Fähige Nachrichtendienste für eine liberale Demokratie
Anmerkungen zur jüngsten Diskussion um Kontrolle und Befähigung der Nachrichtendienste
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Dr. Gerhard Conrad
Am 30. August veröffentlichte die FAZ unter der Überschrift „Selbstbewusste Nachrichtendienste für eine liberale Demokratie“ einen Gastbeitrag der FDP-Bundestagsabgeordneten Stephan Thomae, ehemaliges, und Konstantin Kuhle, aktuelles Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste (PKGr) im Deutschen Bundestag. Der Artikel ist grundsätzlicher Natur, zugleich jedoch auch erklärtermaßen eine Replik auf die kritischen Äußerungen der ehemaligen BND-Präsidenten August Hanning und Gerhard Schindler vom 06.08.2023 in der BILD am Sonntag.
Die Gegenüberstellung beider Beiträge verdeutlicht ein weiteres Mal die Problematik einer öffentlichen Diskussion bedeutsamer nachrichtendienstlicher Themen, in der die Grundfragen der Zweckbestimmung der Dienste und der daraus resultierenden Erfordernisse für deren Handlungsfähigkeit keine angemessene allseitige Berücksichtigung finden.
Im FAZ-Artikel wird für eine umfassende Kontrollarchitektur nachrichtendienstlicher Arbeit aller Dienste in Deutschland vor dem Hintergrund der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geworben. Hierdurch würde die Arbeit der Dienste gestärkt und legitimiert, nicht aber – wie von den ehemaligen BND-Präsidenten vorgebracht – geschwächt. Die Autoren des Gastbeitrags stellen in ihren Ausführungen das letztlich unstrittige Prinzip, dass staatliches Handeln und damit auch jenes der bekanntlich auf gesetzlicher Grundlage agierenden Nachrichtendienste verfassungsgemäß zu sein habe, als einzigen handlungsleitenden Maßstab für Politik, Gesetzgebung und Regierungshandeln in den Vordergrund. Nur in einer knappen Schlussbemerkung wird konzediert, dass zur „Verteidigung einer liberalen Demokratie gegenihre Feinde“ die „richtigen Instrumente“ erforderlich seien, „zu denen auch funktionierende und hinreichend ausgestattete Nachrichtendienste gehören“, die „gleichwohl einer umfassenden behördlichen und parlamentarischen Kontrolle unterliegen“. Zu den personellen, materiellen, methodischen, technischen und rechtlichen Voraussetzungen für „Funktionsfähigkeit“ und „hinreichende Ausstattung“ wird kein Wort verloren, noch weniger dazu, in welchem möglichen Spannungsverhältnis zwingend notwendige Befähigungen und Leistungsparameter zu rechtlicher Einhegung und Kontrolle stehen können, und wie derartige Zielkonflikte zu bewältigen seien. Die ebenso entscheidende wie komplizierte Frage nach den Kompromisslinien, die nötigenfalls zwischen Sicherheit und rechtlicher Einhegung und Kontrolle gezogen werden müssen, wird erst gar nicht gestellt, geschweige denn diskutiert. Was unter „hinreichender Ausstattung“ und „Funktionsfähigkeit“ zu verstehen sei, bleibt ebenfalls unerwähnt; die Wortwahl deutet jedoch auf einen eher minimalistischen Ansatz hin. Diesem wird jedoch entgegenzuhalten sein, dass alle Dienste und Einrichtungen, die für die elementaren Voraussetzungen innerer wie äußerer Sicherheit Verantwortung tragen, nicht „hinreichend“, sondern auftragsgemäß auszustatten, zu befähigen und zu mandatieren sind. Auch hier hat das immer gerne zitierte, jedoch offensichtlich ebenso gerne selektiv wahrgenommene Bundesverfassungsgericht „den Rahmen abgesteckt“, in dem es ein „überragendes öffentliches Interesse“ an einer „wirksamen (!) Auslandsaufklärung“ konstatiert:
„Die Auslandsaufklärung (zielt) immer auf Informationen, die Bedeutung für die Stellung und Handlungsfähigkeit Deutschlands in der Staatengemeinschaft entfalten und damit gerade in diesem Sinne von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung sind. Die Versorgung der Bundesregierung mit Informationen für ihre außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen hilft ihr, sich im machtpolitischen Kräftefeld der internationalen Beziehungen zu behaupten, und kann folgenreiche Fehlentscheidungen verhindern. Insoweit geht es mittelbar zugleich um die Bewahrung demokratischer Selbstbestimmung und den Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung – und damit um Verfassungsgüter von hohem Rang. In Frage steht mithin ein gesamt-staatliches Interesse, das über das Interesse an der Gewährleistung der inneren Sicherheit als solcher deutlich hinausgeht“.
