Zeitenwende und Nachrichtendienste
Anmerkungen zur aktuellen Diskussion um die Ertüchtigung der Nachrichtendienste
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Dr. Gerhard Conrad
Im Nachgang zum aufgedeckten Verratsfall im BND wie erneut anlässlich der Verhinderung eines von mutmaßlichen Tätern in Castrop Rauxel vorbereiteten Terroranschlags ist die Notwendigkeit einer verbesserten Aufstellung der deutschen Nachrichtendienste und insbesondere auch des Bundesnachrichtendienstes parteiübergreifend erneut thematisiert worden. Bereits im Nachgang zum russischen Überfall auf die Ukraine sind im Zusammenhang mit der proklamierten Zeitenwende im März 2022 wie auch danach immer wieder entsprechende Forderungen laut geworden, auch hier in deutlicher Abkehr von der traditionell skeptischen bis ablehnenden Haltung im Ampel-Koalitionsvertrag .
Der Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland hat aus verschiedenen Anlässen bereits früh auf die Notwendigkeit eines grundsätzlichen politischen Neubeginns in der Betrachtung und Behandlung der Dienste hingewiesen. Angesichts des sich nun möglicherweise abzeichnenden Paradigmenwechsels seien im Folgenden noch einmal einige grundsätzliche Überlegungen formuliert, die bei der weiteren Behandlung der Thematik Berücksichtigung finden sollten, wenn man der „Zeitenwende“ in ihren Implikationen auch tatsächlich gerecht werden will. Entscheidend wird es sein, nicht an Symptomen innerhalb der bestehenden, historisch gewachsenen Unzulänglichkeiten herumzudoktern, sondern sich zunächst einmal der grundlegenden Bedingtheiten und Limitationen bewusst zu werden, deren Überwindung im Rah-men eines langfristig zu konzipierenden politischen Gestaltungsprozesses angestrebt werden sollte. Wichtig ist es jedoch – wie im Fall der Bundeswehr – die Dinge jetzt anzugehen.
Zeitenwende beginnt im Kopf – für die Bundeswehr wie für den BND: Die Auftragserfüllung des BND setzt den politischen Willen voraus, sich in einem herausfordernden oder gar gegnerischen internationalen Umfeld durch Schaffung von Informationsüberlegenheit zu behaupten.
Verwaltung ist notwendiger „Facilitator“, nicht aber Kern von Nachrichten-dienst, der in Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags (Erkenntnisgewinnung) ergebnis- und nicht prozessorientiert handeln muss.
Budget ist wichtig, jedoch nur Teil der Lösung. Entscheidend ist zunächst eine „Bedarfsgesamtrechnung“ auf der Grundlage einer Risiko- und Bedrohungsanalyse. Aus ihr ergeben sich budgetäre Konsequenzen.
Fachliche und methodische Exzellenz muss Kernkompetenz sein. Dem muss ein Personalkonzept auch mit innovativen Ansätzen Rechnung tragen.
“All Sources Intelligence” impliziert eine konsequente Nutzung der neuen Recherche- und Analysemethoden im Cyberraum zur integrierten Unterstützung aller anderen Beschaffungsprozesse. Hier muss ein Investitionsschwerpunkt liegen.
„Intelligence Education“. Ein fundiertes Verständnis über Wesen, Möglichkeiten, Grenzen und Rahmenbedingungen nachrichtendienstlicher Informationsbeschaffung wird auch im politischen und administrativen Umfeld der Dienste als Grundlage für sachgerechte und erfolgreiche Steuerung und Aufsicht zu realisieren sein.
“Strong Capabilities Need Strong Oversight”. „Strong oversight“ setzt „strong capabilities“ voraus, d.h. wirksame Befähigungen und Prozesse zur Auftragserfüllung. Vorsorglicher Verzicht führt zu den allseits monierten gravierenden Defiziten.
„Technology matters“, auch bei der Ausrichtung und Ertüchtigung staatlicher Entscheidungsfindung angesichts existenzieller Gefährdungen und technisch-wissenschaftlicher Paradigmenwechsel durch KI und Quantum Computing.
Transformation ist politische Chefsache: Die Zukunftsfähigkeit der Nachrichten- und Sicherheitsdienste im Zeichen der „Zeitenwende“ ist eine Frage von existenzieller Bedeutung, die nicht in nachgeordnete Strukturen "wegdelegiert" werden darf.
Zeitenwende beginnt im Kopf
Kernstück der Zeitenwende für die Dienste muss zunächst ein Mentalitätswandel in Politik und Diensten sein, eine Art „political reset“: Es muss noch einmal konsequent vom Ende her, eben von einer grundsätzlichen Risiko- und Befähigungsgesamtrechnung her gedacht werden, nicht im Rahmen und in den Limitationen bestehender Strukturen und Konventionen von „Nachkriegszeit“ und „Friedensdividende".
