Nachrichtendienstforschung in Deutschland - Ein nicht nur wissenschaftliches Desiderat
Anmerkungen zu einem Vortrag von
Prof. Dr. Sophia Hoffmann, Universität Erfurt
Die folgende Fassung des Papers enthält keine Fußnoten. Die vollständige Fassung können Sie über das PDF abrufen
Dr. Gerhard Conrad
Am 11. August 2023 hielt Frau Professor Dr. Sophia Hoffmann, seit 2021 Inhaberin einer Professur für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität Erfurt, den Einführungsvortrag zum Workshop „Nachrichtendienste und Demokratie in Deutschland“, der am Zentrum für den Mittleren Osten (ZMO) veranstaltet wurde.
Die Ausführungen markierten zugleich den Abschluss eines fünfjährigen, von der VW-Stiftung geförderten Forschungsprojekts am Leibniz-Zentrum für den Mittleren Osten (ZMO) der Freien Universität Berlin unter dem Titel „Learning Intelligence: The Exchange of Secret Service Knowledge between Germany and the Arab Middle East 1960-2010“, dessen erste Ansätze und Ergebnisse seit 2021 fortlaufend publiziert worden sind und das auch noch mit anstehenden Monographien seinen Abschluss finden wird.
Beantwortet werden sollten mit dem Projekt zwei Forschungsfragen:
Ähneln sich Nachrichtendienste in unterschiedlichen Kontexten?
Lassen sich Ähnlichkeiten/Unterschiede zwischen Nachrichtendiensten anhand ihrer Beziehungen untereinander erklären?
Handlungslogik der Nachrichtendienste und Rechtsstaatlichkeit
In Bezug auf den Workshop verwies Professor Hoffmann auf das nur schwer, wenn überhaupt aufzulösende, historisch wie sozialwissenschaftlich immer wieder zu belegende systemische Spannungsverhältnis zwischen Geheimdiensten und demokratischer Öffentlichkeit. Dieses gründe wesentlich darauf, dass derartige Dienste in ihrer Handlungslogik nicht nur in Autokratien und Diktaturen, sondern eben auch in demokratisch legitimierten politischen Systemen zu deren Erhalt, und dies unter dem Schutz der Geheimhaltung, allgemeingesetzliche Rahmenbedingungen einschließlich verfassungsrechtlich begründeter Bürger- oder auch Menschenrechte unterlaufen könnten. Dieser inhärente Widerspruch sei letztlich nicht zu überwinden, gleichwohl aber in relevantem Umfang zu mildern. Hierzu gab Professor Hoffmann einige schlagwortartige, auch in vergangenen Stellungnahmen des GKND immer wieder propagierte Anregungen an Regierungen und ihre Nachrichtendienste, deren Beherzigung und Implementierung nur angeraten werden kann:
Das Paradox (Geheimhaltung/Transparenz; Rechtsstaatlichkeit/nachrichtendienstliche Mittel) erkennen und offen damit umgehen.
Die Verteidigung der de jure und der de facto-Demokratie sollte neben der nationalen Sicherheit zur Doktrin werden.
Mit größerer Gelassenheit und Offenheit auf vermeintliche ‚Angriffe’ aus der Zivilgesellschaft/den Medien reagieren. – sich auf offene Diskussion einlassen und Kritikern gegenüber Argumente entwickeln.
Zivilgesellschaft ist Partner, nicht Feind.
‚Skandale’ rückhaltlos aufklären: Transparenz über Behördenloyalität stellen.
Ängste der Bevölkerung vor der ‘dunklen Seite des Staats’ ernst nehmen.
Eigene Befugnisse und Grenzen in klarer Sprache kommunizieren.
In gleicher Weise gilt dies auch für den Appell Professor Hoffmanns an die Medien und die Zivilgesellschaft, geistige Offenheit gegenüber den Fragen und Bedingtheiten der nationalen Sicherheit an den Tag zu legen und von den „ermüdenden Stereotypen über vermeintliche Schlapphüte oder Gurkentruppen“ ebenso Abstand zu nehmen wie von dem“ halb-humoristischen, halb-verschwörerischen Unterton, der ND-Stories oft anhafte“.
