Reform der Nachrichtendienstgesetzgebung

Die Chance für eine Neubesinnung


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Im Koalitionsvertrag vom 10. April 2025 haben die Parteien der neuen Bundesregierung eine „grundlegende verfassungskonforme, systematische Novellierung des Rechts der Nachrichtendienste des Bundes“ angekündigt. In der Anhörung der Geheimdienstführungen am 13. Oktober wurde allseits die Dringlichkeit dieser Reform bestätigt. Ein Referentenentwurf mit insgesamt 139 Paragrafen befindet sich dem Vernehmen nach in der Abstimmung zwischen den zuständigen Ressorts. Angestrebt wird eine zeitnahe Befassung des Bundestages.

Eine derartige umfassende Novellierung der Nachrichtendienstgesetzgebung eröffnet eine seltene Gestaltungschance, die über die datenschutzrechtliche Neujustierung und Lockerung von Beschaffungs- und Übermittlungsbefugnissen hinausgeht. Einerseits bietet es die Gelegenheit, die Qualität der Rechtssetzung zu erhöhen, insbesondere auch zu seiner Verständlichkeit und damit auch Öffentlichkeitswirksamkeit beizutragen. Andererseits kann sie zum Anlass genommen werden, eine grundsätzliche Neubestimmung und Anpassung der deutschen Sicherheitsarchitektur an die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft in die Wege zu leiten.

Der GKND, in jüngerer Zeit aber insbesondere auch Wissenschaftler des King’s College London, haben sich mit einigen der in diesem Zusammenhang grundlegenden sicherheits- und nachrichtendienstpolitischen Fragen immer wieder befasst. Es liegt daher nahe, dass die nun eingeleitete Novellierung des BND-Gesetzes, die im engen inhaltlichen Zusammenhang mit ähnlichen Vorhaben zum BfV und zum MAD stehen sollen, erneut zum Anlass genommen wird, noch einmal auf einige grundsätzliche Desiderate hinzuweisen, deren Berücksichtigung im aktuellen Gesetzgebungsverfahren angezeigt wären.

Eine Novellierung des in erster Linie datenschutzrechtlich konzipierten BND-Gesetzes sollte nach Empfehlung der hier vorgelegten Studie bei aller vordringlichen operativen Ertüchtigung im Rahmen einer weiter entwickelten Exegese höchstrichterlicher Rechtsprechung auch die folgenden wesentlichen Elemente einer Sicherheitsarchitektur nicht aus den Augen verlieren, und sei es in Form von vor die Klammer gezogenen Verweisen auf Regelungsbedarf in einer anzustrebenden künftigen Rahmengesetzgebung:

  • Einleitende (evtl. Präambel zum BNDG) Formulierung von Kernaussagen zur verfassungsrechtlichen Legitimation, grundsätzlichen Bedeutung und Aufgabenstellung des Bundesnachrichtendienstes für die politische Selbstbehauptung, Zukunftsfähigkeit, Sicherheit, Gefahren-abwehr und Früherkennung von Gefahren im Sinne der grundlegenden Ausführungen des BVerfG-Urteils vom 19. Mai 2020 (Rn. 127, 128, 138-140, 144, 149, 158, 159, 161-163).

  • Klarstellung der Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes bei der Beschaffung von militärisch relevanten Informationen für die Bundeswehr im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung nach Art. 87a GG noch vor Eintritt des Spannungs- und Verteidigungsfalls.

  • Optimierung von Eingriffsvoraussetzungen und Übermittlungsregelungen im Hinblick auf die Sicherstellung der gebotenen Anschlussfähigkeit an die europäischen Dienste und damit der notwendigen Kooperationsfähigkeit zur arbeitsteiligen Früherkennung und Gefahrenabwehr.

  • Straffung der Kontrollformate und Verfahren. Einführung des Prinzips der Ressourcenneutralität erforderlicher Kontrollregimes durch die Forderung nach verbindlicher Kompensation des über Abgabe bzw. interne Bindung von Expertise verursachten direkten und indirekten Personal- und Materialbedarfs.

  • Verweis auf Regelungsbedarf in der Zuweisung und Ausdifferenzierung von Berichterstattungs-, Konsultationspflichten und -verfahren gegenüber der Bundesregierung, insbesondere auch im Rahmen der Integrierten Lagebearbeitung und personellen Vertretung im Nationalen Sicherheitsrat zur Sicherstellung wirksamer nachrichtendienstlicher Berichterstattung und Unterstützung für die Entscheidungsprozesse der Bundesregierung.

  • Verweis auf spezifischen personal- und laufbahnrechtlichen Regelungsbedarf zur künftigen Sicherstellung essenzieller spezifischer Expertise in der Aufgabenerfüllung des Dienstes unter den absehbaren neuen demographischen Rahmenbedingungen.

  • Verweis auf Regelungsbedarf für die Schaffung einer interbehördlichen Intelligence Community (Befähigung zur Intelligence Fusion) und ihrem Verhältnis zu Abnehmern und Auftraggebern in Regierung und Behörden (Qualifizierungsmaßnahmen für beide Bereiche). Initiierung der Entwicklung gemeinsamer methodischer Standards durch den Nationalen Sicherheitsrat.

  • Verweis auf Regelungsbedarf zu Eckwerten für die Öffentlichkeitsarbeit und Forschungsförderung der Bundesregierung zur Unterstützung einer sachgerechten öffentlichen Wahrnehmung von Nachrichtendiensten in ihrem verfassungsmäßigen Auftrag und ihrer Aufgabenwahrnehmung

Der GKND begrüßt es sehr, dass hier die Kollegen von King’s College in der besten Tradition anglo-amerikanischer Intelligence Studies einen weiteren Impuls anbieten können, zu dem der Gesprächskreis auch inhaltlich im Rahmen seiner Erfahrungen hat beitragen können.

 

Für den Vorstand

(Dr. Gerhard Conrad)


Was könnte in einem neuen BND-Gesetz stehen?