Wie für die Bundeswehr muss auch für die Dienste ein Grundelement ihrer Existenz realisiert werden: Es handelt sich hier um Instrumente staatlicher Selbstbehauptung in risiko-, in gefahrgeneigtem Umfeld, dem es durch geeignete Befähigungen und Mandatierungen gerecht zu werden gilt. So offenkundig dies schon bei oberflächlicher Betrachtung militärischer Einsätze mit ihrem inhärenten Gewaltpotential sein mag, so wenig scheint die notwendige Risikobehaftung nachrichtendienstlichen Handelns in ihren Implikationen und Konsequenzen allgemein zur Kenntnis genommen zu werden, auch wenn diese durch das Bundesverfassungsgericht gerade auch in Bezug auf den Bundesnachrichtendienst sehr klar zum Ausdruck gebracht wird:
„Dabei muss die Aufklärung im Interesse der Handlungsfähigkeit und Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland insbesondere auch an Informationen gelangen können, die ihr – möglicherweise in nachteiliger Absicht – gezielt vorenthalten und in der Hoheitssphäre des Drittstaats geheim gehalten werden. Die Maßnahmen der Aufklärung können zudem nach dem Recht des Zielstaats nicht selten illegal, jedenfalls oft unerwünscht sein. Dabei ist der Dienst zugleich mit den Abwehrtätigkeiten der Zielländer konfrontiert, die die Aufklärung ihrerseits mit polizeilichen und nachrichtendienstlichen Mitteln behindern und zu hintertreiben suchen. Die Arbeit ist damit besonders gefährdet und prekär und auf außergewöhnliche Mittel verwiesen“.
Die Auftragserfüllung des Bundesnachrichtendienstes impliziert den politischen Willen, sich in einem herausfordernden oder gar gegnerischen internationalen Umfeld durch Schaffung von Informationsüberlegenheit in Fragen von maßgeblichem sicherheitspolitischem Interesse zu behaupten. Sie bedingt mithin die Bereitschaft, die Herausforderung, die Kontroverse, den Interessenkonflikt anzunehmen und zu seiner Austragung operative, aber auch politische Risiken einzugehen und diese zu tragen, persönlich, im Rahmen der Dienstaufsicht, aber eben auch auf politischer Ebene. Der Wille zum Risiko und zur Übernahme von Verantwortung in der Wahrung außen- und sicherheitspolitischer vitaler Interessen bedingt zugleich sachnotwendig die Bereitschaft, Fehler und Rückschläge einzukalkulieren. Risiken und angestrebter Ertrag müssen zweifellos in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, dann jedoch auch im Interesse eines Ergebnisses eingegangen und gemeinsam getragen werden. Eine umfassende politische Priorisierung von Risiko- und Fehlervermeidung mit einhergehender weitgehender operativer Selbstbeschränkung führt bei inhärent gefahrgeneigten Aufgaben in der Regel notwendig zu Ergebnisarmut nachrichtendienstlicher Aufklärung. Diese wird dann zwar im Einzelfall auf politischer Ebene wortreich und vehement beklagt, faktisch jedoch in einer konvenienten risikominimierenden oder gar risikonegierenden Haltung hingenommen. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat mehr als deutlich gezeigt, wohin eine solche Einstellung in letzter Konsequenz führt, nämlich zur allenfalls „bedingten Verteidigungsfähigkeit“, ein Begriff, der im allgemeinen auch nur ein Euphemismus ist. Es sollte im Wesen der „Zeitenwende“ liegen, sich der Notwendigkeit einer grundsätzlichen Umorientierung und daraus resultierender Handlungsbereitschaft bewusst zu werden. Fachliche und operative Exzellenz auf der Basis adäquater personeller und materiell-technischer Ressourcen in Verbindung mit einem politisch indossierten und rechtlich mandatierten Willen zum Erfolg und kalkulierten Risiko sind daher notwendige Voraussetzungen für relevante nachrichtendienstliche Ergebnisse. Das in den Jahrzehnten vermeintlichen immerwährenden Friedens gewachsene risikoaverse Verhältnis zu den Diensten, ihrem Auftrag, ihren Befähigungen und Mandatierungen wird somit im Interesse unserer Sicherheit und Zukunftsfähigkeit zu revidieren sein.
Wenn vor diesem Hintergrund Klarheit über Auftrag und Ziele des BND geschaffen worden ist, werden die in Zukunft erforderlichen personellen, materiellen und methodischen Befähigungen, mithin die sachlich erforderliche Ausstattung der geheim- und nachrichtendienstlichen "Toolbox" zu definieren sein, um dann zu prüfen, was in den bestehenden Strukturen effektiv umgesetzt werden kann. Was strukturell nicht passt, muss dann notfalls geändert werden.
