Nicht mehr im Frieden - Noch nicht im Krieg

Inhalte der 9. Öffentlichen Anhörung der Dienste durch das PKGr


Papier herunterladen

Die folgende Fassung des Papers enthält keine Fußnoten. Die vollständige Fassung können Sie über das PDF abrufen

Geschätzte Lesezeit: 25 Minuten

Am 13. Oktober fand die 9. Öffentliche Anhörung der Spitzen der deutschen Nachrichtendienste des Bundes durch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) statt. Das Gremium kommt damit seiner Aufgabe zur Information der Öffentlichkeit über die zentralen Aufgaben und Herausforderungen für Bundesnachrichtendienst (BND), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) nach, aber auch über seine eigene Arbeit im Bereich der gesetzlich vorgeschriebenen parlamentarischen Kontrolle der Dienste.

Die Anhörung dieses Jahres stand im Zeichen der Neukonstitution des PKGr im Gefolge der Wahlen zum 21. Bundestag und der Bildung einer Koalitionsregierung zwischen CDU/CSU und SPD. Zugleich richtete sie sich an zwei erst in jüngster Zeit berufene Präsidenten, Herrn Martin Jäger (BND) und Herrn Sinan Selen (BfV) und gab diesen Gelegenheit, erstmals ihre Lageperzeption und ihr Aufgabenverständnis in der Öffentlichkeit zu artikulieren und mit den Parlamentariern zu diskutieren. Lediglich die Präsidentin des BAMAD, Frau Martina Rosenberg, stand für formale Kontinuität im Amt seit 2020. Allerdings wurde mit Sinan Selen ein seit 2019 amtierender, fachlich bereits umfänglich profilierter Vizepräsident des BfV berufen. Martin Jäger blickt wiederum auf eine langjährige Karriere als Botschafter in Krisen- und Kriegsgebieten zurück, so in Bagdad (2021-2023), Kabul (2013-2014) und zuletzt in Kyjiw (2023-2025), von wo aus er seinen Posten als BND-Präsident am 15. September 2025 antrat. Darüber hinaus fungierte er von 2018 bis 2021 als Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, sowie von 2016 bis 2018 als Staatssekretär im Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg. Hinzu treten mehrjährige Erfahrungen in exponierten Positionen führender deutscher Unternehmen.

Besondere Relevanz erhielt die Anhörung durch die sich weiter zuspitzende sicherheitspolitische Konfliktlage mit Russland, das sowohl seinen völkerrechtswidrigen Generalangriff auf die Ukraine mit unverminderter Härte, wenngleich ohne strategische Perspektive ebenso fortsetzte wie seinen breit angelegten hybriden Krieg gegen die europäischen Unterstützerstaaten der Ukraine, darunter in besonderem Maße auch Deutschland.

Hinzu traten die von Donald Trump 2025 angestoßenen gravierenden geopolitischen Verschiebungen im westlichen Bündnis, die der Notwendigkeit einer Rückbesinnung auf eigene sicherheitspolitische Verantwortlichkeiten und Befähigungen ein noch höheres Maß an Dringlichkeit verliehen als sich dies seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ohnehin schon seit 2022 abgezeichnet hatte. Eine „zweite Zeitenwende“ hin zu präzedenzlosen Aufwendungen für Verteidigung und Sicherheit war nunmehr durch die neue Bundesregierung zu vollziehen. Bisherige, seit über 35 Jahren liebgewordene sicherheits- und gesellschaftspolitische Vorstellungen standen und stehen zur Disposition, bis hin zu Fragen einer neuen gesellschaftlichen Wehrhaftigkeit und militärischen Kriegstüchtigkeit als notwendige Grundlagen für glaubhafte Abschreckung.

Der Öffentlichen Anhörung durch das PKGr kommt mithin eine erhebliche Indizwirkung für die Beantwortung der Frage zu, ob und in welchem Umfang die zweite Zeitenwende nunmehr auch bei den Diensten, der Bundesregierung und beim Gesetzgeber angekommen ist. Eine ausführlichere schriftliche Wiedergabe der Aussagen erscheint damit im allseitigen Informationsinteresse und als Grundlage für weitere Diskussionen zu sein.

Die Dokumentation der dreistündigen Sitzung erfolgte traditionell nur in einer akustischen Wiedergabe und einer knappen schriftlichen Zusammenfassung der Eingangsstatements der Dienstchefs. Die mediale Behandlung der sperrigen Materie ließ dann erwartungsgemäß im Detail auch eher zu wünschen übrig.

Der GKND bemüht sich daher im Rahmen seiner begrenzten Kapazitäten um eine ausführlichere Darstellung der Aussagen und Diskussionsbeiträge, die jedenfalls einen Paradigmen-wechsel in der Kommunikation zwischen Diensten und PKGr im Hinblick auf Bedrohungsanalysen, insbesondere aber auch auf die hieraus abgeleiteten dringlichen Handlungserfordernisse zur Ertüchtigung der Dienste, erkennen lassen. Der GKND kann in diesem Zusammenhang nur auf seine seit Jahren, und insbesondere nach 2022 immer wieder vorgebrachten Analysen, Anregungen und Vorschläge verweisen und der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass überfällige Veränderungen nunmehr mit der gebotenen Energie und Konsequenz vorangetrieben werden. Ein Gefühl hoher Dringlichkeit kann weniger denn je von der Hand gewiesen werden.

