Die Erste Lesung der Entwurfs zur Novellierung des BNDG vom 29.01.2021 und der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 27.01.2021

Bericht und Stellungnahmedes GKND


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Dr. Hans-Dieter Herrmann, Vorsitzender des Vorstandes

Zusammenfassung und Perspektive

Die Aussprache im Bundestag am 29.01.2021 anlässlich der Ersten Lesung des neuen Entwurfs der Bundesregierung zum BND-Gesetz bot die Gelegenheit, die aktuellen Positionen der Parteien zum Gesetz wie allgemein zum Bundesnachrichtendienst zur Kenntnis zu nehmen. Darüber hinaus hatte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diesbezüglich noch einen gesonderten Entschließungsantrag „Legitimität und Leistungsfähigkeit der Nachrichtendienste stärken – Kontrolle auf allen Ebenen verbessern und ausbauen“ eingebracht.

In der dreißigminütigen Aussprache betonten die Vertreter der Großen Koalition unter ausdrücklicher Berufung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Mai 2020 die verfassungsrechtlich hinterlegte zentrale Bedeutung, Notwendigkeit und Legitimität einer wirksamen Aufgabenerfüllung des Bundesnachrichtendienstes, die es bei der anstehenden Novellierung des BND-Gesetzes angemessen zu berücksichtigen gelte. Bis auf die AfD, die das Gesetz wie auch das diesem zugrundeliegende Urteil des Bundesverfassungsgerichts pauschal als einen weiteren Schlag gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ablehnte, fokussierten die Oppositionsparteien in erster Linie auf verschiedene Aspekte der vom BVerfG geforderten Kontrollregimes und -Mechanismen, so insbesondere, und in diesem Punkt auch in grundsätzlicher Übereinstimmung mit CDU/CSU und SPD, auf die Vorrangstellung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) als primus inter pares. Diskussions- und Nachbesserungsbedarf wurden auch in der personellen Zusammensetzung der neuen Kontrollinstanz, einer rechtssicheren Identifizierung von Journalisten (Hitschler), im Einfluss auf Verfahrensordnungen und die Geschäftsordnung des Kontrollrats (Kiesewetter) sowie der anzustrebenden Bestellung eines „Generalanwalts für die Wahrnehmung der Betroffenenrechte“ im neuen Unabhängigen Kontrollrat und Mitspracherechten des PKGr auch in den Entscheidungen des Kontrollrats, angekündigt. Zusätzlich wurden vergleichbare Kontrollregimes auch bezüglich aller anderen nachrichtendienstlichen Aktivitäten im BND, aber auch darüber hinaus in der deutschen Sicherheitsarchitektur, einschließlich des Militärischen Nachrichtenwesens der Bundeswehr angemahnt und mithin eine grundsätzliche Neuordnung der nachrichtendienstlichen Kontrolle und Überwindung ihrer organisatorischen Zersplitterung in jeweils unterschiedlichem Umfang und Detaillierungsgrad gefordert (Hitschler, von Notz, Thomae).

Der Gesetzentwurf wie der Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 27.01.2021 „Legitimität und Leistungsfähigkeit der Nachrichtendienste stärken – Kontrolle auf allen Ebenen verbessern und ausbauen“, wurden zur weiteren Beratung und Sachverständigenanhörung in die Ausschüsse verwiesen. Der Bundesrat wird sich in einem ersten Durchgang am 12. Februar 2021 mit der Vorlage befassen .

