Eine Europäische Nachrichtendienstagentur?

Stellungnahme zum Entwurf des Europawahlprogramms von Bündnis 90/Die Grünen


Die folgende Fassung des Papers enthält keine Fußnoten. Die vollständige Fassung können Sie über das PDF abrufen

Dr. Gerhard Conrad


  • Die Partei Bündnis90/Die Grünen fordern im aktuellen Entwurf ihres Europawahlprogramms die Einrichtung einer „Nachrichtendienstagentur“ in Anlehnung an die bestehenden polizeilichen Kooperationsstrukturen von Europol.

  • Hiermit könne sowohl die außen- und sicherheitspolitische Entscheidungsfindung innerhalb der EU weiter unterstützt als auch die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten intensiviert werden.

  • Die Überlegungen sind in den anderen Parteien bisher auf skeptische erste Reaktionen gestoßen, die jedoch ihrerseits notgedrungen ebenso allgemein ausfallen wie die Vorschläge im Wahlprogramm.

  • Angesichts der Zeitenwende besteht grundsätzlich allgemeine Übereinstimmung, dass die Wehrhaftigkeit der westlichen Wertegemeinschaft nicht nur im nationalen Rahmen sondern auch in EU und NATO den Herausforderungen angepasst werden muss.

  • Einem Paradigmenwechsel der öffentlichen politischen Wahrnehmung kommt hierbei gleich, dass in die Forderung nach angemessener Ertüchtigung zunehmend auch die Nachrichten- und Sicherheitsdienste einbezogen werden.

  • Die Erörterungen befinden sich vor dem Hintergrund der jahrzehntelangen politischen Nichtbefassung mit sicherheitspolitisch bedingten Befähigungsmerkmalen der Dienste noch in einem Anfangsstadium. Dies gilt insbesondere auch für Kooperationsstrukturen in der Europäischen Gemeinschaft.

  • Angesichts der Komplexität der Materie wie der involvierten nationalen und institutionellen Interessen werden tragfähige Ergebnisse jedoch nur mit einem vertieften Verständnis der bestehenden, weiterzuentwickelnden oder zu überwindenden Strukturen und Abläufe erzielt werden können.

  • Im Folgenden soll versucht werden, einen fachlich fundierten Beitrag zu den zu erhoffenden Diskussionen und Initiativen im Hinblick auf die im Herbst 2024 beginnende nächste Legislatur von Parlament, Kommission und Rat zu leisten.


Im Juni 2024 wird ein neues Europäisches Parlament gewählt, bis Jahresende eine neue Kommission bestellt, ebenso wie eine neue Ratspräsidentschaft. Die letzte State of the Union-Rede der Kommissionspräsidentin von der Leyen am 13.09.2023 verdeutlich in ihrem Ausblick die Herausforderungen für die nächste Legislaturperiode:

„We will need to think about how our institutions would work – how the Parliament and the Commission would look. We need to discuss the future of our budget – in terms of what it finances, how it finances it, and how it is financed. And we need to understand how to ensure credible security commitments in a world where deterrence matters more than ever. These are questions we must address today if we want to be ready for tomorrow. … This is why we will put forward our ideas to the Leaders' discussion under the Belgian Presidency”.

Die Belgische EU-Präsidentschaft von Januar bis Juni 2024 wird die letzte dieser Legislaturperiode und als solche ebenso geprägt sein von den programmatischen Vorbereitungen der im Wahlkampf antretenden Parteien wie von Vorschlägen und Initiativen der EU-Institutionen für die mögliche Weiterentwicklung der Union bis 2029. Vor diesem Hintergrund ist es von Belang, die sich in den kommenden Monaten entwickelnden sicherheitspolitischen Vorstellungen der Parteien – auch im Hinblick auf nachrichtendienstliche Belange – zu betrachten.

In ihrem am 14.09.2023 vorgestellten Programmentwurf für die Wahlen zum Europaparlament im Juni 2024 hat die Partei Bündnis90/Die Grünen auch sicherheitspolitische Konsequenzen aus den tektonischen geopolitischen Verschiebungen der vergangenen Jahre gezogen.

Gefordert werden mithin eine deutliche Stärkung der Mechanismen für eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union (GASP, GSVP), in deren Rahmen der bisherige Europäische Auswärtige Dienst (EAD) zu einem europäischen Außenministerium einschließlich konsularischer Kompetenzen emanzipiert und der bisherige Hohe Vertreter zum europäischen Außenminister aufgewertet werden sollen.

Die Fähigkeit zur effektiven Landes- und Bündnisverteidigung wird als unbestreitbare Notwendigkeit ebenso anerkannt und gefordert wie eine hierauf gerichtete optimale Zusammenarbeit in der EU auf der Grundlage des Strategischen Kompass‘ und in der NATO im Rahmen des Strategischen Konzepts.