Nachrichtendienstforschung und politische Kultur
Dass Nachrichtendienstforschung für dieses von Professor Hoffmann angesprochene Phänomen der „Kulturellen Repräsentation“ einen wichtigen Beitrag leisten kann, ist auch in einem Beitrag von Professor Bergien zur Geschichte der Nachrichtendienste verdeutlicht worden:
„Das Verhältnis von Intelligence und Fiktion ist ein zentrales Thema, wenn es darum geht, nach den gesellschaftlichen Implikationen der geheimen Dienste zu fragen, nach deren Bedeutung für Bedrohungsperzeptionen oder nach dem Vertrauen oder Misstrauen, mit dem Bürgerinnen und Bürger ihren Regierungen gegenüberstehen.
Die Relevanz dieser „spy fiction“ ergibt sich aus zwei Aspekten. Erstens füllen die Bilder von Agenten, von Spionage und Nachrichtendiensten eine imaginative Leerstelle. Die große Mehrzahl der Menschen kennt „intelligence“ nicht aus eigener Anschauung, sondern durch einen Bond-Film, einen Tom Clancy-Roman oder eine „Homeland“-Staffel. Dabei ist nicht entscheidend, ob [diese] etwas mit der historischen „Wirklichkeit“ zu tun haben. Entscheidend ist, dass Menschen ihre Vorstellungen von Nachrichtendiensten ausgehend von derartigen fiktionalen Repräsentationen organisieren – breite Bevölkerungskreise ebenso wie politische Entscheidungsträger*innen“.
Zu Recht merkt Bergien weiterhin an:
„Das Potenzial für weitere Forschung ist freilich groß, nicht zuletzt deshalb, weil auf dem Feld der Surveillance Studies bereits umfangreiche Forschungen über das Wechselverhältnis von Überwachungspraxis und deren kulturellen Repräsentationen vorliegen, an die Intelligence-bezogene Untersuchungen auch konzeptionell anschließen könnten. Vor allem aber böte eine systematische Analyse der öffentlichen Perzeptionen geheimer Nachrichtendienste die Möglichkeit, Fragen zu adressieren, die über den engeren Rahmen der Intelligence History hinausgehen. Es ließe sich u.a. der Konnex zwischen politischer Kultur und organisatorischen Rahmungen staatlicher Gefahrenabwehr adressieren – beispielswiese über das Deutungsmuster der „Intelligence Culture“.
Ganz im Sinne von Professor Hoffmann wird hier durch weitere Forschung ein vertieftes Verständnis für die Genese, Persistenz und Entwicklung der spezifischen deutsche „Intelligence Culture“ zu erhoffen sein.
Nachrichtendienstforschung in Deutschland – ein Desiderat
Professor Hoffmann schließt ihren Vortrag mit einer eher optimistischen Bewertung der Zukunftsperspektiven für Nachrichtendienstforschung auf internationaler Ebene wie auch in Deutschland.
So sehr dies im internationalen Rahmen auch aus Perspektive des GKND der Fall ist, so skeptisch fällt aus hiesiger Sicht die Bilanz für Deutschland aus: So bleibt immer noch festzuhalten, dass es aus knapp 19.000 Studiengängen mit einer einzigen Ausnahme keinen gibt, der sich interdisziplinär mit Nachrichtendiensten, sei es den deutschen, sei es jenen anderer Staaten befasst. Die akademischen Defizite reichen darüber hinaus noch weiter, bis hinein in die Disziplinen von Sicherheitspolitik6 und Militärpolitik, die an deutschen Universitäten praktisch nicht vertreten sind.
Der einzige in Deutschland seit 2019 an der Hochschule des Bundes für Öffentliche Verwaltung in Berlin in Zusammenarbeit mit der Universität der Bundeswehr, München, eingerichtete interdisziplinäre Masterstudiengang zu Intelligence und Security Studies (MISS) ist wiederum nicht öffentlich zugänglich, sondern den sicherheitsüberprüften Angehörigen der deutschen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden vorbehalten. Diese strenge Limitierung bezieht sich auch auf das Professorium, so dass eine curriculare und personelle Öffnung zum breiten Feld der internationalen Forschung und Lehre bereits an den sicherheitlichen Erfordernissen zu scheitern droht8. In gleicher Weise kann öffentliche intellektuelle Strahlkraft nur über das Professorium in außeruniversitären Veranstaltungsformaten und wissenschaftlichen Publikationen entfaltet werden.
