Die Nachrichtendienste in der Ersten Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesrepublik Deutschland
Stellungnahme des GKND
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Dr. Gerhard Conrad
Am 15. Juni 2023 hat die Bundesregierung die Nationale Sicherheitsstrategie vorgestellt. Erwartungsgemäß ist diese auf ein eher zurückhaltendes bis kritisches Echo gestoßen. Ein zentraler Kritikpunkt ist hierbei das Versäumnis, durch die Benennung konkreter Maßnahmen, Projekte und Zuständigkeiten Handlungswillen und Handlungsfähigkeit zu kommunizieren und damit Glaubwürdigkeit zu schaffen.
Was eine Sicherheitsstrategie von einer außen- und sicherheitspolitischen Konzeption unterscheidet, hat einmal Robert Worley von der Johns Hopkins University mit einem kurzen und prägnanten Buchtitel auf den Punkt gebracht: „Orchestrating the Instruments of Power“. Davon ist diese erste Nationale Sicherheitsstrategie wohl noch ein Stück entfernt.
Zu einem operativen Kerndefizit der Strategie, dem Fehlen erkennbarer integrierter Lage- und Entscheidungsstrukturen, ist bereits vielfach, auch von Seiten des GKND, Stellung genommen worden. Ein ressortübergreifender strukturierter Ansatz bleibt hier unverzichtbar.
Nachrichtendienste und Nationale Sicherheit im Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Dass in Fragen der Nationalen Sicherheit die Nachrichten- und Sicherheitsdienste des Bundes eine wesentliche Rolle spielen, wurde zuletzt im Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Mai 2020 unter Bezugnahme auf Einlassungen der Bundesregierung und akademischer Expertise unmissverständlich und eindrücklich dargelegt:
„…(Die) Auslandsaufklärung (zielt) auf die Erhellung und das Verständnis von Umständen ab-zielt, hinsichtlich derer es an einer unmittelbaren alltäglichen Wahrnehmung seitens deutscher Stellen und der innerstaatlichen Öffentlichkeit fehlt. …Die Auslandsaufklärung betrifft Vor-gänge in anderen Ländern, in denen der deutsche Staat allenfalls punktuell mit eigenen Er-kenntnisquellen präsent ist und sein kann und in denen er nicht über Hoheitsbefugnisse verfügt, die ihm einen unmittelbaren Zugriff auf Informationen ermöglichen. Dabei muss die Aufklärung im Interesse der Handlungsfähigkeit und Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland insbeson-dere auch an Informationen gelangen können, die ihr – möglicherweise in nachteiliger Absicht – gezielt vorenthalten und in der Hoheitssphäre des Drittstaats geheim gehalten werden. (Rn 159)
Vor diesem Hintergrund attestiert das Bundesverfassungsgericht einer „wirksamen Auslandsaufklärung“ ein „überragendes öffentliches Interesse“ (Rn 161) und führt weiter aus:
Die Auslandsaufklärung (zielt) immer auf Informationen, die Bedeutung für die Stellung und Handlungsfähigkeit Deutschlands in der Staatengemeinschaft entfalten und damit gerade in diesem Sinne von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung sind. Die Versorgung der Bundesregierung mit Informationen für ihre außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen hilft ihr, sich im machtpolitischen Kräftefeld der internationalen Beziehungen zu behaupten, und kann folgenreiche Fehlentscheidungen verhindern. Insoweit geht es mittelbar zugleich um die Bewahrung demokratischer Selbstbestimmung und den Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung – und damit um Verfassungsgüter von hohem Rang. In Frage steht mithin ein gesamtstaatliches Interesse, das über das Interesse an der Gewährleistung der inneren Sicherheit als solcher deutlich hinausgeht.(Rn 162)
Nachrichtendienste in der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung
Ein Bezug auf diese konstitutiven Kernaussagen wäre in Form einer grundsätzlichen Positionierung zu den Nachrichtendiensten und ihrer Bedeutung als wesentliches Element der Sicherheitsarchitektur und Unterstützer von Regierungshandeln gerade auch im Hinblick auf ihren Anpassungsbedarf an die neue Dimension, Qualität und Dynamik der künftigen Risiken und Bedrohungen, sinnvoll gewesen. Mit einem Leitsatz, dass angesichts der Fülle an schwerwiegenden Herausforderungen gerade auch die Befähigungen der Dienste zur Früherkennung und damit Abwehr von Gefahren angemessen zu stärken seien, hätte hier ein Zeichen für eine politischen „Zeitenwende“ gerade auch in diesem Gebiet gesetzt werden können.