Möglichkeiten, Grenzen und Perspektiven der aktuellen Novellierung

Daniel Neumann, Christoph Meyer und Gerhard Conrad

Im Jahr 2016 reformierte die damalige Bundesregierung die Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung, um dieser Form der Informationsbeschaffung eine sichere Rechtsgrundlage zu geben, und schuf hierzu mit dem Unabhängigen Gremium beim Bundesgerichtshof ein neues Kontrollorgan. Diese Novellierung fand zwar im Kontext einer massiven terroristischen Bedrohung durch ISIS sowie die russische Annexion der Krim statt, gleichzeitig begegnete Nachrichtendiensten jedoch im Nachgang der Snowden-Affäre und des NSU-Skandals gerade auch in Deutschland vor dem Hintergrund der besonderen, verfassungsrechtlich bewehrten Sensitivität in Datenschutzangelegenheiten, ein erhöhtes Misstrauen. Verfassungsbeschwerden von NGOs gegen das neue Gesetz führten zum wegweisenden Urteil vom 19. Mai 2020, in dem das Bundesverfassungsgericht Teile des novellierten BNDG für verfassungswidrig erklärte und dem Gesetzgeber weitreichende detaillierte Vorgaben und Schranken für die gesetzliche Regulierung nachrichtendienstlicher Tätigkeit auferlegte. Infolgedessen wurde das Gesetz im Bereich der Fernmeldeaufklärung umfassend novelliert. Allen voran entstand anstelle des Unabhängigen Gremiums 2021 ein Unabhängiger Kontrollrat (UKR), der als Oberste Bundesbehörde die Fernmeldeaufklärung einer gerichtsähnlichen Vorab- und administrativen Verlaufskontrolle unterwirft. Mit Beschluss vom 28. September 2022 hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber mit Frist zum 31.12.2023 weitere detaillierte Vorgaben für die Neufassung der Übermittlungsregelungen zwischen den Nachrichtendiensten und anderen Behörden aufgetragen. Dem sind Bundesregierung und Bundestag zum Jahresende 2023 nachgekommen. Dessen ungeachtet sieht das Bundesverfassungsgericht weiteren Regelungsbedarf im Bereich der Erfassung von E-Mails oder WhatsApp-Nachrichten.

Vor dem Hintergrund der gravierend veränderten Sicherheitslage, der sogenannten „Zeitenwende“, die spätestens mit dem vollumfänglichen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 unabweisbar eingetreten ist, steht die Ausgestaltung des Rechtsrahmens für den BND erneut in Frage. Die bereits mehrfach und seit längerem artikulierte Sorge ist inzwischen unabweisbar geworden, dass zu eng gefasste Eingriffsbefugnisse oder Übermittlungsregelungen, zusammen mit einem hochkomplexen Kontrollsystem, die gesetzliche Aufgabenerfüllung des Dienstes behindern, während angemessene Mittel zur Informationsbeschaffung über zunehmend aggressive und wirkungsmächtige Gegner fehlen. Die Bundesregierung plant daher, das BND-Gesetz nicht nur in Teilen zu reformieren, sondern insgesamt neu zu fassen. Ein Referentenentwurf von 139 Paragraphen befindet sich offenbar in der Abstimmung zwischen den zuständigen Ressorts; ein Gesetzesentwurf soll möglichst zeitnah in den Deutschen Bundestag eingebracht werden.

Die in Aussicht gestellte umfassende Novellierung des BND-Gesetzes ist nicht nur eine legislative Herausforderung im Lichte der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; sie bietet auf jeden Fall auch Gestaltungsmöglichkeiten über die Neujustierung der nachrichtendienstlichen Beschaffungs- und Übermittlungsbefugnisse hinaus. Einerseits bietet sie die Gelegenheit, die Qualität der Rechtssetzung zu erhöhen, insbesondere auch zu seiner Allgemeinverständlichkeit durch sprachliche Klarheit und strukturelle Vereinfachung beizutragen. Andererseits kann sie zum Anlass genommen werden, eine grundsätzliche Modernisierung der deutschen nachrichtendienstlichen Architektur ins Auge zu fassen und in der Gesetzesnovellierung bereits mitzudenken, eventuell auch schon Anstöße für künftige Gesetzgebung jenseits des datenschutzrechtlichen Ansatzes zu geben.

In diesem Papier weisen wir auf mögliche Ansatzpunkte hin, wie die Novellierung des Gesetzes unmittelbar oder auch nur mittelbar in Form von Anstößen zu einer anzustrebenden künftigen Rahmengesetzgebung für die Sicherheitsarchitektur des Bundes genutzt werden könnte, um den BND in seiner Funktion als wesentliches Informations- und Frühwarnsystem für die Bundesregierung und zuständigen Bundesbehörden zu stärken.

 

I. Was kann das BND-Gesetz leisten, und was nicht?

Gesetzlicher Rahmen

In Gesetzen spiegeln sich historisch gewachsene gesellschaftliche Realitäten und kollektive Vorstellungen wider. In Bezug auf die Nachrichtendienste spielen hier insbesondere tradierte gesellschaftliche Akzeptanzprobleme, mangelndes Vertrauen in der Öffentlichkeit, sowie politische und administrative Defizite im Umgang mit ihnen, ihren Arbeitsweisen und Erkenntnissen, bei der parlamentarischen Kontrolle, Wertschätzung und Leistungsüberprüfung eine Rolle. Andererseits können gesetzliche Regelungen auch wichtige Klarstellungen und grundsätzliche Aussagen zum Dienst, seiner Position in Staat und Gesellschaft und seinen Aufgaben treffen und so zu seiner Akzeptanz, Integration und Handlungsfähigkeit als Teil der nationalen Sicherheitsarchitektur beitragen.

Sicherheitsgesetzgebung sollte daher jenseits der datenschutzrechtlichen Dimension auch die grundsätzlichen, langfristig bestandskräftigen Erwartungen des Staates an die Dienste kristallisieren und die Beziehungen zwischen Diensten, Regierung, Kontrollorganen, Parlament und Gesellschaft prägen. Auch Sicherheitsgesetze sind zwangsläufig Kinder ihrer Zeit, mithin der zum Zeitpunkt ihrer Formulierung und Verabschiedung vorherrschenden Perzeption der sicherheitspolitischen Bedrohungslage und der gesellschaftlichen Verfasstheit.

Das heutige BND-Gesetz ist in erster Linie Datenschutzrecht und damit Besonderes Verwaltungsrecht. Es stammt in seiner ersten Fassung von 1990 bekanntlich aus der Zeit der Wiedervereinigung und der Überwindung des Kalten Krieges. Zusammen mit dem BfV-Gesetz wurde hier erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein primärrechtlicher Rahmen für nachrichtendienstliches Handeln überhaupt geschaffen, mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem Bedrohungsperzeptionen keine prominente Rolle mehr spielten. Es gab noch kein Internet, keinen durch Milliarden von Smartphones und anderen IT-Endgeräten geschaffenen globalen Cyber-Informationsraum und erst recht keine KI. Funktion und Aufgabenstellung des BND, mithin seine Existenzberechtigung, wurden in § 1, Abs. 2 in einem einzigen apodiktischen Satz beschrieben:

„Der Bundesnachrichtendienst sammelt zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, die erforderlichen Informationen und wertet sie aus“.