Die Bedeutung von interdisziplinär angelegten Intelligence Studies gerade auch als allgemein zugängliche akademische Disziplin und damit als integraler Teil der politischen Kultur in Staat und Gesellschaft ist neben dem hier beigefügten Vortrag von Professor Hoffmann bereits 2016 und 2017 im Zuge der Entwicklung des MISS von maßgeblicher Stelle ausführlich dargelegt worden.
So verdienstvoll und unverzichtbar die etwa 2005 einsetzende historiographische Behördenforschung ist, so wenig kann sie einen breiteren, auf die Gegenwart und Zukunft ausgerichteten interdisziplinären Ansatz ersetzen. Die Erforschung von mentalen und biografischen NS-Kontinuitäten in den Ministerien und Behörden der frühen Bundesrepublik und somit auch der Frühgeschichte des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) und des Bundesnachrichtendienstes (BND) stand notwendig am Anfang, umfasste aber zunehmend auch die Rolle und Funktionsweise von Verfassungsschutz und Gehlen-Dienst/BND als geheime Nachrichtendienste. Hiermit sind wertvolle Ansatz- und Ausgangspunkte für breiter angelegte Forschung und Lehre geschaffen worden; ohne ihre Aufnahme, Weiterentwicklung und interdisziplinäre Erweiterung verfehlen sie jedoch die notwendige gesamtgesellschaftliche Wirkung im Sinne einer in der Öffentlichkeit wie im politischen Raum geteilten „intelligence culture“, eines faktenorientierten und ebenso sach- wie fachgerechten Umgangs mit den Nachrichtendiensten als elementarer Teil der staatlichen Sicherheitsarchitektur. Die aufgrund der zugänglichen Aktenlage bedingte Fokussierung der Forschung auf die deutschen Dienste der Nachkriegszeit führte notwendig auf eine Konzentration auf ihre Belastung durch die NS-Diktatur. Im Rahmen einer mehr denn je notwendigen Katharsis auch der Nachgeborenen war und ist dies zweifellos unerlässlich und hoffentlich wirkungsmächtig. Zum adäquaten Verständnis und einer sachgerechten Perzeption der heutigen Dienste, die seit den achtziger Jahren, und nochmals nach der Jahrtausendwende zunehmend von Generationen neuer gesellschaftlicher wie politischer Prägung und Orientierung getragen werden und in einem völlig unterschiedlichen nationalen wie internationalen Umfeld agieren, trägt das Wissen um die problematische Gründer- und Frühzeit allein nur unzureichend bei. Der wissenschaftliche Blick muss zeitlich wie fachlich geweitet, auf die technisch-wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen der Moderne gerichtet werden, um Relevanz für die Gegenwart und Zukunft zu gewinnen.
Wie so häufig im Zuge der Zeitenwende, muss jedoch auch hier zunächst einmal ein historisch bedingter struktureller Mangel an Handlungsfähigkeit oder Handlungswillen angegangen und überwunden werden. Auf eigendynamische Entwicklungen in Zeiten zunehmend prekärer finanzieller Rahmenbedingungen und immer noch spürbarer Bestandskraft traditioneller Vorbehalte im akademischen Establishment zu setzen, dürfte unverändert wirkungslos bleiben. Bereits die Einrichtung des MISS war, so Beteiligte, ein Kraftakt, der nur mit massiver politischer Initiative und Begleitung auf Regierungsebene über mehrere Jahre hinweg bis zum ersten Studienjahrgang 2019 hat bewerkstelligt werden können.
Angesichts der in Deutschland bestehenden, föderal geprägten bildungs- und forschungspolitischen Landschaft und der grundgesetzlich garantierten Freiheit von Forschung und Lehre an den Universitäten wird es mithin einer nachhaltigen, nach Möglichkeit international akademisch unterstützten Initiative bedürfen, um ein ausreichendes Maß an Interesse und Handlungswillen zur Füllung der Forschungslücken zu generieren. Eine potentiell wirksame erste Initiative kann jedoch letztlich erneut nur von den Bereichen erwartet werden, in deren Gremien die Bundesregierung Sitz und Stimme hat, wie etwa die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) oder die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Solange hier nicht über Kuratorium oder Stiftungsrat Anregung und Unterstützung für die Einrichtung und personelle Ausstattung von sicherheitspolitisch und interdisziplinär ausgerichteten Forschungsbereichen zu Intelligence und Security als erste „Leuchttürme“ oder „Wegmarken“ in der deutschen akademischen Landschaft gegeben werden, wird mit Folgewirkungen auf breiterer Ebene kaum zu rechnen sein. Auch hier gilt es, einen Anfang mit der Einrichtung und Auslobung einzelner, fachlich entsprechend ausgewiesener Stellen für „Intelligence Studies“ zu machen.
