Das neue BND-Gesetz
Eine Stellungnahme
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Dr. Hans-Dieter Herrmann, Vorsitzender des Vorstandes
Am 25. März 2021 hat der Deutsche Bundestag den Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetzes zur Änderung des BND-Gesetzes zur Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sowie des Bundesverwaltungsgerichts mit den Stimmen der Großen Koalition verabschiedet.
Vorangegangen waren in den ersten Märzwochen Verhandlungen im Innenausschuss, in denen einige Nachbesserungen, erneut mit Koalitionsmehrheit, am 23.03.2021 beschlossen und in die Beschlussempfehlung an den Bundestag aufgenommen wurden.
Im wesentlichen betreffen diese Änderungen die folgenden Aspekte:
Einführung einer zusätzlichen Dokumentationspflicht für den Bundesnachrichtendienst zur erleichterten Rechtskontrolle seiner Entscheidungen durch den Unabhängigen Kontrollrat; (§ 21 Abs. 4; § 35 Abs, 4)
Verschärfung der Voraussetzung zur Aufklärung von Journalisten (§ 21 Abs. 2 Satz 1; § 35 Abs, 2)
Erweiterte Einbindung des Parlamentarischen Kontrollgremiums und damit Stärkung der parlamentarischen Kontrolle gegenüber den übrigen Kontrollinstanzen. (§ 31 Abs, 7 Satz 3, § 41 Abs. 5, Satz 5; § 43 Abs. 3; § 55, § 58, sowie § 8 und § 15 des PKGrG).
Einführung einer verschärften Löschwiedervorlageprüfung des Bundesnachrichtendienstes (§ 34 Absatz 7, Satz 7)
Ausschließlich richterliche Besetzung aus Richtern des Bundesgerichtshofs und/oder des Bundesverwaltungsgerichts und damit Ausschluss von Beamtinnen und Beamten von einer Mitgliedschaft im gerichtsähnlichen Kontrollorgan. (§ 43 Abs. 1, 3, 4)
Die weitergehenden Anträge der FDP und von Bündnis90/Die Grünen wurden mit Koalitionsmehrheit abgelehnt.
Grundsätzlich begrüßt es der GKND, dass eine Entscheidung des Gesetzgebers noch zu einem Zeitpunkt möglich geworden ist, der zumindest die Chance einer termingerechten Umsetzung der neuen Regelungen zum 31.12.2021 aufrecht erhält, auch wenn hier noch ganz erhebliche Anstrengungen zu unternehmen sein werden, um die personellen, administrativen, technischen, infrastrukturellen, prozeduralen und sicherheitlichen Voraussetzungen für die Einrichtung der neuen Instanzen und ihre Inbetriebnahme bis zum Jahresende zu schaffen. Allen Beteiligten und Betroffenen im Dienst wie in den zuständigen Ressorts ist hier in aller Aufrichtigkeit nur das Beste zu wünschen.
Ob mit dem vorliegenden Gesetz allerdings ab 01.01.2022 abschließende Rechts- und Verfahrenssicherheit einkehren wird, muss angesichts der Stellungnahmen der aktuellen Oppositionsparteien während des Verfahrens, der anhaltenden Kritik zahlreicher Verbände und einer Reihe von Vorbehalten aus den Reihen der juristischen Sachverständigen bezweifelt werden. Sollten sich in den Bundestagswahlen vom 26.09.2021 alternative Mehrheitsverhältnisse ergeben, dürften daher allein schon aus diesem Grunde gesetzgeberische Initiativen zur Nachbesserung im jeweiligen parteipolitischen Sinn zu gewärtigen sein. Sollte dies nicht der Fall sein, dürfte erneut der „Gang nach Karlsruhe“ zur Debatte stehen, für den dann allerdings erst einmal die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen sein würden.
Auch aus Sicht des GKND werden der Gesetzesvollzug jedenfalls in seinen Auswirkungen auf die Handlungs- und Kooperationsfähigkeit des Bundesnachrichtendienstes kritisch zu beobachten und zu bewerten und mögliche Fehlentwicklungen und Defizite zu beheben sein.
Skepsis gegenüber der Bestandkraft der gesetzlichen Regelungen erscheint zumindest im Einzelfall weiterhin angebracht zu sein, solange nicht die folgenden, bereits seit Jahresende verschiedentlich gestellten Fragen durch die nationale wie internationale Praxis nicht zufriedenstellend beantwortet werden können:
Kann die ex ante-Rechtskontrolle einer Eilanordnung gemäß § 23 Abs. 4 durch den Kontrollrat in Eilfällen angemessen organisiert werden? Welche Verfahrensabläufe wären hierfür mit welchem Kräfteansatz einzurichten? Welcher Zeitverzug wäre in welchen Fallkonstellationen aus operativer Sicht vertretbar (Reduktion auf null im Extremfall?) oder müsste im Interesse höherwertiger Rechtsgüter hingenommen werden?
Ermöglichen die Eingriffsvoraussetzungen und Durchführungsbestimmungen der Eignungsprüfung gemäß § 24 einen ausreichend breiten und insbesondere in Not- und Krisensituationen schnellen Zugriff auf technisch und inhaltlich noch unbekannte Telekommunikationsnetze (Suche nach den „unknown unknowns“)?
Werden dem BND in ausreichendem Umfang spezifisch qualifizierte personelle Ressourcen und ggf. technische Mittel zur Verfügung gestellt, die für die zusätzlichen erheblichen Anforderungen bei der zeitintensiven aber auch zeitkritischen internen Beantragung und Durchführung der einzelnen FmA-Operationen erforderlich sein werden, ohne dass dies zu Lasten der ohnehin angespannten operativen Kapazitäten geht?
