Nachrichtendienstliche Befähigungen für die Aufklärung von Nuklearwaffenprogrammen
Eine Stellungnahme des GKND
im Hinblick auf die Novellierung des BND-Gesetzes
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Dr. Hans-Dieter Herrmann, Vorsitzender des Vorstandes
Mit der nunmehr eingeleiteten Novellierung des BND Gesetzes von 2016 im Gefolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Mai 2020 stehen zentrale Befähigungen des Bundesnachrichtendienstes zur strategischen Fernmeldeaufklärung zur Diskussion. Die Notwendigkeit und verfassungsmäßige Legitimität einer handlungs- und zukunftsfähigen Auslandsaufklärung zur Wahrung elementarer Interessen der Bundesrepublik Deutschland ist vom Verfassungsgericht unmissverständlich feststellt worden.
Der GKND hat bereits in einer Hintergrundinformation im Oktober 2020 das grundsätzliche Spektrum an Anforderungen, die – nicht nur in Deutschland – an eine strategische Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung gerichtet werden, umrissen. Das Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrags am 22. Januar 2021 gibt, ungeachtet seiner begrenzten unmittelbaren Wirkung, Anlass, in einer fachlichen Stellungnahme auf die essentielle Bedeutung modernster technischer nachrichtendienstlicher Befähigungen gerade auch des Bundesnachrichtendienstes bei der gemeinsam mit Partnern und Verbündeten betriebenen Aufklärung geheimer Nuklearwaffenprogramme hinzuweisen. Es handelt sich hier um ein zentrales Feld der dem Dienst aufgegebenen Verantwortung, zu deren Wahrnehmung er vom Gesetzgeber auch personell, materiell, technisch und rechtlich in Stand gesetzt werden muss:
„Die Versorgung der Bundesregierung mit Informationen für ihre außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen hilft ihr, sich im machtpolitischen Kräftefeld der internationalen Beziehungen zu behaupten, und kann folgenreiche Fehlentscheidungen verhindern. Insoweit geht es mittelbar zugleich um die Bewahrung demokratischer Selbstbestimmung und den Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung – und damit um Verfassungsgüter von hohem Rang. In Frage steht mithin ein gesamtstaatliches Interesse, das über das Interesse an der Gewährleistung der inneren Sicherheit als solcher deutlich hinausgeht“.
Die Begrenzung von nuklearer Proliferation – Eine Sisyphus-Aufgabe
Am 22.Januar 2021, 90 Tage nach der 50. Ratifizierung, trat unter der Ägide der Generalversammlung der Vereinten Nationen der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) vom 07. Juli 2017 in Kraft. Es ist dies neben dem Nichtverbreitungsvertrag (NVV) von 1970 ein weiterer Versuch, die Verbreitung von Nuklearwaffen zu ächten, wo möglich zu verhindern und existierende Potentiale zu reduzieren.
Wie man trotz Mitgliedschaft im NVV und unter Umgehung internationaler Kontrollen ein fortgeschrittenes Nuklearwaffenprogramm betreiben kann, hat der Irak vor 1991 demonstriert. Die internationalen Krisen um das iranische Nuklearprogramm, die mit dem JCPOA von 2015 nur ein sehr vorläufiges Ende gefunden haben, sind allseits bekannt.
Neben den fünf „offiziellen“ Nuklearwaffenstaaten, die identisch sind mit den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, gelangten im Laufe der letzten Jahrzehnte mit Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea weitere Staaten in den Besitz von Nuklearwaffen. Versuche weiterer Staaten, ebenfalls Nuklearwaffen zu entwickeln, wurden im Laufe der letzten Jahrzehnte durch militärische Interventionen (Irak, Syrien) oder erheblichen politischen Druck von außen (Libyen) gestoppt. In einer Reihe weiterer Staaten wurden „verdächtige“ Programme in frühen Stadien der Entwicklung durch politischen und wirtschaftlichen Druck von außen unterbunden. Lediglich ein Nuklearwaffenprogramm wurde durch das Land, Südafrika, nach 1989 selbst eingestellt und auch entsprechend publiziert. Das Nuklearprogramm des Iran – dessen militärische Natur von diesem immer noch abgeleugnet wird, obwohl die IAEO zu anderen Beurteilungen kommt - konnte nach langjährigen Verhandlungen und der Einführung internationaler Kontrollen durch die IAEO im Rahmen des JCPOA von 2015 soweit reduziert werden, dass auch ein Ausstieg des Iran aus dem Abkommen es diesen zumindest einige Zeit kosten würde, ein Nuklearwaffenprogramm wieder aufzunehmen.