Wie überall im Rahmen der Zeitenwende sind erneut jene an erster Stelle zum Handeln aufgerufen, in deren originärem Interesse Wehrhaftigkeit und Resilienz liegen müssen: Es ist die Bundesregierung mit ihren Ressorts, die in Verantwortung für Sicherheit und Zukunftsfähigkeit des Landes stehen.
Für den Vorstand
Dr. Gerhard Conrad
Vortrag von Prof. Dr. Sophia Hoffmann zum Workshop „Nachrichtendienste und Demokratie in Deutschland“ am 11.08.2023
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen, liebe Freunde,
Für mich, Noura Chalati und Ali Dogan ist heute ein durchaus emotionaler Tag, denn wir markieren das bevorstehende, offizielle Ende unserer fünfjährigen, gemeinsamen Forschung zum internationale Nachrichtendienstwesen. Damit geht für uns alle ein Lebensabschnitt zu Ende, der neben den vielen Veränderungen und Herausforderungen, die das Leben ganz allgemein bietet, für uns, für mich vor allem eine ungeheuer bereichernde Phase der Erkenntnisgewinnung und des gemeinsamen Lernens war. Was gibt es schöneres in der Wissenschaft? Ich freue mich daher einerseits wahnsinnig, dass wir es so weit gebracht haben und so viele Erfolge erleben können – und das prominente Publikum in diesem Workshop ist hierfür ein Ausdruck – und bin andererseits auch wehmütig, weil eine sehr schöne und wichtige Erfahrung zu Ende geht.
Aber keine Sorge – mit diesen einleitenden Worten ist die Gefühlsduselei auch abgeschlossen: zumindest was das Persönliche angeht. Denn dass beim Thema Nachrichtendienste durchaus die emotionalen und politischen Fetzen fliegen können, das haben wir inzwischen auch gelernt!
Statt Emotionen werde ich in meiner kurzen Ansprache Ihnen die zentralen Forschungsergebnisse und Highlights unserer Arbeit vorstellen und dann das Thema des Workshops – das Spannungsfeld zwischen Nachrichtendiensten und Demokratie – mit diesen Erkenntnissen in Beziehung setzen.
Thema des Workshops
Warum haben wir das Thema Nachrichtendienste und Demokratie in Deutschland: Ein Spannungsfeld? gewählt? Wir haben es vor allem aus drei Gründen getan:
Erstens, weil es uns dieses Thema in Gruppendiskussionen beschäftigt hat, z. B. im letzten, als viel über diverse Verdachtsfälle von Extremismus in den Diensten und anderen Sicherheitsapparaten berichtet wurde, aber auch vor dem Hintergrund der sich rapide entwickelnden Möglichkeiten der technischen Überwachung;
Zweitens, weil wir davon überzeugt sind, dass unsere Forschungsergebnisse einige solide Antworten auf die Fragen, die sich aus diesem Spannungsfeld ergeben, liefern.´, und
Drittens, weil uns die verhärteten Fronten, und der Stillstand in diesem Bereich – bei gleichzeitigem Aktionismus – frustriert, und wir eine bessere Verständigung zwischen Diensten, Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit wünschen – die letztliche dem hohen Ziel einer wehrhaften Demokratie dienen sollte.
In meinem Vortrag werde ich wie folgt vorgehen:
Zunächst stelle ich Ihnen kurz unsere Forschungsgruppe vor.
Dann setze ich unsere Erkenntnisse mit dem Workshopthema in Verbindung und stelle gleich ein paar Ideen für Lösungsansätze vor – hier geht es kurz in die Tiefe der politischen Theorie, aber ich hoffe, dass es allgemeinverständlich bleibt!