Aufzuklären und abzuwehren sei eine
„Bedrohung für die verfassungsmäßige Ordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder der Länder sowie für Leib, Leben und Freiheit (…). Dies sind Rechtsgüter von überragendem verfassungsrechtlichen Gewicht, für deren Schutz der Gesetzgeber eine wirksame und zugleich rechtsstaatlich eingehegte Auslandsaufklärung als unverzichtbar ansehen kann“.
Die Frage, welche Mittel angesichts quantitativ und qualitativ zum Teil völlig neuartiger Bedrohungen und Risiken mit existenzgefährdendem Potential zu Auftragserfüllung überhaupt zu Gebote stehen, und wie unter welchen Voraussetzungen und in welcher Weise diese mit Aussicht auf den notwendigen Erfolg eingesetzt werden können, wie sich also eine liberale Demokratie wirksam gegen ihre Feinde verteidigen kann, wird notwendig am Anfang einer Betrachtung zu stehen haben. Sie wie im vorliegenden Beitrag in einem schlanken Satz, quasi inzidenter, zu postulieren, wird dieser existenziellen Frage nicht gerecht.
Es sei in diesem Zusammenhang erneut auf die im angloamerikanischen Raum etablierte Devise hingewiesen: „Strong capabilities need strong oversight“. Am Anfang steht erst einmal die Befähigung zur Selbstbehauptung gegen innere wie äußere Bedrohungen, deren Einsatz unter dem Primat der Wirksamkeit ebenso stehen muss wie unter jenem der Rechts- und Verfassungstreue. Wo Wirksamkeit durch den Primat der rechtlichen Einhegung beeinträchtigt oder in Frage gestellt wird, bedarf es einer transparenten (!) ethisch wie politisch zu verantwortenden Werteentscheidung des Gesetzgebers zugunsten der damit einhergehenden operativen Selbstbeschränkung. Hierbei dürfen auch die inhärenten negativen Konsequenzen für Sicherheit und damit letztlich Leib, Leben und Zukunftsfähigkeit der Menschen nicht verschwiegen werden, die in ihrer Lebensgestaltung auf das Sicherheitsversprechen ihres Staates vertrauen müssen. Es ist ein Gebot der politischen Lauterkeit, dieser Frage nicht aus dem Weg zu gehen.
Hinzugefügt sei auch, dass das so vollmundig postulierte „Selbstbewusstsein“ von Diensten und Sicherheitsbehörden letztlich nur auf überzeugenden, auftragsgemäßen Befähigungen beruhen kann. Hier sind Parallelen zur Bundeswehr durchaus angebracht. Streitkräfte, die nicht erst angesichts der Zeitenwende immer wieder als „bedingt einsatzbereit“ und „Sanierungsfall“ qualifiziert werden mussten, werden schwerlich mit einem adäquaten „Selbstbewusstsein“ auf nationaler wie internationaler Ebene auftreten und – wichtiger noch – agieren können. Es sollte nicht zu sehr überraschen, dass dies in gleichem Maße für alle (!) Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden gilt. Die im Rahmen der „Zeitenwende“ nunmehr „politisch korrekt“ gewordene öffentliche Bestürzung über den zuvor selbst herbeigeführten oder in Kauf genommenen desolaten Zustand der Bundeswehr und die damit einhergehende eilfertige „Rückbesinnung“ auf elementare Voraussetzungen der eigenen militärischen Selbstbehauptung und Vorsorge ist auch in der Diskussion um die Nachrichtendienste angebracht. Prioritär muss erst einmal die Kernfrage gestellt und fachlich fundiert beantwortet werden, wie die Dienste in ihrer personellen, materiellen und technischen Ausstattung sowie ihrer rechtlichen Mandatierung den globalen Herausforderungen absehbar gerecht werden können. Im Zusammenhang damit darf dann ein umfassendes System parlamentarischer, rechtlicher und administrativer Kontrolle kein Selbstzweck oder gar Vehikel für politische Profilierung sein.