Nicht die Anforderungen müssen sich nach den Strukturen und Befähigungen richten, sondern diese nach den Anforderungen. Sonst werden – wie bereits zu oft – Sicherheit und Zukunftsfähigkeit nach tagespolitischer Konjunktur sowie nach Kassen- und Verordnungslage konzipiert. Bedrohungen und Risiken folgen jedoch anderen Gesetzmäßigkeiten und Dynamiken, denen es gerecht zu werden gilt. Ohne die konsequente Berücksichtigung der absehbaren Herausforderungen durch aktuell einzuleitendes, vorausschauendes, planvolles und insbesondere bedrohungsadäquates Handeln laufen wir Gefahr, einer mangels Vorbereitung dann „überraschend“ über uns hereinbrechenden dystopischen Gegenwart nichts entgegensetzen zu können.
Verwaltung ist notwendiger „Facilitator“, nicht aber Kern von Nachrichtendienst
Zur aktuellen Lage und Verfasstheit der Bundeswehr ist kürzlich von einem langjährigen Beobachter und journalistischen Begleiter folgende Bewertung präsentiert worden:
„Ihre Kernkompetenz ist den Streitkräften über die Jahre hinweg bei ihrer vollständigen Bürokratisierung abhandengekommen: der Kampf. In der Verwaltung ist der Kampf keine relevante Kategorie, außer in der Auseinandersetzung mit dem benachbarten Referat. Die Verwaltung denkt in Prozessen und nicht in Ergebnissen. Wichtig ist, dass Entscheidungen regelkonform getroffen werden. Jeder Beamte weiß, dass Fehler die eigene Karriere ausbremsen können, ein gut gemachtes Projekt aber nicht zwingend den weiteren Aufstieg garantiert. Also gilt es, Risiken möglichst auszuschalten. Der Zeitfaktor spielt in dieser Gleichung keine Rolle. Diese Kombination aus Regelungswut gepaart mit Risikoscheu erstickt die Bundeswehr. In Deutschland leistet sich die Verwaltung eine Truppe und nicht umgekehrt“.
Es steht dem GKND unter verschiedenen Aspekten nicht zu, diese Aussage für die Bundeswehr zu validieren noch sie auf die Nachrichten- und Sicherheitsdienste des Bundes und der Länder zu übertragen. Eine Kernaussage kann und muss jedoch als handlungsleitender politischer Maßstab für die im Zuge der „Zeitenwende“ auch für die Dienste anstehende nachrichtendienstliche Befähigungsgesamtrechnung unterstrichen werden: Nachrichtendienstliche Beschaffung und Auswertung, Lagefeststellung und Lagebeurteilung sind ihrem Wesen nach ebenfalls nicht prozess- sondern notwendig ergebnisorientiert. Durch Beschaffung und Auswertung werden Produkte geschaffen, entweder in Form von strategischen Analysen oder taktisch-operativen Hinweisen für Entscheidungsträger in Politik, Streitkräften oder Sicherheits-behörden. Mit zeitgerecht erzielten nachrichtendienstlichen Erkenntnissen soll sachgerechtes Handeln unterstützt, gegebenenfalls auch erst ermöglicht werden, das wiederum zu potentiell weitreichenden Konsequenzen führen kann. Die Gewinnung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse folgt hierbei nicht administrativen, sondern dem jeweiligen aufzuklärenden Phänomen innewohnenden fachlichen Gesetzmäßigkeiten und Methoden. Am Ende steht eine fachlich generierte und validierte nachrichtendienstliche Information und Bewertung. Verwaltung stellt hierbei die hierfür zweckdienlichen Strukturen, Prozesse und den allgemeinen regulatorischen Rahmen für die Auftragserfüllung zur Verfügung. Der handlungsleitende Maßstab hierbei ist jedoch das zeitgerecht verfügbare nachrichtendienstliche Produkt. Diese Priorisierung muss auch ihren praktischen Ausdruck in der Verwaltungspraxis finden, insbesondere in den Strukturen und Prozessen, die der Umsetzung der notwendigen administrativen oder rechtlichen Genehmigungs- bzw. prozessbegleitender Kontrollvorbehalte dienen. Art und Umfang derartiger Mechanismen werden vom Gesetzgeber vorgegeben. Dieser wird jedoch auch dazu aufzurufen sein, dem Dienst von vornherein die notwendigen Mittel in einem Umfang zur Ver-fügung zu stellen, dass die Kontrollfunktionen nicht allein aufgrund von Personalbindung im Kernbereich des Dienstes eine erhebliche Beeinträchtigung der operativen Leistungsfähigkeit nach sich ziehen. Der budgetär-opportunistischen Versuchung, derartige Kontrollkapazitäten aus dem Personalbestand „ausschwitzen“ zu lassen, muss mehr denn je im Interesse der Auftragserfüllung konsequent widerstanden werden.