Drittens stelle ich Ihnen noch kurz die durchaus rosigen Zukunftsaussichten für die Nachrichtendienstforschung vor, die sowohl spezifisch in Deutschland, als auch international an Dynamik gewinnt.
Forschungsgruppe „Learning Intelligence“
Kommen wir zum ersten Punkt – die Vorstellung unserer Forschungsgruppe, mit dem Titel Learning Intelligence: The Exchange of Secret Service Knowledge between Germany and the Arab Middle East 1960-2010.
Den Hintergrund für die Etablierung dieser Gruppe stellt meine vorherige Arbeit zu den Staat-Gesellschaftsbeziehungen in Syrien dar, ein Forschungsvorhaben, das mich zwischen 2005 und 2011 beschäftigte. Bekanntlich spielten in Syrien bis heute Geheimdienste eine zentrale politische Rolle. Auf der Suche nach einem interessanten, hierauf aufbauenden nächsten Projekt entwickelte sich, auch durch Zufälle und Diskussionen mit vielen Kollegen und Kolleginnen, die Idee für ein vergleichendes Projekt in der Nachrichtendienstforschung.
Mit dem nötigen Quäntchen Glück wurde der Antrag auf eine Forschungsgruppe bei der Volkswagenstiftung genehmigt; die Gruppe bestand schließlich aus mir und zwei Promovierenden, Noura Chalati und Ali Dogan.
Forschungsfragen
Die beiden zentralen Fragen unserer gemeinsamen Forschung waren und sind:
Ähneln sich Nachrichtendienste in unterschiedlichen Kontexten?
Lassen sich Ähnlichkeiten/Unterschiede zwischen Nachrichtendiensten anhand ihrer Beziehungen untereinander erklären?
Die Forschung umfasste so erstens einen vergleichenden Ansatz – hier zielen wir darauf ab, zu klären, ob es einen Zusammenhang zwischen Nachrichtendiensten und moderner Staatlichkeit an sich gibt; hängt also die rapide Verbreitung von modernen Nachrichtendiensten im 20. Jahrhundert in aller Welt damit zusammen, dass sich zur gleichen Zeit auch der moderne Staat als Regierungsform weltweit durchgesetzt hat?
Zweitens zielte unsere Forschung darauf ab zu klären, welchen Effekt die internationalen Beziehungen zwischen Nachrichtendiensten auf ihre Form, ihre Verbreitung und ihre Arbeit haben.
Aus diesen übergeordneten Fragen und unserer Fallauswahl entwickelten sich drei konkrete Forschungsprojekte: Während sich die beiden Promotionsprojekte mit sehr konkreten Fallbeispielen beschäftigen, zielt mein übergeordnetes Projekt mehr auf Theorieentwicklung unter Heranziehung der empirischen Befunde zu vier Nachrichtendiensten – den beiden deutschen, den irakischen und ägyptischen Diensten:
Sophia Hoffmann: Wie wirken transnationale Aktivitäten von Nachrichtendiensten auf Form und Inhalte des internationalen Systems?
Noura Chalati: Nachrichtendienstfelder. Die Beziehungen zwischen dem MfS und den syrischen Nachrichtendiensten im Kalten Krieg.
Ali Dogan: Die außerordentliche Handlungsebene von Nachrichtendiensten. Der BND und der irakische IIS im Kalten Krieg.
Publikationen
Im Zusammenhang mit dem Projekt sind bereits einige Publikationen entstanden, die nachstehend in einer Auswahl aufgeführt werden. An ihnen wird deutlich, dass wir uns sowohl der empirischen Bearbeitung der Fragen -vornehmlich durch Archivforschung – als auch der theoretischen und methodischen Entwicklung intensiv gewidmet haben:
Gemeinsam: (2023) “Forum Nachrichtendienstforschung”, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen.
Gemeinsam: (2023) “Rethinking intelligence practices and processes: three sociological concepts for the study of intelligence”.
Hoffmann (2022): The geopolitical economy of state-led intelligence-commerce: two examples from Iraq and West Germany, Globalizations.
Hoffmann (2022) "Circulation, not Cooperation: Towards a new understanding of intelligence agencies as transnational knowledge providers".