Die Befragung war in drei thematische Schwerpunkte aufgeteilt: Die Bedrohung durch extremistische Bestrebungen von innen und deren Beeinflussung durch äußere Kräfte, die Gefahren für Deutschland und seine Partner durch autoritäre Staaten, die Sicherheitslage in der Welt und ihre Konsequenzen für die Nachrichtendienste und schließlich der zu identifizierende organisatorische und gesetzgeberische Reformbedarf vor dem Hintergrund der aktuellen und absehbaren Lageentwicklung.

Nachfolgend werden nunmehr die drei Eingangsstatements und die Aussagen aus den beiden ersten Fragerunden zusammengefasst wiedergegeben. In einem vierten Abschnitt werden die Erörterungen zum Reformbedarf vorgestellt. Es gilt jedoch unverändert das gesprochene, in der Aufzeichnung des Bundestages zur Verfügung stehende gesprochene Wort aller Beteiligten.

 

Bundesnachrichtendienst

BND-Präsident Jäger ließ es in seinem Eingangsstatement an Klarheit und Bestimmtheit nicht fehlen: Die Gegenwart sei geprägt von wachsender Konfrontation. Weltweit hätte sich die Zahl der Kriege mit Involvierung staatlicher Akteure seit 2010 verdoppelt. Die Grenzen und Übergänge zwischen Frieden und Konflikt würden hierbei immer fließender. Dies lasse sich in besonderem Maße auch im nie offiziell erklärten russischen Krieg gegen die Ukraine und die hybride Kriegführung gegen Deutschland und Europa feststellen. Russland teste westliche Grenzen aus; auch in Deutschland müsse man sich auf eine weitere Lageverschärfung vorbereiten. Das Handeln Russlands sei darauf angelegt, die NATO zu unterminieren, europäische Demokratien zu destabilisieren, die Gesellschaften zu spalten und einzuschüchtern. Europa solle, von Furcht und Handlungsstarre gelähmt, in die Selbstaufgabe getrieben werden. So rechne man sich in Moskau realistische Chancen aus, die eigene Einflusszone nach Westen auszuweiten und das wirtschaftlich vielfach überlegene Europa in die Abhängigkeit von Russland zu bringen. Wenn nötig, werde Russland hier auch nicht vor einem militärischen Zusammenstoß mit der NATO zurückschrecken, und dies keineswegs erst nach Abschluss seiner für 2029 angenommenen umfassenden Wiederaufrüstung. Man stehe im hybriden Krieg bereits jetzt unter Feuer.

Die Mittel in dieser Auseinandersetzung seien bekannt: Versuch der Manipulation von Wahlen und öffentlicher Meinung, Propaganda, Provokation, Desinformation, Einschüchterung, Spionage, Sabotage, Luftraumverletzung durch Drohnen und Kampfflugzeuge, Auftragsmorde, die Verfolgung im Ausland lebender Oppositioneller.

Nichts davon sei neu. Doch in ihrer Häufung stellten die Einzelereignisse eine neue Qualität der Konfrontation dar. Russland agiere als aggressive Gegenmacht und zeige wenig Zurückhaltung, wenn es gelte, eigene Interessen durchzusetzen. Diese Haltung sei auch zunehmend bei anderen internationalen Akteuren festzustellen. Diese Realität sei zur Kenntnis zu nehmen. Man lebe nicht in einer Zeit der diskursiven Auseinandersetzung, bei der das bessere Argument gewinne. Gefragt seien glaubhafte Machtakkumulation, Machtprojektion und Abschreckungsfähigkeit. Nachgiebigkeit werde als Schwäche ausgelegt.

In dieser Situation sei aus nachrichtendienstlicher Perspektive nunmehr zuallererst ein verlässliches Echtzeit-Lagebild erforderlich. Man müsse wissen, was Gegner im Schilde führten. Man müsse absehen können, wo sich Gefahren auftun. Hierbei müsse man auch der Exposition Deutschlands als globaler Akteur Rechnung tragen und Gefährdungen weltweit in den Blick nehmen. Ereignisse in Nah-/Mittelost, dem Sahel, dem westlichen Balkan, dem Kaukasus und in Asien seien von unmittelbarer Relevanz für deutsche Interessen. Gleiches gelte auch für einen wiedererstarkenden internationalen Terrorismus mit neuen Handlungsoptionen über Drohnen und KI.

Unter der Ägide des derzeit entstehenden Nationalen Sicherheitsrates im Bundeskanzleramt werde ein derartiges globales Lagebild zu erstellen sein. Der BND werde hierzu einen zentralen Beitrag leisten. Für Beschaffung/Auswertung seien vor diesem Hintergrund modernste Mittel zu nutzen. Man werde gezielt und konsequent höhere Risiken einzugehen haben. Nur so lasse sich ein tragfähiges Lagebild gewinnen, das erhelle, wohin der Gegner ziele, gegebenenfalls auch welche Schwächen er habe. Daraus wiederum ließen sich dann die erforderlichen gesamtstaatlichen Handlungsoptionen ableiten.

Angesichts der qualitativ und quantitativ neuen künftigen Anforderungen werde der Dienst operativer und international anschlussfähiger werden müssen. Hierbei hingen eigene Stärke und notwendige internationale Kooperationsfähigkeit zusammen. Das eine gehe nicht ohne das andere.