„Zeitenwende“ wird auch hier bedeuten müssen, im Zusammenwirken der Dienste, ihrer Aufsichtsbehörden und der parlamentarischen Gremien konkret zu prüfen, wo allgemeines Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrecht einer strikteren Ergebnisorientierung anzupassen sein werden. Besondere Aufgabenstellungen erfordern zu ihrer sachgerechten Erfüllung besondere Verfahren und Regularien, bis hin zu spezifischen legislativen Rahmenbedingungen. Nicht umsonst sind sowohl für die Bundeswehr als auch für den Auswärtigen Dienst zumindest in manchen Bereichen gesonderte gesetzliche und administrative Regelungen gefunden worden, zum Beispiel mit dem Soldatengesetz und dem Gesetz über den Auswärtigen Dienst. Auch hier darf es eben nicht sein, dass sich Verwaltung einen Nachrichtendienst leistet und nicht umgekehrt“.
Budget ist wichtig, jedoch nur Teil der Lösung
Erhebliche Investitionen in personelle wie materielle und methodische operative Kapazitäten werden auf mittlere Sicht nicht nur für die Bundeswehr, sondern auch für die Nachrichten- und Sicherheitsdienste des Bundes und der Länder vorzusehen sein, allerdings erst auf der Grundlage einer Befähigungsgesamtrechnung, mit der die entsprechenden Defizite identifiziert werden können. Es wird davon auszugehen sein, dass sich – wie auch bei der Bundeswehr – angesichts langjähriger struktureller Unterfinanzierung unter dem Aspekt der „Friedensdividende“ bereits in den kommenden Jahren erheblicher zusätzlicher Finanzierungsbedarf ergeben wird. Hierbei werden gerade auch die massiv steigenden Anforderungen an die Bundeswehr im Rahmen von Landes- und Bündnisverteidigung ihre Konsequenzen für die Leistungserbringung des Bundesnachrichtendienstes in der Unterstützung von Lagefeststellung und Lagebeurteilung nach sich ziehen. Hier dürfen die Augen nicht vor sich sachlogisch ergebenden möglichen Großinvestitionen im technischen und infrastrukturellen Bereich verschlossen werden.
Im Personalbereich nützen mehr Geld und mehr Stellen kurzfristig eher wenig, zumal ja offenbar immer noch zahlreiche Stellen in den Diensten unbesetzt sind. Eine neue Qualität der finanziellen Ausstattung wird jedoch essentiell, wenn Einstellungskriterien und personalwirtschaftliche Perspektiven geändert werden sollen, um den sich immer weiter akzentuierenden Malus des Öffentlichen Dienstes mit seinen Besoldungsstrukturen und wenig konkurrenzfähigen Gehältern und Laufbahnperspektiven zu überwinden. Eine auftragsgemäße Personalausstattung ist von strategischer Bedeutung und kein „nice to have“. Wenn diese nicht in der erforderlichen Quantität und insbesondere auch Qualität mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln und administrativen personalwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sichergestellt werden kann, wovon angesichts von Demographie und „war for talents“ in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auszugehen ist, werden neue, kostenintensive Wege zu beschreiten sein. Was zählt, ist das Ergebnis, die notwendige Personalausstattung, zu dessen Erzielung notfalls neue budgetäre und personalwirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen sein wer-den. Ein Festhalten am „Weiter so“ führt hier in gravierende Leistungs- und Befähigungsdefizite mit erheblichen Konsequenzen für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die politisch nicht zu verantworten wären.
Fachliche und methodische Exzellenz als Kernkompetenz
Allein schon aus demographischen Gründen steht der Öffentliche Dienst bereits in den kommenden Jahren vor fast unlösbaren personalwirtschaftlichen Herausforderungen. Diese allseits bekannte Problematik darf nicht resigniert zur Kenntnis genommen oder opportunistisch kleingeredet werden. Oberste Priorität für die Dienste muss resiliente hochqualifizierte Expertise in allen Schwerpunkten haben. Hierfür werden vorausschauend und ergebnisorientiert neue Verfahren in Einstellung und Personalführung konzipiert müssen, die zum einen eine starke Position am Markt ermöglichen und zum anderen budgetäre und laufbahnrechtliche Optionen schaffen, um geeignete junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nötigenfalls eine mehrjährige spezi-fische Fach-/Sprach-/HighTech-Ausbildung absolvieren zu lassen, die sie danach in ihrem Ver-wendungsaufbau umsetzen können. Das privatwirtschaftlich ebenso verbreitete wie bewährte „Dual-Ladder-System“ wird hier mehr denn je auf allen Ebenen und in allen Bereichen Berück-sichtigung finden müssen. Führungslaufbahn und Spezialisten-Laufbahn müssen im Rahmen