An dieser sehr allgemein gehaltenen Zweckbestimmung und allenfalls implizit angedeuteten Legitimationsgrundlage hat sich im Gesetzestext bis heute nichts geändert. Die Novellierung im Jahr 2016 versuchte einerseits, der neuen technologischen Realität ebenso wie den neuen Bedrohungen durch eskalierenden islamistischen Terrorismus und durch Russlands hybride Kriegführung gegen die Ukraine gerecht zu werden, war aber andererseits auch stark von den Snowden-Leaks und dem NSA-Untersuchungsausschuss geprägt. Das Gleiche galt auch für die Neufassungen von 2021 und 2023, die sich überwiegend auf die vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Passagen beschränkten. Gesetze können „aus der Zeit fallen“ bzw. von der Zeit überholt werden, insbesondere dann, wenn der Gesetzgeber versucht, zu viele unterschiedliche Sachverhalte in zu hohem Detaillierungsgrad zu regeln und ungenügend Raum für Flexibilität in der Reaktion auf neue Umstände lässt. Gerade im Bereich des Sicherheitsrechts sind jedoch die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers in den vergangenen Jahren massiv und teilweise bis ins administrative Detail durch eine fachlich allerdings zunehmend diskutierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts höchstrichterlich eingegrenzt worden. Dessen ungeachtet können jedoch bereits in der aktuell angestrebten Novellierung wichtige Signale im politischen Raum ausgesandt und auf einen normativen Rahmen aus Befugnissen und Befähigungen hingewirkt werden, innerhalb dessen Dienste die ihnen aufgegebenen, auch verfassungsrechtlich als „von überragendem öffentlichem Interesse“ bewerteten Aufgaben sachgerecht bewältigen können müssen. Ob hierbei der inhaltliche Zuschnitt des Gesetzes als den BND adressierendes Besonderes Datenschutzrecht im aktuellen Gesetzgebungsverfahren transzendiert werden kann, oder dies einer Rahmengesetzgebung zur deutschen Sicherheitsarchitektur und ihrer Akteure vorbehalten bleiben muss, wird sich im Zuge der aktuellen gesetzgeberischen Arbeiten herausstellen.

Dessen ungeachtet wird die Novellierung von zentraler Bedeutung als ein Baustein zur Modernisierung und Stärkung deutscher Nachrichtendienste sein können. Darüber hinaus sind die politischen Akteure aber aufgerufen, es nicht bei einer bestmöglichen Optimierung technisch-prozeduraler Sachverhalte und Verfahren allein zu belassen, sondern mit geeigneten politischen und legislativen Mitteln auch die Gestaltung eines grundsätzlicheren politischen und gesellschaftlichen Kulturwandels hin zu Resilienz und Selbstbehauptungswillen anzustreben.

 

Ambitionen und Spielräume

Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU, und SPD vom 10. April 2025 ist – ähnlich wie bereits die Nationale Sicherheitsstrategie von 2023 – recht zurückhaltend in seinen expliziten Aussagen zum BND. Namentlich wird dieser – im Gegensatz zu den Diensten des Verfassungsschutzverbundes – nicht erwähnt. Im Abschnitt „Stärkung von Sicherheitsbehörden“ heißt es jedoch:

"Zur Stärkung unserer nationalen Souveränität und der operativen Fähigkeiten unserer Nachrichtendienste, und um mit der Leistungsfähigkeit relevanter europäischer Partnerdienste wieder Schritt zu halten, streben wir eine grundlegende verfassungskonforme, systematische Novellierung des Rechts der Nachrichtendienste des Bundes an, einschließlich der rechtlichen Rahmenbedingungen für einen effektiven und effizienten Datenaustausch zwischen den Diensten und anderen Behörden (Ausweitung von Übermittlungsbefugnissen und Prüfung von Löschfristen).“

Hiermit hat sich die Koalition auch für den BND sehr stark positioniert und hat dies in der Folgezeit noch mehrfach öffentlichkeitswirksam getan.

Die angestrebte Novellierung des BND-Gesetzes ist nunmehr nach der Neufassung des MAD-Gesetzes der zweite gesetzgeberische Schritt zur Neuaufstellung der Nachrichtendienste des Bundes. Das hohe Tempo legt nahe, dass der Fokus weiterhin darauf liegen wird, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtssicher Befugnisse in der Informationsbeschaffung und Übermittlung auszubauen, sowie den Verwaltungsaufwand der notwendigen Kontrollmechanismen zu reduzieren. Dies deutet einerseits an, dass das Gesetz frühzeitig in der Legislatur beschlossen werden soll, um auf eine durch „strategische Prozessführung“ wahrscheinlich erneut angestoßene Überprüfung auch dieser Reform durch das Bundesverfassungsgericht noch reagieren zu können. Andererseits wird abzuwarten sein, wie die im Koalitionsvertrag formulierte gesetzgeberische Ambition einer Neufassung des BNDG mit dem bisher vom Verfassungsgericht konsistent eng gesetzten rechtlichen Rahmen für die Informationsbeschaffung und Übermittlungsrichtlinien in Übereinstimmung gebracht werden kann. Der Bundesregierung wird es angesichts der akuten, sich auch perspektivisch weiter akzentuierenden sicherheitspolitischen Gefährdungslage, die auch die Dimensionen der Landes- und Bündnisverteidigung erfassen wird, wohl erst einmal darum gehen müssen, den BND unter Ausschöpfung aller noch zu explorierenden rechtlichen Spielräume schnellstmöglich so schlagkräftig wie eben möglich zu machen, möglicherweise bis hin zu exekutiven Befugnissen in der Abwehr und Unterbindung von gegnerischen Maßnahmen.

Umfassendere Reformen an der Architektur des deutschen Nachrichtendienstwesens wären angesichts der bestehenden Probleme aber notwendig. Sie müssten, wenn nicht in der aktuellen Reform, dann in weiterer Gesetzgebung erfolgen. Bei den Beratungen zur Neufassung des Gesetzes könnte und sollte aber jedenfalls auch grundsätzlicherer Reformbedarf mitgedacht werden, um die Zukunftsfähigkeit der Sicherheitsgesetzgebung sicherzustellen.

„Beinfreiheit“ und Klarheit

Bei der anstehenden Novellierung stellt sich auch die Frage, wie ausführlich das Gesetz werden soll. Einerseits bieten detaillierte und ausdifferenzierte Regelungen den betroffenen Akteuren Klarheit und Rechtssicherheit. Dies entspräche auch den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes, das normenklare und verständliche Bestimmungen fordert und damit einer Tradition auch internationaler Urteile folgt, die entsprechend der Quality-of-Law-Doktrin die Ausdifferenzierung der Nachrichtendienst- und Überwachungsgesetzgebung in europäischen Staaten forciert hat. Andererseits findet nicht nur der BND sich in der Praxis in ständig verändernden Sicherheitslagen wieder, die durch Internationalisierung und technologischen Fortschritt schnell den jeweils aktuellen Stand der Gesetzgebung überholen.

