Eine Agenda für den Bundesnachrichtendienst

Sicherheitsgewährleistung für Deutschland im europäischen und transatlantischen Verbund


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Dr. Hans-Dieter Herrmann, Vorsitzender des Vorstandes

Mit der „Agenda für den Bundesnachrichtendienst“ möchte der GKND für eine deutlich stärker außen- und sicherheitspolitisch orientierte Diskussion, Entscheidungsfindung und Planung für den BND als den einzigen Auslandsnachrichtendienst der Bundesrepublik Deutschland in den kommenden Jahren werben. Ohne ein klares, auch öffentlich nachhaltig und breit kommuniziertes fundiertes Verständnis für die internationalen Risiken und Gefahren in Gegenwart und Zukunft wird die erforderliche politische Unterstützung für eine sachgerechte Behandlung von Kernfragen unserer Sicherheit nicht möglich sein und zu gefährlichen Schwächen in operativer Lageanalyse, Vorausschau und Vorbereitung führen. Der Versuchung kognitiver Verweigerung in der öffentlichen Wahrnehmung von Risiken und Herausforderungen sowie ihrer konkreten Konsequenzen für die Schaffung und Entwicklung angemessenerer Befähigungen sollte jedenfalls im Interesse elementarer staatlicher Sicherheitsgewährleistung und Selbstbehauptung entgegengetreten werden. Im Rahmen seiner Möglichkeiten wird der GKND den sicherheitspolitischen Meinungsbildungs- und Diskussionsprozess der kommenden Monate in diesem Sinne zu begleiten versuchen.

Dr. Hans-Dieter Herrmann

Vorsitzender

 

Kernaussagen  

Zusammen mit seinen europäischen und transatlantischen Partnern steht Deutschland vor weitreichenden Herausforderungen, Risiken und Bedrohungen (1.1).

Eine intensive außen- und sicherheitspolitische Diskussion der erforderlichen Konsequenzen findet in EU und Bündnis statt; sie wird auch in Deutschland zu führen sein (1.2).

Die neue US-Administration ist mit einer klaren außen- und sicherheitspolitischen Perspektive gerade auch für ihre Nachrichtendienste angetreten, ebenso Großbritannien. Eine Positionierung Deutschlands als maßgeblicher Bündnispartner wird ebenso erforderlich sein (1.3).

Sicherheitsgewährleistung ist eine zentrale Staatsaufgabe und notwendige Grundlage für Freiheit und Selbstbestimmung. Sie umfasst die Dimensionen der inneren wie äußeren Sicherheit im Rahmen einer verantwortungsvollen perspektivischen Daseinsvorsorge. Sie richtet sich an Bund und Länder und ist eine legislative wie exekutive Gestaltungsaufgabe unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Kräfte im politischen Meinungsbildungsprozess. In diesem Rahmen finden auch die nachrichtendienstlichen Belange ihren verfassungsrechtlich hinterlegten Platz und sollten entsprechend betrachtet werden. (2.1).

Im Rahmen der staatlichen Sicherheitsgewährleistung nehmen die Wahrung der außen- und sicherheitspolitischen Interessen sowie die Identifizierung und Analyse gravierender internationaler Risiken und Bedrohungspotentiale eine besondere Bedeutung ein. Der Bundesnachrichtendienst als einziger Auslandsnachrichtendienst des Bundes steht hier in besonderer Weise in der Pflicht (2.1).

Das Bundesverfassungsgericht hat das überragende öffentliche Interesse an einer wirksamen Auslandsaufklärung zur Versorgung der Bundesregierung mit Informationen für ihre außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen sowie zur Früherkennung von Gefahrenlagen, die aus dem Ausland drohen, in unmissverständlicher Weise bekräftigt (2.2).

Die Schaffung, Aufrechterhaltung und perspektivische Weiterentwicklung adäquater und zukunftsfähiger Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für eine wirksame Auslandsaufklärung ist mithin ein Kernauftrag zur Unterstützung deutscher Außen- und Sicherheitspolitik, der sachgerecht definiert und wahrgenommen werden muss (2.3).

Eine außen- und sicherheitspolitisch begründete und abgeleitete Strategie wird – in gleicher Weise wie für die Bundeswehr  – auch für den Bundesnachrichtendienst erforderlich sein und sollte jedenfalls den folgenden Anforderungen gerecht werden:

  •  Identifizierung und Abbau struktureller Defizite, die durch langjährige Unterfinanzierung vor 2018 entstanden sind, und Umsetzung einer bestandskräftigen mittel- bis langfristigen, absehbare künftige Herausforderungen angemessen berücksichtigenden Finanz- und Entwicklungsplanung (3.1).

  • Sicherstellung der technisch-wissenschaftlichen Zukunftsfähigkeit des Dienstes als prioritäre, perspektivisch anzulegende adäquat gegenfinanzierte Aufgabe (3.2).

  • Entwicklung neuer personalwirtschaftlicher Wege und Schwerpunkte unter dem Primat der Sicherstellung von exzellenter Qualität und robuster Quantität des Personalkörpers (3.3).

  • Gewährleistung einer auftragsgerechten politischen und rechtlichen Mandatierung des Dienstes. Befähigungen und deren rechtsstaatliche Einhegung müssen mit klarem Blick auf die verfassungsrechtlich hinterlegte Aufgabenstellung erfolgen. Der Dienst muss die erforderlichen Befugnisse haben, seinen Auftrag wirksam, zuverlässig, sicher und vorausschauend zu erfüllen  (3.4).

  • Einbettung der nachrichtendienstlich unterstützten Lagefeststellung und Lagebeurteilung in resiliente, leistungsstarke, ressortübergreifende und international vernetzte außen- und sicherheitspolitische nationale Entscheidungsstrukturen (3.5).

  • Konsequente und perspektivische Entwicklung nachrichtendienstlicher Befähigungen des Dienstes zur Aufklärung und Analyse dynamischer militärischer und hybrider Bedrohungspotentiale (3.6).

  • Perspektivische Unterstützung von Handlungs- und Zukunftsfähigkeit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU durch weiteren nachhaltigen personellen und materiellen Aufbau der nachrichtendienstlichen Lagearbeit und Frühwarnkapazität in den EU-Strukturen (3.7).

  • Förderung von Strategiefähigkeit und Entwicklung einer strategischen Kultur in Deutschland gerade auch im Hinblick auf die Funktion und Belange der Auslandsaufklärung durch deren spezifische Behandlung in einem Bundesbeirat Sicherheit unter systematischer Nutzung und Förderung nationaler wie internationaler Intelligence-Forschung und ihrer Ergebnisse, sowie reguläre Einbeziehung nachrichtendienstlicher Belange in eine jährliche sicherheitspolitische Themenwoche im Bundestag (3.8).

 

Als Sicherheitspartner steht Deutschland in internationaler Verantwortung im Kreis der EU wie der NATO. Nationale Befähigungen und Befugnisse müssen auch in einem verantwortbaren Verhältnis zu den gemeinsamen Sicherheitserfordernissen stehen. Dies gilt auch für die Nachrichten- und Sicherheitsdienste.

Die angestrebte Integration deutscher Bemühungen in internationale Kontexte bedingt eine der geopolitischen Lage und finanziellen Kapazitäten angemessene deutsche sicherheits- und verteidigungspolitische Eigenleistung, auf deren Grundlage erst relevante Mitgestaltung der gemeinsamen Sicherheit und Glaubwürdigkeit wie Wirkungsmacht in der angestrebten Rolle als Friedensmacht Realität werden.