Effektivere Aufstellung der europäischen Nachrichtendienste

Auch die Nachrichtendienste seien effektiver aufzustellen, insbesondere angesichts des grenzüberschreitenden Terrorismus, geheimdienstlicher Aktivitäten, der Wirtschaftsspionage oder auch der Desinformationskampagnen, mit denen die bestehende liberale und offene Gesellschaft bedroht werde. All dem, einschließlich gefährlichen Angriffen auf kritische Infrastruktur, gelte es, gemeinsam und entschlossen entgegenzutreten. Die Nachrichtendienste spielten dabei eine wichtige Rolle und seien Teil einer wehrhaften Demokratie. Zu beanstanden sei jedoch, dass Informationen und Erkenntnisse europaweit nicht ausreichend geteilt und damit die Arbeit der Dienste behindert würden. Effektive und demokratische Nachrichtendienste seien daher zu fordern, damit die Sicherheit der EU global besser gewährleistet werden könne. Zu diesem Zweck solle eine europäische Nachrichtendienstagentur gegründet werden, in der in den Mitgliedstaaten gesammeltes Wissen, unter Einhaltung strenger rechtlicher Vorgaben, zusammengeführt und ausgewertet werden könne, um die Analysefähigkeit zu stärken. Die Agentur sei demokratisch legitimierten und rechtsstaatlichen Kontrollmechanismen zu unterwerfen. Nachrichtendienstliche Befugnisse seien europaweit auf klare Rechtsgrundlagen zu stellen, effektiv zu begrenzen und einer parlamentarischen Kontrolle in allen Mitgliedstaaten zu unterziehen. Eine bessere Vernetzung und Kooperation der mitgliedstaatlichen Aufsichtsbehörden auf europäischer Ebene sei ebenfalls anzustreben.

Diese Vorstellungen sind vorab in einem Gastbeitrag von Omid Nouripur, Konstantin von Notz und Irene Mihalic für die Frankfurter Allgemeine vom 11.09.2023 noch etwas ausführlicher dargelegt worden. Europäischer Zusammenarbeit müsse angesichts der akkumulierten Bedrohungen für Freiheit, Selbstbestimmung, Sicherheit, Stabilität und Prosperität eine besondere Bedeutung beigemessen werden. Hierbei sei eine verstärkte Zusammenarbeit der Polizei- und Sicherheitsbehörden der europäischen Demokratien maßgeblich, und damit auch der „Nachrichtendienste als tragende Säulen einer wehrhaften Sicherheitsarchitektur“. Bisher gebe es eine nachrichtendienstliche Zusammenarbeit vor allem auf informeller Basis. Um dies strukturell auszubauen, werde die Gründung einer „Europäischen Nachrichtenagentur“ vorgeschlagen. Hierdurch könnten

„nationale Nachrichtendienste Informationen auf europäischer Ebene miteinander teilen, Bedrohungen frühzeitig erkennen und Maßnahmen noch stärker gemeinsam, eben grenzüberschreitend, abstimmen“.

In Anlehnung an das erfolgreiche Modell von Europol könnte so das bestehende europäische „Intelligence Analysis Centre“ (EU-INTCEN) und das „Intelligence Directorate of the European Military Staff“ (EUMS.INT) zusammengeführt und zur Nachrichtenagentur ausgebaut werden. Investitionen in Personal und Ausstattung seien hierfür notwendig.

Eine derartige Vernetzung vereinfache nicht nur die europäische Koordination, sondern stärke auch die nationalen Nachrichtendienste: Wo Wissen zusammengeführt und dadurch eigenes nachrichtendienstliches Aufkommen durch die Erkenntnisse anderer komplettiert werde, stärke dies die Analysefähigkeit aller. Das helfe wiederum, politische Entscheidungsträger auf nationaler und europäischer Ebene besser beraten und informieren zu können.

Eine verstärkte nachrichtendienstliche Zusammenarbeit werde durch effektive und demokratisch legitimierte Kontrollmechanismen begleitet werden müssen, um rechtsstaatliches Handeln zu gewährleisten. Die Gründung einer europäischen Nachrichtendienstagentur erfordere klare Rechtsgrundlagen sowie eine effiziente Kontrolle. Umgekehrt müsse sichergestellt werden, dass eine verstärkte Kooperation mit klaren Anforderungen an rechtsstaatliches Handeln der Nachrichtendienste in den Mitgliedstaaten einhergehe. Auf diese Weise sichere die intensivere Zusammenarbeit gleichzeitig das Ziel, die europäischen Demokratien wehrhafter zu machen und ihre Rechtsstaatlichkeit zu schützen. Nicht zuletzt stärke die Gründung einer eigenständigen Agentur in einem solch wichtigen sicherheitspolitischen Bereich auch die EU als Ganzes. Auf der globalen Bühne verhelfe sie Europa zu mehr Souveränität und einer effektiveren Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

Liberale demokratische Gesellschaften müssten wehrhaft sein und sich in einer globalen Welt, die immer mehr von nationalistischen und hegemonialen autoritären Staaten geprägt werde, behaupten. Sicherheit dürfe daher nicht länger allein nationalstaatlich gedacht oder in die Hände anderer gelegt werden. Gerade in diesem Bereich sei das Potenzial europäischer Zusammenarbeit noch nicht voll ausgeschöpft. Ein starkes und geeintes Europa könne die Sicherheit geben, nach der sich so viele Menschen sehnten. Zweifelsohne würden auch die Nachrichtendienste eine wichtige Säule der europäischen Sicherheitspolitik sein: demokratisch legitimiert, effektiv und rechtsstaatlich kontrolliert.