Wer das heutige Gesetz mit seinen 69 Paragraphen und über 22.000 Worten in seiner Gänze liest, kann sich angesichts der vielen und komplexen Verweisungen, Einschränkungen, Protokollierungs- und Informationspflichten unschwer vergegenwärtigen, dass das BNDG von seiner Rechtsnatur im Grunde nichts anderes als Besonderes Datenschutzrecht ist, das in Konsequenz aus der Volkszählungsentscheidung des BVerfG vom 15.12.1983 zustande gekommen ist. Dieser Ansatz erklärt auch dem Umstand, dass Aussagen zur Aufgabenstellung des Dienstes und seiner Funktionsweise in einer nationalen oder auch international dimensionierten Sicherheitsarchitektur weitgehend fehlen. Im Mittelpunkt des Gesetzes stehen vielmehr die verfassungsrechtlich heraus-gearbeiteten und in ständiger Rechtsprechung weiter ausdifferenzierten Grundsätze des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und seiner Konkretisierung u.a. im organisatorischen Trennungsgebot zwischen Nachrichtendiensten und Polizeibehörden sowie dem hieraus wiederum abgeleiteten informationellen Trennungsprinzip, das nur im zu begründenden Einzelfall eine Weiterleitung von personenbezogenen Daten unter den Voraussetzungen einer „hypothetischen Datenneuerhebung“ zulässt. Die sich hieraus ergebenden Übermittlungsregelungen sind in verfassungsgerichtlicher Normsetzung entwickelt und in einem Detaillierungsgrad vorgegeben worden, der auch in der juristischen Fachliteratur nicht ohne pointierte Kritik geblieben ist. Es erscheint vor diesem Hintergrund naheliegend, dass der verdoppelte Umfang des ersten BNDG-Referentenentwurfs (139 statt 69 Paragraphen) erneut diesem legislativen Ansatz geschuldet sein wird. Dieser in Forschung und Lehre immer wieder beklagte „atemberaubende Detaillierungsgrad“ im Stile eines „Mikromanagements“ mag dem Streben nach maximaler Handlungs- und Rechtssicherheit im Detail und Ausdruck von allseitiger Risikoaversion entsprechen, erweist sich jedoch auch im praktischen Vollzug schnell kontraproduktiv für eine zeit- und lagegerechte Aufgabenerfüllung. Ein neues BND-Gesetz sollte jedoch die mittlerweile allseits dringlich geforderte neue Qualität der Handlungsfähigkeit und Effektivität des BND bei der Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben ermöglichen. Es wird so wahrscheinlich eine besondere legislative Herausforderung sein, wo immer statthaft und möglich eine inhaltliche Modifikation, aber eben auch Abstraktion der bisherigen Detailregelungen zu finden, die mehr Raum schaffen würde für Ermessensentscheidungen, flexibles Handeln und Innovation in einem Umfeld der schnellen Veränderung, des größeren Wettbewerbs oder auch zugespitzten Antagonismus zwischen Staaten und wachsender Gefahren durch die Nutzung neuer Technologien.

 

II. Mögliche Ansätze im Rahmen einer Novellierung

Überarbeitung der Erwartungen und Aufgaben

Die anstehende Novellierung ist eine Chance, die Erwartungen des Gesetzgebers an die Nachrichtendienste des Bundes klarer und in Bezug auf ihre Wesensmerkmale zu artikulieren. Die Gesetzgebung Frankreichs ist da z.B. bereits expliziter, indem sie in Art. L811-2 des Code de la Sécurité Intérieure (CSI) von 2015 den Diensten auferlegt, in Frankreich und im Ausland Informationen besonders über Gefahren für die nationale Sicherheit zu sammeln und zu auswerten, um die Regierung aufzuklären und bevorstehende Bedrohungen verhindern zu können. Auch in Großbritannien umreißen die Aussagen der Section I des Intelligence Services Act von 1994 die Zweckbestimmung und Aufgabenstellung der Dienste etwas deutlicher. Es geht nicht vornehmlich – wie §1, II BNDG prima facie implizieren könnte – um eine reine Sammlung und Auswertung von Informationen zur Gewinnung von sicherheitspolitisch relevanten Erkenntnissen über das Ausland. Vielmehr geht es um das Zusammenwirken von Information, Analyse und Kommunikation zur Generierung besserer und zeitgerechterer Entscheidungen in einem oft kompetitiven oder gar konfrontativen internationalen Handlungsumfeld. Hier hat es das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 19. Mai 2020 an Klarheit nicht fehlen lassen, die nun auch in geeigneter Weise Niederschlag im neuen BNDG gleich zu Beginn finden könnte: „Die Versorgung der Bundesregierung mit Informationen für ihre außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen hilft ihr, sich im machtpolitischen Kräftefeld der internationalen Beziehungen zu behaupten, und kann folgenreiche Fehlentscheidungen verhindern. Insoweit geht es mittelbar zugleich um die Bewahrung demokratischer Selbstbestimmung und den Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung – und damit um Verfassungsgüter von hohem Rang. In Frage steht mithin ein gesamtstaatliches Interesse, das über das Interesse an der Gewährleistung der inneren Sicherheit als solcher deutlich hinausgeht“. Eine gesetzliche Klarstellung der Aufgaben des Dienstes, ihrer Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit, würde auf der Grundlage dieser verfassungsgerichtlichen Feststellungen auch einen autoritativen Beitrag zum öffentlichen Verständnis und damit auch zur anzustrebenden verbesserten Akzeptanz leisten können.

Das Dictum des BVerfG verdeutlicht aber auch, dass die Leistungsfähigkeit in der Aufgabenerfüllung des BND sich eben nicht daran bemisst, wie viele Informationen gesammelt oder Berichte geschrieben wurden, sondern an der Nützlichkeit und Wirkung dieser Aktivitäten für die Gefahrenabwehr und die Sachgerechtigkeit deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Zwar wird im BNDG die Früherkennung von Gefahren immer wieder erwähnt, aber wann Warnungen zeitgerecht Wirksamkeit entfalten können, ergibt sich nicht zuletzt aus der profunden Kenntnis von Instrumenten und Entscheidungsabläufen der Regierung wie umgekehrt aus deren Wissen um die Möglichkeiten ihrer Nachrichtendienste und deren Nutzung durch den Bedarfsträger. Das impliziert die Notwendigkeit struktureller und organisatorischer Rahmenbedingungen, die ein verbessertes operatives Verständnis von politischen, militärischen und exekutiven Entscheidungs-prozessen und eine bessere Kommunikation mit Entscheidern in allen Bereichen von Regierung und nachgeordneten Behörden ermöglichen. Hier könnte dem derzeit im Aufbau begriffenen ressort- und dienstübergreifend strukturierten Nationalen Sicherheitsrat eine wichtige Funktion zukommen und in geeigneter Weise, z.B. in einem Rahmengesetz zur Nationalen Sicherheit, auch zugeschrieben werden.