 

1)„Zeitenwende/Wendezeit“ auch für die Nachrichtendienste

1.1) Herausforderungen

Zu Recht werden die aktuellen wie die kommenden Jahre als außen- und sicherheitspolitische „Zeitenwende“ und „Wendezeit“ qualifiziert, in denen Deutschland zusammen mit seinen europäischen und transatlantischen Partnern vor in Umfang, Qualität und Dringlichkeit grundlegenden Herausforderungen, Risiken und Bedrohungen steht.

Globale strategische Machtverschiebungen bringen neue geopolitische Akteure und Konfliktrisiken in Asien und Afrika hervor, die gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und militärische Stabilität im Umfeld Europas steht perspektivisch mehr denn je zur Disposition, Risiko- und Bedrohungspotentiale durch regionale Konflikte entwickeln sich mit unmittelbaren Konsequenzen für die Sicherheit Europas und Deutschlands. Der globale Cyber- und Informationsraum, einschließlich des Weltraums, stellt eine neue technische Dimension und Kategorie dar, in der die Zukunfts- und Überlebensfähigkeit von Staaten, Wirtschafts-, Gesellschaftsordnungen und Zivilisationen entschieden wird. Die sich hier ergebenden neuen Chancen müssen rechtzeitig erkannt und genutzt werden; die sich gleichermaßen in diesem Raum entwickelnden Risiken und Bedrohungen erfordern jedoch ein ebenso hohes Maß an technologischer Spitzenleistung und planerischer Weitsicht, um in der neuen Zeit bestehen zu können. Neue Technologien verleihen hybriden Bedrohungen ungekannte Wirkmächtigkeit, ebenso wie Akteuren in einem immer intensiver und eigendynamischer global vernetzten extremistischen, terroristischen und kriminellen Umfeld. Die durch die Revolutionen in Mobilität und insbesondere in einer sich in Quantensprüngen entwickelnden Informationstechnologie hervorgerufene gesellschaftliche und wirtschaftliche Globalisierung zieht weitreichende, teilweise nur in Umrissen absehbare Konsequenzen in Ökonomie, Ressourcensicherheit, Klimafolgenmanagement und Pandemievorsorge und Bewältigung nach sich.

 

1.2 ) Nationale und internationale „Situational Awareness“

All diese taktischen, strategischen, aber auch epochalen Herausforderungen sind weitgehend bekannt und als solche grundsätzlich anerkannt, ohne dass aus ihnen jedoch auch schon notwendigerweise sachgerechte politische und organisatorische Konsequenzen gezogen worden wären. Ihre Phänomene und Konsequenzen für Sicherheit, Wohlstand, Freiheit und Selbstbestimmung werden auf nationaler wie internationaler Ebene beschrieben, sei es bereits im Weißbuch der Bundesregierung von 2016, sei es in der Global Strategy der Europäischen Union aus dem gleichen Jahr, oder dem aktuell in der Novellierung befindlichen Strategic Concept der NATO. NATO und EU haben ihre konzeptionellen Anstrengungen in der jüngsten Zeit nochmals erheblich intensiviert, sei es durch das Projekt des Strategic Compass für die EU, basierend auf einer ersten gemeinsamen und umfassenden Bedrohungsanalyse durch die Single Intelligence Analysis Capacity (SIAC) der EU, sei es durch die NATO Reflexion Group, die ihre Ergebnisse Anfang Dezember 2020 Generalsekretär Stoltenberg vorgelegt hat. Großbritannien ist aktuell mit seiner Integrated Review 2021 mit einer strategischen Perspektive auch für die britischen Dienste bis 2030 hervorgetreten. Eine umfassende Bedrohungsanalyse legt auch das Europäische Parlament seiner Entschließung vom 20. Januar 2021 zum Jahresbericht zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zugrunde, während Vergleichbares im Bundestag augenscheinlich fehlt. In einem aktuellen Positionspapier der Verteidigungsministerin und des Generalinspekteurs zur „Bundeswehr der Zukunft“ werden die Kernherausforderungen ein weiteres Mal konzise zusammengefasst. In den bisher zur Verfügung stehenden Entwürfen der Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2021 finden internationale Risiken und Herausforderungen zwar durchaus Erwähnung, ohne dass jedoch in der Beschreibung der hieraus zu ziehenden Konsequenzen über Absichtserklärungen zur Förderung internationaler Zusammenarbeit, des Multilateralismus, einer regelbasierten globalen Ordnung, einer Stärkung der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und einer Reform der NATO (oder auch ihrer Aufgabe) sowie internationaler Abrüstungsregimes wesentlich hinausgegangen würde. Konkrete Aussagen zur perspektivischen Eigenleistung in den Kernbereichen von Resilienz, Verteidigung, Sicherheit und eben auch Nachrichtendiensten, mit denen sich die Bundesrepublik Deutschland sowohl nach Möglichkeit selbst behaupten als auch in die jeweiligen internationalen Kooperationsformate einbringen könnte, sind dagegen die Ausnahme. An keiner Stelle beziehen sie sich auf den Bundesnachrichtendienst, der als solcher in den bisherigen Dokumenten schlicht nicht vorkommt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz findet seinerseits immerhin Beachtung, allerdings in erster Linie unter Abwicklungs-, oder Reformgesichtspunkten sowie der bestmöglichen Einschränkung einsetzbarer nachrichtendienstlicher Mittel.

 

1.3  Ansätze der neuen US-Administration

Erwartungsgemäß hat auch die Biden-Administration von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, dass sie die USA in der gleichen Verantwortung sieht. In ihren Anhörungen vor dem Senat haben sowohl Außenminister Anthony Blinken als auch die neue Direktorin für Nationale Sicherheit (DNI), Avril Haines bereits die Notwendigkeit unterstrichen, den weiter gewachsenen globalen Herausforderungen wieder in angemessener Weise Rechnung zu tragen und hierfür die erforderlichen organisatorischen, personellen wie materiellen Voraussetzungen zu schaffen. Beide Aussagen seien hier aufgrund ihrer über die USA hinausgehenden programmatischen Relevanz im Wortlaut wiedergegeben:

We’ll engage the world not as it was, but as it is: A world of rising nationalism, receding democracy, growing rivalry with China, Russia, and other authoritarian states, mounting threats to a stable and open international system, and a technological revolution that is reshaping every aspect of our lives, especially in cyberspace“(Anthony Blinken).

 

The DNI must also, in my view, set a strategic vision for the work of the Intelligence Community that looks beyond the immediate horizon to ensure we are well postured to address developing threats and take advantage of new opportunities as they arise: promoting national resilience, innovation, competitiveness, and shared prosperity. This means ensuring that the Intelligence Community has the capacity to understand, warn, protect, and defend the United States against the threats we face. This includes threats from traditional state actors as well as evolving and critical transnational threats, including climate change, cyberattacks, terrorism, global organized crime and corruption, disinformation campaigns, and more. Our capabilities must be aligned, strategically prioritized, and integrated to be effective. For instance, we should provide the necessary intelligence to support long-term bipartisan efforts to out-compete China: gaining and sharing insight into China’s intentions and capabilities, while also supporting more immediate efforts to counter Beijing's unfair, illegal, aggressive, and coercive actions, as well as its human rights violations, whenever we can. And at the same time, the DNI should see to it that the Intelligence Community’s unique capabilities are brought to bear on the global COVID-19 crisis around the world, while also addressing the long-term challenge of future biological crises, enabling U.S. global health leadership and positioning us to detect future outbreaks before they become pandemics. And here at home, we must strengthen our cybersecurity, safeguard our critical infrastructure, and turn the ongoing technological revolution from a threat to an advantage by integrating new technologies to improve the capacity and superiority of our intelligence into the future” (Avril Haines).