 

Die Positionen der Parteien im Einzelnen

Der Bundesminister für besondere Aufgaben, Prof. Dr. Helge Braun, verwies eingangs auf die eindeutige Feststellung des BVerfG vom 19. Mai 2020, die ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer wirksamen Auslandsaufklärung attestiere und damit die Bedeutung eines modernen und leistungsfähigen Bundesnachrichtendienstes für unsere Sicherheit betone. Der BND sei ein essenzieller Bestandteil deutscher Sicherheitsarchitektur. Die Bundesregierung müsse immer wieder in internationalen Konflikten ihre Position bestimmen, sie müsse entscheiden, ob und, wenn ja, wie sie Partei ergriffen. Das sei angesichts von subjektiven Informationen und Falschinformationen eine große Herausforderung. Er unterstrich die Notwendigkeit der Aufklärung des internationalen Terrorismus mit seinen unmittelbaren Gefährdungen deutscher Sicherheit, der rechtzeitigen Identifizierung und Abwehr von Cyberangriffen und von hybriden Bedrohungen, ebenso wie die wichtige Funktion der Auslandsaufklärung des Dienstes beim Schutz deutscher Einsatzkräfte im Ausland.

Deutschland habe „den Anspruch, einen modernen Nachrichtendienst zu haben, der seine Aufgaben effektiv erfüllt, der dafür aber auch eine klare rechtliche Grundlage hat und für seine Aufgabe auch eine wirksame Kontrolle“. Im Lichte des Bundesverfassungsgerichtsurteils seien der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung klare und enge rechtsstaatliche Grenzen gesetzt. Vertraulichkeitsbeziehungen von Berufsgeheimnisträgern, wie zum Beispiel Journalistinnen und Journalisten, seien nunmehr besser geschützt. Das Parlamentarische Kontrollgremium als unverändert zentrale Gremium für die Kontrolle des BND werde künftig durch einen Unabhängigen Kontrollrat unterstützt, der im Gegenzug zur parlamentarischen Kontrolle die lückenlose und umfassende Rechtskontrolle der technischen Aufklärung des BND sicherstelle.

Die SPD-Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Uli Grötsch und Thomas Hitschler, betonten ihrerseits übereinstimmend die Notwendigkeit eines gut aufgestellten, leistungsstarken und effektiven Bundesnachrichtendienstes. Der Bundesnachrichtendienst leiste entgegen anders lautender Unkenrufe hervorragende Arbeit und einen großen Beitrag zur Sicherheit des Landes. Dies solle und müsse auch so bleiben. Die bisherige Abhörpraxis des Bundesnachrichtendienstes, sei vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich als mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt worden. Hier bestehe nunmehr abschließend Rechtsklarheit, ebenso wie in der Frage der globalen Bindung deutschen staatlichen Handelns an die Grundrechte. Es gelte nun, das BND-Gesetz dem Urteil entsprechend auszugestalten, ohne die Arbeitsfähigkeit des BND zu stark einzuschränken. Die parlamentarische Kontrolle durch das PKGr müsse, durchaus im Einklang mit der Forderung der GRÜNEN, weiter rechtlich und organisatorisch gestärkt werden. Der Abgeordnete Hitschler führte zusätzlich Erörterungs- und Verbesserungsbedarf in Einzelfragen des Kontrollregimes an, wie die personelle Zusammensetzung der neuen Kontrollinstanz, die rechtssichere Identifizierung von Journalisten, und grundsätzlich die Erweiterung der PKGr-Zuständigkeiten auf faktisch nachrichtendienstliche Aktivitäten des militärischen Nachrichtenwesens der Bundeswehr.

Der Vorsitzende des PKGr, Roderich Kiesewetter (CDU), unterstrich die Notwendigkeit etablierter Rechtssicherheit für den Bundesnachrichtendienst im Interesse seiner für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland essentiellen Auftragserfüllung. Der Dienst sei wesentlicher Bestandteil der deutschen Sicherheitsarchitektur. Zugleich seien Nachbesserungen am Gesetzentwurf angeraten: Das PKGr müsse so als „primus inter pares“ mit dem Unabhängigen Kontrollrat, der G10-Kommission, dem Vertrauensgremium und dem Bundesdatenschutzbeauftragten zusammenarbeiten. Das Parlament müsse auch Einfluss auf Verfahrensordnungen und die Geschäftsordnung des Unabhängigen Kontrollrats nehmen. Alle müssten sich jedoch dessen bewusst sein, dass die Sicherheit des Nachrichtendienstes und seiner Angehörigen und die verlässliche Information für die Bundesregierung an allererster Stelle stünden.