Es wäre darüber hinaus auch wichtig, den BND angesichts der im internationalen Vergleich bei allen Nachrichtendiensten letztlich unbestrittenen Tatsache zu stärken, dass die bedeutsamsten Erkenntnisse und Warnungen für Politik und Ministerien potentiell disruptiv und damit unbequem sind, so dass sie Gefahr laufen, bereits früh in Entscheidungsprozessen oder gar in deren Vorfeld nicht weiter berücksichtigt zu werden. Eine gesetzliche Klarstellung über § 65 I BNDG hinaus wäre somit durchaus angebracht, dass die Dienste den Entscheidern auch eigeninitiativ Erkenntnisse geben sollen, die sie brauchen – und nicht nur solche, die aktiv nachgefragt oder inhaltlich erhofft werden. Dies gilt bereits für die sach- und zeitgerechte Erfassung und nachrichtendienstliche fachliche Bewertung von aktuellen und dynamischen Lageentwicklungen (situational awareness), ihren Hintergründen und Kausalitätszusammenhängen. Vornehmlich in krisenhaften Situationen sind Handlungszwänge und Risiken von Fehlentscheidungen besonders ausgeprägt und induzieren einen besonders hohen Bedarf an intelligence, also an bewerteter handlungsleitender Information. Darüber hinaus wäre es wichtig zu betonen, dass eine ebenfalls zu fordernde strategische Vorausschau nicht nur der Gefahrenabwehr dienen sollte, sondern auch der Ermittlung von Chancen für positive Entwicklungen und der Identifizierung von Einflussmöglichkeiten. Der BND könnte so auch zu einem „future-proofing“ von Sicherheitsstrategien und wichtigen Entscheidungen der Bundesregierung beitragen: Was sind Chancen und Risiken verschiedener Handlungsoptionen in Ansehung der Verhältnisse und Akteure im jeweiligen politischen, wirtschaftlichen oder auch militärischen Operationsraum? Es geht mithin im Kern um ein Austarieren des Verhältnisses zwischen Nachrichtendiensten und Entscheidungsträgern hin zu einem engeren Austausch, der sowohl für die Dienste als auch die Entscheider Rechte und Pflichten beinhaltet. Das 2020 novellierte BNDG impliziert zwar in einem seiner letzten Paragraphen (§ 65 I) eine solche eigeninitiative Unterrichtung der Bundesregierung durch den Bundesnachrichtendienst „zur Wahrnehmung ihrer außen- und sicherheitspolitischen Verantwortung“, erneut jedoch in erster Linie unter dem datenschutzrechtlichen Zulässigkeitsaspekt einer solchen Informationsweitergabe. Ein novelliertes BNDG könnte hier in Anlehnung an das Urteil des BVerfG vom 19. Mai 2020 (Rn. 162) unschwer der Bedeutung einer zeitgerechten Unterrichtung und ihrer Wirksamkeit im Entscheidungsprozess größeres Gewicht beimessen, vorzugsweise in einer Klarstellung der Aufgaben- und Pflichtenstellung des Dienstes an prominenter Stelle. In einem anzustrebenden künftigen Rahmengesetz zur Sicherheitsarchitektur könnten dann Verfahren und Pflichtenstellungen der Akteure im „intelligence circle“ grundsätzlich definiert werden.

  

Beschaffungs- und Analysestärkung, nicht Autarkie

Die Auffassung der Bundesregierung, dass der BND aufgrund der aktuellen Sicherheitslage weitergehende Befugnisse in der Informationsbeschaffung und Datenübermittlung brauche, steht im Grundsatz außer Zweifel. Als Indiz für die in höchstrichterlicher Verfassungsauslegung zu eng gefassten Fähigkeiten wird häufig der allseits bekannte und beklagte Umstand angeführt, dass deutsche Dienste oft, möglicherweise zu oft, auf Hinweise aus dem Ausland angewiesen seien. Zahlen der Bundesregierung zu vereitelten islamistischen Terroranschlägen zwischen 2011 und 2021, bei denen in 6 von 13 Fällen (46%) „Erkenntnisse von ausländischen Nachrichtendiensten und Sicherheitsbehörden von wesentlicher Bedeutung für die Verhinderung“ gewesen seien , illustrieren dies. Zur nachhaltigen Überwindung dieser Problematik dürfte angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur nachrichtendienstlichen Datenerhebung und -Übermittlung wohl nur eine Neujustierung der höchstrichterlich getroffenen Verhältnismäßigkeitsabwägungen im Rahmen einer erneuten Befassung oder eine verfassungsändernde Initiative des Gesetzgebers erforderlich sein. Beides ist jedoch wohl allenfalls auf mittlere Sicht vorstellbar. Anzumerken ist jedoch auch, dass die im Einzelfall kritisierte Abhängigkeit von ausländischen Diensten nicht per se ein Problem oder Zeichen von Schwäche sein muss. Vielmehr verdeutlicht es zunächst einmal nur die Notwendigkeit von Kooperation in einer zunehmend internationalisierten und interdependenten Welt. Selbst die USA, als westlicher Staat mit dem größten und vielfältigsten Nachrichtenwesen, sind in weiten Teilen ihrer Arbeit auf internationale Kooperation angewiesen. Das zuweilen implizit geforderte Ziel einer nachrichtendienstlichen Autarkie wäre daher unsinnig. Richtig ist jedoch, dass bilaterale wie multilaterale Partnerschaften von einem austarierten Geben und Nehmen leben, in dem auch der BND in der Lage sein muss, im Interesse einer gemeinsamen Zielerreichung substantielle Erkenntnisse im Tausch anzubieten oder in einen kollektiven „Pool“ als Grundlage für gemeinsame Entscheidungen und Politiken einzubringen. Der Dienst wird hier jedoch in seinen Befugnissen zur Datenerhebung und -übermittlung international anschlussfähiger werden müssen, um dieses Potential auch angemessen ausschöpfen zu können.

