„Soviet Military Power“ - Benötigen wir ein Remake?

Lageberichte und Lagebeurteilungen als Öffentlichkeitsarbeit der Dienste

Eine GKND Hintergrundinformation


Die folgende Fassung des Papers enthält keine Fußnoten. Die vollständige Fassung können Sie über das PDF abrufen

Dr. Gerhard Conrad

Mehr Transparenz und Profil wagen!

Bereits im Januar 2022 hat der GKND auf ein öffentliches Kommunikationsdefizit zur Rolle und Aufgabe der Dienste hingewiesen und Vorschläge unterbreitet, wie hier insbesondere seitens der Bundesregierung Abhilfe geschaffen werden könnte.

Dem Verfassungsschutzverbund steht hier mit den Jahresberichten traditionell ein wertvolles Instrument zur Verfügung, mit dem im Zusammenwirken mit den Dienst- und Fachaufsichtsbehörden auf Bundes- und Landesebene ein Beitrag zur Sachinformation ebenso geleistet wird wie zu einem breiteren öffentlichen Verständnis der Gefährdungslage, aber auch des Beitrag der Verfassungsschutzbehörden zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. In der Sache ist es wenig plausibel, dass ein vergleichbares Medium nicht auch dem Bundesnachrichtendienst zur Verfügung steht, mit dem auf globale Gefährdungen und Risikofaktoren hingewiesen wird, ohne dabei schutzwürdige außenpolitische Interessen oder Geheimhaltungsbelange zu berühren.

Die Aufgabe ist im Zuge der „Zeitenwende“ wichtiger denn je, haben doch die vergangenen Jahre gezeigt, wie allein schon aus Mangel an öffentlich zugänglicher, autoritativer Information wichtige Trends und Entwicklungen in der politischen Öffentlichkeit nicht zur Kenntnis genommen worden sind, welche die Sicherheit des europäischen Kontinents und seines regionalen Umfelds unmittelbar, oder über die Auswirkungen auch geographisch ferner liegender Konflikte, nachhaltig beeinflussen.

In diesem Zusammengang ist auch schon auf den Umstand verwiesen worden, dass in zahlreichen westlichen Demokratien die Dienste mittlerweile öffentliche Berichtsformate gefunden haben, mit denen sie Einblick in ihren Auftrag, ihre Arbeit und ihre Lagebeurteilung geben und so einen Beitrag zu einem vertieften öffentlichen Verständnis sicherheitspolitischer Zusammenhänge, Risiken und Bedrohungsszenarien und damit auch zu Transparenz und demokratischer Legitimation leisten.

Im Rahmen der nunmehr durch die Ereignisse erzwungenen außen- und sicherheitspolitischen Neuausrichtung sollte diese Zurückhaltung aufgegeben werden, um Versäumnisse der vergangenen Jahre auch in diesem Feld zu überwinden.

„Soviet Military Power“ der DIA – „Proliferationsbericht“ des BND

Ein Blick zurück kann hier erste Anregungen für die Konzipierung neuer Produkte, natürlich in Anpassung an die aktuellen Rahmenbedingungen, geben.

Die Defense Intelligence Agency (DIA) der USA publizierte so von 1981, dem Beginn der letzten Runde des Rüstungswettlaufs mit der UdSSR bis zu ihrem Zerfall im Jahre 1991, jährlich eine circa 100 Seiten starke Broschüre mit dem Titel „Soviet Military Power“, die sich rasch als Basismaterial und Nachschlagewerk im Zusammenhang mit Abrüstungs- und Rüstungskontrollfragen weltweit etablierte. Die Broschüre wurde federführend von der DIA zusammengestellt, basierte jedoch auch auf Erkenntnissen und Bewertungen anderer US Dienste.

Da Satellitenaufnahmen mit einer Auflösung, die für Bilder in einer solchen Publikation geeignet waren, also besser als ca ein Meter, damals noch hoch klassifiziert waren, wich man in den Anfangsjahren auf Zeichnungen aus. Sowjetisches Militärgerät wurde an Hand von Fotos, die zumeist bei Paraden aufgenommen worden waren, vorgestellt. Erst mit der zunehmenden Verfügbarkeit besser auflösender kommerzieller Satellitenaufnahmen wurden auch Bilder militärischer Objekte in die Publikation aufgenommen.

