Mehr Transparenz und Profil wagen!

Ein Plädoyer für eine koordinierte Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung zu den Nachrichtendiensten


Die folgende Fassung des Papers enthält keine Fußnoten. Die vollständige Fassung können Sie über das PDF abrufen

Dr. Hans-Dieter Herrmann, Vorsitzender des Vorstandes

In seiner Stellungnahme zum Koalitionsvertrag hatte der GKND bereits im vergangenen Jahr auf ein öffentliches Kommunikationsdefizit zu den Diensten hingewiesen, das eventuell der spezifischen Situation im Vorfeld der Koalitionsbildung geschuldet gewesen sein mag, jedoch einem Neuanfang im Sinne einer stärkeren Einbeziehung der Dienste in einen konstruktiven politischen Diskurs nicht im Wege stehen sollte.

In diesem Zusammengang sei auch auf den Umstand verwiesen, dass in zahlreichen westlichen Demokratien die Dienste mittlerweile öffentliche Berichtsformate gefunden haben, mit denen sie Einblick in ihren Auftrag, ihre Arbeit und ihre Lagebeurteilung geben und so einen Beitrag zu einem vertieften öffentlichen Verständnis sicherheitspolitischer Zusammenhänge, Risiken und Bedrohungsszenarien und damit auch zu Transparenz und demokratischer Legitimation leisten.

Aus unserer Sicht ließe sich in diesem Bereich bereits mit einem überschaubaren organisatorischen Aufwand eine deutliche Erweiterung von Kommunikationsmöglichkeiten und -Formaten erzielen, mit denen ein höheres Maß an sicherheitlich vertretbarer Transparenz, sachlichem Verständnis, insbesondere aber auch an politischer Legitimation in der Öffentlichkeit erzielt werden könnte.

Transparenz- und Informationspolitik zu den Diensten

Die Dienste haben als Teil der deutschen Sicherheitsarchitektur eine ausgeprägte gesamtstaatliche und damit ressortübergreifende Dimension in ihrer Aufgabenstellung und Aufgabenerfüllung, die seitens der Bundesregierung in ihrer Gesamtheit betrachtet, bewertet und gestaltet werden sollte. Dies gilt ebenso für ihre mediale Präsentation und Würdigung im Rahmen der Kommunikation zu sicherheitspolitischen Inhalten.

Die Koordination der Nachrichtendienste des Bundes liegt seit jeher und sachlogisch begründet in Händen des Bundeskanzleramts. Dies sollte mithin auch für die Konzipierung und Operationalisierung ihrer politischen Vertretung seitens der Bundesregierung gelten.

Hierfür bietet es sich an, in der Abteilung 7 des Bundeskanzleramtes eine Stabsstelle Kommunikation einzurichten, die zusammen und in Abstimmung mit den entsprechenden Stellen in den Ressorts und Diensten eine inhaltliche wie prozedurale Kommunikationsstrategie entwickelt, operationalisiert und implementiert.

Gemeinsame Botschaften könnten so definiert und organisiert werden, die immer wieder die gesamtstaatliche politische Dimension und Wertigkeit der Sicherheitsgewährleistung durch die Dienste des Bundes und der Länder verdeutlichen und ein qualifiziertes Verständnis für die Aufgabenstellungen, die heraus folgenden notwendigen Befähigungen, gegebenenfalls auch deren rechtliche Begrenzungen und die sich hieraus ergebenden Konsequenzen in sicherheitlich zuträglichem Maße fördern.

Grundsätzlich könnten hierbei bereits bestehende Formate der Selbstdarstellung aufgegriffen, aufgewertet und ausgeweitet werden. Wichtig ist hier allerdings stets, dass die Formate nicht auf die Behörden „herunterdelegiert“ werden, sondern eine klare politische wie fachliche Verantwortung und Sachleitungsbefugnis der Bundesregierung in ihrer Gesamtheit demonstriert wird. Der verbreiteten, nicht selten medial geförderten öffentlichen Perzeption, dass die Dienste quasi als Solitäre und Fremdkörper in Staat und Gesellschaft stehen, sollte durch konkludentes und konsistentes Regierungshandeln entgegengewirkt werden.

Als eine neue Dimension und Handlungsoption von erheblichem Potential sollte in diesem Zusammenhang auch die in Deutschland noch sehr junge Disziplin der Intelligence/Security Studies keineswegs übersehen werden. Es ist das unbestreitbare Verdienst der involvierten Ressorts, Dienste und akademischen Einrichtungen, hier mit dem Masterstudiengang „Intelligence and Security Studies (MISS)“ an der Hochschule des Bundes für Öffentliche Verwaltung in Berlin im Zusammenwirken mit den Universität der Bundeswehr München seit 2019 einen akademischen Rahmen für eine interdisziplinäre Befassung mit Fragen der zivilen und militärischen Nachrichtendienste geschaffen zu haben. In seiner thematischen Breite und multidisziplinären Ausrichtung reflektiert dieser in Deutschland und Europa einzigartige Studiengang bereits den ressortübergreifenden Ansatz von Sicherheitspolitik und von Intelligence als deren integralem Bestandteil. Auch im Sinne des im Koalitionsvertrag geforderten evidenz-basierten Ansatzes von Sicherheitspolitik kann nur empfohlen werden, die hier sich konzentrierende, auch international akademisch vernetzte Kompetenz und Exzellenz in der Analyse und Betrachtung deutscher wie internationaler ziviler wie militärischer Nachrichten- und Sicherheitsdienste künftig planvoll in die öffentliche Erläuterung und Erörterung in exponierten Formaten der Bundesregierung mit einzubeziehen.