 

Klarstellung zu den rechtlichen Befugnissen des BND als Teil der militärischen Aufklärung

Nachrichtendienstliche Aufklärung militärischer Sachverhalte ist eine essentielle Voraussetzung für zielorientiertes sachgerechtes Handeln im Spannungs-, Verteidigungs- und Bündnisfall. Der BND steht hier als einziger deutscher, auch militärisch mandatierter Auslandsnachrichtendienst bereits aktuell und vollumfänglich in der Pflicht, durch nachrichtendienstliche Aufklärung zum notwendigen „Wissen [des Militärischen Nachrichtenwesens der Bundeswehr] über feindliche Kräfte und Stellungen, Bewaffnungen, Nachschubwege, Operationspläne oder Reserven“ beizutragen, um „auf dieser Grundlage eigene wie fremde Stärken und Schwächen einschätzen zu können“. Nicht außer Acht gelassen werden darf hierbei die notwendig präventive Dimension von Verteidigung: Erforderliches Wissen für die Planung und Organisation muss sachlogisch vorher gesammelt und ausgewertet werden, um im Ernstfall zeitgerecht operativ zur Wirkung kommen zu können. Aufklärungsmaßnahmen zur Erstellung von militärischen Lagebildern ist damit „auch dann als Verteidigung anzusehen, wenn noch kein militärischer Angriff erfolgt ist oder unmittelbar bevorsteht“.

Hieraus ergibt sich wiederum folgerichtig die Notwendigkeit einer gesetzlichen Klarstellung, wie die aktuell immer bedeutsamere, in die perspektivische Verteidigungsplanung der Bundeswehr eingebettete militärische Informationsbeschaffung des BND in Friedenszeiten, also vor dem erklärten Spannungs- und Verteidigungsfall rechtlich zu bewerten sein wird. Unterliegt das Handeln des Bundesnachrichtendienstes hier wie sonst auch den verfassungsrechtlich bewehrten Einschränkungen des BNDG, oder ist es hier bereits Teil von Landes- und Bündnisverteidigung gem. Art. 87a GG und des hieraus für das Militärische Nachrichtenwesen folgenden, deutlich weiteren Rechtsrahmens. Angesichts der sich zuspitzenden sicherheitspolitischen Lage in und um Europa ist die rasche Regelung dieser Frage in der aktuellen Novellierung des BNDG von besonderer Bedeutung für die nachrichtendienstlichen Beiträge zur Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Partner.

 

Ein Rechtsrahmen für aufgabenorientierte Personalgewinnung und -entwicklung

Nachrichtendienste sind Produktionsstätten für überlegenes, handlungsbefähigendes Wissen, das Entscheidungsträgern rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden muss, um diese zu sachgerechten Maßnahmen zu befähigen. Produktion von Wissen setzt profunde fachliche Expertise voraus, sehr vergleichbar mit Grundlagen- und angewandter Forschung. Hier wird angesichts der absehbaren demographisch bedingten gravierenden Veränderungen im Personalbestand in den kommenden Jahren ein wichtiger Schwerpunkt bei Personalgewinnung, aber auch Personalführung und -entwicklung liegen müssen. Der Dienst wird – wie alle anderen Behörden auch – mehr denn je in sein bestehendes und künftiges Personal investieren müssen, um den künftigen Anforderungen gerecht werden zu können. Voraussichtlich werden hier auch besoldungs-, vergütungs- und laufbahnrechtlich neue Wege zu gehen sein, um spezifisch qualifiziertes Personal in ausreichendem Umfang zur Verfügung zu haben. Es wäre daher erwägenswert, einen Verweis auf das essenzielle Erfordernis spezifischer Expertise zur Aufgabenerfüllung und deren personal- und laufbahnrechtlicher Sicherstellung bereits in die anstehende Novellierung einzubringen.

 

Kontrolle

Das Kontrollregime des BND ist ebenso komplex wie fragmentiert und neben einer parlamentarischen Kontrolle durch das PKGr auf eine möglichst lückenlose Exekutiv- und justizielle Kontrolle fokussiert. Insbesondere die aktuellen Gesetzespassagen zum Unabhängigen Kontrollrat ((§§ 40ff.) lassen sich durchaus als eine „Institutionalisierung des Misstrauens“ lesen. Es ist zweifelhaft, ob die gegenwärtige Konstruktion angesichts ihres technokratischen Charakters und ihrer medialen „Unsichtbarkeit“ aufgrund der strikten Geheimhaltungspflichten tatsächlich öffentliches „Vertrauen durch Kontrolle“ schaffen kann, unabhängig davon, dass nach internem Urteil Rechts- und Handlungssicherheit der Betroffenen im Bereich der Fernmeldeaufklärung deutlich haben erhöht werden können. Darüber hinaus sollte es jedenfalls bei der parlamentarischen Kontrolle nicht nur um die „allgemeinen Tätigkeiten der Nachrichtendienste“ und über einzelne „Vorgänge von besonderer Bedeutung“ (§ 4 I PKGrG) gehen, sondern vielmehr auch um die Sicherstellung ihrer Wirksamkeit und Befähigung zur Aufgabenerfüllung. Ansatz hierzu könnte § 4 I (2) sein, das eine Unterrichtungspflicht der Bundesregierung zu „behördeninterne(n) Vorgänge(n) mit erheblichen Auswirkungen auf die Aufgabenerfüllung“ festlegt. Das PKGr hat sich in jüngerer Zeit derartigen Fragen bereits im Einzelfall angenommen und auf legislativen Handlungsbedarf hingewiesen; dieser Weg sollte nach Möglichkeit weiter beschritten und auf eine allgemeine „Befähigungskontrolle“ ausgeweitet werden, mit der parlamentarisch nachzufragen wäre, ob die Dienste in ihrer jeweiligen Ausstattung und Mandatierung die ihnen übertragenen Aufgaben in adäquater Weise erfüllen können.

Der hohe bürokratische Aufwand für den BND durch die Rechtskontrolle droht dabei ohne gleichzeitige vollwertige Kompensation der hierfür abgezogenen und auch intern eingesetzten erheblichen Ressourcen die Effizienz des Dienstes zu gefährden. Die Fragmentierung der zahlreichen, meist historisch anlassbezogen gewachsenen Kontrollgremien erhöht diese Ressourcenbindung weiter. So wird der BND gegenwärtig neben der Dienst- und Fachaufsicht des Bundeskanzleramtes durch das Parlamentarische Kontrollgremium, die G10-Kommission, das Vertrauensgremium, den Unabhängigen Kontrollrat, die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationssicherheit, sowie durch den Bundesrechnungshof kontrolliert. Es wäre daher sachgerecht, zumindest die Rechtskontrolle in möglichst wenigen Institutionen, insbesondere dem Unabhängigen Kontrollrat (UKR) zu bündeln, soweit dies im Rahmen der horizontalen und vertikalen Gewaltenteilung zulässig ist. Auch eine Weiterentwicklung hin zu einem bereits 2020 auf Initiative der FDP-Fraktion im Bundestag erörterten Nachrichtendienstbeauftragten beim Deutschen Bundestag muss nicht notwendig auf Dauer ausgeschlossen bleiben. Hier wird eine Evaluierung der 2016 in § 5a, 5b PKGr-Gesetz eingerichteten Position eines Ständigen Bevollmächtigten des PKGr Klarheit über die Vorzüge und Nachteile der bisher gefundenen Lösung bringen können. Kernziel sollte dabei allerdings sein, die Bürde durch bürokratisch-legalistische Rechtskontrolle zu verringern, und dem Dienst gleichzeitig mehr Führung und Unterstützung durch stärkere zukunftsorientierte parlamentarische Befähigungskontrolle zu bieten.

