Befähigung und Kontrolle - Rahmenbedingungen für die strategische Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des BND

Eine Hintergrundinformation des GKND


Die folgende Fassung des Papers enthält keine Fußnoten. Die vollständige Fassung können Sie über das PDF abrufen

Die notwendige Voraussetzung für ein sachgerechtes Verhältnis zwischen normativer Ermächtigung, Genehmigungs- und Kontrollmechanismen auf der einen und notwendigen Befähigungen zu gesetzlicher Auftragserfüllung auf der anderen Seite ist ein fundiertes Verständnis des Kontrollgegenstands, seiner Bedeutung und Wertigkeit im Gefüge der gesamtstaatlichen Interessen, seiner Wesensmerkmale und der inhärenten Bedingungen seiner Funktionalität.

Nur in ausreichender Kenntnis dieser Faktoren lassen sich Mechanismen entwickeln, die einerseits die verfassungsrechtlich auch für staatliches Handeln im Ausland geforderte Verhältnismäßigkeit der Eingriffe, die größtmögliche Vermeidung, ggf. rasche Behebung von Kollateraleffekten und die Sicherheit vor Missbrauch sicherstellen, zum anderen aber auch die ebenfalls verfassungsrechtlich hinterlegte Funktionalität des Sensors Fernmeldeaufklärung im gebotenen Maße ermöglichen. Symbolische Kompetenzen ohne ausreichende konkrete operative Befähigung haben bei der Wahrung „essentieller gesamtstaatlicher Belange, die über das Interesse an der Gewährleistung der inneren Sicherheit als solcher deutlich hinausgehen“ (BVerfG-Urteil, Rn. 161, 162) keinen Platz. Sie führen zu gefährlichem weil illusionärem Sicherheitsgefühl, unzureichenden Entscheidungsgrundlagen, vermeidbaren Fehleinschätzungen und Fehlurteilen, im Extremfall auch zu Handlungsunfähigkeit.

Aufbauend auf der bereits vorgelegten Darlegung der sachlogisch zwingenden Anforderungen, die an die Befähigungen einer strategischen Fernmeldeaufklärung mit Anspruch auf Relevanz gestellt werden, möchte der GKND in der aktuellen Hintergrundinformation zum Verständnis dieser Zusammenhänge im Interesse einer sachgerechten Diskussion der anstehenden Novellierung des BND-Gesetzes beitragen.

 

1) Bedeutung der strategischen Fernmeldeaufklärung

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 19. Mai 2020 der Fernmeldeaufklärung eine ganz erhebliche Bedeutung beigemessen (s. bereits Stellungnahme GKND vom 14.09.2020). Die Ergebnisse einer angemessen befähigten und mandatierten strategischen Aufklärung relevanter technischer Kommunikationsbeziehungen tragen maßgeblich zur Zeitgerechtigkeit und Qualität staatlicher Entscheidungsfindung und Aktion zum Schutz hochrangiger Verfassungsgüter bei, im Einzelfall sind sie, oft im notwendigen Verbund mit Ergebnissen von geographisch und/oder technisch komplementär positionierten Partnerdiensten, deren alleinige Grundlage. Die unaufhaltsame Verlagerung immer weiterer Bereiche des realen (analogen) Lebens in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in den Cyberraum erhöht in dramatischer Weise die Relevanz moderner technischer Aufklärungsmittel für die rechtzeitige Identifizierung und Qualifizierung von Gefahrenquellen ebenso wie für die zielgerichtete und lageangemessene Handlungsfähigkeit der Bundesregierung und der zuständigen Behörden und Dienste im Bereich von Vorbeugung, Gefahrenabwehr, Resilienz und Krisenbewältigung. Ohne eigene moderne und leistungsfähige Fernmeldeaufklärung werden nationale Entscheidungsträger auf strategischer wie taktischer Ebene „blind“ und laufen Gefahr, sich in existentielle Abhängigkeit von besser ausgestatteten und mandatierten Partnern mit nicht notwendigerweise gleichgearteten und gleichgerichteten Eigeninteressen zu begeben. Gesetzgeberische Entscheidungen zur Fernmeldeaufklärung werden diese Konsequenzen im Blick behalten müssen.

 

2) Wesensmerkmale der strategischen Fernmeldeaufklärung

Die strategische Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung ist ihrem Wesen nach langfristig und – nicht zuletzt aufgrund der Globalisierung politischer, wirtschaftlicher, ökologischer und gesellschaftlicher Verhältnisse wie auch ihrer technischen Manifestationen, einschließlich der Kommunikation selbst, – tendenziell global ausgerichtet. Gefährdungspotentiale bauen sich langsam, inkremental und häufig auch im Verborgenen auf, auch wenn sie sich am Ende als taktische Überraschung manifestieren und dann mit großer Eigendynamik und Geschwindigkeit eskalieren. Ohne den frühzeitigen Aufbau und Einsatz geeigneter Aufklärungspotentiale sinken daher die Chancen für eine angemessene Krisenbewältigung, geschweige denn eine Krisenvermeidung oder Vorsorge, dramatisch. Vermeidbare Rückschläge, Verluste und Opfer sind die Konsequenz.