Es sei in diesem Zusammenhang jedoch fraglich, ob die rechtlichen Bestimmungen des aktuellen BNDG den neuartigen Anforderungen genügten. Aus Sicht des Dienstes bestehe hier erheblicher Nachsteuerungsbedarf. Das BND-Gesetz werde an den neuen Realitäten auszurichten sein.

Eine effektive politische und rechtliche Kontrolle nachrichtendienstlichen Handelns sei enorm wichtig und stehe außer Zweifel. Der aktuelle Kontrollaufwand binde jedoch unverhältnismäßig viele Ressourcen. Hier sei eine einheitliche und effiziente Ausgestaltung der Kontrolle zur Freisetzung naturgemäß ohnehin limitierter spezifischer fachlicher Kompetenzen erforderlich.

Entscheidende Veränderungen werde es auch im Mindset geben müssen. Man müsse sich auf extreme Entwicklungen vorbereiten und sich selbst in die Lage versetzen, unter extremen Bedingungen zu handeln und diese Befähigung und Bereitschaft auch glaubhaft demonstrieren.

Der BND sei der einzige militärische Auslandsnachrichtendienst Deutschlands. Man werde künftig daher auch unter Kriegsbedingungen agieren müssen, um die Bundeswehr entsprechend unterstützen zu können.

Bei alledem müsse der aktuelle Zeitdruck berücksichtigt werden. Eine Perspektive bis 2029 gebe es nicht. Man stehe schon heute im Feuer. Man baue hier auf energische und rasche gesetzgeberische und administrative Schritte. So viel politische Unterstützung wie heute habe es noch nie gegeben.

Im weiteren Diskurs mit den Abgeordneten des PKGr äußerte sich Präsident Dr. Jäger noch wie folgt zu Einzelfragen:

  • Auch China sei nachrichtendienstlich sehr präsent und engagiert. Der erkannte Schwerpunkt der Erkenntnisgewinnung liege hier vornehmlich in den Bereichen Technik, Wissenschaft und Wirtschaft, sowie der Kontrolle eigener Staatsbürger im Ausland, weniger auf gezielte politische Einflussnahme auf Europa.

  • Irans nachrichten- und geheimdienstliche Operationen richteten sich gegen die eigene Exilopposition sowie gegen israelische und jüdische Ziele in Deutschland und Europa.

  • Der Austausch mit den Partnerbehörden BfV und MAD sei sehr gut. Man leide jedoch unter einem Manko an eigenen zeitkritischen Hinweisen. Man könne aufgrund der Löschungsfristen und thematischen Begrenzungen der Datenhaltung die methodisch unabdingbare retrograde Durchforstung von Beständen nicht in ausreichendem Maße durchführen. Hier müssten befreundete Dienste mit Hinweisen einspringen, die einem vergleichbaren Ausmaß an Limitationen nicht unterworfen seien.

  • China spiele eine große Rolle im Ukrainekonflikt. Hierbei sei die vielbeschworene „strategische Partnerschaft“ mit Russland eher als faktische russische Abhängigkeit von China zu werten. Die Ukraine sei aus Sicht Chinas ein „Nebenkriegsschauplatz“, der westliche Kräfte binde, die so nicht gegen eigene Interessen eingesetzt werden könnten. Chinesische Herrschafts- und Machtansprüche würden zunehmend deutlich gegenüber der Region und weltweit artikuliert und demonstriert, so etwa bei den jüngsten in Umfang und Qualität präzedenzlosen Truppenparaden in Peking.

  • Die weltpolitische Ambition Chinas richte sich darauf, bis 2049 zu alter Größe zurückzukehren und auf Augenhöhe mit den USA agieren zu können. Russland spiele hier aufgrund seiner begrenzten Ressourcen eine eher zweitrangige Rolle. China wolle letztlich als Supermacht international unangreifbar werden.

  • In diesem Kontext seien auch Chinas Aktivitäten in Afrika zu sehen, etwa mit der seit 2013 global angelegten wirtschafts- und ressourcenpolitischen „Belt and Road-Initiative“. Hier stünde die Schaffung wirtschaftlicher Einflusszonen und Abhängigkeiten im Fokus chinesischer Interessen, ebenso der privilegierte Zugang zu nationalen Ressourcen, zu Häfen und anderer Infrastruktur durch chinesische Unternehmen und Kräfte. Der Plan müsse jedoch auf Dauer nicht notwendig aufgehen, da die negativen Konsequenzen von Abhängigkeit und schwindender Autonomie zunehmend ins Bewusstsein der betroffenen Regierungen träten.

  • Nordkorea sei unverändert sehr auf eigene Interessen fokussiert. Hierbei nehme man notfalls auch eine Belastung des Verhältnisses zu China in Kauf, etwa in der Zuwendung zu Russland, die den Dominanzinteressen Chinas gegenüber Nordkorea letztlich zuwiderlaufe. Das koreanische Raketenprogramm müsse mehr denn je im Auge behalten werden.

  • Aus dem russischen Krieg gegen die Ukraine seien zahlreiche Lehren zu ziehen: Wie sei wirksam mit hybriden Gefahren umzugehen, auch in Bezug auf Verbindungen deutscher Politiker mit Russland? Es handle sich um einen Krieg neuer Art mit kurzen technischen Innovationszyklen in Angriff und Abwehr. Man werde viel von der Ukraine lernen müssen, sowohl im militärischen als auch im zivilen Bereich. Der BND müsse hier die militärische Auslandsaufklärung für die Bundeswehr leisten. Die Bundeswehr müsse auch bei bewaffneten Auseinandersetzungen durch den BND unterstützt werden können.