Erste Reaktionen

Die ersten den Medien zu entnehmenden Reaktionen in Deutschland sind durchweg skeptisch bis ablehnend:

„Gut gemeint – aber unnötig“,

so der Tagesspiegel vom 13.09.20237,

„kein Mehrwert“,

so die CDU,

„man solle erst einmal darüber sprechen, wie die deutschen Dienste schlagkräftiger gemacht werden könnten“

so die SPD,

es sei „befremdlich“, dass gerade die Grünen neue und letztlich kaum kontrollierbare Geheimdienststrukturen forderten“,

so die Linke. Die Dienste tauschten sich ja bereits aus, „auf Zuruf“, die Zusammenarbeit bestimmten jedoch nationale Eigenheiten, es gebe eingespielte Wege, auch auf dem sehr kurzen und schnellen Dienstweg. Den Austausch müsse man nicht mehr etablieren, man müsse ihn höchstens noch bündeln“, Zusammenarbeit gehe auch ohne kompetenzstarke Zentralbehörde, etwa über die Counterterrorism Group (CTG) und den Berner Club.

Klare Begrifflichkeiten fördern klare Konzepte

So begrüßens- und unterstützenswert Initiativen zur notwendigen Stärkung der Nachrichtendienste auch auf europäischer Ebene im Interesse der gemeinsamen Sicherheit und Handlungsfähigkeit sind, so wichtig ist es bei der Formulierung neuer Konzepte jedoch auch, die jeweiligen politischen und rechtlichen Bedingtheiten im Auge zu behalten: Wie also ist der Stand der Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten in Europa beziehungsweise in der Europäischen Union, was bekanntlich ein wesentlicher Unterschied in der Sache ist?

Wer soll/will/kann überhaupt kooperieren? Zivile oder militärische Auslandsnachrichtendienste, interne Sicherheitsdienste ohne exekutive Befugnisse oder Sicherheitspolizeien? Auf welchen Ebenen wird nach welchen Prinzipien, Zuständigkeiten und Verfahren kooperiert? Was ist überhaupt Gegenstand der Kooperation, operativ-taktische Hinweise mit exekutiver oder anderweitig operativer Relevanz, oder „strategic intelligence“; die in erster Linie politische Entscheidungsträger aller Art in ihrer Handlungssicherheit und Entscheidungsfindung unterstützen soll?

Was soll mithin konkret weiterentwickelt oder neu aufgestellt werden, auf welcher Grundlage, mit welcher Zielsetzung und in welchem organisatorischen und rechtlichen Rahmen? Zu all diesen Fragen existiert bereits umfängliches politik- und rechtswissenschaftliches, auch von praktischen Erfahrungswerten geprägtes Schrifttum, das bei einer in den kommenden Monaten zweifellos erforderlichen präziseren Darstellung und sachkundigen Erörterung parteipolitischer Programmatik in diesem Feld, und dies nicht nur durch die Partei Bündnis90/DieGrünen, durchaus weiterhelfen kann.

Allseits bekannt sein sollte zunächst einmal, dass nach bisher immer noch überwiegender Ansicht Nachrichtendienste als essentieller Teil der nationalstaatlichen Prärogativen der EU-Mitgliedstaaten gelten, ebenso wie Außen- und Sicherheits- und Verteidigungspolitik, im Übrigen auch das Konsularwesen, dessen konstitutive Grundlage die jeweilige Staatsangehörigkeit und damit ein Kernbereich staatlicher Souveränität ist. Artikel IV, Absatz 2 der Europäischen Verträge belässt all jene Bereiche in der originären Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, denen es natürlich frei steht, nach Maßgabe ihrer souveränen Entscheidung entweder in bilateralem oder multilateralem Rahmen intergouvernemental zusammenzuarbeiten oder einzelne Handlungsfelder an eine EU-Institution abzugeben oder im Rahmen einer von ihnen gegründeten Agentur zu bearbeiten. Sie müssen es eben nur auch alle zusammen wollen, aufgrund der Prinzips der Einstimmigkeit, das wiederum nur in einstimmiger Entscheidung überwunden werden kann.