Strategische Fernmeldeaufklärung muss generell in der Wahl ihres Zielspektrums breit ansetzen und ergebnis- wie ereignisabhängig hochflexibel in der weiteren technischen Operationsführung sein, um überhaupt eine Chance zu haben, neben „known unknowns“ auch die potentiell wesentlich relevanteren und gefährlicheren „unknown unknowns“ quasi „differenzialdiagnostisch“ aus der Summe eines zunächst unspezifisch erscheinenden Aufkommens einzugrenzen, zu identifizieren und zu qualifizieren.

Hier lassen sich deutliche methodische Parallelen zur Erdbeobachtung durch Satelliten ziehen: Nur wer über ein umfassendes Spektrum von ausgewertetem Referenzmaterial, quasi ein spezifisches technisches und fachliches Gedächtnis, verfügt, kann die Aussagekraft und Relevanz eines aktuell aufgenommenen Bildes erkennen. Nur in Ausnahmefällen sind derartige Aufklärungsergebnisse aus sich selbst heraus verständlich. Nur auf der Grundlage umfassender geographischer und technischer Referenzen, die durch eine vorherige, langfristig angelegte systematische Erfassung und Auswertung gewonnen worden sind, ist überhaupt eine aktuelle zielgerichtete Steuerung der satellitengestützten Erdbeobachtung mit Aussicht auf handlungsleitende Ergebnisse möglich.

Das Gleiche gilt in der Regel auch für die strategische Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung: „Aus dem Stand“ geht hier gerade auch im Fall krisenhafter Entwicklungen ohne langfristig und breit angelegte Vorbereitung (fast) nichts; ebenso nicht in Bezug auf klandestine transnationale kriminelle oder terroristische Netzwerke oder auch komplexe Strukturen und Vorgänge in problematischen Drittstaaten. Entscheidend ist in all diesen Fällen, ob und in welchem Ausmaß aussagekräftiges Referenzmaterial, in der Regel in Form von Kommunikationsmerkmalen, zur Verfügung steht, entweder zur direkten Nutzung oder aber als möglichst einschlägiger Ansatz- und Ausgangspunkt für die weitere Recherche nach thematisch relevantem Aufkommen. Sind andererseits die technischen und personellen Voraussetzungen für die Überwachung eines Kommunikationsnetzes einmal geschaffen, kann auch auf kurzfristig eintretende Aufklärungserfordernisse sehr rasch, im Einzelfall in Minutenschnelle, zielgerichtet reagiert werden.

Hier gewinnt dann auch die Fähigkeit zur internationalen Zusammenarbeit ihre besondere Bedeutung, sei es im Hinblick auf Referenzmaterialien zur Steuerung der eigenen Sensoren, sei es in der Nutzung von Sensoren außerhalb des eigenen nationalen Verfügungsbereichs. Es liegt dabei in der Natur der Sache, dass derartige Kooperationsstrukturen auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und der strikten Geheimhaltung von in der Regel mit großem personellen, technischen und materiellen Aufwand geschaffenen und weiterentwickelten Fähigkeiten beruhen. Die internationale Toleranz gegenüber Fehlleistungen, Indiskretionen, aber auch struktureller „Trittbrettfahrerei“ ist in diesem Bereich daher auch besonders gering ausgeprägt. Ein struktureller Mangel an eigener Befähigung induziert mithin auf Dauer die wachsende Unwilligkeit selbst von wohlmeinenden Partnern, eigene Kapazitäten zur Kompensation von Schwächen anderer zur Verfügung zu stellen. Wird eine solche Entwicklung billigend oder fahrlässig in Kauf genommen, stehen schmerzhafte operative Defizite beim Schutz essentieller Rechtsgüter zu befürchten. Eine adäquate Befähigung zur Eigenleistung wie zur internationalen Kooperation ist daher zur Wahrung elementarer, verfassungsrechtlich hinterlegter Sicherheitsinteressen unverzichtbar.

 

3) Befugnisse, Genehmigungs- und Kontrollverfahren

Vor diesem Hintergrund wird die nun anstehende Novellierung des BND-Gesetzes zwischen den „Rechtsgütern von überragendem verfassungsrechtlichem Gewicht, (nämlich) der verfassungsmäßigen Ordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder der Länder sowie von Leib, Leben und Freiheit“ (BVerfG, Urteil vom 19.05.2020, Rn. 163) seiner Bürger auf der einen Seite, und einer auf Grundrechtsträger im Ausland gerichteten Grundrechtsgewährung gemäß Artikel 10 und 5 des Grundgesetzes auf der anderen Seite, abzuwägen haben.