 

Institutionalisierung entscheidungswirksamer Berichtsfunktionen

Der Bundesnachrichtendienst ist ein Informationsdienstleister in erster Linie an Entscheider in der Bundesregierung und ihnen nachgeordneter Exekutivbehörden. Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss problematisierte jedoch die unzureichende Rezeption von lagerelevanten Erkenntnissen im Entscheidungsprozess und folglich auch deren fehlende ressortübergreifende Beachtung. Beim Rückzug aus Afghanistan war – mit Ausnahme der letzten Tage – nicht mangelhafte nachrichtendienstliche Beschaffung und Analyse ausschlaggebend, sondern der Umstand, dass über Monate vorgelegte Erkenntnisse zur sich immer deutlicher abzeichnenden Machtübernahme der Taleban nicht im ausreichenden Maße von relevanten Entscheidungsträgern zur Kenntnis genommen wurden. Ein Symbol dessen ist, dass die damalige Bundeskanzlerin den damaligen Präsidenten des BND im gesamten Untersuchungszeitraum von neunzehn Monaten kein einziges Mal getroffen hatte, und über die Szenarioanalysen des Dienstes nicht informiert war.

Bisher trifft das BND-Gesetz aufgrund seiner überwiegend datenschutzrechtlichen Natur und Adressierung des Dienstes, nicht aber der Sicherheitsarchitektur in ihren Strukturen und Prozessen, kaum Aussagen dazu, wie gewonnene nachrichtendienstliche Erkenntnisse an die Bundesregierung oder andere befugte Stellen zu berichten und dort in Entscheidungsprozesse einzubeziehen sind. Damit liegen Art und Ausmaß des Zugangs zu Entscheidungsträgern letztlich im freien Ermessen der jeweiligen Bundesregierung. Es ist zweifellos das legitime Recht einer Regierung, in eigener politischer Verantwortung Entscheidungen auch entgegen Warnungen, Einschätzungen, und Szenarien ihrer Nachrichtendienste zu treffen. Jedoch muss auch unter Accountability-Aspekten erwartet werden, dass dies im Wissen um vorliegende nachrichtendienstliche Erkenntnisse, Bewertungen und Lagebilder geschieht und nicht aus präventiver oder strukturell bedingter Ignoranz. Eine prozedurale Etablierung der Kernfunktionen im sogenannten „intelligence circle“ in Aufbau- und Ablauforganisation von Bundesregierung und Bundesbehörden wäre hier dringend angeraten.

Die anstehende Novellierung des BND-Gesetzes bietet hier allenfalls eine erste Möglichkeit, die Berichtsfunktion des BND in den Entscheidungsprozessen der Bundesregierung über die datenschutzrechtlich orientierte Regelung des § 65 I BNDG hinaus in ihrer Relevanz für den außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungsprozess funktional zu konkretisieren oder zumindest auf einen entsprechenden Regelungsbedarf in einem Rahmengesetz zur Sicherheitsarchitektur hinzuweisen. Dazu könnte dann zählen, für den BND eine regelmäßige Vortragspflicht gegenüber dem Bundeskanzler und dem Bundeskabinett zu definieren. Auch läge es nahe, dem BND eine konstitutive Berichterstattungsfunktion im neugeschaffenen Nationalen Sicherheitsrat zuzuweisen und dies sowohl im vorgesehenen Referat „Integriertes Lagebild“ als auch bei der Erarbeitung der Nationalen Sicherheitsstrategie.

 

Intelligence Community

Der Gesetzgeber sollte die Schaffung einer funktionalen ‚Intelligence Community‘, ggf. durch eine Rahmengesetzgebung zur Sicherheitsarchitektur einschließlich des Nationalen Sicherheitsrates und der ihm zugeordneten Strukturen fördern, anstatt die Dienste getrennt zu behandeln. Abseits des Verfassungsschutzverbundes bleiben deutsche Nachrichtendienste trotz punktueller Zusammenarbeit in Silos getrennt. So hat der Afghanistan-Untersuchungsausschuss gezeigt, dass der BND und das militärische Nachrichtenwesen zwar zu sehr ähnlichen Erkenntnissen kamen, allerdings getrennt voreinander. Hier mag auch die unterschiedliche Unterstellung und die spezifische Position des Militärischen Nachrichtenwesens als Teil der Streitkräfte und damit verfassungsrechtlich durch Art. 87a GG legitimiert und verpflichtet, eine Rolle gespielt haben Diese steht einer Zusammenarbeit mit dem BND zwar keineswegs im Wege, zumal dieser ja auch für die militärische Auslandsaufklärung zuständig ist, und beide Bereiche über verschiedene Vereinbarungen zwischen BKAmt und BMVg mit einander verbunden sind. Dennoch können die bestehenden Ressortgrenzen ohne gesonderte Regelungen unverändert einer Zusammenarbeit gerade auch im Auswertebereich entgegenstehen. Der im Aufbau begriffene Nationale Sicherheitsrat sollte hier zumindest zukünftig zu einer strukturierten analytischen Fusion in der strategischen Vorausschau führen können, darüber hinaus jedoch auch zu nachrichtendienstlich unterstützten aktuellen entscheidungsrelevanten Gesamtlagebildern. An einer Vertiefung frühzeitiger dienst-, behörden- und ressortübergreifender „Intelligence Fusion“ im Analyseprozess führt jedenfalls kein Weg vorbei. Dem sollte auch gesetzgeberisch in geeigneter Weise Rechnung getragen werden können, unter anderem beispielsweise durch eine Vereinheitlichung und gegenseitige Anerkennung von Sicherheitsüberprüfungen der Mitarbeiterschaft, die in gemeinsamen dienstübergreifenden Formaten arbeiten können müssen. Einen wesentlichen Beitrag zu einer behördlichen ‚Community‘-Kultur könnte auch die Funktion eines im Bundeskanzleramt anzusiedelnden Nationalen Direktors für das Nachrichtenwesen leisten, nicht etwa um eine „Brandmauer“ zwischen Regierung und Diensten zu bilden oder einen überwiegend administrativen Ansatz zu verfolgen, sondern im Gegenteil, um eine stärkere Integration der Dienste zu befördern, gemeinsame Interessen und professionelle Standards zu formulieren und auf eine sachgerechte praktische Integration der Dienste in die Entscheidungsstrukturen der Bundesregierung hinzuwirken. Auch bei Annahme einer bereits bestehenden ausdifferenzierten Analyse-, Koordinations- und Planungsleistung der zuständigen Fachabteilung im Bundeskanzleramt wird es auf die Dauer wohl kaum möglich sein, eine derartige, allein schon auf Bundesebene inhaltlich wie koordinativ fordernde politische Umsetzung dieser Gestaltungs- und Zukunftsaufgabe gleichsam „nebenamtlich“ dem Chef des Bundeskanzleramtes anzuvertrauen.