  • In Bezug auf die aktuell besonders augenfälligen unzulässigen Drohnenüberflüge sei ein gemeinsames Lagebild aller Dienste und involvierten Behörden zur Urheberschaft der Drohnenflüge erforderlich und anzustreben.

  • Dem grundsätzlichen Risiko der strategischen Überraschung durch „unknown un-knowns“ versuche man, durch einer globale und umfassende Aufklärungsperspektive zu begegnen. Kurzfristig auftretende Eskalationen in bestehenden Konfliktlagen seien jedoch im Einzelnen nicht immer rechtzeitig prognostizierbar.

  • Eine Bedrohungslage durch gezielte russische und andere gegnerische ausländische Einflussnahme auf Politiker existiere. Von Moskau werde diese unter bestmöglicher Wahrung von Deniability vorangetrieben. Deutschland stehe hier als Zielland allerdings keineswegs allein: So habe es bekanntlich massivste, wenngleich im Ergebnis weitgehend erfolglose russische Einflussnahme-Kampagnen auf die Wahlen in Moldau gegeben.

 

Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst

Präsidentin Rosenberg führte aus, der seit inzwischen mehr als drei Jahren andauernde Krieg in der Ukraine präge die geopolitische Ordnung Europas nachhaltig. In Verbindung mit einer andauernden komplexen hybriden Bedrohungslage stehe man vor erheblichen sicherheitspolitischen Herausforderungen.

Die Sicherheitslage habe sich, wie bereits 2024 prognostiziert, weiter verschärft. Sabotageakte, Desinformationskampagnen, Brandstiftungen und Drohnenüberflüge über zivile wie auch militärische Liegenschaften verursachten in Europa Unsicherheit und ein Gefühl von Machtlosigkeit. Gleichzeitig stellten extremistische Strömungen innerhalb und außerhalb der Bundeswehr eine wachsende Bedrohung für demokratische Werte und die Einsatzbereitschaft der Truppe dar. Diese Herausforderungen erforderten ein gemeinsames, entschlossenes und umfassendes Vorgehen, das mit Priorität angegangen werde.

Die Abwehr extremistischer Bestrebungen innerhalb der Bundeswehr bleibe ein zentraler Arbeitsschwerpunkt des MAD. Rechtsextremistische, islamistische und andere verfassungsfeindliche Ideologien hätten in den Streitkräften keinen Platz. Die internen Handlungsabläufe des Dienstes würden kontinuierlich verbessert und intensiviert, um solche Tendenzen frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen. Dessen ungeachtet sei die Zahl rechtsextremistischer Vorfälle in der Bundeswehr nicht gesunken, allerdings auch nicht angestiegen. In der Gesamtheit der extremistischen Vorfälle in der Truppe habe der Rechtsextremismus den größten Anteil. Man habe viele Anstrengungen unternommen, gerade auch im Bereich der Prävention, um vor die Welle zu kommen. Anwärter für die Bundeswehr würden schärfer auf frühere Aussagen im Internet oder anderswo hin überprüft, sodass sie bei extremistischen Äußerungen überhaupt nicht in der Bundeswehr beginnen könnten. Für Soldaten gebe es in der Truppe auch Präventionsmaßnahmen, um das Wertebewusstsein zu festigen. Damit habe man im vergangenen Jahr rund 11.000 Soldaten erreicht. Extremistische Strömungen innerhalb und außerhalb der Bundeswehr stellten gleichwohl unverändert eine wachsende Bedrohung für die demokratischen Werte und die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte dar.

Gerade mit Blick auf Russland sei vor Destabilisierungsversuchen aus dem Ausland zu warnen. Gegnerische Akteure intensivierten ihre nachrichtendienstlichen Aktivitäten mit dem Ziel, die Bundeswehr zu unterwandern, kritische militärische Infrastrukturen zu gefährden und die Stabilität der Streitkräfte sowie der gesamten Nato-Allianz zu unterminieren. Hier seien Sabotageakte, Desinformationskampagnen zur Wahlbeeinflussung, Brandstiftungen und Drohnenüberflüge zu verzeichnen. Auch sogenannte Deepfakes, also nicht authentische, aber realistisch wirkende Medieninhalte wie etwa Videos und Fotos würden eingesetzt, um z.B. gefälschte Anweisungen an militärische Einheiten zu verbreiten und dadurch tatsächlich eine Gefährdung der Einsatzbereitschaft herbeizuführen. Derartige Desinformationskampagnen zielten darauf ab, Zweifel an der Stärke und der Einheit der Nato zu säen und die Moral der Soldatinnen und Soldaten wie auch der Zivilbeschäftigten zu beeinträchtigen.

KI-gestützte Angriffe müssten erfasst und bekämpft werden. Ressourcen und rechtliche Rahmenbedingungen müssten für diese Aufgabe optimiert werden. Maßstab seien hier die internationalen Standards. Eine Anpassung der Befähigungen an die Realitäten von Landes- und Bündnisverteidigung, insbesondere auch an die dauerhafte Stationierung der Bundeswehr in Litauen, sei erforderlich.

 

Bundesamt für Verfassungsschutz

Präsident Selen betonte den Kernauftrag seines Dienstes, zur Wahrung von Sicherheit und Souveränität Deutschlands beizutragen. Im Zentrum müssten hier Abschreckung und Abwehrfähigkeit stehen. Das BfV müsse zunehmend als Abwehrdienst verstanden werden, der nicht nur beobachten, sondern Sicherheit bewirken könne.

