Strategische Vorausschau und strukturierte Analysetechniken zur Stärkung von Resilienz
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Ole Donner
In einer zunehmend komplexen Welt, in der Sicherheit, Wirtschaft und gesellschaftliche Stabilität miteinander verflochten sind, gewinnt integrierte Intelligence als intersubjektiv methodisch vergleichbar genutztes analytisches und prognostisches Instrument zur Stärkung von Resilienz immer mehr an Bedeutung.
Angesichts der umfassenden sicherheitspolitischen und militärischen Herausforderungen in Zeiten hybrider Kriegsführung stehen massive Bemühungen zum Aufbau von Resilienz in NATO, EU und auf nationaler Ebene in Deutschland ganz oben auf der politischen und gesell schaftlichen Agenda – oder sollten es. Der Operationsplan Deutschland steht für diese Priorisierung ebenso wie die Nationale Sicherheitsstrategie und die entsprechende Strategiedokumente von EU und NATO. Wie stets, wird es allerdings entscheidend darauf ankommen, diese Zielsetzungen wirksam zu operationalisieren. Hierfür sind folglich geeignete Foren, Strukturen und Verfahren zu schaffen.
Der GKND begrüßt und unterstützt Initiativen, die diesen Prozess fördern können, und dankt seinem Mitglied Ole Donner für die Überlassung der nachfolgenden Erläuterungen und Anregungen zur Bildung ressort- und firmenübergreifender Netzwerke von Fachleuten mit gemeinsamem methodischen Hintergrund und darauf aufbauender integrierter Kompetenz bei der Schaffung staatlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Resilienz:
Resilienz, so Ole Donner, erfordert als Fähigkeit eines Systems, sich von Störungen zu erholen und sich an Veränderungen anzupassen, einen umfassenden und kollaborativen Ansatz. Konzepte wie „Resilienz als gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ oder „Gesamtverteidigung“ unterstreichen hierbei die Notwendigkeit eines gemeinsamen Ansatzes. Es braucht also mehr als den Staat, mehr als „die Gesellschaft“ und mehr als „die Wirtschaft“. Es braucht eine strukturierte, nicht nur dem Zufall anheimgegebene Möglichkeit, von den Erfahrungen anderer zu lernen, sich zu ergänzen und zu unterstützen. Um gesamtstaatliche bzw. gesamtgesellschaftliche Resilienz umzusetzen, braucht es in der „Domäne Information" einen gemeinsamen Zeichenvorrat.
Sicherheitsbeauftragte von Unternehmen, Analystinnen im Wirtschaftsschutz und Beamte in der Kriminalpolizei oder Soldatinnen der Bundeswehr müssen dieselben Dinge meinen, wenn sie die gleichen Worte benutzen. Zumindest jedoch müssen sie – quasi als Vorstufe einer einheitlichen Terminologie – verstehen, was andere meinen, wenn sie die gleichen Worte benutzen. Um das zu erreichen, bedarf es eines geregelten Austauschs und strukturierter Netzwerke, mit denen die traditionellen Silos schrittweise überwunden werden können.
Mit der German Intelligence Community Conference (GICC) ist 2023 ein Forum geschaffen worden, das Menschen zusammenbringt, die sich ansonsten vielleicht nicht getroffen hätten. Durch den Austausch von Best Practices und innovativer Ansätze können so Synergien geschaffen werden, die die Effektivität und Effizienz behörden- und firmenübergreifend steigern So kann Intelligence mit ihren methodischen Möglichkeiten und Verfahren zu einem entschei-denden Faktor für die Informationsüberlegenheit in Behörden und Unternehmen werden.
Das Programm der im September stattfindenden GICC 2024 soll diese Zielsetzungen mit folgenden thematischen Schwerpunkten widerspiegeln:
Keynote: Herausforderungen für Nachrichten- und Sicherheitsdienste in der Un-terstützung gesamtstaatlicher Resilienz, Dr. Gerhard Conrad, ehemaliger Direktor des EU Intelligence Assessment and Situation Center (INTCEN) im Europäischen Aus-wärtigen Dienst (2016-2019)
Vortrag: Das Center For Intelligence and Security Studies (CISS) am der Universität der Bundeswehr, München, Oberstleutnant i.G. Holger Prüßing, Geschäftsführer des CISS
Impuls: Von der Blockkonfrontation zur Multipolarität- Eine Skizze zur geo-politischen Ausgangslage und Anforderungen an unsere Sicherheitsarchitektur. Generalmajor a.D. Axel Binder, ehemaliger Kommandeur des Kommandos für strategische Aufklärung (KSA) der Bundeswehr.
Panel: Intelligence Aspekte eines Nationalen Sicherheitsrates
Moderation: Mathis Berger, Leiter Unternehmenssicherheit, RLS; Teilnehmer: Generalmajor a.D. Axel Binder, ehemaliger Kommandeur des Kommandos für Strategische Aufklärung der Bundeswehr, Oberst i.G. Andreas Schreiber, J2, Territoriales Führungskommando der Bundeswehr, Christina Moritz, Projekt- und Büroleiterin, Hauptstadtbüro des Bundes Deutscher EinsatzVeteranen e.V.