Transparenz- und Informationspolitik in der Praxis.

Im Einzelnen könnten in diesem Zusammenhang folgende Elemente in Betracht gezogen werden:

  1. Jahresbericht der Bundesregierung zu den geheimen Nachrichtendiensten des Bundes: Politische Schwerpunktsetzungen und Aufgabenstellungen durch Bundesregierung, ggf. BSR; sicherheitspolitische Herausforderungen und Perspektiven, denen sich die Bundesregierung und die sie unterstützenden Behörden zu stellen haben. Bund-/Länder-Kooperation, internationale Kooperation, insbesondere in Bezug auf EU und NATO.

    Vorgestellt in der Bundespressekonferenz von Chef/BKAmt und AL7, im Beisein der Präsidenten der Dienste., ggf. auch von StS/Abteilungsleitern der weiteren zuständigen bzw. fachlich betroffenen Ressorts als Auftraggeber und Adressaten der Berichterstattung (BMI, BMVg, AA).

  2. Jahresberichte der Dienste

    1. BND: Aufgabenschwerpunkte, Mitwirkung in Entscheidungsprozessen, Unterstützung der Bundeswehr, Unterstützung von Sicherheitsbehörden, Mitwirkung im GTAZ, GASIM und anderen übergreifenden Formaten, Unterstützung von EU und NATO, Sicherheit in der Wirtschaft. Vorstellung in der Bundespressekonferenz durch Pr/BND und Chef/BKAmt, im Beisein und ggf. flanierender Kommentierung von StS AA, BMVg, BMI als Hauptabnehmer der Produkte.

    2. BfV: Verfassungsschutzbericht, vorgestellt in der Bundespressekonferenz durch Pr/BfV mit gesamtpolitischer Einordnung durch BM’in, im Beisein, ggf. flankierender Kommentierung von ChefBKAmt und/oder AL7/BKAmt.

    3. BAMAD: MAD-Jahresbericht, vorgestellt in der Bundespressekonferenz von Pr’in BAMAD mit gesamtpolitischer Einordnung durch BM’in im Beisein, ggf. flankierender Kommentierung von Pr/BfV und AL7/BKAmt.

  3. Öffentliche Anhörung der Präsidenten im Bundestag/PKGr: Neben der bereits praktizierten Aufzeichnung durch das BT-Fernsehen sollte hier auch eine zusammenfassende Darstellung durch das Bundeskanzleramt in seiner Funktion als Koordinator der Dienste folgen und entsprechend kommuniziert werden.

  4. Öffentliche Veranstaltungen zu zentralen Fragen der Sicherheitspolitik, der inneren wie äußeren Sicherheit unter Einbeziehung der Intelligence Studies. Die neu zu schaffende Stabsstelle im BKAmt sollte hier im Dialog mit den zuständigen akademischen Einrichtungen, einschließlich des noch ausstehenden Berliner „Center for Intel-ligence and Security Studies (CISS)“ geeignete und insbesondere breitenwirksame nationale wie internationale Formate und Inhalte entwickeln. Intelligence Studies bieten ein Forum kritischer, insbesondere aber auch sach- und fachkompetenter, methodisch stringenter öffentlicher Auseinandersetzung gerade auch mit Themen von grundsätzlicher Bedeutung. Ein vom GKND zusammengestellter Überblick zu einschlägiger Literatur und Institutionen in dieser international bereits seit über zwei Jahrzehnten etablierten Disziplin vermittelt einen Eindruck von der fachlichen Breite und Vielfalt, in der die Thematik Nachrichtendienste betrachtet werden kann und auch sollte.

Mit Formaten und Verfahren dieser oder vergleichbarer Art würden Angelegenheiten der Dienste aus der rein fachlich-behördlichen Nische in eine gesamtheitliche, auch öffentlichkeitswirksame sicherheitspolitische Betrachtung und Diskussion mit klarem Bezug zu dem ihrer Arbeit zugrundliegenden „Whole of Government Approach“ eingeführt werden.

Der GKND würde es sehr begrüßen, wenn sich im Rahmen des allseits angestrebten politischen Neuanfangs ein solcher sicherheitspolitischer Paradigmenwechsel in der Betrachtung und Behandlung der Nachrichtendienste von Bund und Ländern einleiten ließe.

Dr. Hans-Dieter Herrmann

Vorsitzender des Vorstandes

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