Im dienstübergreifenden Zusammenwirken richte sich das BfV auf Gefährdungen und Beeinträchtigungen durch fremde Mächte, den internationalen Terrorismus und den gewaltbereiten Extremismus aller Provenienzen und Ausprägungen aus. In all diesen Bereichen sei eine konsequente Vorfeldbeobachtung erforderlich.

Hierbei sei ein methodischer „Dreiklang aus Detektion, Disruption und Prävention“ erforderlich; Zielflächen in Deutschland seien zu härten. Bedrohungen müssten bewältigt und nicht nur beschrieben werden können. Die Einsatzbereitschaft des BfV als starker Akteur im virtuellen Raum sei im Lichte einer exponentiellen Bedrohung zu stärken. Deutschland stehe exponiert in einem Systemkonflikt; dieser Exposition sei angemessen Rechnung zu tragen. Die operativen und rechtlichen Rahmenbedingungen seien hierbei an den Partnern der europäischen Wertegemeinschaft zu messen.

Im Diskurs mit den Abgeordneten äußerte sich Präsident Selen zu Einzelfragen der Bedrohungslage wie folgt:

  • Hamas habe sich zur konkreten Sicherheitsgefährdung auch in Deutschland entwickelt. Ein operativer Spillover-Effekt des Gaza-Konflikts sei hier unverkennbar.

  • Im Rahmen seiner hybriden Kriegführung nutze Russland Extremisten und Kriminelle aller Provenienz und Orientierung zur Destabilisierung seiner Gegner; hier seien die eigenen Befähigungen zu Detektion und Abwehr zu verbessern. Alle sicherheitsrelevanten Vorfälle seien unabhängig von ihrem zunächst erkennbaren Hintergrund künftig unter allen Perspektiven auszuwerten.

  • Iran trete mit transnationaler Repression gegen eigene Oppositionelle auch auf deutschem Boden hervor. Opposition werde ausgespäht, sowohl analog als auch digital, einschließlich repressiver Konsequenzen. Industriespionage zur Verbesserung der eigenen technischen Entwicklungen und zur Ermittlung von Optionen für die Umgehung von Sanktionen sei ebenso zu verzeichnen.

  • Destabilisierende Potentiale ergäben sich zunehmend durch die Vernetzung von Kriminalität mit Extremismus und Terrorismus. Involviert seien hier Rockerbanden und auslandsbezogene Extremisten wie Hamas und Hizballah, darüber hinaus Clan-Strukturen und Rauschgiftkriminalität. Ein Netz von Kennverhältnissen habe sich hier in den vergangenen Jahren etabliert. Als Nachrichtendienst habe das BfV hier keine eigene rechtliche Kernbefähigung und Zuständigkeit. Es bleibe nur der Austausch mit Polizeibehörden, der jedoch unter den bekannten Übermittlungsproblemen stehe. Ein wirksames Vorgehen aller Kräfte gegen diese Gefährdungspotentiale sei so nicht zu gewährleisten.

  • Eine Kernherausforderung stelle die Prävention in den sozialen Medien dar. Gerade Jugendliche mit noch volatiler Ziel- und Werteorientierung fielen umfassender plattformübergreifender Radikalisierung im virtuellen Raum aufgrund profitmaximierter Algorithmen zum Opfer. Eine Blitzradikalisierung binnen weniger Wochen bis hin zur Tat sei hier immer wieder zu verzeichnen. Die Befähigung zur rechtzeitigen Identifizierung verdeckt operierender realer Personen im Internet sei daher essentiell. Technische Maßnahmen müssten mit Plattformbetreibern erarbeitet und bei diesen durchgesetzt werden.

  • In diesem Bereich bestehe eindeutiger Optimierungsbedarf bei den Übermittlungsvorschriften. Ein zeitgerechter Abgleich von Informationen mit den Partnerdiensten, aber auch mit anderen Sicherheitsbehörden, auch Finanzbehörden, sei unabdingbar. Das System der gemeinsamen Abwehrzentren müsse verbessert und ausgebaut werden in Richtung einer noch intensiveren Zusammenarbeit. Anregungen könne man hier aus der Praxis in Großbritannien gewinnen.

  • Die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden müsse agiler, schneller und interdisziplinärer werden. Sie könne sich nicht nur auf Sammeln und Auswerten beschränken. Eine Anpassung an den europäischen Verbund der Dienste sei erforderlich.

  • Nordkorea trete mit Spionage im Bereich von Technik und Wissenschaft hervor. Es gehe um Proliferation, Cyberangriffe für eigene militärische Ertüchtigung und im Einzelfall auch um analoge Operationen. Hier werde das BfV seine eigene Cyber-Toolbox erweitern müssen, um den Gefährdungen begegnen zu können.

  • Reisen von Politikern nach Russland gerieten immer wieder in den Grenzbereich zu propagandistischer und nachrichtendienstlicher Nutzung.

  • Im Phänomenbereich der „Wegwerfagenten“ sei es dringend erforderlich festzustellen, welche Personengruppen jeweils adressiert würden. Die Sensibilisierung durch die BfV-Aktion „Werde kein Wegwerfagent“ scheine, soweit schon erkennbar, in Ansätzen bereits zu wirken. Insbesondere in der Frühphase einer Rekrutierung oder Radikalisierung müsse das BfV die Menschen ansprechen können.

