Künstliche Intelligenz und Nationale Sicherheit

Eine Stellungnahme zu Potentiale von GEOINT und Predictive Intelligence


Die folgende Fassung des Papers enthält keine Fußnoten. Die vollständige Fassung können Sie über das PDF abrufen

Dr. Hans-Dieter Herrmann, Vorsitzender des Vorstandes

Künstliche Intelligenz (KI) hat sich in den vergangenen zehn Jahren zu einem Schlagwort auch im Zusammenhang mit Nachrichten- und Sicherheitsdiensten entwickelt. Nach einer kurzen Skizze zum Phänomen, seiner Begrifflichkeit und seinen Ausformungen soll in diesem einführenden Beitrag insbesondere auf Grundlagen, Rahmenbedingungen und Perspektiven der neuen Technologie in ihrem sich abzeichnenden Potential für Sicherheitsgewährleistung und Vorausschau hingewiesen werden.

 

Genese und Entwicklung „Künstlicher Intelligenz“

 1950 schreibt einer der Begründer der modernen Informatik, Alan Turing, in einem Manuskript:

„Menschen nutzen verfügbare Informationen sowie den Verstand, um Probleme zu lösen und Entscheidungen zu treffen, warum also können Maschinen/Computer nicht dasselbe tun?“

Im Jahre 1956 wird im Dartmouth College, Hanover, New Hampshire, in den USA der Begriff der „Künstlichen Intelligenz“ erstmals verwendet. Die Teilnehmer schreiben:

„[..] jeder Aspekt des Lernens oder jedes andere Merkmal der Intelligenz kann im Prinzip so genau beschrieben werden, dass man eine Maschine dazu bringen kann, es zu simulieren.“

Seitdem verläuft der Entwicklungsweg der Künstlichen Intelligenz (KI) in Zyklen; auf eine (überzogene) Euphorie aufgrund vielversprechender technologischer Entwicklungen („KI Frühling“) folgen Phasen der tiefen Enttäuschung („KI Winter“). Da wir uns derzeit in einer deutlichen Frühlingsphase befinden, ist es wichtig, eine Klarstellung des Themas insbesondere für die Verwendung im Rahmen staatlicher Sicherheitsgewährleistung anzustoßen.

 

KI und Sicherheitsgewährleistung

Grundsätzlich enthalten die beiden obigen Zitate bereits deutliche Hinweise auf die Faszination, die von der KI ausgeht. Es geht um die Problemlösung, Entscheidungsprozesse, und Lernen. Alle drei Aspekte sind bei autonomen Prozessen wie der Steuerung eines Fahrzeugs, gefordert und können mithin auch in anderen vergleichbaren Anwendungsgebieten Berücksichtigung finden.

Die aktuelle, globale KI-Euphoriewelle wird maßgeblich durch eine Klasse von Methoden getragen, die als „Maschinelles Lernen“ bezeichnet wird. Der generelle Ansatz besteht hier darin, mit großen Trainingsdatensätzen (z.B. Fotos, Satellitenbilder) sogenannte „Künstliche Neuronale Netzwerke“ derart zu konfigurieren, dass diese Netze danach selbstständig Objekte identifizieren oder klassifizieren können. Hier ist die anwendungsnahe Forschung schon sehr weit fortgeschritten. Die erwähnten Neuronalen Netzwerke lehnen sich in der Konzeption an die Strukturen im menschlichen Gehirn an. Die grundlegende Idee dazu, das „Perzeptron“, entstammt ursprünglich aus den Kognitionswissenschaften und wurde ebenfalls in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts beschrieben.

Während in den ersten Dekaden der KI-Forschung und -Anwendung logikbasierte Verfahren im Fokus standen, erhielt die datengetriebene KI, insbesondere das Maschinelle Lernen, durch die allgemeine Verfügbarkeit von sehr leistungsfähiger Hardware und natürlich auch über die verbreitete Akzeptanz des Internets als Datenquelle einen kräftigen Schub.

 

Damit eröffnete sich der Weg zu einer aktuell schon sehr verbreiteten Anwendung von Klassifikationsalgorithmen, der Objektidentifikation innerhalb von Geodaten-Analyse (GEOINT), d.h. vornehmlich Satellitenbildern oder Aufzeichnungen von sogenannten UAVs (unbemannte Luftfahrzeuge). Während beispielsweise die Israelische Armee gezielt autistische Jugendliche dazu einsetzen, Veränderungen in Satellitenbildern zu identifizieren, setzen andere Organisationen wie die amerikanische National Geospatial-Intelligence Agency NGA auf KI-Methoden zur globalen satellitengestützten Erdaufklärung.

Jenseits der staatlichen luft- und weltraumgestützten Aufklärungskapazitäten der USA spielt die stetig wachsende Menge an sogenannten OpenData-Quellen eine entscheidende Rolle für andere Organisationen bei der Aufklärung und Früherkennung von Risiken. Frei verfügbare Geodaten in sehr hoher Auflösung von praktisch jedem Areal der Erdoberfläche bieten ein immenses Potenzial, das derzeit vor allem kommerziell genutzt wird. Während (selbsternannte) „OSINT-Aufklärer“ in den sozialen Medien um die Hoheitskompetenz gegenüber staatlichen Stellen konkurrieren, wird dieses Thema in Deutschland zuweilen noch sehr misstrauisch beäugt. Dabei wäre die systematische und gezielte Auswertung von geographischen Veränderungen ein wichtiger Schritt hin zu einem Frühwarnsystem für ausgewählte Gefahrenlagen der Nationalen Sicherheit. Die Europäische Union ist hier mit GALILEO und COPERNICUS bereits erheblich weiter. Dass die in Beschaffung befindlichen deutschen Satelliten der GEORG-Reihe auf KI-Funktionen aufsetzen werden, sollte vor diesem Hintergrund dringlich zu wünschen sein.