Seit Jahren wird darüber spekuliert, welche Länder in Nahmittelost sich ebenfalls nuklear aufrüsten würden, wenn Iran eines Tages doch noch in den Besitz von Nuklearwaffen gelangen sollte. Dass die Weiterverbreitung sich spätestens in einem solchen Fall in diese Richtung fortentwickeln würde, ist eine international übereinstimmende Beurteilung.
Zwischen dem Entschluss einer Regierung, sich Nuklearwaffen zuzulegen, und der öffentlichkeitswirksamen Durchführung von Tests und der Aufnahme von Nuklearwaffen in das militärische Dispositiv eines Landes lagen in der Vergangenheit mindestens zwanzig Jahre. In Zukunft muss aus einer Reihe von Gründen damit gerechnet werden, dass sich diese Frist verkürzen wird. Selbst der Verkauf von Nuklearwaffen und ggf. auch ihrer Trägermittel, wird für die Zukunft nicht mehr ausgeschlossen.
Nachrichtendienstliche Aufklärung als Kernkompetenz für Proliferationskontrolle
Nukleare Rüstungsprogramme unterliegen in den interessierten Ländern als Projekte von höchster nationaler macht- und sicherheitspolitischer Bedeutung strengster Geheimhaltung in allen Aspekten der verdeckten Forschung und Entwicklung, der häufig illegalen und klandestinen internationalen Beschaffung von Materialien und Know How, des Aufbaus von Produktion und Herstellung von Einsatzfähigkeit nuklearer Waffen und ihrer Trägermittel sowie deren Einführung in die Streitkräfte.
Es ist daher nur folgerichtig, dass die Kenntnis der Staatengemeinschaft über die Verfügbarkeit von Nuklearwaffen weltweit trotz gegenüber 1991 weiter verbesserter Kontrollregime durch die IAEO (Internationale Atomenergie Organisation) unverändert weitaus überwiegend auf Erkenntnissen beruht und letztlich nach Lage der Dinge auch beruhen muss, die durch Nachrichtendienste und mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnen wurden bzw. werden.
Methodisch stellt die Aufklärung verdeckter Proliferationsaktivitäten Nachrichtendienste in Beschaffung wie Analyse grundsätzlich vor besondere Herausforderungen, die es im Zusammenwirken mit anderen Behörden und Partnern unter Einsatz modernster Mittel zu erfassen gilt.
Um beurteilen zu können, ob ein Land über die nötige industrielle Infrastruktur und die benötigten technischen Fähigkeiten verfügt, ist ein spezifischer, empirisch und fachlich belastbarer detaillierter Einblick in seine allgemeine wie fachlich einschlägige technische Leistungsfähigkeit erforderlich. Dies allein verlangt bereits die Akkumulation und Analyse aussagefähiger Daten, die in großen Maße durch offene Quellen (OSINT) gewonnen werden können, dann jedoch im entscheidenden Detail durch nachrichtendienstlich beschaffte Informationen zu ergänzen und zu validieren sind.
