Nachrichtendienste und Sicherheitspolitik

Anmerkungen des GKND zum Koalitionsvertrag


Die folgende Fassung des Papers enthält keine Fußnoten. Die vollständige Fassung können Sie über das PDF abrufen

Dr. Gerhard Conrad

Der am 09.04.2025 vorgestellte Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD stellt eine in vielen Bereichen deutliche Sicherheitspolitische Umorientierung hin zu staatlicher wie gesellschaftlicher Resilienz, Verteidigungsfähigkeit und ressortübergreifenden Lage- und Entscheidungs strukturen dar. Hiervon sind erklärtermaßen auch Verfassungsschutz und MAD betroffen. Beide sollen gestärkt werden, gerade auch im Hinblick auf ihre Befugnisse und Kooperationsmöglichkeiten, bei der Wahrung der inneren Sicherheit und Abwehr von Spionage, Sabotage und Desinformation.

Kaum zu erklären ist jedoch, dass der Bundesnachrichtendienst auf allen 144 Seiten keine Erwähnung findet, insbesondere auch nicht im Rahmen des Kapitels 5 („Verantwortungsvolle Außenpolitik, geeintes Europa, sicheres Deutschland“), das im Rahmen der traditionellen Binnenfokussierung deutscher Politik ohnehin wieder erst am Ende des Vertrags auf den Seiten 125 bis 140 platziert ist. Alles andere ist offenbar wichtiger, selbst in Zeiten so noch nie dagewesener außen- und sicherheitspolitischer Herausforderungen und Gefahren sowie hieraus resultierender präzedenzloser Anstrengungen in Sicherheit und Verteidigung.

Die entscheidende Bedeutung der nachrichtendienstlichen Auslandsaufklärung für die außen- und Sicherheitspolitische Orientierung und Handlungsfähigkeit der Bundesregierung, die ja auch vom Bundesverfassungsgericht mehr als eindeutig bestätigt worden ist, ist offenbar schlichtweg „vergessen“ worden, kommt jedenfalls nicht erkennbar zum Tragen. Für alle sei hier noch einmal die diesbezügliche Kernaussage des Urteils vom 19. Mai 2020 in Erinnerung gerufen:

…„die Auslandsaufklärung (zielt) immer auf Informationen, die Bedeutung für die Stellung und Handlungsfähigkeit Deutschlands in der Staatengemeinschaft entfalten und damit gerade in diesem Sinne von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung sind. Die Versorgung der Bundesregierung mit Informationen für ihre außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen hilft ihr, sich im machtpolitischen Kräftefeld der internationalen Beziehungen zu behaupten, und kann folgenreiche Fehlentscheidungen verhindern. Insoweit geht es mittelbar zugleich um die Bewahrung demokratischer Selbstbestimmung und den Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung – und damit um Verfassungsgüter von hohem Rang. In Frage steht mithin ein gesamtstaatliches Interesse, das über das Interesse an der Gewährleistung der inneren Sicherheit als solcher deutlich hinausgeht“ (Rn. 162)

Einmal mehr findet somit der außen- und sicherheitspolitische Diskurs ohne die Berücksichtigung der Auslandaufklärung und des hierfür zuständigen Auslandsnachrichtendienstes statt. Im politischen Raum gelebte und gedachte „Intelligence Culture“ sieht anders aus. Ungehört verhallen da offenbar auch die Aussagen der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) aus dem Spätjahr 2024:

„Vorausschauendes, zielgerichtetes und situationsangemessenes Handeln setzt rechtzeitiges qualifiziertes Wissen über langfristig absehbare, aber auch kurzfristig bevorstehende oder aktuelle Herausforderungen und Gefährdungsmomente voraus. Zentrale Aufgabe der Nachrichtendienste ist es, mit strategic beziehungsweise tactical intelligence maßgeblich zu diesem handlungsbefähigenden Wissen beizutragen. Sie sind damit die erste Verteidigungslinie für Sicherheit, Freiheit und Selbstbestimmung Deutschlands im engen Verbund mit der NATO und der Europäischen Union.“

Im Kapitel Außen- und Verteidigungspolitik (S. 125ff. ) des Koalitionsvertrags wäre hier jedenfalls eine allgemeine programmatische Aussage fachlich wie politisch angebracht gewesen, etwa im nachfolgenden Kontext:

„Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges müssen Deutschland und Europa in der Lage sein, ihre Sicherheit deutlich umfassender selbst zu gewährleisten. Wir werden sämtliche Voraussetzungen schaffen, damit die Bundeswehr die Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung uneingeschränkt erfüllen kann. Hierzu zählt auch die entsprechende Stärkung des Bundesnachrichtendienstes als einziger ziviler und militärischer Auslandsnachrichtendienst Deutschlands. Unser Ziel ist es, dass die Bundeswehr einen zentralen Beitrag zur Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit der NATO leistet und zu einem Vorbild im Kreis unserer Verbündeten wird. Die beschriebene Bedrohungslage zwingt uns mit dem Ziel der Abschreckung zur Erhöhung unserer Verteidigungsausgaben. Unser langfristiges Ziel bleibt das Bekenntnis zu Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie Abrüstung.“

Gleichermaßen sachgerecht wäre es gewesen, den BND im Kapitel „Befugnisse der Sicherheitsdienste“ in seiner wesentlichen Unterstützungsfunktion zu würdigen. Schließlich ist es sicherheitspolitisches fachliches Gemeingut auf nationaler wie internationaler Ebene, dass innere und äußere Sicherheit nicht mehr von einander zu trennen sind. Ein Großteil von Gefahren und Risiken entstehen und entwickeln sich im Ausland, wirken von dort aus auf die innere Sicherheit Deutschlands ein und müssen gerade dort auch nachrichtendienstlich aufgeklärt werden. Dem Text des Koalitionsvertrags zufolge sollen jedoch offenbar nur das BKA, das BfV und die Bundespolizei gestärkt werden. Auch hier wäre eine explizite Erwähnung des Bundesnachrichtendienstes fachlich wie politisch geboten gewesen, etwa mit der folgenden Formulierung im Kapitel „Stärkung der Sicherheitsbehörden“:

„Wir stärken das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Bundesnachrichtendienst im Rahmen der jeweiligen Kompetenzen, insbesondere in der Bekämpfung von Cyberkriminalität, Spionage und Sabotage. Wir vertrauen der Bundespolizei und schaffen für sie ein modernes Bundespolizeigesetz mit zeitgemäßen rechtlichen Grundlagen. Der Bund finanziert seinen zugesagten Anteil an den Fähigkeiten der Bereitschaftspolizeien der Länder. Zur Stärkung unserer nationalen Souveränität und der operativen Fähigkeiten unserer Nachrichtendienste, und um mit der Leistungsfähigkeit relevanter europäischer Partnerdienste wieder Schritt zu halten, streben wir eine grundlegende verfassungskonforme, systematische Novellierung des Rechts der Nachrichtendienste des Bundes an, einschließlich der rechtlichen Rahmenbedingungen für einen effektiven und effizienten Datenaustausch zwischen den Diensten und anderen Behörden (Ausweitung von Übermittlungsbefugnissen und Prüfung von Löschfristen). Wir sorgen für effektivere Kontrollstrukturen und zielgerichtetere Kontrollen nach den jeweiligen Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts, auch durch den Deutschen Bundestag“.

Mit nur wenigen Worten wäre hier somit die erforderliche programmatische Klarheit gerade auch im Hinblick auf personelle, materielle und budgetäre Dimensionen für den BND zu schaffen gewesen. Welche Handlungsfelder zur Debatte stehen, hat der GKND erst unlängst, zum wiederholten Male, skizziert. Mit der im Koalitionsvertrag geforderten, zweifellos dringlichen und wichtigen Novellierung der ND-Gesetzgebung mit dem Ziel erweiterter Handlungsfähigkeit ist es allein nicht getan, ganz abgesehen davon, dass es noch zu klären sein wird, ob der in den Abschnitten „Befugnisse der Sicherheitsbehörden“ und „Kooperation von Sicherheitsbehörden“ skizzierte Maßnahmenkatalog (dreimonatige Vorratsdatenspeicherung, strikt limitierte Quellen-TKÜ für die Bundespolizei bei schweren Delikten, automatisierte Datenrecherche und -analyse, biometrische Abgleiche, automatisierte Kennzeichenlesesysteme, erweiterter Datenaustausch unter den Sicherheitsbehörden) in der vorgesehenen Form den massiven Herausforderungen bereits gerecht werden kann. Erhebliche, auch finanziell deutlich zu Buche schlagende Anstrengungen werden für alle Dienste, auch für den BND, jedoch zusätzlich bei der Rekrutierung und Entwicklung fachlich qualifizierten Personals ebenso zu meistern sein wie massive Investitionen in technische/digitale Infrastruktur sowie in zukunftsfähige und bedrohungsadäquate technische wie fachliche Befähigungen im Bereich der verschiedenen nachrichtendienstlichen Aufklärungs- und Auswertungsdisziplinen. Angesichts der schweren Irritationen im transatlantischen Verhältnis müssen die Dienste, alle Dienste, so rasch wie möglich deutlich mehr, schneller und besser leisten können. Die Dringlichkeit und das Volumen dieser Anstrengung kommen im Koalitionsvertrag nicht ausreichend klar zum Ausdruck, schon gar nicht für den BND, obwohl dies gerade auch als politisches Statement angesichts der neuen Herausforderungen mehr als am Platz gewesen wäre.