der Personalentwicklung gleichwertig nebeneinander stehen. Ein formaler, sichtbarer, sozialer Aufstieg ohne Übernahme von Personalverantwortung und ohne eine grundlegende Veränderung des Betätigungsfeldes muss möglich sein und eine akkumulierte Expertise honorieren. Methodisch relevante Verwendungsbreite lässt sich in der Sache meist im Rahmen der jeweiligen fachlichen Orientierung verwirklichen. Nur im begründeten Ausnahmefall sollten Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter in der ersten Dekade aus ihren Kernkompetenzen herausgelöst werden. Anzustreben ist auch eine zweite Dekade fachspezifischer Orientierung und Förderung, bevor bei entsprechender Eignung und Leistung der fachübergreifende Schritt zum limitierten oder breit angelegten Generalistentum eingeleitet werden kann. Förderung nach Eignung und Leistung muss innerhalb der fachlichen Orientierung in adäquatem Maße möglich sein. Es ist die fachliche Leistung, die es prioritär zu honorieren und ggf. auf einer höheren Verantwortungsstufe weiter zu nutzen gilt. Fachkompetenz ist essentiell: Sie ermöglicht die Vermeidung „unnötiger“ Fehler; sie befähigt zu unabhängigem Urteil und damit zu der geforderten spezifischen Eigenleistung in Beschaffung und Auswertung, in Lagefeststellung und Lagebeurteilung sowie in einer qualifizierten Beratung im Entscheidungsprozess. Fachliche Exzellenz, gepaart mit adäquaten operativen und methodischen Möglichkeiten, ergibt erst den „nachrichtendienstlichen Mehrwert“ in Beschaffung und Analyse, von dem so viele reden, ohne sich darunter etwas Substanzielles vorstellen zu können oder zu wollen. Die offenbar schon früh verbreitete Beliebigkeit in der Stellenbesetzung ist bereits von Georg Wilhelm Friedrich Hegel im frühen 19. Jahrhundert ironisch kritisiert worden:
„Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand, - ist ein alter Scherz, den man wohl in unseren Zeiten nicht gar für Ernst wird behaupten wollen“.
Wesentlich weniger detachiert kommentiert wurde das Phänomen jüngst in anderem Zusammenhang:
„… Vor allem drückt sich in der Inflation der Fachfremden eine enorme Geringschätzung des jeweiligen Fachs aus. Wer wirklich vom Fach ist, wird als «Fachidiot» gesehen, weil ihm angeblich fehlt, wofür die Unqualifizierten stehen sollen, das Denken in Zusammenhängen“
Klarstellend sei in diesem Zusammenhang hinzugefügt: Einarbeitung kann eine eigenständig erworbene und weiterentwickelte fachliche Qualifikation nicht ersetzen. Sie dient vielmehr ihrer Kalibrierung auf die konkreten Erfordernisse einer Funktion. Einarbeitung ohne eigenständiges fachliches Urteilsvermögen erzeugt in der Regel Epigonentum in Problemverständnis, Methodik und inhaltlicher Orientierung. Qualifizierte Ergebnisse sind so nicht zu erzielen.
Der vielzitierte Antagonismus zwischen Generalisten und „Fachidioten“ ist herbeigeredet. Er zeugt in erster Linie von der Engstirnigkeit und Selbstbezogenheit beider „Lager“, die essentiell aufeinander angewiesen sind. Die Transferleistung zwischen fachlicher Spezialisierung und politischer, administrativer oder juristischer Bewertung und Entscheidungsfindung ist von ganz elementarer Bedeutung für ein sachgerechtes Ergebnis. Jeder Gutachterprozess verdeutlicht diesen Zusammenhang. Je nach Komplexität und Spezifität der Materie erschließt sich diese zunächst nur dem ausgewiesenen Fachmann, dessen Aufgabe es dann ist, fachlich valide Arbeitsergebnisse in einer Form zu vermitteln, die ihnen handlungsbestimmende Relevanz verleiht. Nicht selten bedarf es hierzu eines zusätzlichen Mittlers zwischen fachspezifischen Ergebnissen und allgemein nachvollziehbaren Aussagen, die ihrerseits dann die Grundlage für die Erfassung der weiteren Zusammenhänge und damit das Feld der Generalisten bilden. Diesen stünde es dann ihrerseits gut an, ein vertieftes Verständnis der politischen, gesellschaftlichen oder auch rechtlichen Realien zu besitzen, in deren Rahmen dann die fachlichen Erkenntnisse zur Wirkung kommen. Führung ohne wirksam einbezogene fachliche Expertise kann nur selten gelingen. Generalisten können in der Regel nur so gut sein wie die Spezialisten, die sie beraten. Es ist die Kernaufgabe gerade auch von Nachrichtendiensten als Instrumente zur Generierung handlungsleitender Expertise, diesen Anforderungen in personell wie materiell hochqualifizierter Ausstattung und Struktur zeitgerecht gerecht zu werden. Viele Dienste minimieren das Spannungsverhältnis zwischen Experten und Generalisten durch eine durchgängig gemischte Stellenbesetzung bis ins senior management.