In diesem Sinne sind letztlich auch die Einlassungen der ehemaligen BND-Präsidenten zu verstehen. Nur zu gerne, und häufig aus recht durchsichtigen Gründen der argumentativen Disqualifizierung, wird explizit oder implizit mangelndes Verständnis für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unterstellt, wenn nunmehr aus der Perspektive jener, die persönliche Verantwortung für die „wirksame Auslandsaufklärung“ zu tragen hatten, auf eben dieses Spannungsverhältnis zwischen notwendiger und verfassungsrechtlich wie politisch geforderter Handlungsfähigkeit einerseits und Einhegung und Kontrolle andererseits hingewiesen wird. Hierbei kann eben nicht verdrängt werden, dass Strukturen und Verfahren zur Kontrolle aufwändig sind. Sie erfordern den Aufbau leistungsstarker fachkompetenter Stellen, die allein schon aus Gründen der spezifischen Expertise auf Personal der Dienste zurückgreifen müssen. Zusätzlich werden über die erforderlichen Verfahren zur Antragstellung, Dokumentation und Berichterstattung teils erhebliche fachlich ausgewiesene personelle Ressourcen in den Diensten gebunden. Diesen doppelten „brain drain“ gilt es, bereits bei der Konzipierung und Ausplanung von Kontrollmechanismen vorausschauend durch Personalaufbau zu kompensieren, soll nicht durch die Einführung der Kontrollmaßnahmen ein spürbarer quantitativer Verlust an Handlungsfähigkeit eintreten. Dass diese Forderung leichter gestellt als angesichts der Arbeitsmarktlage erfüllt werden kann, wird hierbei ebenfalls zu berücksichtigen sein. Eine weitere Herausforderung liegt in der ablauforganisatorischen Gestaltung der Genehmigungs- und Kontrollmaßnahmen, die erneut dem Gebot zeitgerechter operativer Reaktions- und Handlungsfähigkeit Rechnung zu tragen haben, soll nicht die Aufgabenerfüllung der Dienste ad absurdum geführt werden. Je komplexer und voraussetzungsvoller Kontroll- und Genehmigungsstrukturen ausgestaltet werden, desto weniger werden sie rasche und flexible Handlungsfähigkeit ermöglichen. Dies gilt nicht zuletzt auch für Übermittlungsvorschriften, deren Umsetzung rasch und rechtssicher möglich sein, insbesondere aber auch dem Erfordernis einer effektiven Auftragserfüllung gerecht werden muss. Andernfalls führen sie zu vorsorglicher Untätigkeit oder Zeitverzug aufgrund mehrstufiger Bewertungs- und Entscheidungsprozesse und damit zu operativem Unvermögen. All dies gilt es bei der gesetzgeberischen Konzeption und administrativen Ausgestaltung von Kontrolle mit der notwendigen Ernsthaftigkeit und Lösungsorientierung zu bedenken und zu berücksichtigen. Normativer Elan allein führt hier nicht weiter.
Eine nähere Betrachtung der Feststellungen und Forderungen der ehemaligen BND-Präsidenten, wie im einzelnen Sicherheit „neu zu denken sei“, kann im vorliegenden Rahmen noch nicht erfolgen. Klar ist jedenfalls, dass sich allein schon aus Gründen von Leistungs- und Handlungs-fähigkeit aus der kritisierten Vielzahl historisch gewachsener, nicht selten unkoordinierter Kontroll- und Genehmigungsinstanzen und -verfahren ein Bedarf an Vereinheitlichung, Verfahrensstraffung und Normenklarheit ergibt. Es sollte jedoch ebenso klar und im Interesse der verfassungsrechtlich geforderten „Wirksamkeit“ staatlichen Handelns sein, dass hiermit im Ergebnis keinesfalls ein „Verwaltungs- und Regelungsmonster“, gar ein selbstreferentielles „verwaltungsrechtliches Glasperlenspiel“, entstehen darf. Nichts anderes steht hinter den diesbezüglichen Einlassungen der ehemaligen BND-Präsidenten ebenso wie hinter ihren Überlegungen zu neuen organisatorischen Strukturen und Zuständigkeiten in der Sicherheitsarchitektur des Landes und ihrer nur zu berechtigten Forderung, den Diensten in der öffentlichen Diskussion das gleiche Maß an Konstruktivität und Willen zu Reform und Ertüchtigung zuteilwerden zu lassen wie etwa der Bundeswehr. Auch hier sind in unser aller Interesse die erforderlichen Konsequenzen aus der „Zeitenwende“ zu ziehen, um fähige Nachrichtendienste für eine liberale Demokratie zu ermöglichen.
Für den Vorstand
Dr. Gerhard Conrad