Leistungsstark und legitim - Die deutschen Dienste in der Zeitenwende

Beitrag zur Nachrichtendienst-Konferenz des Behördenspiegels (17.-18.10.2024)


Die folgende Fassung des Papers enthält keine Fußnoten. Die vollständige Fassung können Sie über das PDF abrufen

Dr. Gerhard Conrad

Am 17. und 18. Oktober 2024 findet die jährliche Konferenz des Behördenspiegels zu den deutschen Nachrichtendiensten statt, die mehr denn je im Zeichen der massiv gewachsenen Herausforderungen für die Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten steht.

Der Veranstalter weist darauf hin, dass angesichts der sich zuspitzenden außen- wie innenpolitischen Sicherheitslage die Leistungsfähigkeit der Dienste ebenso wie jene der Bundeswehr, der Polizeien und weiteren Exekutivbehörden immer mehr in den Fokus der politischen Aufmerksamkeit rücken müsse. Die Dienste seien mit ihrem perspektivischen Aufklärungsauftrag nach innen wie nach außen letzten Endes die erste Vereidigungslinie für die Sicherheit des Landes.

Hieraus ergeben sich zentrale Fragen, für deren Erörterung der Veranstalter ein Forum bieten will:

  • Wie sehen die Rolle, die Aufgaben und die Arbeit der Dienste in Zukunft aus? Was müssen die Dienste in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen leisten können? Welche Voraussetzungen müssen für eine angemessene Aufgabenerfüllung gewahrt bzw. geschaffen werden?

  • Welche Bedeutung kommt ihnen in der deutschen und europäischen Sicherheitsarchitektur im Rahmen der von der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung postulierten „integrierten Sicherheit“ zu?

  • Auf welche politischen, rechtlichen, operativen und budgetären Rahmenbedingungen müssen sie sich einstellen?

Das Spannungsfeld der Betrachtungsweisen, so der Behördenspiegel, sei breit. Während manch einer die Dienste - insbesondere den BND – als „zahnlos an die Kette gebunden“ bezeichne, und ausländische Stellen immer wieder besorgt auf die limitierten deutschen Rahmenbedingun-gen schauten, warnten Kritiker im Lande stets vor zu weitgehenden Befugnissen der Dienste, die grundgesetzlich garantierte Freiheiten, Persönlichkeits- und Bürgerrechte beeinträchtigen oder gar aushebeln könnten. Unbestritten bleibe jedoch im Vergleich zu anderen Ländern, auch jenen der westlichen Wertegemeinschaft, dass die Dienste in Deutschland (anders als CIA oder Mossad) weitaus defensiver arbeiteten. Politische Risiken würden weitgehend vermieden; Befähigungen der Dienste würden in erster Linie unter den Aspekten Risikovermeidung und Grundrechtsschutz, nicht selten auch unter Priorisierung von Zuständigkeitsfragen von Bund und Ländern behandelt, nicht unter den Gesichtspunkten dringend notwendiger gesamtgesellschaftlicher und gesamtstaatlicher Resilienz, die es in Zeiten großer Bedrohung zu stärken gelte.

Grundsätzliche wie auch praktische-politische Fragen stellten sich mit neuer Dringlichkeit: Könnte eine offenere und selbstbewusstere Kommunikation der Dienste und ihrer Aufsichtsbehörden das Verständnis für die Gesellschaft und Politik aufwerten? Werde ausreichend Augenmerk auf eine frühe, effektive Integration modernster Technologien in die Arbeit der Dienste gerichtet? Erlaubten die rechtlichen, administrativen und budgetären Rahmenbedingungen eine adäquate Auftragserfüllung auch auf mittlere Sicht? Wie könnte das Spannungsverhältnis zwischen umfassender Rechts- und Verfahrenskontrolle und operativer Leistungsfähigkeit aufgelöst werden? Wie könnten Nachrichtendienste angesichts der demographischen Herausforde-rungen in Personalgewinnung und Personalführung bestehen? Wie könnten Diversität und Inklusivität als wichtige Elemente nachrichtendienstlicher Professionalität in Beschaffung und Auswertung gewährleistet werden, wie könnten moderne Arbeits- und Kommunikationsformen mit Sicherheitserfordernissen versöhnt werden? Wie könnte exklusive Sprach-, Fach- und Sachkompetenz in allen Aufklärungs- und Arbeitsbereichen eingestellt, erhalten, gefördert und weiterentwickelt werden? Auch multilaterale Kooperationen seien zur Bewältigung zukünftiger Polykrisen mehr denn je erforderlich.

Das Fazit des Behördenspiegels: Es ist die Zeit der Zeitenwende – auch für die Dienste.

Das Programm der Konferenz spiegelt die hier von den Veranstaltern umrissenen Fragestellungen wider. In Plenarsitzungen, Fachforen und Arbeitsgruppen stehen vielfältige Themen und Impulse zur Diskussion an.

Im Plenum werden bereits am ersten Tag Impulsvorträge von Frau Staatssekretärin im Bundesministeriums des Inneren, Rita Schwarzelühr-Sutter, und von Frau Dagmar Busch, Abteilungsleiterin 7 im Bundeskanzleramt aus der Perspektive von Fach- und Dienstaufsicht erwartet. Aktuelle Auf Leitungsebene präsentieren BfV, BND und BAMAD die Herausforderungen, vor denen die Dienste stehen.

Die Perspektive des Parlamentarischen Kontrollgremiums wird durch Herrn Christoph de Vries (CDU) in einem Impulsvortrag zur Kontrolle der Dienste in der Polykrise eingebracht.