Nachrichtendienste im Geschäftsbereich des Innenministeriums
In einigen Passagen finden die Nachrichtendienste jedoch durchaus Erwähnung, explizit allerdings – mit einer Ausnahme – nur im Handlungsfeld der inneren Sicherheit.
Terrorismusabwehr:
In Bezug auf Terrorismus wird so ausgeführt:
„Die Früherkennung von Bedrohungslagen und effektive Bekämpfung des transnationalen Terrorismus erfordern enge nationale und internationale, europäische und transatlantische Zusammenarbeit mit politischen, rechtlichen, nachrichtendienstlichen, polizeilichen und militärischen Mitteln. Hierzu braucht es wirksame Kompetenzen und internationale Abstimmung“.
Hybride Bedrohungen:
Zur Bedrohung durch Desinformation wird in Aussicht gestellt:
„Um unsere Abwehrkräfte gegen Desinformation und die Resilienz unserer Demokratie zu stärken, werden wir im Zusammenwirken mit den Ländern folgende Maßnahmen umsetzen: Fähigkeiten zur Erkennung, Analyse und Abwehr hybrider Bedrohungen ausbauen und ihre Instrumente zur Reaktion weiterzuentwickeln. Dazu gehört auch die Stärkung der Analysefähigkeit unserer Nachrichtendienste“.
Die hier geforderte „Stärkung der Analysefähigkeit unserer Nachrichtendienste“ bedingt jedoch auch eine entsprechende Ertüchtigung der Befähigungen zur Informationsbeschaffung.
Spionageabwehr:
Der allseits vielfach beklagte Umstand, dass die Befähigungen zur Spionage- und Sabotageabwehr nach Jahrzehnten der Vernachlässigung mit hoher Dringlichkeit grundlegend aufgewertet werden müssen, hat dankenswerterweise auch Eingang in eine Forderung der Nationalen Sicherheitsstrategie gefunden, wenngleich mit dem eher unspezifischen Verweis auf „unsere Ressourcen“; die es hier maßgeblich zu verbessern gelte. Ein Kern dieser „Ressourcen“ besteht in den Befähigungen zur Spionageabwehr (BfV) und Gegenspionage (BND):
„Die Bundesregierung wird die Spionage- und Sabotageabwehr weiterhin stärken. Wir werden unsere Ressourcen angesichts der Bedrohungslage substantiell verstärken und die Rahmenbedingungen über entsprechende gesetzliche Grundlagen für ein entschiedenes Vorgehen deutlich verbessern.“
Wirtschaftsspionage und -sabotage
Gleiches gilt für die „Maßnahmen gegen Wirtschaftssabotage und -spionage“. Auch hier bleiben beide Dienste essentielle Akteure in der Aufklärung von Risiken, Gefahren und Akteuren:
„Die Bundesregierung entwickelt und verbessert gemeinsam mit den Ländern, den Unternehmen und mit den internationalen Partnern Maßnahmen gegen Wirtschaftssabotage und -spionage. Die Bundesregierung entwickelt die Nationale Wirtschaftsschutzstrategie und die entsprechenden Aktionspläne weiter.“
Cyberabwehr
Auch die Aussagen zur Attribution von Cyberangriffen lassen unerwähnt, dass es gerade auch hier ohne eine massive Aufwertung der eigenen nachrichtendienstlichen Befähigungen in den Bereichen SIGINT, COMINT und Cybernetwork Operationen (CNO) und deren Vernetzung mit vertrauenswürdigen leistungsstarken Partnern einfach nicht gehen wird:
„Deutschland wird regelwidriges und aggressives Verhalten von Cyberakteuren nicht hinnehmen. Wo immer möglich wird die Bundesregierung die Urheber von Cyberangriffen ermitteln und durch Attribuierung auf nationaler Basis, gemeinsam mit EU-Partnern, unseren Verbündeten in der NATO oder anderen betroffenen Staaten benennen und mittels Sanktionen gezielt gegen sie vorgehen.“
Wichtig ist hierbei, dass es nicht nur um das „Zusammenwirken der staatlichen Institutionen … und Nachrichtendienste“ allein gehen wird, sondern mit mindestens der gleichen Priorität um deren Ertüchtigung und Mandatierung. Es muss ein Zusammenwirken leistungsstarker Partner gefordert werden, nicht Zusammenwirken sui generis:
„Für das Ziel gesamtstaatlicher Resilienz und Aufrechterhaltung der staatlichen Handlungsfähigkeit wird die Cybersicherheitsarchitektur weiterentwickelt, um jederzeit auch im Cyberraum reaktionsfähig bzw. wehrhaft zu sein. Dafür werden wir das Zusammenwirken der staatlichen Institutionen für Cybersicherheit und Strafverfolgung sowie von Nachrichtendiensten, Diplomatie und Militär bei der Abwehr von Cyberbedrohungen im Sinne der Integrierten Sicherheit verbessern.“
In diese Richtung deuten dann dankenswerterweise die weiterführenden Aussagen hin:
„Die Bundesregierung veranlasst, dass alle maßgeblichen Akteure zu einem ganzheitlichen Cyberlagebild beitragen. Die darin enthaltenen Informationen werden analysiert und aus gesamtstaatlicher Sicht bewertet. Die Bundesregierung wird hierzu insbesondere die Aufklärungs- und Frühwarnfähigkeiten der betroffenen Behörden und Einrichtungen, vor allem der Nachrichtendienste, verbessern. Die für das Lagebild erforderliche Koordinierungsfunktion wird zunächst im Nationalen Cyberabwehrzentrum eingerichtet.“
Geschützte Kommunikation und IT-Resilienz in Bund, Ländern und mit Partnern
Ein Thema von fundamentaler sicherheitspolitischer Bedeutung für die Handlungsfähigkeit wie die Resilienz der Bundesrepublik Deutschland in Konflikt und Krise wird in der Sicherheitsstrategie anerkennenswerterweise ebenso eindrücklich wie dringlich aufgegriffen, die Schaffung leistungsfähiger, hochgeschützter und interoperabler Fernmelde- und IT-Verbindungen zwischen den Ressorts, den involvierten Bundes- und Länderbehörden.
“Die Bundesregierung wird die ressortübergreifenden hochsicheren Kommunikations- und Informationssysteme für die Bundesverwaltung, einschließlich der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben und der Bundeswehr, konsequent ausbauen, sodass auch in Krisen-situationen weltweit ein schneller Austausch von vertraulichen Informationen möglich ist."
Die Bundesregierung wird das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) unabhängiger aufstellen und zu einer Zentralstelle im Bund-Länder-Verhältnis ausbauen; so wird auch das Lagebild Informationssicherheit als Teil des gesamtstaatlichen Cyberlagebildes gestärkt.
Zugleich wird die Bundesregierung ihre hochsichere Vernetzung mit Partnerstaaten weiter verbessern. Zur Gewährleistung der Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung im Krisenfall werden wir mehrere voneinander unabhängige IT-Infrastrukturen bereitstellen“.
Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ohne Auslandsnachrichtendienst?
Der Geschäftsbereich des Innenministeriums hat mithin einige durchaus deutliche und zukunftsgerichtete Spuren im Text der Nationalen Sicherheitsstrategie hinterlassen, nicht so jedoch die anderen Ressorts und institutionellen Hauptabnehmer der Unterstützungsleistungen der Dienste, hier insbesondere auch des Bundesnachrichtendienstes.
Hier hätte sich nun eine Bezugnahme auf die umfassende Unterstützung der Bundeswehr durch den Bundesnachrichtendienst über die Strukturen des Militärischen Nachrichtenwesens (MilNwBw) oder direkt für die politische und militärische Führung angeboten. Gleiches gilt auch für die umfängliche Nutzung der Aufklärungs- und Analyseergebnisse des Bundesnachrichtendienstes durch das Auswärtige Amt, sowohl im Rahmen der Strategiebildung und Planung als auch im Bereich operativer Außenpolitik und des Krisenmanagements. Aus beidem hätten sich dann Schlussfolgerungen ergeben können, in welcher Weise Kapazitäten zur effektiven Unterstützung einem „signifikant verschlechterten Sicherheitsumfeld“ anzupassen seien.