 

In der virtuellen Sitzung der Munich Security Conference vom 19. Februar 2021 haben maßgebliche europäische Staats- und Regierungschefs sowie die Führungsspitzen von NATO, Europäischer Union, der Vereinten Nationen und der Weltgesundheitsorganisation zusammen mit US-Präsident Joe Biden in eindrucksvoller Weise Ausmaß und Dringlichkeit der existentiellen Herausforderungen betont und zu gemeinsamen energischen Anstrengungen aufgerufen, diesen konzertiert und nachhaltig entgegenzutreten. Mit der am 03. März 2021 erlassenen Interim National Security Strategic Guidance des Präsidenten wird ein ambitionierter, umfassender globaler sicherheitspolitischer Ansatz der neuen Administration erkennbar, aus dem sich weitere erhebliche Konsequenzen auch für die nachrichtendienstliche Arbeit ergeben.

Die dringliche Notwendigkeit einer gemeinsamen, aber eben auch nationalen Überprüfung und wo nötig auch glaubhaften und bestandskräftigen Adjustierung der außen- und sicherheitspolitischen Orientierungen, Prioritäten und Befähigungen ist mithin Gemeingut in der Allianz wie in Europa. Sie sollte auch handlungsleitend in den entsprechenden Politikfeldern in Deutschland sein.

2.)    Wo stehen die deutschen Dienste?

2.1)  Staatsaufgabe Sicherheitsgewährleistung

In Deutschland stehen im Herbst Bundestagswahlen an. Im Hinblick auf die hier anstehende sicherheitspolitische Meinungsbildung und Programmatik der Parteien und vor dem Hintergrund der bisher öffentlich bekannten Entwürfe möchte es der Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland e.V. (GKND) daher nicht versäumen, auf die Notwendigkeit einer umfassenden, auftrags- und funktionsbezogenen Einbeziehung der deutschen Nachrichten- und Sicherheitsdienste als wesentliche Akteure staatlicher Sicherheitsgewährleistung in die anstehenden programmatischen Beratungen hinzuweisen.

Die in Deutschland häufig eher unpopuläre und daher tendenziell im Hintergrund stehende, wenngleich elementare Staatsaufgabe Sicherheitsgewährleistung, mithin die staats- und verfassungsrechtlich konstitutive Verpflichtung zur Gewährleistung des inneren und äußeren Friedens, der Freiheit, Selbstbestimmung und der sozialen Wohlfahrt seiner Bürger*innen, wird vor dem geschilderten Hintergrund deutlicher als zuvor Gegenstand politischer wie professioneller Aufmerksamkeit und Gestaltungswillens sein müssen. Die Handlungsfähigkeit und Resilienz von Staat und Gesellschaft zur angemessenen Verwirklichung und Wahrung von Sicherheit in ihren verschiedenen Dimensionen wird hier ein ebenso zentraler Maßstab sein müssen wie Klarheit und Wahrheit bezüglich der Angemessenheit von Auftrag, Ausstattung und Mandatierung der hierfür jeweils geschaffenen Organisationsstrukturen. Es wird grundlegend und perspektivisch zu prüfen sein, ob die bestehenden nationalen und internationalen Strukturen, Verfahren, Kapazitäten und Befähigungen ausreichen, um den neuen, sich dynamisch fortentwickelnden Herausforderungen, Risiken und Gefahren in angemessener Weise und mit ausreichender Aussicht auf Erfolg begegnen zu können.

Der Verfassungsauftrag Sicherheitsgewährleistung richtet sich an Bund und Länder, er verpflichtet die Legislative gleichermaßen wie die Exekutive, er umfasst die Dimensionen der inneren wie der äußeren Sicherheit, die wiederum weite Teile von Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Forschung und Wissenschaft betreffen.

Traditionell ist „innere Sicherheit“ in Deutschland ein zentrales, häufig kontroverses Thema der politischen wie wissenschaftlichen Diskussion und Entscheidungsfindung. Die zuständigen Behörden und Dienste stehen hier, zusammen mit den Bundes- und Landesregierungen, stets in einem dynamischen Spannungsverhältnis zwischen den grundrechtlichen Garantien und der Verpflichtung zur staatlichen Sicherheitsgewährleistung, auch unter Einschränkung von Freiheitsrechten. An Öffentlichkeit, Diskussion und Ringen um gesetzliche Regeln, die beiden elementaren Dimensionen gerecht werden, mangelt es hier nicht, ohne dass damit bereits immer eine Gewähr für sachgerechte gesetzgeberische Entscheidungen zur Schaffung und Entwicklung der erforderlichen Befähigungen und Mandatierungen zur Sicherheitsgewährleistung angesichts neuer, im Übrigen häufig auch im internationalen Raum generierten und nach Deutschland hineinwirkenden Qualitäten von Risiken und Bedrohungen gegeben wäre. Auch hier wird es unverändert erheblicher Anstrengungen bedürfen, in Politik und Gesellschaft ein realitätsbezogenes und nicht von Wunschdenken oder politischem Vermeidungsverhalten geprägtes Verständnis der Sicherheitslage zu vermitteln und auf dieser Grundlage für die erforderliche Unterstützung notwendiger Maßnahmen zu werben.

Eine gesonderte Agenda für das Wahljahr und die kommende Legislaturperiode wird mithin auch zur inneren Sicherheit erforderlich werden, würde jedoch den aktuellen, auf den Bundesnachrichtendienst ausgerichteten Rahmen sprengen. Dessen ungeachtet werden angesichts der in den vergangenen Jahrzehnten sprunghaft gestiegenen Interdependenz von innerer und äußerer Sicherheit die Bezüge zwischen Auslandsaufklärung und innerer Sicherheit in der Agenda für den Bundesnachrichtendienst keineswegs zu ignorieren sein.

 

2.2)  Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hat zuletzt im Mai 2020 richtungsweisende verfassungsrechtliche Maßstäbe für die Aufgabenstellungen und Position des Bundesnachrichtendienstes in Deutschland und im internationalen Verbund gesetzt, die nachfolgend aufgrund ihrer grundsätzlichen Bedeutung im Wortlaut wiedergegeben werden:

„Zu berücksichtigen ist dabei auch das überragende öffentliche Interesse an einer wirksamen Auslandsaufklärung. Entsprechend der kompetenziellen Rückbindung … zielt die Auslandsaufklärung immer auf Informationen, die Bedeutung für die Stellung und Handlungsfähigkeit Deutschlands in der Staatengemeinschaft entfalten und damit gerade in diesem Sinne von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung sind. Die Versorgung der Bundesregierung mit Informationen für ihre außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen hilft ihr, sich im machtpolitischen Kräftefeld der internationalen Beziehungen zu behaupten, und kann folgenreiche Fehlentscheidungen verhindern. Insoweit geht es mittelbar zugleich um die Bewahrung demokratischer Selbstbestimmung und den Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung – und damit um Verfassungsgüter von hohem Rang. In Frage steht mithin ein gesamtstaatliches Interesse, das über das Interesse an der Gewährleistung der inneren Sicherheit als solcher deutlich hinausgeht“ (Rn. 161-162)