Position und Funktionalität von Nachrichtendiensten im EU-Rahmen

Vor diesem Hintergrund und auf dieser Grundlage arbeiten Nachrichten- und Sicherheitsdienste bisher in folgenden EU-Formaten:

  • Zivile Auslandsnachrichtendienste im Rahmen des EU-Intelligence Analysis Centre (EU-INTCEN), im Bereich der strategic intelligence mit der Aufgabe, Entscheidungsträger in der EU und ihren Mitgliedstaaten mit Lagefeststellungen und Lagebeurteilungen (situational awareness and strategic foresight) zu versorgen und damit einen gemeinsamen Ausgangspunkt für kollektive Meinungsbildung und Entscheidung in den Ratsstrukturen der Gemeinschaft anzubieten.

  • Militärische Auslandsnachrichtendienste im Rahmen des Intelligence Directorate des European Military Staff (EUMS.INT), mit einer vergleichbaren Aufgabenstellung im Bereich der verteidigungs- und militärpolitischen Entscheidungsfindung im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP). Auch hier handelt es sich um „strategic intelligence“, nicht um Informationen, die zur Ausplanung oder Durchführung militärischer Operationen genutzt werden.

  • Sicherheitsdienste im Rahmen des EU INTCEN mit der seit 2005 so formulierten Aufgabe, politische Entscheidungsträger in Kommission und dem Rat der Innen- und Justizminister (JHA-Council) über „alle Aspekte terroristischer Bedrohung“ zu informieren, erneut mit dem Ziel, zu einer gemeinsamen sachkompetenten Grundlage für legislative und regulative Akte der Gemeinschaft und intergouvernementale Koordination im „Gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (RFSR) beizutragen. Auch hier findet ein Austausch operativer, personenbezogener Daten nicht statt.

    Gleiches gilt für die seit 2016 im INTCEN auf Anregung der Mitgliedstaaten geschaffene Hybrid Fusion Cell (HFC), in der auf der Grundlage vielfältiger nachrichtendienstlicher wie offener Informationen Lageberichte und Analysen zu Art, Umfang, Hintergründen und Imminenz hybrider Bedrohungen aus dem Cyberraum ebenso wie in den Bereichen Subversion, Diversion und Sabotage für die jeweiligen Entscheidungsträger in der EU und in den Mitgliedstaaten erstellt werden.

Die Zusammenarbeit der Dienste richtet sich in all den genannten Bereichen also auf die Unterstützung der geschaffenen europäischen Strukturen, deren Produkte auf der Grundlage von „finished intelligence“, also der für die EU freigegebenen Ausgangsberichterstattung der nationalen Nachrichtendienste, zustande kommen und als solche wiederum allen Mitgliedstaaten zugutekommen. Es handelt sich bei diesen Produkten mithin um eine thematisch konzentrierte Synthese und finale Analyse von nachrichtendienstlichen Erkenntnissen aus den verschiedensten Diensten und Staaten der EU („all sources intelligence“), mit der umfassende Lagefeststellungen und Lagebeurteilungen für politische Entscheidungs- und Planungsebenen in den EU-Institutionen erstellt werden. Vergleichbare nationale Strukturen gibt es vornehmlich im angloamerikanischen Raum in Form von Analysestäben in Premierminister- oder Präsidialadministrationen. Bekanntlich ist in Deutschland diese Form der Spitzenberichterstattung und ressortübergreifenden Entscheidungsfindung bisher ebenso konsequent wie sachwidrig vermieden worden.

EU-INTCEN und EUMS.INT sind mithin keineswegs in erster Linie Foren für eineKooperation zwischen den Diensten, sie dienen vielmehr der Konzertierung von freiwilligen einseitigen Unterstützungsleistungen der nationalen Dienste zugunsten der europäischen politischen und militärischen Entscheidungsstrukturen. Dass diese Konzertierung durchaus auch zuverbesserter Kooperation und Abstimmung zwischen den auswertenden Abteilungen der Dienste führen kann und häufig auch führt, ist ein willkommener Kollateraleffekt, nicht jedoch der Hauptzweck der Unterstützung von EU-INTCEN und EUMS.INT.

Eine operativ wirksame, von einer EU-Stelle koordinierte oder gar geleitete Zusammenarbeit zwischen den Nachrichten- und Sicherheitsdiensten der EU-Mitgliedstaaten gibt es nicht. Dies entspricht dem erklärten Willen einer bisher vermutlich weiterhin bestehenden Mehrheit der jeweiligen Regierungen, mehr noch ihrer Dienste. Hier sind die gleichen unterschiedlichen, nicht selten auch gegenläufigen nationalen Mentalitäten und politischen wie operativen und rechtlichen Interessenlagen und Bedingtheiten am Werk wie in den Feldern der militärischen, außen- und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit. Allen seit den Terroranschlägen von 2015 und 2016 von Seiten der Kommission im Rahmen der „Security Union“ unternommenen Versuchen, eine auch nur suprastaatlich angehauchte Form der operativen Kooperation unter EU-Ägide herbeizuführen, ist energischer Widerstand entgegengesetzt worden, und dies eben nicht nur von Seiten der Dienste, sondern eben auch ihrer Regierungen. Die „domaine réservée“ ist nicht nur einer gerne scheinheilig beklagten „Eigensucht der Dienste“ geschuldet, sondern dem klaren Interesse der nationalen Regierungen, sich im „Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung“ nicht von dritter Seite, und schon gar nicht von einer ausländischen, hereinreden zu lassen. Hier sind die Dienste originärer Ausdruck und Emanation des genuinen nationalen Eigen- und Partikularinteresses der Machtstrukturen eines jeden EU-Mitgliedstaates, dessen Regierungen über die Weitergaben ihrer Staatsgeheimnisse und sonstigen Interna allenfalls fallbezogen und interessegeleitet entscheiden möchten. Hierüber sollte europäische Solidaritätsrhethorik eigentlich nicht hinwegtäuschen können.