Hier bildet vor allem die Kombination unterschiedlichster Sensoren von optischen bzw. radarsensitiven Satelliten eine große Herausforderung zugleich aber auch ein völlig neues Spektrum an Befähigungen in Erfassung und Analyse. So könnten z. B. ENVISAT-Daten über Stickoxide, die zum Beispiel auch bei der Sprengstoffproduktion entstehen, mit Daten von Erdpenetration, etwa aus archäologischen Aufnahmen, und optischen Satelliten kombiniert werden, um damit zu Aussagen über ein neues unterirdisch angelegtes Rüstungsprogramm zu gelangen. Die so gewonnenen Ergebnisse ließen sich dann gleichfalls KI-unterstützt mit Daten aus OSINT und SIGINT verknüpfen, und erst danach würde ein Analyst herangezogen werden müssen. Hier sind die Potentiale von KI in Kombination mit den unterschiedlichsten Datenerhebungen noch nicht ansatzweise ausgelotet, geschweige denn ausgeschöpft. Je nach technischer und rechtlicher Ausgestaltung könnten KI-Programme auch zur Begründung für den Einsatz von SIGINT-Maßnahmen gegen bestimmte Ziele hergezogen werden können.

Die Ökologie erzielt zusammen mit der Geoinformatik derzeit bereits sehr spannende Fortschritte. So bietet beispielsweise der sog. NDVI ("normalized difference vegetation index“) des DLR interessante Einblicke in die Vegetationsbedeckung in Landschaften.

Gerade auch vor dem Hintergrund der schmerzlichen Erfahrungen in der Corona-Krise drängt sich die Frage auf, wie viel Überraschungsmoment und „Hinterherlaufen“ wir uns zukünftig in der Aufklärung und Bekämpfung von ernsthaften Gefahrenlagen trotz der Existenz entsprechender technischer Möglichkeiten oder zumindest Entwicklungspotentiale noch leisten können. Gerade im Hinblick auf Großschadensereignisse geht es ja darum, Gefährdungen vor dem Vorliegen einer konkreten Gefahrensituation zu erkennen und sinnvolle Interventionsmaßnahmen zu definieren und vorzubereiten.

Das Gleiche gilt jedoch auch im Bereich der individuellen Gefahrenabwehr. Als Beispiel sei hier die Radikalisierung einer oder mehrerer Personen genannt. Der Wechsel von einer passiven Radikalisierung, beispielsweise über soziale Medien, hin zu einer konkreten Attentatsplanung ist offensichtlich kein linearer Ablauf über die Zeit. Hier könnte die gezielte Zusammenarbeit zwischen den Kognitions-, Sozial- und Politikwissenschaften mit der Informatik möglicherweise ein neues Feld der KI-Anwendung eröffnen, insbesondere bei der Prognose über die zukünftige Entwicklung von potentiellen Gefährdern und Gefahrenlagen. In diesem Feld kann eine andere Kategorie von KI-Methoden zukünftig eine entscheidende Rolle spielen, sogenannte Agenten-basierte Simulationsmodelle. Hierbei werden individuelle Menschen in Form von autonomen Computerprogrammen nachgebildet. Diese Programme bilden (je nach Ziel der Simulation) die Wahrnehmung des Menschen in seiner Umgebung und die Interaktion untereinander und mit ihrer Umgebung sehr detailliert mit KI-Methoden ab. Der Wissenschaftsjournalist Mitchell Waldrop beschreibt sehr anschaulich mögliche Anwendungsszenarien im Kontext Nationaler Sicherheit, wie z.B. die Reaktion von Überlebenden nach einem Terroranschlag im Zentrum von Washington, D.C. Auch wenn die Validierung von solchen Prognosen immanent problematisch ist, so stellt das weite Themenfeld „Predictive Intelligence“ eine Kernaufgabe zukünftiger KI-Nutzung dar.

Für eine konsequente, umsichtige und vorausschauende Einführung von KI-basierten Befähigungen

Die oben genannten Beispiele können das Potenzial der Anwendungen von KI-Verfahren im Sicherheitskontext der Bundesrepublik Deutschland und darüber hinaus lediglich andeuten. Mit ihnen soll jedoch die dringliche Notwendigkeit einer konsequenten Integration von KI-Forschung und Entwicklung auch in die Bereiche vorausschauender staatlicher Daseinsvorsorge und Sicherheitsgewährleistung verdeutlicht werden.

Derzeit wird in Deutschland eher ein technologie- und produktorientierter Weg eingeschlagen, der vor allem von Zulieferer- und Beratungsfirmen forciert wird. In der Folge werden dann eher Aufgaben bearbeitet, die zu einem Softwareprodukt passen, als dass nach Lösungen für ein spezifisches Informationsdefizit gesucht wird. Diese Fehlentwicklung gilt es jedenfalls für die Bereiche der Daseinsvorsorge und Sicherheitsgewährleistung zu vermeiden und durch einen zielgerichteten und vertrauensvollen Austausch in interdisziplinären Teams aus der Wissenschaft, den Sicherheitsbehörden und der Politik zu ersetzen. Nur eine nachhaltige, verantwortungsvolle und interdisziplinäre Zusammenarbeit kann dazu führen, dass die Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz in Zukunft für das Wohl unseres Landes eingesetzt werden können.


Dr. Hans-Dieter Herrmann

Vorsitzender

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