Nationale Sicherheitsstrategie und Koordination von Regierungshandeln

Zwischenruf zum aktuellen Sachstand der Koalitionsverhandlungen


Die folgende Fassung des Papers enthält keine Fußnoten. Die vollständige Fassung können Sie über das PDF abrufen

Dr. Hans-Dieter Herrmann, Vorsitzender des Vorstandes

Ersten Aussagen gewöhnlich gut informierter Medien zufolge, soll das aktuelle Papier der Arbeitsgruppe Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik den Vorschlag der FDP zur Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrates, offenbar auf Wunsch der Partei Bündnis90/Die Grünen, nicht mehr enthalten, wohl aber das Vorhaben, eine nationale Sicherheitsstrategie zu erarbeiten.

Ohne angesichts des immer noch nicht abgeschlossenen Stadiums der Meinungsbildung und insbesondere auch der noch nicht konsolidierten Erkenntnislage bereits Mutmaßungen zu eventuell allzu vertrauten koalitions- und insbesondere ressortpolitischen Hintergründen einer solchen möglichen Vorentscheidung anstellen zu wollen, möchte der GKND doch nochmals zentrale Anforderungen in Erinnerung rufen, ohne deren Erfüllung auch eine nationale Sicherheitsstrategie zur Phrase zu werden drohte.

Eine nationale Sicherheitsstrategie erfordert angesichts der Vielfalt von externen wie internen Herausforderungen, Risiken und Bedrohungen einen ebenso breit angelegten ressortübergreifenden Ansatz. Dieser ist in den bisherigen außen- und sicherheitspolitischen Grundsatzdokumenten (Weißbuch 2016, Weißbuch Multilateralismus 2021) wortreich evoziert und gefordert, jedoch nie in die Praxis umgesetzt worden. Bekanntlich fehlte es in beiden Fällen bereits an einem Kabinettsbeschluss, von gangbaren Wegen zur aufbau- und ablauforganisatorischen Umsetzung ressortübergreifender gemeinsamer Lagefeststellungs- und Entscheidungsprozesse einmal ganz zu schweigen.

Eine neue Koalition wird sich mithin der Frage nicht entziehen können, wie sie die etablierten partei und ressortspezifischen Partikularinteressen zu überwinden gedenken will, um konkrete, belastbare und effektive Kooperations- und Koordinationsstrukturen zu schaffen, in denen außen- und sicherheitspolitische Fragen ebenso wie die sehr häufig mit diesen verwobenen

Herausforderungen in den Bereichen der inneren Sicherheit und Resilienz erfasst, bewertet und in abgestimmtes, zielgerichtetes gesamtstaatliches Handeln umgesetzt werden können.

Die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrates wäre bekanntlich ein aufbauorganisatorischer Ansatz zur integrierten Erarbeitung und Umsetzung gesamtstaatlicher Handlungsoptionen. Erneut kommt es hier jedoch nicht in erster Linie auf förmliche Institutionalisierungen an, sondern auf effektive und belastbare ablauforganisatorische Strukturen und Verfahren, mit denen zeit- und sachgerechte ressortübergreifende Lagefeststellung, Lagebeurteilung, Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungsfindung sichergestellt werden können. Hier können funktionale Netzwerkbildungen zwischen den Ressorts eine Rolle spielen, die angesichts des Erfordernisses rascher Strukturveränderungen ohnehin das Gebot der Stunde zu Beginn einer Legislaturperiode wären, um in überschaubarer Zeit erste fassbare Ergebnisse zu erzielen. Netzwerkstrukturen werden jedoch nur dann dem Status traditioneller Unverbindlichkeit und damit operativer Belanglosigkeit entwachsen können, wenn sie von einem gemeinsamen operativen Regierungswillen getragen werden, der letztlich im Kabinetts- und Kanzlerprinzip, nicht aber im Ressortprinzip und Federführungszuweisungen seinen Ursprung und seine wirksame Umsetzung findet. An einer Sachleitung und Koordination derartiger Netzwerkstrukturen durch das Bundeskanzleramt, sei es im Gesamtlagebereich, sei es bei der Erarbeitung und Umsetzung gesamtstaatlicher operativer Optionen führt damit letztlich kein Weg vorbei. Dies sollten die Erfahrungen der vergangenen Legislaturperiode noch einmal unmissverständlich verdeutlicht haben, so wie dies auch die absehbaren Ergebnisse des von der Koalition projektierten Afghanistan-Untersuchungsausschusses und der Enquete zum Gesamteinsatz tun werden.

Das konkrete Vorgehen einer neuen Koalitionsregierung bei der Kompetenzzuweisung für die Erarbeitung einer nationalen Sicherheitsstrategie wird hier sicherlich ersten Aufschluss darüber geben können, ob und wie ein ressortübergreifender Ansatz in Konzeption und Umsetzung ernsthaft angestrebt und gefunden werden wird.

In unser aller Interesse bleibt ein gesamtstaatlicher funktionaler Ansatz, ungeachtet seiner formalen Bezeichnung, auch weiterhin dringlich geboten.

Dr. Hans-Dieter Herrmann

Vorsitzender des Vorstandes

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