Zur Gefährdungslage im Inneren und von Außen diskutieren Vertreter von BMI, BMVg mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des PKGr, Herrn Roderich Kiesewetter, und Frau Professor Dr. Anna Daun von der Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin.

Breiten Raum nimmt auch das Thema „Aktuelle Sicherheitslage (Extremismus, Sabotage, Spionage, Subversion) – Kooperation im Verfassungsschutzverbund – Rechtliche Rahmenbedingungen – Neue Ansätze?“ ein, das mit hochrangigen Vertretern zuständiger Landesbehör-den erörtert wird.

Einen wichtigen Impuls zur Rolle der Dienste im Prozess von Lagefeststellung und Lagebeurteilung setzt Generalmajor Jürgen Setzer, Stv. Inspekteur CIR der Bundeswehr, mit dem Thema „Erstellung eines Lagebilds und Zusammenspiel mit den Diensten“.

Das angesichts des immer stärker werdenden deutschen Engagements in EU und NATO bedeutsame Zukunftsthema „Strategic Intelligence und ihre Rolle in politischen und militärischen Entscheidungsprozessen von EU und NATO“ diskutiert Professor Christoph Meyer, King’s College London, mit Herrn Daniel Markic, dem neuen Director EU INTCEN, Generalmajor Sascha Bosetzky, Leiter des Strategischen Auslandsnachrichtendienstes (HNaA), Österreich, und Dr. Eva Michaels, Professorin Intelligence and Security, Universität Leiden, Niederlande.

Einen unverzichtbaren Blick auf „Zukunft, Legitimation und Kontrolle der Nachrichtendienste“ werden gegen Ende der Konferenz Andrea Lindholz, MdB CSU, Mitglied Parlamen-tarisches Kontrollgremium, Deutscher Bundestag, Josef Hoch, Präsident des Unabhängigen Kontrollrats (UKR), Berlin Stephan Kramer, Präsident des Amtes für Verfassungsschutz Thüringen Heinz Huber, Abteilung E Bayrisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Migration, Dr. Martina Oelkers, Verfassungsschutzvizepräsidentin Niedersachsen, Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport und Dr. Melanie Amann, Stellvertretende Chefredakteurin von DER SPIEGEL.

Das Plenum der Konferenz endet mit einem Gespräch mit Konstantin von Notz, MdB Bündnis 90/Die Grünen, Vorsitzender PKGr, zur Zukunft der Dienste.

In Fachforen und Arbeitsgruppen werden die folgenden Themen erörtert:

  • Personalgewinnung im 21. Jahrhundert– Eine Mega-Herausforderung für Dienste, Regierung und Parlament

  • Bedeutung menschlicher Quellen – V-Personen im Spannungsverhältnis von Strafverfolgung und Transparenz

  • Nachrichtendienste in der EU – Strategic Compass EEAS – Neue Impulse nach den Wahlen zum EP?

  • Gemeinsame Nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung von BfV und BND – Sachstand und Perspektiven

  • Rechtsextremismus/Linksextremismus

  • Nachrichtendienste im Spannungs- und Verteidigungsfall – Operative und rechtliche Dimensionen

  • Nachrichtendienstlicher Innovationsschub: KI ist mein Agent

  • Big Data & Analytics

  • Nachrichtendienste – Bereit für die globalen Krisen? Cyber-Dimensionen in Beschaffung, Auswertung, Berichterstattung und Entscheidungsprozessen

  • Bedeutung offener Quellen (OSINT) und Zusammenarbeit mit privaten oder „NGOs“ bzw. Plattformen

Der GKND begrüßt diese Konferenz in besonderem Maße, greift sie doch in konzentrierter Weise ein breites Spektrum von Themen und Fragen auf, die für eine sachgerechte Behandlung und Weiterentwicklung der Dienste in Deutschland von großer Bedeutung sind. Der Gesprächskreis hat sich bekanntlich zu vielen dieser Themen immer wieder zu Wort gemeldet.

Es ist gerade diese, im Rahmen des Zuträglichen offene und öffentliche Diskussion zu den Nachrichtendiensten und den Herausforderungen, denen sie bei der Aufklärung und Analyse aktueller, unmittelbar wie mittel- bis langfristig bevorstehender Gefahren und Risiken gegenüberstehen, die zu einem breiteren Verständnis der Dienste im Rahmen einer strategischen Kultur in Deutschland beitragen kann und auch sollte.

Es geht hier um die gemeinsame Gestaltung integrierter Sicherheit, wie sie die Nationale Sicherheitsstrategie von 2023 einfordert:

„Diese Sicherheitsstrategie soll darüber hinaus auch zur Weiterentwicklung der strategischen Kultur in Deutschland beitragen und Ausgangspunkt für eine gesellschaftliche Debatte sein. Ziel der Bundesregierung ist es, ein in der Breite unserer Gesellschaft verankertes Verständnis von Integrierter Sicherheit zu entwickeln. Es gilt, gemeinsam zu erfassen, was zum Erhalt und zur Stärkung der Sicherheit und Freiheit Deutschlands getan werden muss, damit unser Land und unsere Politik wehrhaft, resilient und nachhaltig sind“.

Für den Vorstand

Dr. Gerhard Conrad

Zurück
Zurück

IINTELTALKS - Ein Forum für Intelligence Studies

Weiter
Weiter

Strategische Vorausschau und strukturierte Analysetechniken zur Stärkung von Resilienz