Der CSU-Abgeordnete Dr. Volker Ullrich stellte erneut auf die vom Bundesverfassungsgericht konstatierte Verfassungsmäßigkeit und auch entsprechend hinterlegte Erforderlichkeit einer wirksamen Auslandsaufklärung im Interesse der Selbstbehauptung Deutschlands angesichts vielfältiger gravierender internationaler Gefahren und Risiken ab. Zugleich müsse Vertrauen bei den ausländischen Partnerdiensten, auf deren Kooperation Deutschland im Interesse seiner Sicherheit angewiesen sei, erhalten bleiben. Auch Dr. Ullrich plädierte für eine weitere Stärkung der parlamentarischen Kontrolle im Zusammenwirken mit dem Unabhängigen Kontrollrat.

Das PKGr-Mitglied Dr. Konstantin von Notz (DIE GRÜNEN) hob die Bedeutsamkeit des BVerfG-Urteils und der Gesetzesnovelle hervor: Es gehe „um nichts weniger als die Verrechtsstaatlichung einer Praxis, die vom BND über viele, viele Jahre nicht nur in irgendeinem Graubereich, sondern schlichtweg rechtswidrig durchgeführt“ worden sei. Das Bundesverfassungsgericht habe deutlich gemacht, wie zentral eine wirksame, unabhängige Kontrolle für die Legitimität der Nachrichtendienste sei. Grundsätzlich sei daher die Auflösung der Third-Party-Rule-Problematik durch die Schaffung eines Unabhängigen Kontrollrats in der Sphäre der Exekutive zu begrüßen. Das Zentrum der Kontrolle nachrichtendienstlicher Betätigung sei und bleibe jedoch in einem verfassten demokratischen Rechtsstaat das Parlament. In Anlehnung an den zeitgleich eingebrachten Entschließungsantrag seiner Fraktion plädierte Dr. von Notz für eine Stärkung und Vernetzung aller Ebenen der Kontrolle, bei der das PKGr gestärkt im Mittelpunkt stehe, darüber hinaus für eine stärkere und weitere Professionalisierung der G-10-Kontrolle, mehr technischen Sachverstand und ungehinderten Kontrollzugang zu den BND-Systemen selbst sowie eine Stärkung des BfDI. Darüber hinaus sei künftig auch der Bereich der Quellenführung einer parlamentarischen Kontrolle zu unterwerfen. Der BND mache in diesen schwierigen Zeiten eine enorm bedeutsame und wichtige Arbeit. Wirksame Kontrolle, Transparenz, Nachvollziehbarkeit für die Nachrichtendienste und die Exekutive schaffe hierbei die Legitimität, die in einem Rechtsstaat erforderlich sei.  

Das PKGr-Mitglied der FDP, Stephan Thomae, fokussierte auf die fachlichen Herausforderungen, aber auch auf die aus Sicht der FDP im Gesetzentwurf nur unzureichend wahrgenommenen Gestaltungsmöglichkeiten, die sich bei der Umsetzung der erforderlichen nachrichtendienstlichen Kontrolle nach den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts ergäben. Angeregt wurde so die zusätzliche Bestellung eines „Generalanwalts für die Wahrnehmung der Betroffenenrechte“ im neuen Unabhängigen Kontrollrat. Mitspracherechte des PKGr, auch in den Entscheidungen des Kontrollrats, seien unerlässlich, die Gelegenheit zu einer grundsätzlichen Neuordnung der nachrichtendienstlichen Kontrolle und Überwindung ihrer organisatorischen Zersplitterung werde im aktuellen Gesetzesentwurf bedauerlicherweise versäumt. Das PKGr und sein Ständiger Bevollmächtigter seien als ein inzwischen in Effizienz und Sachgerechtigkeit anerkanntes Instrument der parlamentarischen Kontrolle, unter anderem auch durch die Bestellung eines Nachrichtendienstbeauftragten, weiter zu stärken.