Die jährlich erscheinende Broschüre umfasste alle wichtigen Neuerungen in Themenfeldern wie etwa Strategie, Doktrin, Stärken, neue Waffensysteme und Dislozierung. Relevante Entwicklungen in der Ausrüstung beziehungsweise Bewaffnung der sowjetischen Streitkräfte wurden herausgestellt, und ihre Implikationen für die sowjetische Strategie und Militärdoktrin erläutert.

Insgesamt waren diese Publikationen gute bis sehr gute Zusammenstellungen von Zahlen, Daten und Statistiken. Sie stellten für die meisten Beteiligten an Rüstungskontrollverhandlungen und die Journalistik das Basismaterial dar mit dem sich abstrakte Bezeichnungen und Zahlen in Fähigkeiten und bessere Vorstellungen des sowj. Militärapparates verwandelten. Angeblich griffen selbst die sowjetischen Delegationsmitglieder bei den entsprechenden Verhandlungen auf diese Broschüre zurück.

Rückblickend kann jedoch auch festzuhalten, dass zu wenige oder gar keine Aussagen über die tatsächliche Qualität und Einsatzbereitschaft der Waffen, den Ausrüstungs- und Ausbildungsstand der Einheiten oder deren Motivation enthalten waren, weil sich diese mit deklassifiziertem Material kaum darstellen ließen. Auch wurde kein Wort darüber verloren, wie sehr der damals zu beobachtende Auf- und Ausbau der militärischen Kräfte der UdSSR auf Kosten aller anderen beobachtbaren Faktoren – wie zum Beispiel der Versorgungslage – ging, die in umfassende Aussagen über Gesamtfähigkeiten der UdSSR ebenfalls hätten einfließen müssen. Nicht umsonst verwies der Titel „Soviet Military Power“ auf eine rein militärische und militärpolitische Betrachtungsweise.

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR und dem Zerfall in einzelne Staaten wurde auch der Fortbestand des KGB bzw. seiner Teilorganisationen in Russland in Frage gestellt. Der damalige Direktor der Auslandsaufklärung, Primakov, wies daher den russischen Auslandsnachrichtendienst SVR an, nunmehr eine Publikation mit dem Titel „A New Challenge After The Cold War: Proliferation of Weapons of Mass Destruction (Moscow: FIS, 1993) zu erstellen. Dieses Papier war die erste offene Publikation des SVR. Es diente natürlich in erster Linie dazu, die Notwendigkeit des Fortbestands dieses Dienstes gegenüber der russischen Regierung und Öffentlichkeit zu begründen, stellte aber für den SVR auch eine „Eintrittskarte“ für die Zusammenarbeit mit den bisher gegnerischen Nachrichtendiensten des Westens dar,. Beide Ziele wurden erreicht. Darüber hinaus etablierte sich das Papier rasch als fundierte Quelle für Proliferation weltweit, zumal es einige seinerzeit weitgehend unbekannte Proliferationsprogramme in Drittweltändern auflistete.

Auch der BND publizierte im Zeitraum 1997 bis 2001 für die breite Öffentlichkeit den „Proliferationsbericht“ um gegenüber der interessierten Öffentlichkeit zu begründen, warum die Exportgesetzgebung neu und restriktiver gefasst werden musste, und warum strenge Kontrollen für Exporte von dual-use Gütern unerlässlich waren. Auch diese Berichte fanden weite Verbreitung und erreichten das vorgegebene Ziel. Diese Berichtsreihe wurde jedoch bereits ab 2002 nicht mehr fortgesetzt, weil die US-Regierung ab 2000 per Gesetz zur vierteljährlichen Herausgabe eines Berichts über Proliferationsvorgänge verpflichtet war. Der “Unclassified Report to Congress on the Acquisition of Technology Relating to Weapons of Mass Destruction and Advanced Conventional Munitions,1 July Through 31 December 2001” stellte hier das Maß aller Dinge in Sachen Öffentlichkeitsarbeit dar, so dass eine BND-Publikation zum gleichen Thema nur sehr wenig Neues hätte bringen können. Gleichwohl blieb das amerikanische Papier allein schon aufgrund der Sprachbarriere wenig relevant für die deutschen öffentliche Diskussion.