  • Chinesische Nachrichtendienste setzten verschiedenste Methoden ein zur Erlangung von Informationen auch aus dem Umfeld von politischen Entscheidungsträgern.

  • Auch im Bereich von Wirtschafts-/Technologiespionage sei China ein überaus potenter und ambitionierter Akteur. Interessenschwerpunkte lägen hier in Spitzentechnologie, auch im Luftfahrt- und Weltraumbereich, bei der Batterieproduktion, Materialforschung, Meeresforschung und im Cyberbereich. China sei hier für seine Ertüchtigung bis 2049 sehr interessiert, in großem Stil zielführende Informationen zu beschaffen.

  • Eine schnellere Reaktionsfähigkeit des BfV auf Desinformations- und Einflussnahme-Kampagnen werde zunehmend wichtig. Eine 24/7-Bereitschaft existiere bereits, sei jedoch noch weiter personell und technisch zu stärken. Gleichwohl müsse man im Umgang mit derartigen Aktionen bedenken, dass eine breit angelegte Warnung vor problematischen Inhalten erst einmal zu deren weiterer Verbreitung führe. Dies werde von deren Urhebern im Einzelfall durchaus auch mit einkalkuliert. Besser sei es hier, bei den Plattformbetreibern anzusetzen. Grenzen finde dieser Ansatz jedoch in den limitierten eigenen Ressourcen, in fehlender Kooperationswilligkeit der Plattformbetreiber und mangelnder technischer Befähigungen. Hier seien neue Mittel und Verfahren erforderlich, etwa ein KI-basiertes Monitoring der Plattformen. Technisch-operative Maßnahmen zur Aufdeckung der Netzwerke hinter den Kampagnen seien zu ermöglichen ebenso wie niedrigschwellige Anfragen. Der Umgang mit BOT-Netzen müsse optimiert werden, auch im Hinblick auf bessere Sanktionierungsmöglichkeiten.

  • In Bezug auf Russland könne man zu Recht von kognitiver Kriegführung sprechen. Moskau setze bereits heute die gesamte Toolbox gegen Deutschland ein, das ein prioritäres Ziel in Europa sei. Hier seien gesetzgeberische Bestrebungen zur Aktualisierung der Regelungen für den Spannungs- und Verteidigungsfall kurzfristig nicht zielführend und dürften jedenfalls keine aufschiebende Wirkung entfalten. Eine bedrohungsadäquate operative Handlungsfähigkeit der Dienste müsse bereits hier und jetzt unter den aktuell obwaltenden Umständen geschaffen werden.

 

Aussagen zum Reformbedarf

Übereinstimmung bestand in der Runde, dass eine erkennbar angemessene Reaktionsfähigkeit staatlicher Stellen auf Bedrohungen und Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit und staatlichen Daseinsvorsorge von hoher Bedeutung als Nachweis der eigenen Leistungsfähigkeit und Resilienz sei und damit ebenso stabilisierend wie legitimierend nach innen und außen wirke.

MdB Dr. von Notz (Bündnis90/Die Grünen) betonte, dass die parlamentarische und rechtliche Kontrolllandschaft effizienter werden müsse. Kontrolle müsse scharf aber schlank sein. Die seit der letzten Legislaturperiode stockende Reformgesetzgebung sei überfällig und müsse in den kommenden Wochen und Monaten energisch vorangetrieben werden.

Auf die Frage von MdB Baldy (SPD), wie man sich eine effektivere nachrichtendienstliche Konfrontation der Gegner vorstellen müsse, erläuterte BND-Präsident Jäger, hier gehe es um klare Ansprache und Benennung von Ross und Reiter. Der BND solle seine ihm rechtlich zustehenden operativen Möglichkeiten voll ausschöpfen. Eine in den Jahrzehnten vor der Zeitenwende entstandene Kultur der Risikoscheu müsse überwunden werden. Ergebnisse seien relevant, nicht Prozesse. Man müsse wieder operativer, wagemutiger denken. Operative und politische Risiken von ND-Operationen müssten billigend in Kauf genommen und gegebenenfalls auch selbstbewusst vertreten werden. Die politische wie dienstliche Fehlerkultur müsse verbessert werden. Eigene Befähigungen und Ergebnisse seien hier eine notwendige Voraussetzung für die notwendige wirkungsvolle Kooperation mit ausländischen Nachrichtendiensten. Ohne erweiterte Befugnisse werde all dies jedoch nicht gehen.

Die Präsidentin des BAMAD, Frau Rosenberg, betonte, dass der aktuelle Entwurf des MAD-Gesetzes bereits ein wichtiger Schritt in Richtung auf Normenklarheit, Verständlichkeit und Handlungssicherheit sei. §14 MAD-Gesetz mit seiner Fokussierung auf „besondere Auslandseinsätze der Bundeswehr“ sei jedoch überholt. Die auf Dauer in Litauen stationierte Bundeswehrbrigade bedinge eine vollumfängliche Auslagerung der MAD-Kompetenz in das Kooperationsgefüge des NATO-Mitgliedslands. Eine eigene MAD-Stelle in Litauen mit vollen Zuständigkeiten und Kapazitäten werde hier im Benehmen mit dem Partner einzurichten sein.