PKGr-Mitglied Dr. André Hahn (DIE LINKE) trug vor, „die anlasslose Massenüberwachung des Bundesnachrichtendienstes, BND, im Ausland“ sei verfassungswidrig gewesen und sei es immer noch. Dies habe das Bundesverfassungsgericht im Mai 2020 entschieden. Auch das neue BND-Gesetz werde aller Voraussicht nach wieder Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde werden. Die aktuelle Gesetzesvorlage diene letztlich der nachträglichen Legalisierung illegaler Praktiken des BND. Die behauptete Beseitigung der vom BVerfG beanstandeten Rechtsverstöße ließe tatsächlich „klaffende Schlupflöcher“ offen. Die parlamentarische Kontrolle internationaler Kooperation unterbleibe weiterhin vollständig; der Schutz von Journalisten sei „so windelweich formuliert“, dass der BND de facto weiter machen könne, was er wolle. Zudem solle der BND demnächst staatliches Hacking betreiben, ohne dass hier klare Grenzen gesetzt worden seien. Durch die Schaffung des sogenannten Unabhängigen Kontrollrates werde die ohnehin schon zersplitterte Geheimdienstkontrolle in Deutschland weiter fragmentiert. Kein Gremium habe künftig mehr einen echten Überblick darüber, was beim BND wirklich laufe. Überdies könne von einer Unabhängigkeit des Rats angesichts der personalwirtschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Bundesregierung ohnehin keine Rede sein.

Der Abgeordnete Dr. Christian Wirth (AfD), Mitglied des Innenausschusses, beklagte, der BND sei mit dem Urteil und dem Gesetzentwurf „praktisch ausgegrätscht“ worden. Die Ausdehnung des Grundrechtsschützes auf Ausländer im Ausland verhindere die Auftragserfüllung des Dienstes bei der Gefahrenabwehr und Force Protection. Das Wenige, was doch noch möglich sei, würde dann durch die Kontrollmechanismen erstickt. Partner würden sich endgültig vom Dienst angesichts seiner Handlungsunfähigkeit abwenden.

 

Stellungnahme

Die Sitzung vom 29.01.2021 ist symptomatisch für den öffentlichen Diskurs in Deutschland zum Thema Nachrichtendienste, der traditionell in erster Linie im Zeichen rechtsstaatlicher Einhegung und deren bestmöglichen Organisation steht, sich jedoch kaum der ebenfalls essentiellen Frage widmet, wie die erforderlichen staatlichen Befähigungen zur verfassungsrechtlich gleichermaßen hochrangig hinterlegten Wahrung der elementaren Sicherheitsinteressen von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat zu schaffen, zu erhalten und weiter zu entwickeln seien.

Auch in dieser Aussprache blieb die Attestierung von verfassungsrechtlicher Legitimität, sicherheitspolitischer Notwendigkeit und Relevanz im Wesentlichen der Bundesregierung und den sie tragenden Parteien vorbehalten. Diese widmeten sich dieser Aufgabe in pointierter Weise, wenngleich „in gebotener Kürze“, während sich vergleichbare Aussagen auf Seiten der Oppositionsparteien allenfalls inzidenter erkennen oder auch nur konkludent im Kontext erschließen ließen. Hier standen die Themen der „Verrechtsstaatlichung“ und der optimalen parlamentarischen, rechtlichen und administrativen Kontrolle nahezu ausschließlich im Vordergrund, und so waren dann auch die Gewichte in der Medienberichterstattung verteilt.

Ob diese Herangehensweise einer ganzheitlichen Würdigung und sachgerechten Behandlung der hier anstehenden Fragestellungen dienlich ist, wird zu bezweifeln sein. Im aktuellen Rahmen wird die allgemeine Perzeption der staatlichen Sicherheitsarchitektur als ein im Wesentlichen in erster Linie zu kontrollierendes und einzuhegendes, mithin in seiner Legitimität, Existenzberechtigung und Ausprägung implizit eher fragwürdiges Phänomen gefördert, während die zentralen Fragen nach Zweckbestimmung, Zweckrationalität, Art, Natur und Wertigkeit ihrer Aufgabenstellung und der hierzu erforderlichen Befähigungen sowie ihrer politischen und rechtlichen Mandatierungen überwiegend im Hintergrund oder im Marginalen bleiben.