Für die US Public Diplomacy war die Erfolgsgeschichte von „Soviet Military Power“ der Durchbruch in der Nutzung von Printmedien zur wirksamen Verbreitung neuer nachrichtendienstlicher Lageerkenntnisse. Die US Intelligence Community wird seither vom Kongress in großem Umfang zur Erstellung von Berichten zu vielen Themen regelmäßig angewiesen. Diese lassen sich im Internet zumeist mit der Suchwortkombination „Unclassified report to the congress on…..“ recherchieren.

Diese Berichte beeinflussen in großem Umfang die strategische Diskussion in den USA und weltweit, natürlich im Sinne der US-Außenpolitik. Ihre Erstellung ist abhängig von den entsprechend personell ausgestatteten Redaktionsstäben bei den Diensten und im Bereich des Director of National Intelligence (DNI).

Neue Ansätze erforderlich und möglich

Allein diese beiden Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit zeigen, welche Möglichkeiten zur verantwortungsvollen Darlegung und Verbreitung sicherheitspolitisch hochrelevanter Lageinformationen unter Einbeziehung der Nachrichtendienste bestehen, ja schon immer bestanden haben.

Seit 1991 haben sich darüber hinaus die Möglichkeiten zum Rückgriff auf aussagekräftige offene Quellen deutlich verbessert, so dass bereits auf ihrer Grundlage relevante Aussagen getroffen werden können, ohne den erforderlichen nachrichtendienstlichen Geheimschutz zu gefährden. Die anglo-amerikanische intelligence community verfolgt diesen Weg bereit seit einigen Jahren konsequent. So hat die Verfügbarkeit von kommerziell erhältlichen hochauflösenden aktuellen Satellitenbildern nahezu Quantensprünge erfahren, wie allein schon die die aktuelle Presseberichterstattung zum russischen Überfall auf die Ukraine täglich unterstreicht. Hinzu kommen seit mindestens zehn Jahren die explosionsartig gewachsenen Kapazitäten der sozialen Medien, die Rückschlüsse auf die Stimmung in der Öffentlichkeit und alle damit verbundenen Phänomene zulassen, zugleich aber auch vielfältige „Testimonials“ zu aktuellen Ereignissen, einschließlich militärischer Aktionen, enthalten, auf die in geeigneter Weise zurückgegriffen werden kann, ohne Rückschlüsse auf eigene Kapazitäten zu erlauben. Kommerzielle Anbieter wie Palantir oder investigative Plattformen wie Bellingcat bieten zusätzlich völlig neue Beschaffungs- und Bewertungsmöglichkeiten für eine qualifizierte Lagefeststellung und Lagebeurteilung. Offen nutzbares Material, mit dem sich eine Verbreiterung der strategischen Diskussion in Deutschland auf Grund von besserer Information (Sawsan Chebli „Außenpolitik geht jeden an“ Tagesspiegel vom 11.5.2022) erstellen ließe, ist somit reichlich vorhanden. Seine kompetente Nutzung setzt jedoch das Wissen um die tatsächliche Erkenntnislage voraus, die eben gerade die Dienste auf Grund ihrer eingestuften Erkenntnisse gewinnen können.

Der Bundesnachrichtendienst hätte somit im Fall einer entsprechenden Autorisierung durch das Bundeskanzleramt grundsätzlich alle Mittel in seiner Hand, um relevante, öffentlichkeitswirksame Publikationen zu wesentlichen Aspekten der Bedrohungslage zu erstellen, die Teil eines öffentlichen Diskussions- und Meinungsbildungsprozesses werden könnten. Regelmäßig, am besten in Form von Jahresberichten aufzugreifende Themen wie „Globale Terrorismusbedrohung“, „Hybride Kriegführung und Bedrohungen“, „Proliferation“ oder eben auch „Globale Militärische Potentiale und Risken“ wären heute wichtiger denn je, sei es in der Sache selbst, sei es, um die Bedeutung nachrichtendienstlich abgestützter Lagefeststellungen und Beurteilungen des Bundesnachrichtendienstes einer breiteren Öffentlichkeit nachhaltig nahezubringen.

Für den Vorstand

Dr. Gerhard Conrad

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Lagefeststellung und Lagebeurteilung des BND zu Afghanistan 2020/2021

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Befähigung und Zukunftsfähigkeit des Bundesnachrichtendienstes