Forschungsergebnisse
Was sind nun die zentralen Ergebnisse unserer Forschung? Ich stelle Ihnen hier drei Kernpunkte vor, die für das heutige Thema relevant sind:
Das Handeln von Nachrichtendiensten ist paradox, weil es die Staatsordnung gleichzeitig stützt und unterläuft. Auf diesen Punkt gehe ich im nächsten Schritt vertiefend´ein, da er für das heutige Thema sehr relevant ist.
Das moderne Nachrichtendienstwesen ist seit seiner Entstehung zutiefst internationalisiert.
Diese Erkenntnis entstand vor allem zu unserer empirischen Forschung über die Entwicklung der modernen, westlichen Dienste im Zuge der ersten beiden Weltkriege, als auch der Entwicklung der arabischen Dienste aus den kolonialen Polizeiapparaten. Sie war wirklich überraschend, denn in der allgemeinen Wahrnehmung sind Dienste sehr national-orientierte Behörden, deren Existenz stark von staatlichen Grenzen geprägt ist. Tatsächlich stimmt beides – einerseits sehr auf den eigenen Staat fokussiert, andererseits zutiefst transnational aufgestellt, durch den permanenten Austausch mit anderen Diensten.
Nachrichtendienste ähneln sich, aber das liegt an der ihnen gemeinsamen Logik der Staatsräson, weniger an ihrem Austausch. Die ihnen gemeinsame Logik ermöglicht den Austausch.
Dies ist, sehr zusammengefasst, die Antwort auf unsere zweite Forschungsfrage: Die internationale, strukturelle Vergleichbarkeit von Nachrichtendiensten hängt nur bedingt mit ihren Beziehungen untereinander zusammen – denn es gibt auch Ähnlichkeiten zwischen Diensten, die wenig direkten Kontakt miteinander haben. Wichtiger ist die Ihnen gemeinsame Handlungslogik, die es überhaupt erst ermöglicht, dass Dienste sich austauschen und von dem insgesamt zirkulierenden ND-Wissen gemeinsam lernen.
Zur Handlungslogik von Nachrichtendiensten
Das hört sich gewiss etwas abstrakt an, daher möchte ich jetzt auf einen Punkt vertiefend eingehen und diesen mit dem Workshopthema verknüpfen. Es handelt sich hier um das im letzten Punkt erwähnte Element der Staatsraison, die wir, so das Argument, als eine durchaus international gültige Handlungslogik von Nachrichtendiensten identifiziert haben.
Was ist eigentlich die Staatsräson und warum ist sie für das Spannungsfeld Nachrichtendienste Demokratie relevant? Die Staatsräson ist, verkürzt gesagt, ein bestimmte Art und Weise, über legitime politische Herrschaft zu denken – sie ist also eine Ansammlung von Ideen und Überzeugungen über politische Herrschaft. Die europäischen Ideen hinter der Staatsräson – hierüber lässt sich diskutieren – entstehen während der Renaissance – d.h. 16. JH – und viele dieser Ideen bestimmen auch heute noch unsere modernen Vorstellungen von Politik.
Dazu gehört zum Beispiel die Vorstellung, dass der Staat der höchste und wichtigste politische Akteur ist – nur wenige Menschen in Deutschland würden z. B. davon überzeugt sein dass z.B. eine Kirche, eine Stadtverwaltung, karitative Einrichtungen etc. – mehr Handlungs- und Ordnungsmacht haben als der Staat. Bürger und Bürgerinnen blicken auf den Staat und seine Einrichtungen, in der Erwartung, dass diese für Sicherheit, Entfaltungsmöglichkeiten (Freiheit) und Wohlstand sorgen. Gleichzeitig gilt der Staat auch als einzig legitime Herrschaftsform – andere Akteure haben derzeit sehr wenig Chancen, sich gegenüber dem Staat als legitimer zu behaupten. Das war, selbstverständlich, vor wenigen hundert Jahren alles ganz anders, aber darauf können wir nicht eingehen.
Stattdessen komme ich zum zweiten, zentralen Punkt: Innerhalb der Logik der Staatsräson ist das Fortbestehen des Staats als funktionsfähiger Entität das höchste Gut. Das bedeutet, dass Sicherheit letztlich „Sicherheit des Staates“ bedeutet. Denn in der Logik der Staatsräson bedeutet ein Ende oder ein Zerfall des Staats ohnehin den Zerfall von Sicherheit für alle. Innerhalb dieser Logik können dann jedoch auch Teile der eigenen Bevölkerung oder in vorrevolutionären Konstellationen die Mehrheit zur Bedrohung, und Handlungseinschränkungen durch staatliche Gesetze zum Hindernis oder Problem für die staatliche Selbstbehauptung werden. Und diese Logik stellt, vor allem in Demokratien aber letztlich in allen Staaten, ein Paradox dar.