MdB Dr. Notz wies darauf hin, dass der Informationsbedarf der Öffentlichkeit besser gedeckt werden müsse. Die allseits bestehende Kommunikationsschwäche zu Sicherheitspolitik und zu Sicherheitslagebildern müsse durch kontinuierliche öffentliche Berichterstattung überwunden werden. BfV-Präsident Selen bestätigte, dass hier ein jährlicher Verfassungsschutzbericht nicht ausreiche. Die „Wegwerfagenten“-Kampagnen seien durchaus ein erster Ansatz für eine erhöhte öffentliche Wahrnehmung. Man könne sich hier die skandinavischen Länder mit ihrer unaufgeregten, zugleich jedoch sehr realistischen Haltung zur russischen Bedrohung zum Beispiel nehmen. BND-Präsident Jäger sekundierte, die in Deutschland zu beobachtende gesellschaftliche Gleichgültigkeit gegenüber Gefährdungen sei bedrückend. Er hoffe hier auf den entstehenden Sicherheitsrat, dessen integriertes Lagebild eine gute Grundlage für die öffentliche Bewusstseinsbildung werden könnte. MdB von Notz kommentierte, er würde hier jedoch einer monatlichen Berichterstattung zu hybriden Vorfällen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit den Vorzug geben. Davon abgesehen müsse der NSR jetzt erst einmal bald „in die Puschen“ kommen.

Zur Thematik der Übermittlungsvorschriften stellte BfV-Präsident Selen fest, dass die Implementierung des BVerfG-Urteils von 2022 gut angelaufen sei; die Vorgaben seien umgesetzt worden. Gleichwohl bestehe ein Spannungsfeld bei der Informationszusammenführung (fusion) zwischen verschiedenen Diensten und Behörden. Die Vorgaben in den Übermittlungsvorschriften bei nicht offensichtlich unmittelbaren Gefahrenlagen seien in der Sache zu scharf, sie verhinderten diese Fusion und damit ein zusammenfassendes Bedrohungsbild. Hier müssten im verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen neue Wege gefunden werden.

In diesem Zusammenhang führte Selen weiter aus, dass man interoperabel zu verschiedenen europäischen Diensten mit verschiedenen rechtlichen Befugnissen werden müsse. So kenne zum Beispiel das niederländische Recht nur einen „lawfull access to interception“ und vollziehe damit keine Trennung zwischen Verkehrs- und Bestandsdaten. Auch Großbritannien erlaube eine deutlich invasivere Durchdringung von Cyber-Angriffsstrukturen durch MI5 und GCHQ. Deutsche Dienste dürften dies bisher nicht und würden so in der Zusammenarbeit immer wieder nicht den notwendigen zielführenden Beitrag leisten können.

BND-Präsident Jäger verwies ebenfalls darauf, dass bei Erhebung, Vorhalten, Bearbeitung und Weitergabe von Daten die Gesetzeslage nicht mehr die aktuellen technischen Rahmenbedingungen und Erfordernisse reflektiere. Auch müsse eine gemeinsame Datenhaltung von BND und Bundeswehr im Bereich der militärischen Nachrichtengewinnung und Bearbeitung möglich sein. Beim Schutz der eigenen Liegenschaften würden zusätzliche Befugnisse der Kräfte zur Eigensicherung erforderlich werden.

Für das BAMAD betonte Präsidentin Rosenberg, dass die sogenannte „Doppelklammer“ des §1 Satz 2 des MAD-Gesetzes aufgehoben werden müsste. Ein Tätigwerden des MAD nur bei relevanten Bestrebungen gegen den Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums, die von Personen ausgingen, die diesem Geschäftsbereich selbst angehörten, gehe inzwischen an den Bedrohungsrealitäten vorbei. So sei auch eine Vernetzung zwischen BAMAD, BfV und BND zur Aufklärung von KI-gestützten Angriffen gegen die Bundeswehr erforderlich, die von dritter Seite verübt würden.

BND-Präsident Jäger verdeutlichte, dass eine Datenanalyse im Interesse neuer Erkenntnisse aus allen Beschaffungsarten konzentriert und KI-gestützt vorzunehmen sei. Hier werde der BND voraussichtlich eine eigene Arbeitseinheit schaffen können. Die Daten müssten dann aber auch ausreichend lange vorgehalten werden können, gerade auch Partnerdaten. Eine handlungsbefähigende Anpassung der Löschungsfristen sei hier notwendig.

Präsident Selen ergänzte, dass bei diesen notwendigen Analysen dann jedoch auch Ressourcen- und damit Kostenfragen entstünden. Die Zusammenführung strukturierter und unstrukturierter Daten müsse jedoch auf jeden Fall möglich werden, ebenso wie die agile und schnelle Einführung neuer Analysesoftware. Retrograde Analyse müsse möglich werden, um Gesamtbilder zu erzielen; Netzwerkstrukturen ließen sich nur ex-post durch Datenanalyse ermitteln.

Präsident BfV führte weiterhin zum Thema der umstrittenen Chat-Kontrolle aus, man solle doch einmal auf die Europäischen Partner schauen, die das gut geschafft hätten. Eine Balance zwischen Befugnissen und Kontrolle müsse – wie dort geschehen – auch in Deutschland gehalten werden können. In der hier anstehenden Diskussion werde es darauf ankommen, die operativen Bedarfe der Dienste professionell zu präsentieren und erklären.