Von Gewicht ist hierbei, dass im Zuge der Entwicklung der Informationstechnik und der internationalen Kommunikation, ebenso wie damit der engeren grenzüberschreitenden Verflechtung der Lebensbedingungen im Allgemeinen, Bedrohungen vom Ausland aus erheblich zugenommen haben. Die Früherkennung von Gefahrenlagen, die aus dem Ausland drohen, gewinnt hierbei auch für die Sicherheit besondere Bedeutung. Die Erweiterung und Internationalisierung der Kommunikationsmöglichkeiten und die damit gesteigerte Politisierung und Organisationsfähigkeit international agierender krimineller Gruppierungen führen dazu, dass innerstaatliche Gefahrenlagen oftmals durch Netzwerke international zusammenarbeitender Akteure begründet sind und leicht eine außen- und sicherheitspolitische Dimension erhalten können. Die Herausforderungen durch weltweit verflochtene Kreise organisierter Kriminalität und Geldwäsche wie auch Menschenhandel, elektronische Angriffe auf informationstechnische Systeme, den internationalen Terrorismus oder den Handel mit Kriegswaffen machen das beispielhaft deutlich. … Solche Aktivitäten zielen zum Teil auf eine Destabilisierung des Gemeinwesens und können zur Bedrohung für die verfassungsmäßige Ordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder der Länder sowie für Leib, Leben und Freiheit werden. Dies sind Rechtsgüter von überragendem verfassungsrechtlichen Gewicht, für deren Schutz der Gesetzgeber eine wirksame und zugleich rechtsstaatlich eingehegte Auslandsaufklärung als unverzichtbar ansehen kann.“ (Rn. 163)

 

„Zu berücksichtigen ist zugleich, dass die Aufklärung nicht allein im Gegeneinander der verschiedenen Nachrichtendienste, sondern auch im Miteinander zur Aufklärung von die Bundesrepublik Deutschland und andere Länder gleichermaßen betreffenden Fragenkreisen steht. Insbesondere die allein der Information der Bundesregierung dienende Aufklärung politisch oder militärisch relevanter Geschehensabläufe, aber auch die Frühaufklärung von Gefahren der internationalen Kriminalität, zu der auch der internationale Terrorismus gehört, sind für ihre Wirksamkeit heute auf eine Kooperation der Dienste untereinander angewiesen. Kooperationsfähig ist der Bundesnachrichtendienst aber nur, wenn er auch seinerseits Befugnisse hat, mit denen er die Ergebnisse anderer Dienste prüfen, sie aufnehmen und weiter verwerten kann und mit deren Hilfe er auch durch eigene Erkenntnisse als Partner beizutragen vermag.“(Rn. 160)

 

Den hier aufgestellten Grundsätzen wird in der weiteren Ausgestaltung der Befähigungen des Dienstes und seiner Einbindung in die nationalen wie internationalen Strukturen staatlicher und zwischenstaatlicher Sicherheitsgewährleistung Rechnung zu tragen sein. Die Aufgabenerfüllung des Dienstes basiert auf klaren Vorgaben und Zielsetzungen von Verfassungsrang, an denen sich Legislative wie Exekutive zu orientieren haben.

 

2.3)  Spezifische Aufgaben und Pflichtenstellung

Die spezifischen Aufgaben des Dienstes, die dieser wo nötig und möglich in internationaler Kooperation mit Verbündeten und Partnern zu erfüllen hat, beziehen sich mithin wesentlich auf die Aufklärung und Analyse in folgenden Kernbereichen von zentraler sicherheitspolitischer Relevanz:

  • Regionale Instabilitäten und daraus resultierende Sicherheitsgefahren für deutsche Staatsangehörige und Interessen,

  • Entstehung und Instrumentalisierung von gegen Deutschland und seine Partner gerichteten politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Antagonismen,

  • Internationale Entstehung und Umsetzung hybrider Bedrohungspotentiale gegen Deutschland und seine Verbündeten,

  • Internationale Entstehung und Umsetzung von Cyber-basierten Bedrohungspotentialen gegen Deutschland und seine Verbündeten in terrestrischen wie weltraumbasierten IT- und Kommunikationsmedien,

  • Internationale Entstehung und Umsetzung von konventionellen wie CBRN- oder Cyber-basierten terroristischen Bedrohungspotentialen gegen Deutschland und seine Verbündeten,

  • Internationale Strukturen Organisierter Kriminalität in ihren Auswirkungen auf Gesellschaft, wirtschaftliche Prosperität, politische Entscheidungsprozesse und öffentliche wie nationale Sicherheit.

All diese Felder sind ebenfalls Gegenstand medialer, fachpolitischer und wissenschaftlicher Aufmerksamkeit und vielfältiger Analyse. Das Alleinstellungsmerkmal des Bundesnachrichtendienstes besteht jedoch darin, die hier angesprochenen Themenbereiche in größtmöglicher Detailtiefe und mit besonderem Augenmerk auf involvierte Akteure, ihre Interessen, Methoden und Verbindungen aufzuklären und dies mit einem besonderen nachrichtendienstlichen Instrumentarium der Beschaffung und Analyse zu tun. Hauptziel ist nicht nur ein zutreffendes allgemeines Verständnis des jeweiligen Problems, sondern – darauf aufbauend – die zeitgerechte Bereitstellung von handlungsbefähigendem spezifischem Wissen (actionable intelligence) für die Bundesregierung. Überlegenes, zukunfts- und handlungsorientiertes Wissen um konkrete Konfliktursachen und Gefahrenmomente, die involvierten Akteure, Triebkräfte und Einflussfaktoren ist gerade für die Relevanz einer Friedensmacht von entscheidender Bedeutung, wenn diese einen fassbaren Beitrag zur Überwindung der Probleme leisten will. Der Begriff der Friedensmacht impliziert notwendig den Faktor Macht, zumindest im Sinne wirkungsmächtiger friedlicher Mittel, die es letztlich genauso gezielt und gleichsam „kinetisch“ einzusetzen gilt wie Waffensysteme, um eine politische „Wirkung im Ziel“ zu erreichen.

Die in dieser Weise definierte Pflichtenstellung kann der Dienst allerdings nur erfüllen, wenn ihm eine seinem Auftrag und seiner Verantwortung entsprechende personelle, technische und organisatorische Befähigung sowie eine rechtlich wie politisch realistische Mandatierung zur Nachrichtenbeschaffung und Analyse in nationaler Eigenverantwortung wie auch im Verbund mit Partnern und Verbündeten zugebilligt werden. Darüber hinaus müssen seine Aufklärungs- und Analyseergebnisse effektiv in leistungsfähige, ressortübergreifende sicherheitspolitische Entscheidungsprozesse der Bundesregierung ebenso integriert sein wie in die operativen Lagefeststellungs-, Lagebeurteilungs- und Entscheidungsstrukturen von Ministerien und nachgeordneten Behörden auf Bundes- und Länderebene im Rahmen der vernetzten Sicherheit. Dass hier Anspruch und Wirklichkeit einander nicht immer entsprechen, ist gemeinhin bekannt und dokumentiert. Das Gleiche gilt auch für den Bereich des Rechts der Nachrichtendienste, für das – so jüngst ein Konsens maßgeblicher Staats-, Verfassungs- und Verwaltungsrechtler – ein gemeinsamer legislativer Rahmen auf der Grundlage einer rechtpolitischen Ordnungsidee angemahnt worden ist. Es ist nun hohe Zeit, die seit über zehn Jahren immer wieder angemahnten Reformen in konkrete Projekte für die kommende Legislaturperiode umzusetzen.