Gilt dies auch für die zusätzlichen Kapazitäten, die der BND intern für die Unterstützung der neu aufzustellenden begleitenden und nachvollziehenden externen administrativen und rechtlichen Kontrolle gem. § 56 benötigt?
Kann die Bundesregierung bzw. der BND bei der Formulierung und Durchsetzung der förmlichen Rechtsstaatlichkeitsversicherungen gem. §§ 31 ff. gegenüber potentiellen und aktuellen Partnern an bereits bestehende zwischenstaatliche Praxis auf Regierungs- oder Dienstebene anknüpfen, oder betritt er hier Neuland mit der dann zu erwartenden Konsequenz erheblichen Erklärungs- und Überzeugungsbedarfs sowie einer hiermit einhergehenden Infragestellung bereits bestehender und der Erschwerung und Verzögerung noch zu etablierender neuer Kooperationsbeziehungen, insbesondere auch solcher nach § 28 BNDG (Datenerhebung durch eine ausländische öffentliche Stelle) ?
Können derartige Rechtsstaatlichkeitsversicherungen ohne unzuträgliche Beeinträchtigung der Kooperationsfähigkeit des BND eingeholt und ggf. auch durchgesetzt werden? In welchem Umfang gilt dies auch im Umgang mit „schwierigen Partnern“?
Würden derartige potentielle Einschränkungen auch dann aufrecht zu erhalten sein, wenn durch diese die vom Bundesverfassungsgericht benannten hochrangigen Rechtsgüter (Rn. 161-163) gefährdet würden, oder gäbe es für solche Konstellationen eine spezifische, dann wohl vom Unabhängigen Kontrollrat vorzunehmende Güterabwägung?
Sind im Rahmen der Verfahren zur Rechtsstaatlichkeitsvergewisserung gegenüber Partnern auch angemessene Vorkehrungen für Eilfälle getroffen worden? Kann der BND autorisiert werden, in solchen Fällen eventuell bestehende oder sich kurzfristig eröffnende technische Möglichkeiten im Interesse des Operationserfolgs sofort (und nicht nur unverzüglich) lageangemessen wahrzunehmen und ggf. im Rahmen der zeitnahen begleitenden Kontrolle korrigieren zu lassen?
Über welchen Handlungsspielraum verfügt die Bundesregierung bei der Nutzung von personenbezogenen Informationen, die gem. §§ 29 ff. allein zu ihrer Unterrichtung erhoben und an sie übermittelt werden? Würde ein bedingungsloses Weitergabe- oder Nutzungsverbot im Einzelfall nicht die Wahrung wichtiger außen- und sicherheitspolitischer Interessen, z.B. auch bei der Unterstützung von Bündnispartnern, sachwidrig einschränken?
Es bleibt zu hoffen, dass der Bundesnachrichtendienst wie die aktuelle und insbesondere die künftige Bundesregierung auch in Bezug auf die Wahrung und angemessene Entwicklung der notwendigen Befähigungen des Dienstes ihren Berichtspflichten nachkommen und gegebenenfalls in den zuständigen Gremien auf strukturelle oder auch budgetäre Defizite in den gesetzlichen Regelungen bzw. in ihrem Vollzug mit dem Ziel ihrer Behebung hinweisen.
Bei aller Optimierung rechtsstaatlicher Kontrolle und Einhegung dürfen die Kernforderungen des Bundesverfassungsgerichts zur Wirksamkeit einer Auslandsaufklärung durch den Bundesnachrichtendienst und seiner internationalen Kooperationsfähigkeit, gerade angesichts sich dynamisch entwickelnder internationaler Herausforderungen keinesfalls aus dem Blick geraten:
„Zu berücksichtigen ist dabei auch das überragende öffentliche Interesse an einer wirksamen Auslandsaufklärung. … Insoweit geht es mittelbar zugleich um die Bewahrung demokratischer Selbstbestimmung und den Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung – und damit um Verfassungsgüter von hohem Rang. In Frage steht mithin ein gesamtstaatliches Interesse, das über das Interesse an der Gewährleistung der inneren Sicherheit als solcher deutlich hinausgeht“.
„Insbesondere die Aufklärung politisch oder militärisch relevanter Geschehensabläufe, aber auch die Frühaufklärung von Gefahren der internationalen Kriminalität, zu der auch der inter-nationale Terrorismus gehört, sind für ihre Wirksamkeit heute auf eine Kooperation der Dienste untereinander angewiesen. Kooperationsfähig ist der Bundesnachrichtendienst aber nur, wenn er auch seinerseits Befugnisse hat, mit deren Hilfe er auch durch eigene Erkenntnisse als Partner beizutragen vermag“.
Auf eine angemessene Leistungs- und Kooperationsfähigkeit Deutschlands als Sicherheitspartner muss im Kreis der EU wie der NATO Verlass sein. Nationale Befähigungen und Befugnisse, gerade auch im Bereich der Nachrichten- und Sicherheitsdienste, müssen in einem verantwortbaren Verhältnis zu den gemeinsamen Sicherheitserfordernissen stehen.
Die allseits beschworene, in der Sache auch unabweisbare Integration deutscher Sicherheitspolitik in internationale Kontexte bedingt eine der geopolitischen Lage und finanziellen Kapazitäten entsprechende konkrete deutsche sicherheits- und verteidigungspolitische Eigenleistung, auf deren Grundlage erst relevante Mitgestaltung der gemeinsamen Sicherheit und Glaubwürdigkeit wie Wirksamkeit in der angestrebten Rolle als Friedensmacht Realität werden.
Der Bundesnachrichtendienst, darüber hinaus jedoch insbesondere auch Bundesregierung und Parlament werden sich hier an den Realitäten und Herausforderungen der kommenden Jahre messen lassen müssen.
Dr. Hans-Dieter Herrmann
Vorsitzender