Denn in Friedenszeiten zählen Bevölkerung und gesetzliche Ordnung natürlich als integrale Teile des Staats – vor allem Gesetz und Rechtsstaatlichkeit. Aber im Falle einer ernsten Bedrohung gegen die Sicherheit des Staates, kann der Staat – etwa durch Notstandsgesetzgebung – seine eigenen Gesetze aufheben und insbesondere auch Bürgerrechte einschränken. Die Existenz von Nachrichtendiensten und ihre – zumeist allerdings ihrerseits gesetzlich geregelte – Befugnis, im Namen der Sicherheit staatliche Gesetze, die ansonsten für alle gelten, meist durch den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln der verdeckten Überwachung und Ausforschung zu umgehen, sind Ausdruck der Staatsräson, und verkörpern ihr Paradox. Denn, wie der Staat an sich, arbeiten auch die Dienste für die Aufrechterhaltung bestehender politischer Systeme und Machtverhältnisse, für die Herstellung und Wahrung von allgemeiner Sicherheit und Ordnung. In Deutschland umfasst dies notwendig auch den Schutz der Demokratie und Bürgerrechte. Sie haben aber eben auch die prinzipielle, in den verschiedenen Staatsordnungen sehr unterschiedlich geregelte Befugnis, sich im Namen der Sicherheit von Staat und Gesellschaft notfalls gegen die eigene Bevölkerung zu wenden, wenn diese als Bedrohung der geltenden Grundordnung oder inneren Sicherheit und Stabilität definiert wird. In Demokratien können hierbei auch demokratisch zustande gekommene Gesetze umgangen werden, wenn es dabei hilft, die Sicherheit zu schützen.
Das ist die politikwissenschaftliche Erklärung für das inhärente Spannungsfeld zwischen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und geheimen Nachrichtendiensten, welches es permanent auszuloten gilt. In illiberalen Staaten, also Diktaturen, gibt es zwischen Nachrichtendiensten und Regierung übrigens auch ein Spannungsfeld, aber das sieht anders aus, hängt jedoch auch mit der Staatsräson zusammen.
Milderung des Spannungsfelds „Nachrichtendienste und Transparenzerfordernis“
Aus dieser nüchternen, theoriegeleiteten Perspektive ergibt sich die Frage, mit welchen Strategien Regierungen und ihre Nachrichtendienste dem Spannungsfeld, das zwischen ihrer Stabilitäts- und Sicherheitsorientierung und den demokratischen Ansprüchen von Transparenz besteht, etwas die Schärfe nehmen könnten?
Ich stelle hier einmal sieben Punkte zur Diskussion:
Regierungen und Nachrichtendienste sollten das Paradox erkennen und offen damit umgehen.
Die Verteidigung der de jure und der de facto-Demokratie sollte neben der nationalen Sicherheit zur Doktrin werden.
Mit größerer Gelassenheit und Offenheit auf vermeintliche ‘Angriffe’ aus der Zivilgesellschaft/den Medien reagieren. – sich auf offene Diskussion einlassen und Kritikern gegenüber Argumente entwickeln.
Zivilgesellschaft ist Partner, nicht Feind.
‚Skandale’ rückhaltlos aufklären: Transparenz über Behördenloyalität stellen.
Ängste der Bevölkerung vor der ‘dunklen Seite des Staats’ ernst nehmen.
Eigene Befugnisse und Grenzen in klarer Sprache kommunizieren.
Ähnliche Punkte lassen sich auch für die Medien und die Zivilgesellschaft entwickeln, gerade bezüglich der geistigen Offenheit und dem Ablegen von ermüdenden Stereotypen über vermeintliche Schlapphüte oder Gurkentruppen, und dem halb-humoristischen, halb-verschwörerischen Unterton, der ND-Stories oft anhaftet.