Zum Thema der digitalen Souveränität erläuterte Präsident Selen, eine breite Nutzung marktüblicher Systeme, z.B. bei KI (ChatGPT), sei sicherheitlich nicht tragbar. Man brauche maßgeschneiderte eigene Lösungen, einzelne Marktlösungen dagegen nur, soweit dies ohne Gefährdung der operativen Sicherheit möglich sei. Zunehmend könnten inzwischen auch in Deutschland privatwirtschaftliche Ambitionen bei der Entwicklung derartiger Potentiale beobachtet werden. Diese sollten jedenfalls auch staatlich unterstützt werden.

Auf Hinweis von MdB Dr. von Notz auf mögliche weitere Defizite in der Eigensicherung der Dienste stellte BND-Präsident Jäger fest, dass sich die in der jüngsten Gesetzesnovelle festgehaltenen zusätzlichen Kontrollrechte intern bereits gut bewährt hätten. Im Bereich der Sicherheit gegen Drohnenaufklärung müsse jedoch dringend nachgesteuert werden. BAMAD-Präsidentin Rosenberg konnte auf gute Befugnisse im Rahmen des Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie zivile Wachpersonen (UZwGBw) verweisen. Bundeswehrliegenschaften seien jedoch im Bereich der materiellen Sicherheit eindeutig nachzurüsten. Auch BfV-Präsident Selen verwies auf die Notwendigkeit eines deutlich erhöhten Schutzes der Operationen und der Liegenschaften. Eigensicherungsregelungen müssten optimiert werden. Sabotage, Ausspähung, Infiltration müssten abgewehrt werden. Retrograde Analysen seien auch hier zur Aufdeckung diskreter Netzwerke erforderlich.

Auf die Frage von MdB Dr. von Notz nach den zeitlichen Perspektiven für die erforderlichen Reformen der rechtlichen Rahmenbedingungen bestand Übereinstimmung in der Bitte um schnellstmögliche Abhilfe angesichts der drängenden Probleme und heraufziehenden Gefahren.

Auf Nachfrage von MdB Throm (CDU) nach den Unterschieden in Sachen Datenspeicherung und Löschfristen verwies BfV-Präsident Selen als Beispiel auf die Erfahrungen mit europäischen Partnerdiensten im Bereich der Finanzermittlungen: In Deutschland gebe es hierfür ein umständliches und langsames G10-Verfahren, bei Partnern lediglich eine einfache und kurzfristig mögliche Registeranfrage. Eine bei Partnern mögliche und ertragreiche retrograde Betrachtung von Kennverhältnissen zur Etablierung von Netzstrukturen könne in Deutschland ohne adäquate Verlängerung der Löschungsfristen nicht geleistet werden. BAMAD-Präsidentin Rosenberg plädierte für die Schaffung einer rechtlichen Autorisierung zur grenzüberschreitenden Observation für MAD-Kräfte. Diese seien hier auf die Kooperation mit dem BfV angewiesen, erneut sehr zum Erstaunen der Partner. BND-Präsident Jäger betonte, dass die Erhebung, Vorhaltung und Weitergabe von Daten flexibler werden müssten, so wie dies bei den europäischen Partnern der Fall sei.

Die Entgegennahme und Nutzung von Daten, die von ausländischen Nachrichtendiensten der westlichen Wertegemeinschaft mit nach deutschem Recht unzulässigen Mitteln erhoben worden seien, stelle eine weitere Problematik dar. Es bestand Übereinstimmung zwischen den Diensten, dass hier Hemmnisse in Weitergabe und Entgegennahme überwunden werden müssten. BfV-Präsident Selen verwies erneut auf das große Erstaunen bei Partnern angesichts der weitgehenden Einschränkungen operativ letztlich grundlegender Befugnisse auf deutscher Seite.

Gesetzgeberischen Handlungsbedarf artikulierte BfV-Präsident Selen auch in Sachen Schutzalter bei der Dokumentation von Radikalisierungsvorgängen bei Personen unter 14 Jahren. Hier müsse der im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr seit langem praktizierte Fokus auf die Gefährdungsmomente und nicht auf das Alter der in Frage stehenden Person gerichtet sein. Daraus folgten dann Informationserhebung und Datenübermittlung.

BND-Präsident Jäger dämpfte Erwartungen, dass KI erhebliche personalwirtschaftliche Erleichterungen bewirken würde: Synergien seien zwar möglich, KI erfordere jedoch erheblich mehr spezifisch fach- und sachkundiges Personal. Auch BAMAD-Präsidentin Rosenberg verdeutlichte, dass KI das notwendige tool sei, um auf Augenhöhe mit den neuen Bedrohungen, aber auch mit den Partnern agieren zu können, z.B. auch im Bereich der Sicherheitsüberprüfungen. Wichtig sei jedoch insbesondere Fachlichkeit. Hier müsse man jedenfalls Zulagen für spezifisch qualifiziertes Personal ins Auge fassen, um Spezialisten zu werben und zu halten. BfV-Präsident Selen ergänzte, dass spezifisch qualifizierte Kräfte erforderlich seien, die im Internet/Darknet verdeckte Waffenübergaben und logistische Strukturen detektieren könnten. Virtuelle Lagefelder müssten behandelt werden können. Für all dies seien Data Scientists für KI, Cloud- und  Quantum-Computing unabdingbar. Wo möglich, sollte eine Vernetzung mit Industrie, Wissenschaft, Forschung bei der Entwicklung von Befähigungen angestrebt werden.


Weiter
Weiter

Die Politisierung von US-Militär und Nachrichtendiensten