Es wäre sehr zu wünschen, dass eine solche Klarstellung noch im Text der Vertrags berücksichtigt werden kann. Andernfalls bleibt nur zu hoffen, dass Abhilfe als sachlogische Konsequenz aus dem neuen, uneingeschränkt zu begrüßenden organisatorischen Ansatz für „Kohärenz im Außenhandeln“ geschaffen wird: Nach mehr als 17 Jahren der partei- und ressortübergreifenden Prokrastination soll nunmehr tatsächlich ein Bundessicherheitsrat samt Unterbau und Krisenstab im Bundeskanzleramt geschaffen werden:

„Wir entwickeln den Bundessicherheitsrat, im Rahmen des Ressortprinzips, zu einem Nationalen Sicherheitsrat im Bundeskanzleramt weiter. Er soll die wesentlichen Fragen einer integrierten Sicherheitspolitik koordinieren, Strategieentwicklung und strategische Vorausschau leisten, eine gemeinsame Lagebewertung vornehmen und somit das Gremium der gemeinsamen politischen Willensbildung sein. Für eine ganzheitliche Bewältigung von Krisen braucht Deutschland einen Bund-Länder- und ressortübergreifenden Nationalen Krisenstab der Bundesregierung und ein Nationales Lagezentrum im Bundeskanzleramt, in dem ressortübergreifend ein Gesamtlagebild zusammengefügt wird“.

Natürlich ist damit erst einmal nur ein allgemeiner Rahmen abgesteckt worden; die eigentliche aufbau- und ablauforganisatorische Gestaltungsaufgabe wird in den Wochen und Monaten nach der Regierungsbildung unter erheblichem Zeit- und Ergebnisdruck anstehen. Von ihrer klugen Implementierung wird es abhängen, ob hier zusätzliche bürokratische Monster geschaffen oder bestehende Strukturen genutzt, neu beauftragt, personell durch Umschichtung qualifiziert und informationstechnisch vernetzt werden. Auch hierzu hat sich der GKND bereits mehrfach eingelassen, so zuletzt im März 2023.

Darüber hinaus ist es ebenso erfreulich wie ermutigend, dass der Koalitionsvertrag weitere Impulse mit sicherheits- und ND-politischer Relevanz enthält: Das öffentliche Dienstrecht soll mit dem Ziel einer deutlich erhöhten Attraktivität für Fachkräfte modernisiert werden, ein Vorhaben, das entscheidend zur Bewältigung der auch den Nachrichtendiensten bevorstehenden „Mega-Herausforderung Personalgewinnung“ beitragen kann und muss.

Eine Initiative zur Förderung der strategischen Sicherheitsforschung soll auf den Weg gebracht werden, mit der das in Deutschland bestehende „Defizit in diesem Bereich beseitigt wird“. Dringlich wäre es hier, gerade auch auf dem weiten Feld der in der deutschen Academia im markanten Gegensatz zum anglo-amerikanischen Raum praktisch nicht existenten Intelligence Studies deutliche Impulse zu setzen. Hier fehlt es ja bereits an Referentenstellen in den von der Bundesregierung mit beaufsichtigten Instituten und Think Tanks wie der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), der Stiftung Wissenschaft und Politik (WP) oder auch der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik (DGAP), um nur einige wenige zu nennen, von Lehrstühlen und Instituten an deutschen Universitäten ganz zu schweigen.

Trotz der zuvor erwähnten Monita sind somit mit der Koalitionsvereinbarung immerhin erste Eck- und Ausgangspunkte für deutliche sicherheitspolitische Akzentverschiebungen auch im Bereich der Ertüchtigung der Nachrichtendienste und der wirksameren Umsetzung ihrer Arbeitsergebnisse in den Entscheidungsprozessen der Bundesregierung und zuständigen Bundesund Landesbehörden gesetzt worden. Wie stets wird es nun entscheidend darauf ankommen, dass die neue Bundesregierung mit der Umsetzung ihrer Vorhaben energisch, umsichtig, aber auch ebenso verzugslos wie ziel- und praxisorientiert beginnt.

Für den Vorstand

Dr. Gerhard Conrad

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