Sowohl unter funktionalen als auch unter verfassungsrechtlichen und grundsätzlichen ethischen Erwägungen besteht ja kein vernünftiger Zweifel daran, dass die Machtmittel eines Staates und ihre Nutzung, wie staatliches Handeln allgemein, in sachgerechter und wirksamer Weise vom Souverän zu kontrollieren sind, der schließlich diese Institutionen zur Wahrnehmung seiner eigenen elementaren Interessen auch geschaffen und berufen hat. Dieser politischen, rechtlichen und administrativen Kontrolle sachlogisch vorgelagert ist jedoch notwendig die Wahrnehmung der politischen Gestaltungsaufgabe zur sachgerechten Schaffung, Wahrung und Weiterentwicklung der Befähigungen zur Gewährleistung staatlicher Kernaufgaben durch eben diesen Souverän und seine gewählten Vertreter.

Das Bundesverfassungsgericht hat hier in Bezug auf den Bundesnachrichtendienst und die Wertigkeit seiner funktionalen Bestimmung und verfassungsrechtlich hinterlegten Aufgabenstellung keinen Zweifel gelassen:

„Zu berücksichtigen ist dabei auch das überragende öffentliche Interesse an einer wirksamen Auslandsaufklärung. (161) … Insoweit geht es mittelbar zugleich um die Bewahrung demokratischer Selbstbestimmung und den Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung – und damit um Verfassungsgüter von hohem Rang. In Frage steht mithin ein gesamtstaatliches Interesse, das über das Interesse an der Gewährleistung der inneren Sicherheit als solcher deutlich hinausgeht. (162)“

„Solche Aktivitäten [weltweit verflochtene organisierte Kriminalität und Geldwäsche, Menschenhandel, elektronische Angriffe auf informationstechnische Systeme, internationaler Terrorismus oder Handel mit Kriegswaffen] zielen zum Teil auf eine Destabilisierung des Gemeinwesens (vgl. zum internationalen Terrorismus BVerfGE 115, 320 <357>; 133, 277 <333 f. Rn. 133>; 143, 101 <138 f. Rn. 125>) und können zur Bedrohung für die verfassungsmäßige Ordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder der Länder sowie für Leib, Leben und Freiheit werden. Dies sind Rechtsgüter von überragendem verfassungsrechtlichen Gewicht, für deren Schutz der Gesetzgeber eine wirksame und zugleich rechtsstaatlich eingehegte Auslandsaufklärung als unverzichtbar ansehen kann (vgl. BVerfGE 115, 320 <358>; 143, 101 <138 f. Rn. 124 ff.>).

Es ist diese Zweckbestimmung und Aufgabenstellung, in der primär die politische und verfassungsrechtliche Legitimität des Bundesnachrichtendienstes liegt, wie mutatis mutandis generell der Sicherheitsstrukturen der Bundesrepublik Deutschland, und erst im Nachgang auch in seiner Kontrolle, die als solche erst einmal notwendig akzessorisch zur Existenz und Finalität des Kontrollgegenstandes ist. A priori illegitime oder irrelevante Funktionalitäten würden allein schon sachlogisch nicht durch rechtliche und administrative Kontrollregimes legimitiert.