Zukunft der Nachrichtendienstforschung
Nun komme ich zum dritten und letzten Punkt des Vortrags: wie ist es um die Zukunft der Nachrichtendienstforschung bestellt? Was sind die vielversprechendsten Forschungsausblicke, die ergiebigsten Themen und die Fördermöglichkeiten? Wo entstehen neue Zentren und Netzwerke? Zunächst einmal lässt sich festhalten: die Zukunft der ND-Forschung, gerade in Deutschland aber auch anderswo, erscheint heute in einem deutlich rosigeren Licht als noch vor fünf Jahren, als unsere Gruppe startete. Daran hat, zumindest für Deutschland, unser Projekt sicher einen kleinen Anteil– doch wir hatten insgesamt das Glück, oder vielleicht den richtigen Riecher, dass unsere Forschung mit einer internationalen Dynamik zusammenfällt, in der eine neue Generation von Politikwissenschaftlern sich der Nachrichtendienstthematik mit innovativen Ideen und Methoden nähert. In Deutschland wurde diese Dynamik neben der Arbeit der Stasi-Unterlagen behörde auch besonders von der großen seit 2009 eingerichteten Historikerkommission des BND befeuert, die zumindest der Nachrichtendienstforschung erhebliche Sichtbarkeit verschafft hat. Hierbei ist insbesondere dem Umstand Rechnung zu tragen, dass aufgearbeitete historische Sachverhalte und Entwicklungen im Bereich der Nachrichtendienste eine wertvolle empirische Grundlage für andere Forschungsrichtungen bildet, die es aufgrund der Geheimhaltungsvorschriften zur jüngeren Vergangenheit oder Gegenwart in der Regel nicht geben kann. Auch die etablierten britischen oder amerikanischen Intelligence Studies basieren überwiegend auf historischem, inzwischen freigegebenen Material.
Darüber hinaus hervorzuheben sind interdisziplinär orientierte Forschungsrichtungen:
am in Berlin ansässigen Wissenschaftszentrum für Sozialforschung (WZB)
an der Hochschule des Bundes für Öffentliche Verwaltung im Rahmen des Masterstudiengangs Intelligence and Secuity Studies (MISS)
am CISS an der Universität der Bundeswehr in München in Kooperation mit der Hochschule des Bundes
an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt, wo ein Promotionsvorhaben zum Thema niederländische Intelligence betreut wird, und Drittmittelanträge zum Thema Desinformation und Public Intelligence eingereicht worden sind.
in Großbritannien neben zahlreichen, zum Teil seit Jahrzehnten seit Jahrzehnten etablierte Zentren an einzelnen Universitäten, insbesondere die King's Intelligence and Security Group (KISG) und in den Niederlanden der dynamisch expandierende Fachbereich „Intelligence and Security“ an der Universität Leiden.
An zu bearbeitenden Themen mangelt es selbstverständlich nicht. Die Forschungslücken sind groß, sowohl auf der empirischen, als auch auf der theoretischen und methodischen Seite. Ich habe hier nachstehend nur einmal exemplarisch besonders aktuelle und vielleicht auch dringende Themen aufgelistet. Die Reihe ließe sich leicht fortsetzen:
Desinformation, hybride Kriegsführung, Geoökonomie.
Nachrichtendienste als internationaler Machtfaktor.
Wahrheitsfindung, Rolle von Nichtwissen, Methodenentwicklung.
Soziologie von Nachrichtendiensten.
Gerade die vielen Fragen, die durch die Informationsrevolution 2.0, wenn man sie so nennen will, aufgeworfen werden, also die Flut an Informationen, die von extrem dezentralisierten Akteuren an eine Massenöffentlichkeit gelangen, sind größtenteils völlig unbeantwortet. Fragen, z.B. nach Informationshoheit des Staates, die Möglichkeiten und der Wert von Geheimhaltung, die Verbreitung von Desinformation und Propaganda, die wiederum Auswirkungen auf Fragen der Wahrheitsfindung und gesellschaftlichen Konsens hat. Nicht zuletzt bleibt auch das weite, noch weitestgehend unbearbeitete, aber sehr interessante Feld der Nachrichtendienstsoziologie als ergiebige Quelle für die Entwicklung spannender Forschungsprojekte.
Damit bin ich am Ende meines Vortrags angekommen. Ich freue mich sehr auf die Podiumsdiskussionen und die anschließenden Gespräche.