 

3.)    Eine Agenda für den Bundesnachrichtendienst  

Vor diesem Hintergrund schlägt der Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland vor, im Rahmen der anstehenden weiteren sicherheitspolitischen Debatte und Programmentwicklung für die nächste Legislaturperiode eine gesonderte politische Agenda für die Nachrichtendienste des Bundes, hier zunächst einmal für den Bundesnachrichtendienst, zu diskutieren und zu entwickeln, die jedenfalls die nachstehend aufgeführten Elemente berücksichtigen sollte. Einem ersten, inhaltlich vielversprechenden, wenngleich bezeichnenderweise ins Leere gelaufenen Vorstandsbeschluss einer im Bundestag vertretenen Partei vom Dezember 2019 sollten hier gerade im Wahljahr und im Hinblick auf die kommende Legislaturperiode tragfähige und zukunftsorientierte programmatische Impulse folgen, die sich nicht nur, wie gemeinhin üblich, auf die Frage einer optimalen und möglichst weitgehenden rechtlichen, administrativen und politischen Kontrolle nachrichtendienstlichen Handelns beziehen, sondern sachlogisch notwendig zunächst einmal auf deren Zielsetzungen, Voraussetzungen und Bedingtheiten im Interesse einer erfolgreichen Sicherheitsgewährleistung in unser aller Interesse.

 

3.1)  Finanzielle Perspektive

Wie im Bereich der Bundeswehr, werden besondere Anstrengungen unternommen werden müssen, um langjährige Defizite in der nationalen Sicherheitsarchitektur abzubauen und darüber hinaus neue, technisch wie organisatorisch zukunftsfähige Strukturen zu schaffen und die erforderlichen spezifisch qualifizierten und geeigneten Kräfte sowie deren Ausrüstung zur Verfügung zu stellen, um Bedrohungen und Risiken rechtzeitig aufklären, zutreffend in ihrer Qualität und ihrem Umfang erkennen und ihnen nach Möglichkeit proaktiv, jedenfalls aber fachlich adäquat und mit Aussicht auf Erfolg begegnen zu können. Erhebliche, auch budgetäre Aufwendungen sind in jüngster Zeit getätigt worden: Den Diensten stehen aktuell in so noch nicht dagewesener Weise finanzielle Mittel zur Verfügung. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hier – wie im Fall der über Jahre strukturell unterfinanzierten Bundeswehr – in vielen Bereichen zunächst erst einmal darum gehen wird, über die Jahre akkumulierte strategische Defizite in der Entwicklung und im Aufbau von Befähigungen zu kompensieren, um darauf aufbauend die Gegenwart zu meistern und schließlich einer Zukunft mit exponentiell wachsenden Herausforderungen gerecht zu werden. Mittel- bis langfristige Entwicklungs- und Finanzierungsperspektiven für die Dienste werden hier in Verantwortung der zuständigen Ressorts und parlamentarischen Gremien zu erstellen, in Relation zu den sicherheitspolitischen Lageperspektiven fortzuschreiben und politisch in den parlamentarischen Gremien zu entscheiden sein.

 

3.2)  Technisch-wissenschaftliche Zukunftsfähigkeit

Fundamentale Chancen, Herausforderungen und Risiken für die Zukunfts- und Überlebensfähigkeit von Staat und Gesellschaft liegen in den exponentiellen Entwicklungen in Technik und Wissenschaft. Der sachgerechte Einsatz von Spitzentechnologien wie Quantumcomputing und Künstlicher Intelligenz wird hier ebenso eine entscheidende Rolle gerade auch für die Nachrichtendienste spielen wie die Beherrschung und Nutzung modernster Mittel und Verfahren in Informations- und Kommunikationstechnologie, luft- und raumgestützter Aufklärungsmittel wie ein hoher Grad an Expertise zur Verfolgung der weltweiten Forschung und Entwicklung nuklearer, chemischer und biologischer Zukunftstechnologien. Auch hier wird es allein schon aus Abwehrgesichtspunkten gelten, frühzeitig sicherheitsrelevante Tendenzen in ihren Chancen aber auch Risiken und Gefährdungsmomenten zu erkennen und zu bewerten. Die globale Digitalisierung und Vernetzung von Daten bringt fundamentale Herausforderungen für alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens mit sich, so auch für die Arbeit der Nachrichtendienste. Operative wie personelle Sicherheit sind hier in besonderer Weise betroffen und müssen den neuen technischen Realitäten und ihrer perspektivischen Entwicklung Rechnung tragen. Gleiches gilt für die Dimension der Weltraum-gestützten Aufklärung, wo mit dem Satellitenprogramm GEORG für den BND ein auch budgetär eindrucksvoller Anfang gemacht worden ist. Diesen gilt es jedoch in den kommenden Jahren mit einer mittel- und langfristigen technischen wie budgetären Perspektive auch generell im Hinblick auf die künftigen Herausforderungen im Weltraum konsequent und bedrohungsadäquat weiterzuführen und weiterzuentwickeln.

Andere Nationen sind hier, wie bereits zuvor ausgeführt (1.3), seit langem schon weiter und treiben entsprechende Entwicklungen voran. Eine umfassende Einbeziehung und Weiterentwicklung von Ansätzen aus dem Geschäftsbereich des BMBF, wie z.B. der Nationalen KI-Strategie von 2018, werden hier weiter zu konkretisieren und in budgetär mittel- bis langfristig hinterlegten Programmen zu strukturieren und zu operationalisieren sein. Hierin würde eine wesentliche Rolle des im weiteren noch anzusprechenden Bundessicherheitsrates (3.5) ebenso wie des Wissenschaftlichen Beirates (3.6) bestehen können. In gleicher Weise sind hier auch die Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkte an den Universitäten der Bundeswehr wesentliche Grundlagen, die es, auch im Zusammenwirken mit den entsprechenden Organisationsbereichen der Bundeswehr konsequent auch im Hinblick auf die technisch-wissenschaftliche Zukunftsfähigkeit der Dienste zu nutzen gilt.

 

3.3)  Qualität und Quantität von Personal

Eine gemeinsame Herausforderung für alle Dienste wird in den kommenden Jahren der dringend notwendige signifikante personelle Aufwuchs in Quantität und Qualität sein. Hier werden erhebliche, erneut auch finanzielle Investitionen in die Rekrutierung und gezielten Weiterentwicklung spezifisch qualifizierter Mitarbeiter*innen getätigt werden müssen. Spitzenqualifikationen sind nicht nur im Bereich der MINT-Fächer zu akkumulieren, sondern auch in Kultur-, Sprach- und Sozialwissenschaften. Nur über eine vertiefte, zu eigenständigem, wissens- und methodenbasiertem Urteil befähigende Expertise zu den regionalen wie globalen politischen, militärischen, technisch-wissenschaftlichen oder auch sozialwissenschaftlich/ kriminologisch zu fassenden Aufklärungs- und Beobachtungsobjekten lässt sich der erforderliche relevante Mehrwert für die Lagefeststellung und Beurteilung generieren, auf die verantwortliche Entscheidungsfindung auf allen Ebenen und in allen Bereichen angewiesen ist. Mittel- bis langfristige, budgetär unterlegte Rekrutierungs- und Entwicklungspläne, insbesondere auch unter konsequenter Berücksichtigung der spezifischen Alters- und Befähigungs- und Vergütungsmerkmale in den IT- und Cyberbereichen werden hier erforderlich sein. Ein erster Schritt ist in diesem Zusammenhang mit der jüngsten unkonventionellen Rekrutierungskampagne des BND für Hacker getan, der jedoch auf mittlere Sicht in eine nachhaltige und breit angelegte neue Personalgewinnungs- und Imagepolitik ebenso münden muss wie in eine verwaltungs- und personalrechtliche Neuaufstellung der Dienste zur Wahrung bzw. Erweiterung ihrer personalwirtschaftlichen Konkurrenz- und Handlungsfähigkeit.