“All Sources Intelligence” – Eine zentrale Gestaltungs- und Zukunftsaufgabe
Die verschiedenen nachrichtendienstlichen Beschaffungsarten stehen in der Regel nicht allein. Erst in ihrem integrierten Zusammenwirken können sie valide Erkenntnisse und operativ vzielführende Hinweise generieren. Dies gilt in besonderem Maße für die Arbeit mit menschlichen Quellen (HUMINT), die im Zeitalter der digitalen Dimension von Realität mehr denn je auf die Vorbereitung und Begleitung durch alle Formen der Social Media Intelligence (SOCMINT), Communication Intelligence/Signal Intelligence (COMINT/SIGINT), Satellitenaufklärung (IMINT/GEOINT) und allgemein offen zugänglicher Information, die heutzutage im World Wide Web in zuvor nie dagewesenem globalem Umfang, Detaillierungs- und Aktualitätsgrad zu Verfügung steht, angewiesen ist (OSINT).
Zu welchen Ergebnissen integrierte Rechercheansätze bereits über privatwirtschaftlich organisierte Plattformen und Firmen führen können, haben Firmen wie Palantir und Netzwerke wie Bellingcat seit Jahren immer wieder demonstriert. Sofern nicht schon geschehen, werden sich Dienste diesen neuen Realitäten in adäquatem Umfang zu stellen haben. Richtwerte für die hier erforderlichen, generell beträchtlichen quantitativen und qualitativen Ansätze in Personal, Material und Methodik können anhand zahlreicher konkreter Fallbeispiele gewonnen werden. Auch hier würde sich falsch verstandene Zurückhaltung in Ambition und Ressourcen angesichts der Dynamik in diesem Zukunftsfeld der integrierten Informationsgewinnung und Informationsbeschaffung nur zu bald rächen. Mittel- und langfristig angelegte Investitionen werden hier zur Gewinnung der erforderlichen Befähigungen zu definieren und in die jeweiligen Finanzplanungen einzubringen sein.
“Intelligence Education” – Grundlage für kompetente Steuerung und Aufsicht
Informationsbeschaffung und Auswertung, Lagefeststellung und Lagebeurteilung sind nicht nur komplexes Handwerk. Sowohl ihre Verfahren als auch ihre inhärenten und exogenen Bedingtheiten in der Welt der Nachrichtendienste und in operativen wie politischen und militärischen Entscheidungsprozessen erfordern ein über das Tagesgeschäft hinausgehendes Verständnis aller Beteiligten. Dies gilt für die Dienste und ihre Angehörigen selbst, aber eben auch für ihre Auftraggeber, für Dienst- und Fachaufsicht ebenso wie für die Wahrnehmung politischer parlamentarischer Kontrolle.
Nicht umsonst hat sich im angloamerikanischen Raum in den vergangene Dekaden die akademische Disziplin der „Intelligence Studies“ herausgebildet, die hier einen Beitrag zur „Intelligence Education“ und damit zur „Intelligence Culture“ in Politik, Medien und (partiell) Gesellschaft der betroffenen Länder leisten.
In Deutschland ist dieser Schritt bekanntlich erst sehr spät mit dem 2019 eingerichteten Masterstudiengang „Intelligence and Security“ (MISS) an der Hochschule des Bundes für Öffentliche Verwaltung (Berlin) und der Universität der Bundeswehr (München) vollzogen worden. Hierbei ist es für die politische Kultur Deutschlands bezeichnend, dass dieser Studiengang nur für die Angehörigen der Dienste und Sicherheitsbehörden, einschließlich der Bundeswehr, und dort im Rahmen eines Aufstiegsverfahrens eingerichtet worden ist. So verdienstvoll und zukunftsweisend dieser erste Schritt ist, so defizitär ist natürlich der Ansatz im Hinblick auf das Erfordernis einer breiten Einbeziehung von Politik, Gesellschaft und Verwaltung in die grundlegenden Fragen von Intelligence:
Warum ist sie erforderlich?
Was kann sie leisten, unter welchen personellen, methodischen und sachlichen Voraussetzungen, mit welchem Mittelansatz?
Wo muss sie ergänzt werden, wo kann sie ihrerseits ergänzen?
Wie schnell ist Intelligence, unter welchen Voraussetzungen?
Wie langfristig muss sie voraus geplant, organisiert und betrieben werden?
Welches ist die Aussagekraft nachrichtendienstlicher Erkenntnisse und ihrer Einbindung in das allgemeine Lagebild?
In welchen Dimensionen spielt sich „intelligence failure“ ab?
Welche Faktoren bedingen sie, und in welcher Weise lassen sich hier Defizite und Risiken limitieren, sowohl in den Diensten als auch in den Bereichen Auftragserteilung, Steuerung und Integration in Entscheidungsprozesse?