Am Anfang stehen damit notwendig immer politische und verfassungsrechtliche Werteentscheidungen, im konkreten Fall zu Art, Umfang und Ausmaß der Schutzbedürftigkeit der Bundesrepublik Deutschland in ihrer verfassungsmäßigen Ordnung, in ihrem Bestand, ihrer Sicherheit und in der Unversehrtheit von Leib, Leben und Freiheit der Menschen. Zuallererst bedürfen diese der politischen Diskussion, des Konsenses oder zumindest einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung, auf deren Grundlage die für sachgerecht, erforderlich und verhältnismäßig erachteten Maßnahmen zu beschließen, umzusetzen und erst in der Folge dann auch rechtsstaatlich zu kontrollieren sind. Ausgangspunkt ist mithin ein gemeinsames oder zumindest mehrheitliches Verständnis der existenziellen Herausforderungen für Wohlstand, Sicherheit, Zukunftsfähigkeit, Freiheit und Selbstbestimmung der Bundesrepublik Deutschland, seiner Partner und Verbündeten, aus der sich dann entsprechende sicherheitspolitische Gestaltungsnotwendigkeiten und -optionen ergeben. Diese wiederum haben dem vom Bundesverfassungsgericht formulierten Kriterium der Wirksamkeit Rechnung zu tragen, um dem verfassungsrechtlich hinterlegten Schutzauftrag gerecht werden zu können. Wirksamkeit bestimmt sich wiederum in erster Linie durch Art, Qualität und Umfang operativer und technischer Befähigungen und sach- und auftragsgerechter rechtlicher Mandatierungen.

Wirksamkeit ist wiederum Kernelement für die Glaubwürdigkeit einer staatlichen Institution in ihrer Fähigkeit zur sachgerechten Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben, im vorliegenden Fall ihres Beitrags zur Sicherheitsgewährleistung, die ihrerseits die funktionale Legitimität der in Frage stehenden Institution generiert. Funktionalität in der Erfüllung einer auf demokratischer Willensbildung beruhenden Aufgabe ist die notwendige Grundlage für politische Legitimität. Diese basiert damit hier zunächst einmal auf öffentlicher Einsicht in die Gefährdungslagen und mehrheitlicher Anerkennung der Notwendigkeit von Vorsorge-, Schutz- und Abwehrmechanismen und ihrer Ziel- und Sachgerechtigkeit wie ihrer Angemessenheit. Dies wiederum erfordert einen entsprechenden öffentlichen politischen Diskurs, der gerade auch in der Verantwortung der Parteien als maßgeblichen Trägern der demokratischen politischen Willensbildung liegt.

Insoweit wird zum Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zu bedenken zu geben sein, dass dieser allein, und dies in großer Detailtiefe und Regelungsdichte, auf eine umfassende rechtliche und administrative Kontrolle als Grundlage für die angestrebte „Stärkung von Legitimität und Leistungsfähigkeit“ des Bundesnachrichtendienstes und darüber hinaus auch aller anderen Teile der staatlichen Sicherheitsarchitektur abhebt.

Dieser Ansatz, der in zahlreichen Elementen ohnehin noch einer weitergehenden Analyse und Diskussion bedarf, sollte daher in der kommenden gesetzgeberischen Erörterung wie auch grundsätzlich nicht für sich allein stehen. Er sollte vielmehr durch eine vertiefte und umfassende sicherheitspolitische Standortbestimmung und eine parlamentarische Befassung mit den notwendigen Befähigungen ergänzt werden, die zum Schutz der elementaren Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland und der in ihr lebenden Menschen aktuell und in Zukunft erforderlich und allein oder im Verbund mit Freunden und Partnern leistbar sind. Der Diskussion, wie den globalen Herausforderungen, Risiken und Bedrohungen wirksam zu begegnen sei, wird auf europäischer und internationaler Ebene gerade auch im Hinblick auf die erforderlichen Befähigungen erhebliche Aufmerksamkeit gewidmet. Dies sollte mithin auch in Deutschland gerade in den kommenden Monaten der Meinungsbildung im Vorfeld der Bundestagswahlen, nicht nur möglich, sondern eigentlich auch geboten sein.

Ein entsprechender Entschließungsantrag zu den für eine Selbstbehauptung aktuell und in der Zukunft erforderlichen nachrichtendienstlichen Befähigungen wäre hier daher ebenso zeitgerecht und zielführend wie wünschenswert.


Dr. Hans-Dieter Herrmann

Vorsitzender

 
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Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des BND-Gesetzes

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Kernaussagen des Bundesverfassungsgerichts zur Auslandsaufklärung des Bundesnachrichtendienstes