Vor diesem Hintergrund ist es sachlogisch naheliegend, dass operativ relevante und orientierte Zusammenarbeit zwischen nationalen Nachrichtendiensten einer klaren interessegeleiteten Logik und Zielsetzung folgt. Unabdingbare Grundlagen für den Regelfall der bilateralen Zusammenarbeit sind ein konkret definiertes, gemeinsames fallbezogenes Interesse und ein ausreichendes Vertrauen in die Kompetenz und Seriosität des Kooperationspartners, also auch in seinen Willen und seine Fähigkeit zu Vertragstreue und Geheimhaltung. Gleiches gilt notwendig auch für eine multilaterale Zusammenarbeit, wobei hier aufgrund der größeren Anzahl der Partner und ihrer jeweiligen unterschiedlichen Interessenlagen und Bedingtheiten die Herausforderungen für die Schaffung einer soliden Grundlage ungleich größer sind: Wer kann sicher gehen, dass bei einer mit großen Zahlen notwendig einhergehenden Heterogenität einer Gruppe das notwendige Maß an gemeinsamer Orientierung und gegenseitiger Loyalität gegeben ist und insbesondere auch über den Verlauf einer Zusammenarbeit hinweg anhält?

Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass vergleichbare Probleme ja auch auf nationaler, bundesdeutscher Ebene im Bund-Länderverhältnis der unterschiedlichen Sicherheitsbehörden bestehen und über anspruchsvolle Koordinationsformate wie das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum (GTAZ) gemildert, jedoch nicht überwunden werden können. Wie wollte man eine größere Integrations- und insbesondere eine damit notwendig verbundene Subordinationswilligkeit der gleichen Akteure dann ausgerechnet auf europäischer Ebene unterstellen wollen?

Zusammenarbeit europäischer Nachrichtendienste außerhalb der EU

Bekanntlich bestehen jedoch trotz allem auch internationale Kooperationsformate, zudem auch durchaus effektive, wie die Counter Terrorism Group (CTG) und der diesem zugrundeliegende Berner Club, ein seit den sechziger Jahren bestehender, freiwilliger Zusammenschluss europäischer und (einiger handverlesener internationaler) Sicherheitsdienste, die sich zur Bewältigung von präzise definierten gemeinsamen Herausforderungen wie der ehemals sowjetischen, heute russischen Spionage oder aber eben nach 09/11 des internationalen islamistisch motivierten Terrorismus zusammengefunden haben.

Die Zusammenarbeit folgt hierbei jedoch einem Kollegialprinzip mit rotierenden Präsidentschaften auf Leitungs- wie Arbeitsebenen, also wie in den meisten internationalen Organisationen souveräner Staaten, und auch hier verbunden mit den Risiken von Inkohärenz und struktureller Entscheidungsschwäche. Diese lassen sich in der Regel nur in Zeiten konkreten und massiven äußeren Drucks auf die Mehrzahl der Mitglieder überwinden, etwa angesichts einer gemeinsamen Bedrohung, die auch als solche perzipiert wird. Vor diesem Hintergrund hat sich die CTG zum Jahreswechsel 2015/2016 eine strukturierte und offenbar leistungsfähige Koordinationsplattform zum gegenseitigen Austausch terrorismusrelevanter Hinweise gegeben, über die Fortschritte in der koordinierten grenzüberschreitenden Bearbeitung von Verdachtsfällen erzielt werden konnten und können. Hier wird mithin nicht „auf Zuruf“ gearbeitet, sondern kontinuierlich, wenngleich wohl überwiegend fall- und phänomenbezogen. Treiber der Zusammenarbeit ist jedoch keine übergeordnete Stelle, sondern allenfalls ein Sekretariat mit seinen ablauforganisatorischen Kompetenzen, die jedoch ihrerseits ihre praktischen Grenzen in der individuellen Kooperationswilligkeit oder -fähigkeit der nationalen Dienste finden. Die Leistungsfähigkeit derartiger Strukturen hängt maßgeblich vom gemeinsamen gleichgerichteten Willen der Teilnehmer ab, und dieser wiederum von einer in Intensität wie Ausrichtung gemeinsamen Bedrohungsperzeption. Gemeinsam als solche perzipierte Herausforderungen können zu eindrucksvollen Höchstleistungen führen. Auch hier gilt jedoch auch „mutatis mutandis“ die Weisheit aus Hermann Hesses Gedicht „Stufen“: „Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise / Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen, / Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, / Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen“. So geht es eben auch im administrativen, tendenziell herausforderungsarmen Gleichmaß der Tagesroutine zu.