 

3.4)  Rechtliche Mandatierung und Kontrolle

Neben der Schaffung angemessener operativer und analytischer Befähigungen über das gesamte Spektrum nachrichtendienstlicher Aktivitäten ist deren Grundlegung und Einbindung in ein kohärentes Recht der Nachrichtendienste bedeutsam, das Grundrechtsbindung und den Verfassungsauftrag zur Gewährleistung von Freiheit, Selbstbestimmung, Wohlstand, Sicherheit und Zukunftsfähigkeit von Staat und Gesellschaft in ein komplementäres und nicht ein kontradiktorisches Verhältnis bringt. Unabdingbares Hochziel müssen sachgerechte und problemadäquate wirkungsvolle Befähigungen sein, deren konsequenter Einsatz zur Wahrung von höchstrangigen Rechtsgütern rechtlich mandatiert und politisch gewollt sein muss. Notwendiger Ausgangspunkt und eine wichtige Orientierung für diesen legislativen Prozess wird hier die bereits angemahnte sicherheitspolitische Verortung Deutschlands (2.1-2.3) sein müssen. Operative und technische Befähigungen und rechtliche Befugnisse müssen so ausgestaltet sein, dass sie dem Dienst eine glaubhafte und wirksame Erfüllung seines Auftrages im Interesse von Staat und Gesellschaft ermöglichen. Rechtsstaatliche Einhegung und Kontrolle werden sich stets auch an diesem verfassungsrechtlich hinterlegten Gebot messen lassen müssen und zumindest im begründeten Einzelfall auch Raum für sachgerechte Ausnahmeregelungen lassen .

 

3.5)  Einbindung in resiliente sicherheitspolitische Entscheidungsstrukturen

Ein seit Jahren angemahntes Desiderat ist die Schaffung einer resilienten, reaktionsstarken, ressortübergreifenden integrierten Sicherheitsarchitektur in Deutschland, die über ein System leistungsfähiger Schnittstellen mit internationalen Partnern und Verbündeten, und hier insbesondere mit NATO und Europäischer Union, verfügt, sollte ein vordringliches Projekt für die kommende Legislaturperiode werden.

In dieser Sicherheitsarchitektur wird die nachrichtendienstlich unterlegte Lagefeststellung und Lagebeurteilung der Dienste auf allen Ebenen einen festen Platz einnehmen müssen. Einem raschen, sicheren und strukturierten vertikalen und horizontalen Informationsfluss zwischen den Akteuren auf Bund- und Länderebene wie auch im internationalen Bereich wird eine adäquate Aufbau- und Ablauforganisation zugrundzulegen sein, die zuverlässig und verzugsarm eine Gesamtschau und darauf aufbauende integrierte Entscheidungsfindung auf Kabinettebene ermöglicht.

Kernstück dieser Sicherheitsarchitektur wird ein Bundessicherheitsrat mit abschließender integrierter Lagefeststellungs- und Beurteilungsebene sein müssen, der auf der Basis der ressort- und dienstspezifischen Analyseergebnisse die Zuarbeit für die unmittelbar entscheidungsbegründenden Lagepapiere der Bundesregierung zu leisten hat.

 

3.6  Weiterentwicklung von Beschaffung/Analyse in den Bereichen militärischer Potentiale und hybrider Bedrohungen

Dem mit der strategischen Konzeption der Bundeswehr von 2018 eingeleiteten sicherheits- und verteidigungspolitischen Paradigmenwechsel hin zur mindestens gleichberechtigt neben Auslandseinsätzen zu gewährleistenden erneuten Landes- und Bündnisverteidigung wird auch der Bundesnachrichtendienst in seinen militärischen Beschaffungs- und Analysekapazitäten in seiner Funktion als militärischer Auslandsnachrichtendienst des Bundes zu folgen haben. Militärische Potentiale, operative Befähigungen und Absichten relevanter internationaler Akteure werden mithin wieder in deutlich stärkerem Maße in den nachrichtendienstlichen Fokus zu rücken sein, um sowohl dem Militärischen Nachrichtenwesen der Bundeswehr als auch der sicherheitspolitischen Führung ein ausreichendes Spektrum an Grundlagen für Lagefeststellung und Lagebeurteilung zur Verfügung zu stellen. Daneben stehen unverändert die erheblichen Anforderungen, denen der BND im komplementären Zusammenwirken mit dem Militärischen Nachrichtenwesen zur Einsatzunterstützung der Bundeswehr im Ausland (Force Protection) gerecht werden muss. Hier geht es um ein breites, alle Aufklärungsdisziplinen umfassendes Fähigkeitsspektrum, das durchgängig und zeitkritisch von der strategischen bis zur taktisch-operativen Informationsgewinnung zur Lagefeststellung und Lagebeurteilung zum Tragen gebracht werden muss. Die meisten Partner der Bundesrepublik unterhalten hierfür eigene militärische Nachrichtendienste, die eng mit den spezifischen militärischen Aufklärungsmitteln der Streitkräfte verbunden sind. In Deutschland obliegt diese Aufgabe dem zivilen BND, der hierfür über ein bestimmtes Kontingent militärischer Planstellen verfügt und mit einer Leistungsvereinbarung gegenüber der Bundeswehr entsprechend verpflichtet ist, in spezifischen Aspekten der militärischen Eigensicherung dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) und in Sonderheit dem Militärischen Nachrichtenwesen der Bundeswehr mit den Organisationsschwerpunkten Kommando Strategische Aufklärung (KSA) und Kommando Cyber und Informationsraum (KdoCIR). Die dergestalt „historisch gewachsene“ Struktur wird angesichts der absehbaren Herausforderungen und wachsenden Verpflichtungen einer grundlegenden Überprüfung ihrer Kohärenz, Resilienz, Leistungs- und Reaktionsfähigkeit ebenso zu unterziehen sein wie im Detail der Frage nach den jeweils bestehenden und insbesondere zu modernisierenden bzw. neu zu schaffenden Befähigungen in Beschaffung und Analyse.

Hiermit verbunden, wenngleich deutlich über die militärischen Dimensionen hinausgehend, wird die umfassende nachrichtendienstliche Aufklärung und Analyse internationaler hybrider Potentiale und Bedrohungen zur ressortübergreifenden Schwerpunktaufgabe des Dienstes im engen Zusammenwirken mit nationalen und internationalen Stellen gemacht werden müssen. Hybride Kriegführung ist seit 2015 in NATO und EU als grundlegend neue Qualität der sicherheitspolitischen, keinesfalls nur militärischen Herausforderung definiert. Erhebliche Anstrengungen zur integrierten Aufklärung und Analyse sind hier unternommen worden. Auch das Weißbuch 2016 nimmt die neue Dimension der Bedrohung auf, kann jedoch naturgemäß einem gesamtheitlichen, ressortübergreifenden Ansatz, der über das Auswärtige Amt und das Bundesministerium des Innern hinauszugehen hat, für sich allein nicht gerecht werden. Eine seit 2016 angesichts der strukturellen Entwicklungen in EU (Hybrid Fusion Cell/HFC) und NATO (Hybrid Analysis Branch) für alle Mitgliedstaaten erforderliche Zuweisung der nationalen Federführung und Koordination ist in Deutschland erst im Juli 2019 erfolgt, ihre operative Umsetzung im Sinne integrierter, leistungsstarker, schneller und resilienter Aufklärungs-,Lagefeststellungs- und Beurteilungsstrukturen als Grundlage für koordiniertes, zielgerichtetes und energisches gesamtstaatliches, wo nötig international vernetztes Handeln in Vorbeugung und Abwehr ist bisher jedenfalls nicht erkennbar. Den technischen wie menschlichen nachrichtendienstlichen Befähigungen des Bundesnachrichtendienstes kommt hier im Zusammenwirken mit internationalen Partnern und deutschen Behörden eine zentrale Bedeutung zu, der es in den kommenden Jahren durch erhebliche Investitionen in Personal, Material und Strukturen gerecht zu werden gilt.