Offensichtlich ist, dass aufrüstende Länder alles tun, um die Teile eines Nuklearwaffenprogrammes, die sich potentiell friedlichen Zwecken zuordnen lassen, zur Tarnung der unzulässigen proliferationsrelevanten Aktivitäten zu nutzen. Dafür eigenen sich Nuklearenergieprogramme in besonderer Weise, vor allem wenn sie darauf abzielen, sich von Zulieferungen im Bereich des nuklearen Brennstoffes von Importen unabhängig zu machen. Selbst beim Konstruktion und Bau von Kernwaffen lassen sich mache Elemente zumindest als Teil einer konventionellen Rüstungsproduktion tarnen. Hier bieten nur umfassende und strukturierte Kenntnisse des Wissenschafts- Forschungs- und Entwicklungsbetriebs mit entsprechenden Längsschnitt- und Querschnitt-Vergleichsmöglichkeiten ausreichende Ansatzpunkte für weitergehende Ermittlungen. Nur so können über die Jahre von Normalwerten abweichende Daten erkannt werden, wie z.B. die getarnte Ausbildung von Wissenschaftlern und Technikern, die man auch für ein Nuklearwaffenprogramm benötigt. In diesem Bereich sind sachlogisch langjährige Speicherfristen in der Größenordnung von 20 und mehr Jahren für Roherkenntnisse anzusetzen, die potentiell entscheidende Hinweise auf Entwicklungen in der Frühzeit solcher Programme geben können, was sich dann häufig erst Jahre später herausstellt.
Die Bedarfsdeckung in fehlenden technischen Fähigkeiten wird gemeinhin durch Einkauf von Dual-Use-Gütern, Fertigungsmaschinen und Halbzeugen getarnt. Hier setzt nur die professionelle Phantasie der Ausführenden den vorgetäuschten Verwendungszwecken eine Grenze. Darüber hinaus wird die getarnte Beschaffung potentiell verdächtiger Güter über Scheinfirmen abgewickelt, die über die ganze Welt verteilt sind und gezielt Lücken und Schwachstellen in den nationalen Gesetzgebungen und Kontrollbehörden ausnützen. Auch hier sind umfassende Datenerhebungen, deren strukturierte Aufbereitung und langfristige Speicherung notwendige Voraussetzungen für zielführende Ansatzpunkte von Aufklärung und Ermittlung. Getarnte Beschaffungsprozesse sind vielfältig und werden mit hohem Mittelansatz über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte aufgebaut und betrieben. Häufig werden anfänglich genutzte personelle und organisatorische Strukturen stillgelegt und erst Jahre später erneut, ggf. in abgewandelter Form, in der gezielten Absicht aktiviert, sich einer auch international organisierten Beobachtung und Verfolgung zu entziehen.
Neben der Fähigkeit zur konzertierten und arbeitsteiligen Nutzung aller Aufklärungsmittel (SIGINT, SOCMINT, OSINT, IMINT/GEOINT, MASINT und HUMINT), hinreichend langen Speicherfristen für Aufklärungsroherkenntnisse (eine finale Bewertung ist häufig erst nach mehr als zehn Jahren möglich) gelingen solche Aufklärungsanstrengungen praktisch immer nur im Zusammenwirken mit anderen Nachrichtendiensten, mit denen man zwar das Aufklärungsinteresse teilt, häufig aber nicht die Rechtslage gemeinsam hat.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich als Mitglied in den entsprechenden Rüstungskontrollgremien zur Mitarbeit verpflichtet. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesnachrichtendienst seit Jahrzehnten einen entsprechenden Aufklärungsauftrag, den er mit dem erforderlichen breiten Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, darunter ganz maßgeblich auch einer leistungsfähigen strategischen Fernmeldeaufklärung, im Zusammenwirken mit den zuständigen deutschen Behörden und in der internationalen Kooperation mit Partnern und Verbündeten erfüllen muss.
Die dem Dienst gesetzgeberisch wie materiell und technisch zugewiesenen Befähigungen des Dienstes müssen sich hier sowohl an der Komplexität der Anforderungen in der Sache als auch an den berechtigten professionellen Erwartungen der Partner an einen der großen europäischen Nachrichtendienste messen lassen. Der vom Bundesverfassungsgericht attestierte Notwendigkeit einer „wirksamen“ Auslandsaufklärung wird hier auch mit einer hohen Befähigung zur strategischen Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung angemessen Rechnung zu tragen sein.
Dr. Hans-Dieter Herrmann
Vorsitzender