Wo besteht welcher Handlungsbedarf?

Unstrittig ist, dass die EU im Bereich der gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GASP/GSVP) noch ganz erheblichen Verbesserungs- und Nachholbedarf hat, um in diesen Politikfeldern auf internationaler Ebene oder gar im globalen Rahmen als glaubhafter Akteur auftreten und wirken zu können. Hierzu zählt auch die Befähigung zur zeitgerechten, qualitätsvollen gemeinsamen zivilen wie militärischen Lagefeststellung, Lagebeurteilung und strategischen Vorausschau. Eine Kernkompetenz ist hierfür bereits vom ersten Hohen Beauftragten Javier Solana im Zusammenwirken mit den EU-Mitgliedstaaten in den frühen 2000er Jahren mit EU-INTCEN (zunächst SITCEN) und EUMS.INT geschaffen worden.

Die seither bestehenden Strukturen sind jedoch von Anfang an naturgemäß von politischen Kompromissen, Improvisationen und Beschränkungen geprägt gewesen. Die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen und Bedrohungen bedingen eine neue Qualität europäischer Handlungsfähigkeit und damit einhergehend eine neue Qualität europäischer Befähigungen zur integrierten sicherheitspolitischen Lagefeststellung und Lagebeurteilung als Grundlage für gemeinsames planvolles und situationsangemessenes Vorgehen. Hierzu gilt es, die bisherigen, durch Personalmangel, materielle und organisatorische Defizite in ihrer Leistungsfähigkeit unnötig eingeschränkten Strukturen von INTCEN und EUMS.INT zu reformieren und zu stärken, sowohl durch eine verlässliche Selbstverpflichtung der unterstützenden Mitgliedstaaten zu deren erweiterter personeller und materieller Ausstattung als auch durch den Ausbau der Befähigungen in den Bereichen der offenen Informationsgewinnung und Analyse.

Hier können die Ambitionen im Prinzip bis hin zur Schaffung von mitgliedstaatlich unterstützten Lagestrukturen des EAD oder des Rates auf der Grundlage von „finished intelligence“ und OSINT gehen wie sie zum Beispiel im Außenministerium der USA anzutreffen sind. In diese Richtung mögen auch die Äußerungen der Kommissionspräsidentin aus dem Herbst 2022 gegangen sein, von denen jedoch in der Folge jedenfalls in der Öffentlichkeit nichts mehr zu hören war. Der Strategische Kompass der EU enthält deutliche Hinweise auf eine derartige Stärkung der Lagestrukturen, doch auch hier kann im ersten Fortschrittsbericht von 2023 nicht mehr als eine vorsichtige Formulierung entdeckt werden, dass „entsprechende konzeptionelle Planungen in den kommenden Monaten vorgelegt werden könnten“. Hier besteht mithin ausreichend Raum und Bedarf für politische Initiativen zu nachhaltiger und spürbarer Verbesserung innerhalb des bereits bestehenden Rahmens und auf der Grundlage des von den Mitgliedstaaten verabschiedeten Mandats im Strategic Compass. Grundsätzlich könnte hier natürlich auch erwogen werden, eine dem EU Satellite Centre (EU SATCEN) vergleichbare GASP/GSVP-Agentur28 von den Mitgliedstaaten schaffen zu lassen.

Die Aufgabenstellungen und Strukturen wären durchaus vergleichbar: Auch das SATCEN ist – wie INTCEN und EUMS.INT – in erster Linie ein hochspezialisiertes Analysezentrum zur Unterstützung der Entscheidungsprozesse der EU durch GEOINT-Produkte, die ihrerseits auf der Grundlage von IMINT-Beiträgen der Mitgliedstaaten und kommerziell erworbener Satellitenbilder (sozusagen OSINT) erstellt werden. Die Fachleute rekrutieren sich mehrheitlich aus den entsprechenden Bereichen der Mitgliedstaaten. Das SATCEN untersteht in seiner Aufgabenwahrnehmung dem Hohen Repräsentanten, budgetär und operativ jedoch den Mitgliedstaaten, die in einem Gouverneursrat über Finanzierung, Aufbau- und Ablauforganisation, Infrastruktur, technische Ausstattung und Personal entscheiden. Denklogisch könnten die Aufgaben von INTCEN und EUMS.INT in vergleichbarer Weise zumindest im Bereich der Erstellung und Verbreitung von strategic intelligence-Produkten organisiert werden. Unter der Voraussetzung eines entsprechenden politischen Willens der Mitgliedstaaten würde dann auch eine wesentlich größere Gestaltungsfreiheit in budgetären, personalwirtschaftlichen und infrastrukturellen Fragen bestehen, die sich bisher im Kontext der EU nicht haben befriedigend lösen lassen. Der von den Mitgliedstaaten zu tragende finanzielle Aufwand für die Erstinvestitionen (Gebäude, Infrastruktur, technische Ausstattung) wie für die Folgekosten (Unterhalt, Betrieb und insbesondere Personal) wäre allerdings ganz erheblich. Ob sich hier ein entsprechendes Engagement angesichts der sicherheitspolitischen Zeitenwende generieren lassen würde, wäre hier erst einmal zu prüfen.