Die hier skizzierten Schritte gehen systematisch wie politisch notwendig über die Ambitionen der aktuellen Novellierung eines dem Besonderen Datenschutzrecht verhafteten BNDG hinaus, sollten jedoch – etwa in der Formulierung einer grundsätzlichen Berichtspflicht des Dienstes in den integrierten ressortübergreifenden Lagefeststellungs- und -Beurteilungsformaten – bereits mitgedacht werden, um eine solche institutionelle Entwicklung für künftige Reformschritte, z.B. in einer Rahmengesetzgebung zur Sicherheitsarchitektur des Bundes vorzubereiten.

 

Verhältnis zur Gesellschaft

Wie viele Bereiche des Regierungshandelns profitieren auch Nachrichtendienste in Professionalität und Legitimität erheblich von einer konstruktiv-kritischen aber notwendig auch fachkompetenten politischen wie wissenschaftlichen Begleitung. Für die Qualität und Breite gesellschaftlicher und politischer Debatten ist es förderlich, wenn diese sich nicht ausschließlich zwischen Datenschutz- und Bürgerrechtsvertretern auf der einen Seite, sowie dienst- und regierungsnahen Experten auf der anderen Seite abspielen. Die Förderung unabhängiger und weitgefächerter Expertise durch die Herausbildung der Intelligence Studies in Deutschland in Forschung und Lehre sollte daher auch der Bundesregierung ein Ziel sein. Durch die Einrichtung der Unabhängigen Historikerkommission des BND sowie des Fachbereichs Nachrichtendienste an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, sowie den zugehörigen, allerdings nicht öffentlich zugänglichen Studiengängen, wurden bereits erste maßgebende und beachtenswerte Schritte ergriffen, deren gesellschaftliche Strahlkraft jedoch noch unzureichend ist. Die angestrebte Strategieentwicklung im neuen Nationalen Sicherheitsrat könnte hier einen weiteren Anstoß und Rahmen bilden, und dies auch für die Initiierung und Unterstützung von bisher kaum existenter Forschung und Lehre der Intelligence Studies an öffentlichen Universitäten wie etwa verbreitet im anglo-amerikanischen Raum, aber auch in den Niederlanden. Dazu gehört, das Themenfeld in Förderprogrammen der Deutschen Forschungsgemeinschaft mitabzubilden und mit eigenen Mittel auszustatten, aber auch unabhängige Forschungsprojekte durch gebotenen Forschungszugang zu unterstützen. Auch hier kann das BNDG in seiner datenschutzrechtlichen Schwerpunktsetzung nur einen ersten Anstoß und Ausgangspunkt geben, etwa in der Formulierung einer entsprechenden Zielsetzung in einer Präambel.

 

Fazit:

Eine Novellierung des in erster Linie datenschutzrechtlich konzipierten BND-Gesetzes sollte mithin bei aller vordringlichen operativen Ertüchtigung im Rahmen einer weiter entwickelten Exegese höchstrichterlicher Rechtsprechung auch die folgenden Elemente nicht aus den Augen verlieren, und sei es in Form von vor die Klammer gezogenen Verweisen auf Regelungsbedarf in einer anzustrebenden Rahmengesetzgebung zur deutschen Sicherheitsarchitektur:

  • Einleitende (evtl. Präambel) Formulierung von Kernaussagen zur verfassungsrechtlichen Legitimation, grundsätzlichen Bedeutung und Aufgabenstellung des Bundesnachrichten-dienstes für die politische Selbstbehauptung, Zukunftsfähigkeit, Sicherheit, Gefahrenabwehr und Früherkennung von Gefahren im Sinne der grundlegenden Ausführungen des BVerfG-Urteils vom 19. Mai 2020 (Rn. 127, 128, 138-140, 144, 149, 158, 159, 161-163).

  • Klarstellung der Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes bei der Beschaffung von militärisch relevanten Informationen für die Bundeswehr im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung nach Art. 87a GG noch vor Eintritt des Spannungs- und Verteidigungsfalls.

  • Optimierung von Eingriffsvoraussetzungen und Übermittlungsregelungen im Hinblick auf die Sicherstellung der gebotenen Anschlussfähigkeit an die europäischen Dienste und damit der notwendigen Kooperationsfähigkeit zur gemeinsamen Früherkennung und Gefahrenabwehr.

  • Straffung der Kontrollformate und Verfahren. Einführung des Prinzips der Ressourcenneutralität erforderlicher Kontrollregimes durch die Forderung nach verbindlicher Kompensation des über Abgabe bzw. interne Bindung von Expertise verursachten direkten und indirekten Personal- und Materialbedarfs.

  • Verweis auf Regelungsbedarf in der Zuweisung und Ausdifferenzierung von Berichterstattungs-, Konsultationspflichten und -verfahren gegenüber der Bundesregierung, insbesondere auch im Rahmen der Integrierten Lagebearbeitung und personellen Vertretung im Nationalen Sicherheitsrat zur Sicherstellung wirksamer nachrichtendienstlicher Berichterstattung und Unterstützung für die Entscheidungsprozesse der Bundesregierung.

  • Verweis auf spezifischen personal- und laufbahnrechtlichen Regelungsbedarf zur künftigen Sicherstellung essenzieller spezifischer Expertise in der Aufgabenerfüllung des Dienstes unter den absehbaren neuen demographischen Rahmenbedingungen.

  • Verweis auf Regelungsbedarf für die Schaffung einer interbehördlichen Intelligence Community (Befähigung zur Intelligence Fusion) und ihrem Verhältnis zu Abnehmern und Auftraggebern in Regierung und Behörden (Qualifizierungsmaßnahmen für beide Bereiche). Initiierung der Entwicklung gemeinsamer methodischer Standards durch den Nationalen Sicherheitsrat.

  • Verweis auf Regelungsbedarf zu Eckwerten für die Öffentlichkeitsarbeit und Forschungsförderung der Bundesregierung zur Unterstützung einer sachgerechten öffentlichen Wahrnehmung von Nachrichtendiensten in ihrem verfassungsmäßigen Auftrag und ihrer Aufgabenwahrnehmung.

Die Novellierung des BND-Gesetzes könnte so einen über den Tag hinaus weisenden Anstoß für eine künftige Sicherheitsgesetzgebung in Deutschland leisten.

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