit seinen Stellungnahmen und Vorschlägen mit vollem Recht nicht an die Dienste, sondern die Bundesregierung.
Ergänzend sei hier vermerkt, dass auch in den USA aus Anlass der vom 21-jährigen Angehörigen der Nationalgarde, Jack Teixeira, zu verantwortenden gravierenden „Pentagon/Discord-Leaks“ eine öffentliche Diskussion über mögliche Defizite in den Verfahren zur Sicherheitsüberprüfung angestoßen und auch von der Administration und im Kongress aufgegriffen worden ist. Im Zentrum steht auch hier die Frage, wie den Realitäten des Cyberraums bei der Erfassung und Bewertung von persönlichen Risikomerkmalen zu überprüfender aktueller oder künftiger Geheimnisträger entsprochen werden kann. Die deutschen Dienste befinden sich mit ihren Problemen durchaus „in guter Gesellschaft“, die naheliegenderweise immer wieder auch andere Dienste und Länder umfasst. Nur eine fachlich wenig fundierte Nabelschau würde hier ein Alleinstellungsmerkmal der deutschen Nachrichtendienste sehen wollen.
Empfehlungen des PKGr an die Bundesregierung:
Das PKGr hat mittlerweile die Arbeitsprozesse, die Personalausstattung, die Qualitätsstandards und rechtlichen Rahmenbedingungen für die Sicherheitsüberprüfungen bei den Nachrichtendiensten des Bundes umfassend untersucht und die Ergebnisse intensiv mit der Bundesregierung erörtert.
Nach §§ 5, 5a des Kontrollgremiumsgesetzes (PKGrG) hat es folgende Empfehlungen an die Bundesregierung gerichtet:
Die Stellenausstattung und Stellenbesetzung bei BfV, BND und BAMAD sei sehr zügig zu prüfen und den Erfordernissen anzupassen.
Der Rückstau von Wiederholungsüberprüfungen sei bis Ende 2024 deutlich abzubauen, und darüber Anfang 2025 Bericht zu erstatten.
Die Verfahrensdauern seien durch auskömmliche Stellenbesetzung und Straffung der Verfahren grundsätzlich zu reduzieren.
Gesetzliche Neuregelungen seien erforderlich und zügig vorzulegen, insbesondere im Hinblick auf Befugnisse, die eine frühzeitige Erkennung und Verhinderung von Sicherheitsrisiken ermöglichen. Hierzu zählten auch weitreichende Recherchemöglichkeiten in den sozialen Medien, Elemente zur Steigerung der Überprüfungsqualität wie z.B. jährliche Fragebögen mit Sicherheitsbezug und psychologische Beurteilungen.
Die Eigensicherung der Nachrichtendienste müsse ertüchtigt werden, insbesondere durch eine Anpassung der Verwaltungsvorschriften und internen Vorgabe für einen modernen Umgang mit Verschlusssachen und für die Abwehr fremder Einflussnahme. Vorschläge hierzu seien bis Ende 2023 vorzulegen.
Die Arbeitsprozesse seien im Interesse einer Verkürzung der Verfahrensdauer technisch zu modernisieren und zu digitalisieren.
Ein bedeutsamer Schritt in die richtige Richtung: Befähigungen in den Blick nehmen!
Die Überprüfung wie ihre Ergebnisse und Vorschläge können in der Sache nur vorbehaltlos begrüßt und unterstützt werden. Dies gilt insbesondere auch für den Umstand, dass sie sich – wie gesetzlich vorgesehen, aber auch in der Sache mehr als angemessen – an die Bundesregierung richtet, die hier in der Pflicht steht, als Gesetz- und Verordnungsgeber die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen für sachgerechtere Regelungen und Verfahren zu schaffen.
Die Möglichkeiten der Dienste zur Gewährleistung von personeller und materieller Sicherheit werden rechtlich wie sachlich durch die jeweils zuständige und verantwortliche Fach- und Dienstaufsicht definiert. Ohne „auskömmliche Stellenbesetzung“ und sachlich adäquate gesetzliche Befugnisse laufen Bemühungen der beauftragten Abteilungen ins Leere. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass Kapazitäten zur Eigensicherung und Spionageab-wehr bis 2017 im Rahmen der „Friedensdividende“ massiv abgebaut und danach nur halbherzig wieder aufgebaut worden waren. All dies war – wie im Fall der Bundeswehr – Ausdruck einer politischen Disposition, nicht eines Sonderwegs „verantwortungsloser“ oder „unfähiger“ Dienste, denen bekanntlich über Jahre hinweg grundsätzlich Übergriffigkeit und Übermaß gerade auch in Sachen der Eigensicherung vorgeworfen worden waren. Auch auf den medienbekannten Umstand, dass erweiterte Maßnahmen des BND als Konsequenz aus dem Verratsfall Markus R. auf Betreiben des Bundeskanzleramts wieder eingestellt werden mussten, sei hier noch einmal hingewiesen.
Zu Recht wird daher nunmehr gefordert, dass die Zeitenwende eine „umfassende Sicherheitsstrategie erfordere, bei der auch die Eigensicherung und der Schutz vor Spionage und Einflussnahme von großer Bedeutung“ seien.
Es bleibt dringend zu hoffen, dass vergleichbare, die Befähigungen der Dienste zur angemessenen Auftragserfüllung angesichts einer gravierend veränderten Sicherheitslage ins Auge nehmende Untersuchungen des PKGr angestellt werden und zu einer entsprechenden Ertüchtigung führen können.
Der GKND hat in diesem Zusammenhang bereits seit geraumer Zeit immer wieder auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit eines derartigen Mentalitätswandels hingewiesen. Die Zeitenwende betrifft sachlogisch nicht nur die Bundeswehr; auch die Dienste müssen in ihrer Aufgabenerfüllung – nicht nur in der Eigensicherung – bedrohungsadäquat ertüchtigt und rechtlich mandatiert werden.
Die aktuelle „Öffentliche Bewertung“ des PKGr zum SÜG kann da nur ein erster, allerdings ebenso sachgerechter wie ermutigender Schritt sein.
Für den Vorstand
Dr. Gerhard Conrad