Ebenso klar ist, dass auch eine effektivere Ausgestaltung des Raums der gemeinsamen Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Rahmen der Sicherheitsunion noch erheblicher Fortschritte im Bereich der Rechtsangleichung wie der abgestimmten Verfahren auf polizeilicher und letztlich auch nachrichtendienstlicher Ebene bedarf. Hier kann „man“ eine Stärkung von Europol bis hin zu seiner Transformation von einer koordinativen zu einer exekutiven Agentur in Umsetzung europäischer strafrechtlicher Normen und strafprozessualer Verfahren, einschließlich einer Rechtswegegarantie für Betroffene, anstreben. Der Umfang der hierfür erforderlichen komplexen legislativen und administrativen Maßnahmen und Projekte ist allerdings erheblich; die gemeinsame politische Willensbildung der EU-Mitgliedstaaten eine notwendige Voraussetzung.

In gleicher Weise kann natürlich auch über eine Europol in ihren koordinativen (!) Funktionen vergleichbare Agentur zur Strukturierung und Verbesserung des fallbezogenen operativen nachrichten- und sicherheitsdienstlichen Informations- und Erkenntnisaustauschs zwischen den Diensten und Behörden, einschließlich einer Kooperation mit Europol und anderen Agenturen wie Frontex, nachgedacht werden, zumindest aber angesichts der föderativen Strukturen und Zuständigkeiten der EU über eine Art europäisches GTAZ, in das am Ende vielleicht sogar die rein intergouvernementalen Strukturen eines CTG oder Berner Clubs überführt werden könnten. Es sollte jedoch Klarheit darüber herrschen, dass es sich hier um ein politisch wie rechtlich äußerst voraussetzungsvolles Vorhaben handelt, das den bisherigen organisatorischen und rechtlichen Rahmen der EU grundlegend verändern würde. Das bedeutet nicht, dass derartige Ziele nicht formuliert und als erstrebenswert bezeichnet werden können. Die Voraussetzungen und Implikationen eines solchen Großprojekts sollten jedoch im Interesse realistischer Planungs- und Aktionshorizonte und politischer Glaubwürdigkeit angemessene Berücksichtigung finden.

Realismus, Umsicht, Sachkunde und Tatkraft sind angesagt

Erkenntnis in die Bedingtheiten des eigenen Handelns ist eine Grundvoraussetzung für Kompetenz und Erfolg, auch hier gilt „Lagekompetenz geht vor Planungs- und Handlungskompetenz:

  • In Europa geht nichts ohne eine Koalition der Willigen, in der zunächst einmal Gemeinsamkeit in Zielsetzung und Verfahren zwischen relevanten Mitgliedstaaten hergestellt werden muss. Im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik werden seit 2017 solche Projekte im Rahmen der Permanent Structured Cooperation (PESCO) nach Artikeln 42.6 und 46 des EU-Vertrages seitens der interessierten Verteidigungsministerien unternommen.

  • Wer etwas im Bereich der europäischen Nachrichtendienstkooperation ändern will, wird gut beraten sein, in vergleichbarer Weise vorzugehen, sei es über PESCO oder über das Tool der für zivile Kooperationen eingerichteten Enhanced Cooperation (ENCO). Ohne eine solide gemeinsame Interessengrundlage einiger relevanter EU-Mitgliedstaaten wird da jedoch, ebenso wie bei PESCO, nichts gehen. ENCO wie PESCO erfordern Regierungshandeln. Obere Bundesbehörden wie die deutschen Dienste stehen da nicht in vorderster Linie. Gefragt wäre hier eher ein – nicht existierender – Director National Intelligence im Ministerrang und angesichts der involvierten unterschiedlichen Ressorts (AA/BKAmt für EU-Fragen, BMI für BfV und JHA-Council, AA/BMVg für GASP und GSVP, einschließlich des Militärischen Nachrichtenwesens, BKAmt für den BND) der Bundeskanzler selbst im Rahmen seiner Richtlinienkompetenz, oder aber eben ein adäquat politisch mandatierter Sonderbeauftragter.