Dort wiederum wird ebenso zu prüfen sein, wie am besten eine fachkompetente, vorausschauende, breit aufgestellte Planung nachrichtendienstlicher Aufklärung organisiert werden kann. Eine rein auf Ressortinteressen und Perzeptionen abstellende Strategie läuft Gefahr, Realitäten außerhalb der regierungsamtlichen Weltsicht nicht oder nicht rechtzeitig wahrzunehmen. Vorausschauende nachrichtendienstliche Aufklärung muss sich so gut wie möglich nicht nur auf die „known unknowns“, sondern eben auch die „unknown unknowns“ fokussieren. Nicht umsonst haben die USA bereits seit 1956 ein Presidential Intelligence Advisory Board (PIAB) geschaffen, dem ehemalige Direktoren der Dienste, aber eben auch hochrangige Vertreter der Industrie und Wissenschaft angehören. Wichtig ist gerade die Zusammenführung hochrangiger ND-Expertise mit einem möglichst breiten Spektrum zivilgesellschaftlicher und wissenschaftlicher Akteure in einem freien Austauschformat, das jedoch die klare Zielsetzung einer ND-politischen Beratungsleistung verfolgt. Vergleichbare Funktionalitäten können in jedem System geschaffen werden, und sei es als Beratungsstruktur für einen (überfälligen) Nationalen Sicherheitsrat. Ein wichtiger „Nebeneffekt“ einer solchen Einrichtung wäre es auch, ehemalige hochrangige Angehörige der Dienste dazu zu motivieren, sich auch weiterhin in eine Beratungsstruktur einzubringen.
“Strong Capabilities Need Strong Oversight”
Die politische und legislative Diskussion nachrichtendienstlicher Befähigungen ist in Deutschland in erster Linie von der Zielvorstellung geprägt, diese im Interesse von Autonomie, Freiheit, Grundrechtsschutz und Menschenwürde so weit wie nur irgend möglich einzuhegen. Die inhärente Konsequenz eines solchen Ansatzes liegt dann häufig in der faktischen Versagung der jeweiligen Befähigung aufgrund real nicht erfüllbarer Voraussetzungen und Anwendungsbedingungen. Die vorsorgliche Selbstbeschränkung staatlicher Befugnisse ist Wesenselement von Rechtsstaat und Demokratie. Sie wird sich jedoch auch daran messen lassen müssen, ob sie den Herausforderungen einer Welt gerecht werden kann, aus der existenzielle Bedrohungen gegen eben diese Ordnung und ihre Bestandskraft gerichtet werden. „Strong oversight“ setzt sachlogisch erst einmal „strong capabilities“ voraus, d.h. angemessen wirksame Befähigungen zur erfolgreichen Bewältigung derartiger Herausforderungen und Gefahrenmomente.
In Bezug auf die Nachrichtendienste hat dies das Bundesverfassungsgericht das übergeordnete gesamtstaatliche Interesse an einer solchen Befähigung sehr klar formuliert:
„Die Versorgung der Bundesregierung mit Informationen für ihre außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen hilft ihr, sich im machtpolitischen Kräftefeld der internationalen Beziehungen zu behaupten, und kann folgenreiche Fehlentscheidungen verhindern. Insoweit geht es mittelbar zugleich um die Bewahrung demokratischer Selbstbestimmung und den Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung – und damit um Verfassungsgüter von hohem Rang. In Frage steht mithin ein gesamtstaatliches Interesse, das über das Interesse an der Gewährleistung der inneren Sicherheit als solcher deutlich hinausgeht“.
„Solche Aktivitäten (organisierte Kriminalität und Geldwäsche, Menschenhandel, elektronische Angriffe auf informationstechnische Systeme, internationaler Terrorismus, Handel mit Kriegswaffen) zielen zum Teil auf eine Destabilisierung des Gemeinwesens … und können zur Bedrohung für die verfassungsmäßige Ordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder der Länder sowie für Leib, Leben und Freiheit werden. Dies sind Rechtsgüter von überagendem verfassungsrechtlichen Gewicht, für deren Schutz der Gesetzgeber eine wirksame und zugleich rechtsstaatlich eingehegte Auslandsaufklärung als unverzichtbar ansehen kann“.
Personelle, materielle und operative Befähigungen der Dienste müssen bei aller rechtsstaatlichen Einhegung eben auch Wirksamkeit im Schutz der genannten hochrangigen Verfassungsgüter sein. Dies erfordert einen auftrags- und ergebnisorientierten Rechtsrahmen. Befugnisse müssen erforderlichenfalls weit gefasst und über wirksame Kontrollregimes vor Missbrauch geschützt werden. Präventive grundsätzliche Versagung eigener Handlungsoptionen eröffnet Verletzlichkeiten, die dann im Rahmen einer Güterabwägung politisch zu verantworten sind und nicht stillschweigend übergangen werden dürfen. Es geht nicht an, über offenbare Abhängigkeit von ausländischer Hilfe zu klagen und zugleich der Frage aus dem Weg zu gehen, ob und in welchem Umfang dieser gefährliche Missstand nicht auch in den über die Jahre immer strikter limitierten Befugnissen der eigenen Dienste begründet liegt. Die immer wiederkehrenden Kontroversen zum Umgang mit Metadaten verdeutlichen ebenso wie die erneute Verfassungsbeschwerde gegen das BND-Gesetz einen Bewusstseinsstand, der mit den Realitäten der „Zeitenwende“ nur noch wenig zu tun hat.