Vortrag: Siemens – Situation und Intelligence Analysis und GenAI: Unsere Erfolge, Misserfolge und was wir gelernt haben. Matthew Kish, Head of Situation and Intelligence Analysis, Siemens AG
Vortrag: Zu besseren Intelligence-Produkten in 4(+2) Schritten, Ole Donner, Intelligence Trainer and Consultant, Strukturierte Analyse Deutschland
Vortrag: Aufbau einer Risk Intelligence Unit, Simon Wunder, Geopolitical Risk Manager, Volkswagen AG
Vortrag: Analyse im zivilen Umfeld (tbc), Oberstleutnant Ralf Baur, Staff Officer - Training and Education (T&E), NATO Civil-Military Cooperation Centre of Excellence
Impuls: Was ist Foresight und wie wird es gelebt und gelehrt? Dr. Oliver Gnad, Geschäftsführender Gesellschafter, Bureau für Zeitgeschehen
Panel: Foresight bei Behörden und Unternehmen: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Moderation: Dr. Oliver Gnad, Geschäftsführender Gesellschafter, Bureau für Zeitgeschehen; Teilnehmer: Prof. Dr. Oliver Schwarz, Head of Institute, Bavarian Foresight Institute; Dr. Pascal van Overloop, Industry Advisor Defense & Intelligence, Microsoft; Dr. Jürgen Harrer, Leiter Forschungsbereich Wirtschaftsschutz, CISS UniBw München
Resilienz erfordert aber nicht nur die Fähigkeit, auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren, sondern auch die Befähigung, zukünftige Herausforderungen zu antizipieren, um sich darauf rechtzeitig vorzubereiten. Vorausschau ist eine der Königsdisziplinen von Intelligence. Sie bietet die Werkzeuge und Methoden, um diese antizipative Fähigkeit zu entwickeln. Durch die Analyse von Treibern, Trends und Mustern können potenzielle Bedrohungen frühzeitig erkannt und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger können dahingehend beraten werden, aufkommende Risiken rechtzeitig zu erkennen, diese einzudämmen, Chancen zu ergreifen oder sich auf nicht verhinderbare Krisen einzustellen. Zukunftsrobuste Entscheidungen setzen also zukunftsgerichtete Analysen voraus.
Eine international anerkannte und praktizierte Kernfähigkeit im Methodenkoffer von Intelligence sind hier die im angloamerikanischen Raum entwickelten und verbreiteten Strukturierten Analysetechniken (SATs). Es handelt sich hier um Instrumente, um das Denken und Urteilen zu verbessern. Sie dienten dazu, Gedanken aus dem Kopf und auf Papier zu bringen. Sie externalisierten den Analyseprozess. Dadurch wird dieser objektiver, intersubjektiv transparenter und damit konstruktiver Kritik leichter zugänglich. Strukturierte Analysetechniken regen kollaboratives Denken an und können so Analyseprozesse aus dem stillen Kämmerlein holen und in eine gemeinsame Wissensunternehmung überführen. Auf diese Weise schaffen sie die Grundlage für verlässliche, handlungsleitende Informationen. Sie können Verantwortlichen zu mehr Entscheidungssouveränität verhelfen und insgesamt bessere Wirkungen erzielen, ob privat, geschäftlich, staatlich, bei taktischen, operativen oder strategischen Angelegenheiten. Damit sind sie spontanen Denk- und Analysemethoden auf allen Ebenen überlegen, unabhängig davon, ob es um strategische Vorausschau, Informationssicherheit, Politikberatung, Immobili-enbewertungen, Cyber- oder Extremismus-Abwehr geht.
Strukturierte Analysetechniken können so methodisch einen organisationsübergreifenden Rahmen für einen gemeinsamen Ansatz, einen gemeinsamen Zeichensatz in der Intelligence Community bieten. Zentrale Voraussetzung hierfür ist allerdings eine bereichsübergreifende und damit vernetzte, im Idealfall koordinierte Aus- und Weiterbildung in Behörden und Firmen.
Hierzu wird es erforderlich sein, Netzwerke zu erweitern und Zusammenarbeit zu fördern. Oftmals fehlt Analystinnen und Analysten, Intelligence Managern und Vorgesetzten jedoch ein Überblick darüber, wer an ähnlichen Themen arbeitet oder vor vergleichbaren Herausforderun-gen steht. Hier will die GICC ansetzen und Fachleute aus der Privatwirtschaft und öffentlichen Institutionen zusammenbringen, um genau diese Lücken zu schließen. Es gilt, Beziehungen aufzubauen, die über die Konferenz hinaus Bestand haben und den kontinuierlichen Austausch, das notwendige gegenseitige Verständnis und damit die Zusammenarbeit befördern.
Deutschland steht vor bedeutenden Herausforderungen, die eine koordinierte und vertrauensvolle Zusammenarbeit aller mit Intelligence befassten Akteure erfordern. Dies umfasst nicht nur die Zivilgesellschaft und den Katastrophenschutz, sondern auch den Mittelstand, Großkonzerne und staatliche Institutionen. Eine gemeinsame Plattform für verstärkte Kooperation zu schaffen und einen unabhängigen Impuls für mehr Zusammenarbeit zu setzen, ist daher von großer Bedeutung.
Intelligence, so abschießend Ole Donner, schafft mit zeitgerechter, valider und handlungsrelevanter Information eine wesentliche Grundlage für den Aufbau von Resilienz, ihre Aufrechter-haltung und Anpassung an dynamische Veränderungen im Bedrohungsspektrum. Durch die Förderung von Netzwerken, die Zusammenarbeit und den Austausch von Wissen und Erfahrungen kann Intelligence dazu beitragen, die Gesellschaft widerstandsfähiger gegenüber aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zu machen. Die GICC 2024 will hierzu einen Beitrag leisten, indem sie eine Plattform für den Austausch und die Zusammenarbeit anbietet.
Für den Vorstand
Dr. Gerhard Conrad