  • Unterhalb dieser Ebene lässt sich durchaus auch einiges bewegen, allerdings dann in Form freiwilliger nationaler Initiativen, etwa in einem strukturierten, langfristig angelegten und spürbaren personellen wie budgetären Engagement bei der Unterstützung von EU INTCEN und EUMS.INT. Mit gutem Beispiel vorangehen und andere mitziehen, heißt hier die Devise, quasi „im Verborgenen Gutes tun“ und in geeignetem Rahmen darüber reden, also "Führen durch praktisches Vorbild“. Auch hier gilt es jedoch unter den obwaltenden bundesdeutschen Verhältnissen, erst einmal eine handlungsfähige und handlungswillige ressortübergreifende Struktur zu schaffen, die mit der erforderlichen Kohärenz und einem einheitlichen Gestaltungswillen in konzertierter Weise in Brüssel wirkt. All dies ist in anderen auf Europa bezogenen Politikfeldern kein Neuland, für den Bereich der Nachrichtendienste jedoch um so mehr. Mithin gilt es hier, wie so oft, zunächst einmal einige Hausaufgaben im Interesse der eigenen Handlungsfähigkeit zu erledigen.

  • Dies gilt auch für die Unterstützung möglicher Initiativen des EAD und seines Hohen Beauftragten für Außen- und Sicherheitspolitik in Bezug auf die strukturierte Zusammenarbeit zwischen EU-INTCEN und EUMS.INT im Rahmen der „Single Intelligence Analysis Capacity“ (SIAC) und der Flankierung solcher Schritte über die Kommission, den Rat und ggf. auch das Parlament. Angesichts der auch medial bekannten endemischen Rivalitäten zwischen den Institutionen und ihren Leitungen bedarf es hier erneut gewichtiger politischer Impulse einer Coalition of the Willing aus Mitgliedstaaten.

  • Mit Sicherheit lässt sich auch im so wichtigen Bereich der zwischenstaatlichen Kooperation vieles verbessern und bewegen, allerdings erneut unter den Voraussetzungen der eigenen Handlungsfähigkeit und -willigkeit. Nur mit sichtbaren und relevanten Beiträgen zur gemeinsamen Problembewältigung lässt sich im Kreise der „Clubmitglieder“ etwas bewirken. Dies sagen Erfahrung wie gesunder Menschenverstand. Mit striktem „do ut des“ bis hin zur Krämerei wird hier nur selten etwas zu bewegen sein. Erneut werden hier spürbares Engagement, Verlässlichkeit, Zukunftsorientiertheit und gezielte Großzügigkeit Leitlinien des Handelns sein müssen.

  • Dem Hang zu frühzeitiger administrativer Strukturbildung für Einhegung und Kontrolle bis hin zu ambitionierten Kontrollarchitekturen wird – gerade auch im Interesse einer wirkungsvollen Coalition of the Willing – zu widerstehen sein, auch wenn dies Teil bundesdeutscher politischer DNA ist, jedoch in der Regel auch nur dort. Auch hier gilt, dass am Anfang das schöpfende Wort und die darauf aufbauende Tat stehen müssen. Kontrolle folgt den Realitäten, die es erst einmal zu konzipieren und zu schaffen gilt, nicht umgekehrt.

Ein Paradigmenwechsel auch für die Nachrichtendienste?

Ungeachtet kritischer fachlicher Anmerkungen bleibt jedoch zusammenfassend festzuhalten und zu würdigen, dass das Anliegen, Konsequenzen aus der „Zeitenwende“ auch für die Nachrichtendienste auf nationaler wie europäischer Ebene zu ziehen, zunehmend Raum greift.

Es sind eben nicht nur die Streitkräfte, die einer grundlegenden Revision, Ertüchtigung und Aufwertung bedürfen. In gleicher Weise müssen auch die Nachrichten- und Sicherheitsdienste im nationalen wie europäischen Rahmen in den Stand versetzt werden, den gravierenden Gefährdungen der Gegenwart und Zukunft standhalten zu können. Ohne rechtzeitiges Wissen ist kein bedrohungsadäquates Handeln – sei es in Vorbereitung oder unmittelbare Reaktion – möglich. „Vorbeugen ist besser als Heilen“ – nie war die Bedeutung dieser populären Weisheit so aktuell wie angesichts der gravierenden Folgen vorherigen Nichthandelns, mit denen wir uns gegenwärtig konfrontiert sehen. Einen ganz wesentlichen Beitrag zur Vorbeugung von Sicherheitsrisiken im Inneren wie Äußeren können angemessen ausgestattete und mandatierte Nachrichten- und Sicherheitsdienste leisten.

In diesem Sinne ist nur zu wünschen, dass ausgehend von den aktuellen Impulsen im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament und der Bildung einer neuen Kommission in zunehmendem Maße zielführende Initiativen und Überlegungen seitens europa- und sicherheitspolitisch gleichermaßen engagierter Parteien entwickelt und in der Folge auch umgesetzt werden. Angesichts der Komplexität der Materie und der Vielfalt der jeweils involvierten Akteure ist jedoch ein schrittweises, sich pragmatisch an jeweils realisierbaren Optionen orientierendes strategisches Vorgehen anzuraten.

Für den Vorstand


Dr. Gerhard Conrad

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