Die Ertüchtigung in der nationalen wie international vernetzten nachrichtendienstlichen Aufklärung und integrierten Analyse militärischer wie hybrider Potentiale, Strukturen, Akteure und deren Intentionen wird eine der zentralen Aufgaben der Zukunft sein, deren angemessene, Erfüllung maßgeblich für die Handlungsfähigkeit und Resilienz Deutschlands und seiner Partner sein wird.

 

3.7)  Unterstützung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich der Mitwirkung an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) verpflichtet. Die Forderung nach einer weiteren Stärkung der EU in diesem Bereich zählt zum außen- und sicherheitspolitischen Gemeingut deutscher Parteien, muss jedoch entsprechend konkretisiert und operationalisiert werden. In diesen Rahmen fällt bereits seit 2002 eine personelle und materielle Beteiligung der deutschen Dienste an den Lagestrukturen der EU, zunächst des Ratssekretariats unter dem damaligen Generalsekretär und Hohen Beauftragten Javier Solana (2000-2010), danach des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD). Der BND zählt traditionell zu den wichtigsten Unterstützern der zuständigen Bereiche im EAD, des Intelligence Analysis and Situation Centre (EU INTCEN) und des Intelligence Directorate des Europäischen Militärstabes (EUMS.INT), die unter Wahrung der rechtlichen und politischen Vorgaben an freigegebener Ausgangsberichterstattung beteiligt werden. In gleicher Weise unterstützen auch alle anderen Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten und politischen Interessen. Außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen im Rat der Außen- und Verteidigungsminister der EU oder auch der Staats- und Regierungschefs, werden durch zivil-militärische Analysen beider Abteilungen, die hier als Single Intelligence Analysis Capacity (SIAC) fungieren, unterstützt. Jüngstes Beispiel für eine besonders bedeutsame Mandatierung durch die Mitgliedstaaten ist die Erstellung einer „360°-Bedrohungsanalyse“ für den bereits erwähnten künftigen „Strategic Compass“ der EU. Nach dem Willen der Mitgliedstaaten soll die EU zunehmend auch als sicherheitspolitisch relevanter Akteur in Erscheinung treten. Entsprechende weitreichende Beschlüsse sind hier in den Jahren seit 2017 auch unter maßgeblicher deutscher Beteiligung gefasst worden. Es gilt nunmehr, auch auf europäischer Ebene die Befähigungen zu Lagefeststellung und Lagebeurteilung in außen- und sicherheitspolitischen Fragestellungen perspektivisch weiterzuentwickeln. Entsprechende Überlegungen und konzeptionelle Vorarbeiten liegen vor, auch in Form eines hochrangig in den Mitgliedstaaten verteilten Berichts der Task Force EEAS.20 unter Leitung des ehemaligen Generalsekretärs des EAD, Pierre Vimont. Eine unabdingbare Voraussetzung für ihre Aufnahme und Umsetzung ist angesichts der unvermeidlich intergouvernementalen Strukturen von GASP und GSVP ein konzertiertes Zusammenwirken der Mitgliedstaaten, zunächst auf Regierungsebene, danach durch die involvierten zivilen und militärischen Dienste und Bereiche, im Fall von Deutschland mithin von BND, MilNwBw und BfV. Angesichts der unterschiedlichen Ressortzuständigkeiten wird mithin eine deutsche ND-Policy zur Unterstützung von GASP und GSVP in strukturierter interministerieller wie mitgliedstaatlicher Abstimmung über den ND-Koordinator des Bundes zu konzipieren und in Brüssel einzubringen sein, bevor sie auf mittlere Sicht Aufgabe eines Bundessicherheitsrates sein könnte. Deutschland steht hier mit seinen erheblichen finanziellen Möglichkeiten, insbesondere nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU, als „Anlehnungsmacht“ zusammen mit Frankreich in exponierter konzeptioneller wie politisch-operativer Verantwortung, der es im gemeinsamen europäischen wie dem eigenen sicherheitspolitischen Interesse gerecht werden sollte.

3.8)  Thematisierung der Dienste in Wissenschaft und Sicherheitspolitik

Im jüngsten Positionspapier zur Zukunft der Bundeswehr werden eindringlich Strategiefähigkeit und eine strategische Kultur im politischen Diskurs der Bundesrepublik angemahnt. Diesem Appell, das „laute Schweigen“ in außen- und sicherheitspolitischen Fragen durch eine strukturierte Diskussions- und Entscheidungskultur zu überwinden, kann auch in Bezug auf die Nachrichtendienste des Bundes nur vorbehaltlos zugestimmt werden. Schweigen, oder wie im Fall des Bundesnachrichtendienstes traditionell immer wieder gepflegt, Totschweigen, impliziert gefährliche Konsequenzen:

„Symbolisches Schweigen in der Außenpolitik zeitigt aber auch Wirkungen in die deutsche Gesellschaft hinein. Zunächst einmal manifestiert sich in dem Schweigen eine Weltabgewandtheit, die dem deutschen Bürger das Gefühl vermittelt, die Ereignisse seien nicht so wichtig und gingen die Deutschen nichts an. Der Graben zwischen Bevölkerung und Eliten in Bezug auf die deutsche Außenpolitik, …, wird durch dieses Schweigen konsolidiert. … Nichtstun und der Rückzug auf die Wohlfahrts- und Wohlfühlinsel Deutschland (oder die EU) sind dann die konsequenten Politikempfehlungen. “.

Dieses hier zu Recht kritisierte Schweigen in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik wirkt sich in besonderem Maße auf die öffentliche, politisch wirksame Perzeption von Nachrichtendiensten, ihrer Legitimität, Funktionalität und Aufgabenstellung aus. Totgeschwiegene Institutionen können in einer parlamentarischen Demokratie keinen Bestand haben. Sie laufen Gefahr, dämonisiert, marginalisiert, unterfinanziert, unzureichend mandatiert und in letzter Konsequenz handlungsunfähig zu werden. Dass Schweigen keinesfalls „alternativlos“ ist, zeigen eindrucksvoll die oben zitierten Beispiele aus dem angloamerikanischen Raum aber auch aus der Europäischen Union, einschließlich des europäischen Parlaments, und der NATO.

Auch das Bundesverfassungsgericht hat hier, wenngleich in erster Linie in einem juristischen Kontext, Transparenz und qualifizierte Öffentlichkeit angemahnt:

„Aus der Geheimhaltungsbedürftigkeit der Auslandsaufklärung lässt sich jedoch nicht ableiten, dass über den Bundesnachrichtendienst überhaupt möglichst wenig bekannt werden dürfte und auch seine Rechtsgrundlagen möglichst weitgehend im Dunkeln bleiben müssten. Für die Handlungsgrundlagen und Grenzen der nachrichtendienstlichen Befugnisse kann es im demokratischen Rechtsstaat eine prinzipielle Geheimhaltung nicht geben. Ebenso wie der Gesamthaushalt und die Personalstärke der Nachrichtendienste vollständig durch das Parlament festgelegt und öffentlich verantwortet werden müssen (zur Kontrolle der Mittelbewirtschaftung im Einzelnen vgl. demgegenüber § 10a BHO), müssen auch ihre Befugnisse durch Gesetz normenklar und bestimmt vor der Öffentlichkeit geregelt werden und Verantwortlichkeiten klar zugeordnet sein“.