Hier kann im Grunde nur ein ergebnisoffener Vergleich mit den leistungsfähigsten Diensten der westlichen Wertegemeinschaft empfohlen werden, mit dem Ziel, wo immer möglich in gleicher Weise Kapazitäten und Verfahren zur frühzeitigen Aufklärung von Gefahrenelementen im In- und Ausland aufzubauen und ihnen den erforderlichen Rechtsrahmen einschließlich einer strikten und effektiven Missbrauchskontrolle zu geben, der jedoch ihre Wirksamkeit und damit ihre Sinnhaftigkeit nicht in Frage stellen darf.
Entscheidend ist nicht allein die beste aller denkbaren Welten in Grund- und Freiheitsrechtsgewährleistung, sondern in gleicher Weise die Wahrung der elementaren Grundlagen und Rahmenbedingungen, innerhalb derer diese Rechte überhaupt realisiert werden können: „Denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit “, so bereits Wilhelm von Humboldt im Jahre 1792. Dies muss in praktischer Politik und Rechtssetzung wirksam implementiert und gewährleistet werden.
Wunschdenken und Lebenslügen sind in allen Bereichen der Sicherheitsgewährleistung brand-gefährlich. Sie helfen zwar bestimmt, prekäre Zielkonflikte zu übertünchen, solange es nicht darauf ankommt, führen aber im Ernstfall zu äußerst schmerzhaften Niederlagen. Es gilt jedoch – dies sollte der aktuelle Ukrainekrieg ein für alle Mal verdeutlicht haben – mit gravierenden Ernstfällen der unterschiedlichsten Konfigurationen als realem Risiko zu rechnen und den Willen aufzubringen, uns auf diese in der Sache angemessen (!) und robust (!) vorzubereiten.
Technology Matters
Wir alle stehen als Gesellschaften und Staaten vor epochalen technologischen Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf Künstliche Intelligenz und Quantum-Computing, die sich in den kommenden beiden Dekaden zunehmend materialisieren und konkretisieren werden. Entscheidend für die Dienste wird es sein, diesen Epochenwandel nicht nur zu begleiten, sondern auch so früh wie möglich proaktiv Klarheit über die mit diesem einhergehenden Konsequenzen für die eigene Arbeit, an Informationsbeschaffung und -auswertung, Lagefeststellungs-, Lagebeurteilungs- und Entscheidungsprozesse in Politik, Wirtschaft, Streitkräften, innerer Sicherheit und Nachrichtendiensten zu gewinnen. Hier geht es nicht nur um die reinen "tradecraft"-Fragen von Intelligence Collection und Intelligence Analysis, oder gar (wenngleich von fundamentaler Bedeutung) der Zukunft von Kryptologie und Datensicherheit im Zeitalter von Quantum-Computing.
Es geht vielmehr auch um die Ausrichtung und Ertüchtigung von Strukturen, von aufbau- und ablauforganisatorischen Fragen staatlicher Entscheidungsfindung angesichts existenzieller Herausforderungen. Dies gilt für IT-unterstützte Entscheidungsstrukturen nicht nur in den Streit- und Sicherheitskräften, sondern eben auch auf politischer Ebene in Bund und Ländern, bis hin zur Etablierung eines ressortübergreifenden Sicherheitsrats als technisch leistungsfähiges und resilientes Lagebeurteilungs- und Entscheidungsvorbereitungsgremium mit Einbettung in die Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen der Ministerien, Bundes- und Landesbehörden. Digitalisierung muss hier einer dringlichen aufbau- und ablauforganisatorischen Konzipierung und Planung auf der Basis klarer Kompetenzzuweisungen folgen, in deren Rahmen dann auch die Nachrichten- und Sicherheitsdienste von Bund und Ländern zu integrieren sind.
Der praxis- und ergebnisorientierte Dialog von Diensten und Wissenschaft (und hier nicht nur der reinen IT-fachlichen Disziplinen) wird hier von großer Bedeutung sein, und dieser Dialog muss heute beginnen und massiv personell wie ggf. auch materiell unterfüttert werden. Dieser Dialog darf auch keinesfalls ohne die Politik geführt werden: Politik muss sich in den Stand versetzen, den neuen Herausforderungen an die eigene Leistungs- und Verantwortungsfähigkeit im Entscheidungsprozess gerecht zu werden.
Transformation ist Chefsache
Die Leistungs- und Zukunftsfähigkeit der Nachrichten- und Sicherheitsdienste und der auf ihren Ergebnissen aufbauenden Entscheidungsprozesse ist im Zeichen der „Zeitenwende“ mehr denn je eine Frage von existenzieller Bedeutung, die nicht in nachgeordnete Strukturen "wegdelegiert" werden darf. Sie ist politische wie administrative (Regierungs)-Chefsache und muss dies auch nach einem, derzeit ohnehin nicht absehbaren Ende der aktuellen kriegerischen Auseinandersetzung in Europa bleiben.
Für den Vorstand
Dr. Gerhard Conrad