Der GKND will hier in besonderem Maße die Notwendigkeit in Erinnerung rufen, zur Wahrung der gesamtstaatlichen Interessen, die bekanntlich ihrerseits Voraussetzung und Rahmen für die Verwirklichung der Grundrechte bilden, die fachlich für die Auftragserfüllung erforderlichen Befugnisse und Befähigungen zur Verfügung zu stellen und diese in ein System der Kontrolle einzubetten, das in seiner Struktur und Leistungsfähigkeit Rechtsstaatlichkeit gewährleistet und gleichzeitig auftragsgerechte Handlungsfähigkeit ermöglicht.

Hierbei sollten folgende Kriterien und Maßstäbe Berücksichtigung finden:

  • Der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des BND als Mittel der Bundesregierung zur Schaffung angemessener Entscheidungs- und Handlungsgrundlagen müssen auch im Rahmen der anstehenden Novellierung die technisch und fachlich erforderlichen Mittel an die Hand gegeben werden, Erfassung und Auswertung in einer lage- und auftragsgerechten Quantität, Qualität, Zeitgerechtigkeit und Flexibilität zu leisten. Eventuell sich nunmehr ergebende unvermeidliche Einschränkungen werden im Hinblick auf ihre jeweiligen Auswirkungen auf die künftige Handlungsfähigkeit zu bewerten und im Rahmen der Beratungen klar aufzuzeigen sein. Die Konsequenzen von Neuregelungen für die Erfüllung des verfassungsrechtlich hinterlegten Auftrags der Fernmeldeaufklärung müssen in der notwendigen Transparenz erörtert und verantwortet werden.

  • Die für die Auftragserfüllung essentielle Kompetenz und Befähigung zu breiter internationaler Kooperation, sowohl im Rahmen langfristig angelegter als auch kurzfristig in Krisensituationen erforderlicher Arbeits- und Austauschbeziehungen, dürfen im Kern nicht gefährdet werden. Dies gilt in gleichem Maße auch für die sachlich gebotene Weitergabe von gewonnenen Erkenntnissen und Hinweisen an deutsche oder ausländische Stellen durch die Bundesregierung oder den Dienst.

  • Antrags- und Genehmigungsverfahren müssen in personeller Ausstattung, Organisationsstrukturen, Abläufen und in spezifischer Expertise den zeitlichen, organisatorischen und fachlichen Herausforderungen einer zunehmend dynamischen, global ausgerichteten und technisch hochentwickelten Fernmeldeaufklärung in vollem Umfang standhalten können. Situationen, in denen aufgrund strukturell unzureichender Reaktions- und Bescheidungsfähigkeit sach- und insbesondere zeitgerechtes Handeln verzögert oder gar verhindert wird, darf es nicht geben.

  • Das Verhältnis zwischen ex-ante, begleitender und einer ex-post-Kontrolle muss im Interesse einer reaktionsstarken operativen Handlungsfähigkeit der Fernmeldeaufklärung des Dienstes mit angemessen dimensionierten und befähigten eigenen Kapazitäten der Kontrollinstanzen ausgestaltet sein: Die Fähigkeit zur raschen begleitenden oder auch zeitnahen administrativen ex-post Kontrolle muss hier besonders ausgeprägt sein, um mögliche Irrtümer im Rahmen einer dynamischen, Handlungsoptionen offen lassenden ex-ante-Kontrolle bereits kurzfristig wieder beheben zu können. Sie müssen darüber hinaus so geartet und eigenständig personell wie technisch und organisatorisch ausgestattet sein, dass sie keine zusätzlichen Kapazitäten aus dem Kernbereich der Aufgabenwahrnehmung des Dienstes abziehen.

  • Der prozeduralen Geheimhaltung im Rahmen der rechtlichen wie administrativen Kontrolle ist im Interesse des elementaren Vertrauensschutzes gegenüber Dritten wie der Wahrung der eigenen essentiellen operativen Sicherheitsinteressen höchste Priorität einzuräumen. Die Gewährleistung von Geheimhaltung muss sich glaubhaft in funktional und aufbauorganisatorisch spezifischen Strukturen manifestieren.

„Strong capabilities need strong oversight“: Diese in Großbritannien im Kontext mit der Kontrolle der Nachrichtendienste gerne zitierte Maxime verdeutlicht den inhärenten Bedingungszusammenhang zwischen Handlungsfähigkeit und Kontrolle. Beides muss in einem angemessenen Verhältnis zu einander stehen, um Rechtssicherheit und Aufgabenerfüllung gleichermaßen gewährleisten zu können.

 
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