Vor diesem Hintergrund würden die Vorschläge des Positionspapiers der Verteidigungsministerin zur Strategiefähigkeit und strategischen Kultur auch unmittelbare Bedeutung für die Dienste entfalten können:

Ein Bundesbeirat Sicherheit, der die Fachexpertise aus Wissenschaft, Forschung und Gesellschaft systematisch erfassen würde, würde einen wesentlichen Beitrag zur qualifizierten fachlichen wie politischen Meinungsbildung zu allen Fragen der äußeren und inneren Sicherheit leisten können. Allerdings wäre dessen Anbindung im Sinne eines erweiterten Sicherheitsbegriffs an einen Nationalen Sicherheitsrat in jedem Fall wesentlich sachlogischer und zielführender als eine Zuordnung an nur eines der einschlägigen Ressorts. Ein solcher Beirat wäre auch eine wichtige Flankierung für das in Deutschland noch junge Fach der „Intelligence and Security Studies“, zu denen seit 2019 an der Hochschule des Bundes für Verwaltung in Berlin und der Universität der Bundeswehr in München ein erster interdisziplinärer Masterstudiengang angeboten wird. Im internationalen Vergleich ist Deutschland auch hier eher ein Nachzügler und limitiert zudem die potentiell erhebliche politische Bedeutung dieser Entwicklung zumindest bis auf weiteres erheblich durch den Ausschluss der Öffentlichkeit. Sicherheitsbedenken müssen hier zweifellos ernst genommen werden. Auf der anderen Seite werden in den kommenden Jahren Kapazitäten zu schaffen sein, mit denen die überwiegend „offenen“ Studieninhalte und Forschungsergebnisse auch einem breiteren Kreis in Politik und Gesellschaft zugänglich gemacht werden können. Ein wesentliches Ziel der Intelligence Studies ist die Schaffung eines Freiraums für die wissenschaftliche Befassung mit den schwierigen und sensitiven Themen Sicherheit und Nachrichtendienste. Diese sind zu wichtig, als dass sie einem uninformierten öffentlichen Diskurs und einer hierauf aufbauenden politischen Meinungsbildung und letztlich auch Entscheidungsfindung überlassen werden dürfen. In diesem Sinne ist es auch ebenso folgerichtig wie notwendig, dass international bereits umfänglich zur Verfügung stehende Forschungsergebnisse und Diskussionen schon heute Eingang in Politikberatung und Planung finden. Ein Bundesbeirat Sicherheit könnte und sollte gerade auch im Bereich der Intelligence Studies eine wichtige Funktion als Mittler zwischen Academia, Verwaltung und Politik wahrnehmen.

Eine jährliche Sicherheitswoche im Bundestag, die im Positionspapier des BMVg in Anlehnung an die allseits bekannte Haushaltswoche angeregt wird, in der ein Jahresbericht der zuständigen Ressorts zur Bedrohungs- und Sicherheitslage vorgelegt und diskutiert werden würde, wäre in der Tat ein angemessener und bedeutsamer Rahmen für demokratische Meinungs- und Willensbildung in einem Politikfeld von essentieller Relevanz für die Bundesrepublik Deutschland. Dass hierbei notwendig auch die nachrichtendienstliche Dimension staatlicher Sicherheitsgewährung unter geeigneter Beteiligung der Dienste, ihrer Aufsichtsbehörden, der parlamentarischen Gremien und ggf. auch der Politikberatung und Intelligence-Forschung zu berücksichtigen sein würde, wäre dann nur folgerichtig.

Mit einer solchen Sicherheitswoche wäre die Chance einer institutionalisierten regelmäßigen  politischen Rückbesinnung auf die Voraussetzungen und Bedingungen für die Bewahrung demokratischer Selbstbestimmung und den Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung auch durch die Arbeit der Dienste ebenso geboten wie der Ansatz für eine perspektivische politisch-operative wie gesetzgeberische Befassung mit diesem wesentlichen Themenbereich.

Paradigmenwechsel für die Dienste

Das Kernanliegen der hier skizzierten Agenda ist die Einleitung eines Paradigmenwechsels in der öffentlichen Wahrnehmung und politischen Befassung mit dem Bundesnachrichtendienst, darüber hinaus jedoch aller weiteren Dienste und Behörden, die einen integralen Bestandteil der politisch wie verfassungsrechtlich gebotenen staatlichen Sicherheitsgewährleistung darstellen, im Interesse der Wahrung essentieller Interessen und der Zukunftsfähigkeit Deutschlands und seiner Partner.

Wie in allen Partnerstaaten sind auch in Deutschland die Dienste ein wesentlicher Bestandteil der Sicherheitsarchitektur und als solche eine wichtige politische Gestaltungsaufgabe zur Wahrung elementarer Sicherheits- und Zukunftsinteressen des eigenen Landes wie der durch gemeinsame Interessen und Werte verbundenen Staatengemeinschaft. Als Sicherheitspartner steht Deutschland in internationaler Verantwortung im Kreis der EU wie der NATO. Nationale Befähigungen und Befugnisse können nicht nur nach eigenen Werteentscheidungen und Güterabwägungen gestaltet werden; sie müssen auch in einem verantwortbaren Verhältnis zu den gemeinsamen Sicherheitserfordernissen stehen. Dies gilt bekanntlich für die militärischen Befähigungen ebenso wie im Bereich der Nachrichten- und Sicherheitsdienste. Ein deutscher Sonderweg nach dem „Hannemann“-Prinzip wäre hier weder solidarisch gegenüber der europäischen oder transatlantischen Sicherheitsgemeinschaft noch funktional in Bezug auf die bekanntlich nicht gering ausgeprägte deutsche Erwartungshaltung gegenüber eben diesen Partnern. In eine vergleichbare Richtung weist auch die immer wieder gerne bemühte Metapher des Navigierens „in der Mitte des Geleitzuges“, mit der die gefährlicheren Sicherungsaufgaben den „Außenpositionen“ ebenso überlassen werden wie die allgemeine Richtungs- und Geschwindigkeitsbestimmung des Konvois. Die auch in den aktuellen Wahlprogrammen wieder viel beschworene Integration deutscher Bemühungen in internationale Kontexte sollte hiermit nicht verwechselt werden. Sie bedingt vielmehr eine der geopolitischen Lage und finanziellen Kapazitäten angemessene konkrete deutsche sicherheits- und verteidigungspolitische Eigenleistung auch im nachrichtendienstlichen Bereich, auf deren Grundlage erst relevante Mitgestaltung der gemeinsamen Sicherheit und Glaubwürdigkeit wie Wirkungsmacht in der angestrebten Rolle als Friedensmacht Realität werden.

Nur auf der Grundlage einer differenzierten, fachlich konsolidierten und in angemessener Form kommunizierten Beurteilung der sicherheitspolitischen Lage und Exposition Deutschlands, seiner Partner und Verbündeten, einschließlich der sich hieraus ergebenden Risiko- und Bedrohungspotentiale, können sachgerechte politische Diskussionen und Entscheidungen zu Mandat und Befähigung der Dienste und ihrer Einbettung in resiliente, leistungsfähige Entscheidungs- und Handlungsstrukturen auf nationaler wie internationaler Ebene aufbauen.

Der GKND hat in diesem Sinne bekanntlich schon zu einigen aktuellen ND-politischen Fragen Stellung genommen. Er wird sich im Rahmen seiner Möglichkeiten auch weiterhin für eine solche Agenda und ihre Umsetzung engagieren.

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Das neue BND-Gesetz