Dass es auch anders geht, zeigt die Europäische Union mit ihrem Strategischen Kompass, dessen Umsetzung zu unterstützen die Bundesregierung ja generell klar priorisiert:
„Die Europäische Union muss gerade angesichts des signifikant verschlechterten Sicherheitsumfelds in der Lage sein, ihre Sicherheit und Stabilität zu schützen. Hierfür wollen wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) weiterentwickeln und die Vorhaben des Strategischen Kompasses entschieden umsetzen.“
Der Strategische Kompass vom März 2022 ist da doch wesentlich klarer:
“We need to enhance our ability to anticipate threats, guarantee secure access to strategic do-mains and protect our citizens. To that end, we will … boost our intelligence capacities, such as the EU Single Intelligence and Analysis Capacity (SIAC) framework to enhance our situational awareness and strategic foresight”.
Die Übernahme dieser ja letztlich in Brüssel diplomatisch indossierten Zielvorgabe in die Nationale Sicherheitsstrategie hätte hier nahe gelegen.
Gleiches gilt für die Aussage zu einer Politik der integrierten Sicherheit, in der alle Akteure benannt werden, nur eben die Nachrichtendienste nicht.
„Wir werden dabei den bisherigen vernetzten Ansatz der Bundesregierung zu einer Politik der Integrierten Sicherheit weiterentwickeln. Dazu werden wir unsere politischen, diplomatischen, entwicklungspolitischen, militärischen, polizeilichen und zivilen Instrumente des internationalen Krisenengagements stärken, ausbauen und zusammenführen.“
Und auch die folgende Passage zur deutschen Frühwarnkapazität wäre sachlich sinnvoll und methodisch kohärent zu ergänzen gewesen:
„Die Bundesregierung setzt sich für eine verstärkte Nutzung wissenschaftsbasierter Ansätze für Krisenfrüherkennung, strategische Vorausschau, Krisenprävention, Stabilisierung und Friedenssicherung ein.“
Die Europäische Union hat in ihrem Early Warning System (EWS) bereits seit geraumer Zeit „strategic intelligence“ über die SIAC-Funktionalität im Analyseprozess einbezogen und erwähnt dieses auch ausdrücklich.
Dies gilt dann auch für Grundsatzaussagen, in denen ein Verweis auf die Notwendigkeit wirksamer Unterstützung mit intelligence durch bedrohungsangemessen ertüchtigte und mandatierte Dienste sachlich durchaus am Platze gewesen wäre.
„Zugleich werden wir unsere Investitionen in den Schutz Kritischer Infrastrukturen, Cyberfähigkeiten, eine handlungsfähige Diplomatie, den Bevölkerungsschutz, die Stabilisierung unserer Partner sowie eine engagierte humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit stärken.
Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (GSVP) nimmt eine zentrale Rolle in unserem Krisenmanagement ein. Im Sinne Integrierter Sicherheit fassen wir bei Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung zivile, militärische und polizeiliche Mittel zusammen und binden diese international und multilateral in unser Handeln ein“.
Das wichtige, gleich zu Beginn der Sicherheitsstrategie stehende Bekenntnis zum Engagement für die GSVP hätte hier durch den Hinweis auf das SIAC 360° Intelligence Threat Assessment als Grundlage für den Strategic Compass und damit die Notwendigkeit angemessener Kapazitäten im Intelligence-Bereich besonders gut ergänzt werden können.
Eine Ausnahme – bezeichnenderweise wieder mit Bezug zur inneren Sicherheit – findet sich lediglich in der folgenden, offenbar komplementär zur Haltung des BMI formulierten Aussage zur Früherkennung und Abwehr terroristischer Bedrohungen aus dem Ausland:
„Auch bei der Abwehr terroristischer und extremistischer Bedrohungen von außen kommt der EU eine entscheidende Rolle für Deutschlands Sicherheit zu. … Die Früherkennung von Bedrohungslagen und effektive Bekämpfung des transnationalen Terrorismus erfordern enge nationale und internationale, europäische und transatlantische Zusammenarbeit mit politischen, rechtlichen, nachrichtendienstlichen, polizeilichen und militärischen Mitteln. Hierzu braucht es wirksame Kompetenzen und internationale Abstimmung zur Aufklärung auch transnationaler terroristischer Strukturen“.
Der vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Kernbereich nachrichtendienstlicher Unterstützung von außen- und sicherheitspolitischer Entscheidungsfindung, Willensbildung und operativer Umsetzung wird hiervon jedoch nicht erfasst.
Dies gilt auch für die Leitsätze der Nationalen Sicherheitsstrategie zu Bundeswehr, Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit im nationalen wie internationalen Rahmen. Es geht eben nicht ohne eine mit Intelligence unterlegte Befähigung zur Lagefeststellung und Lagebeurteilung als Grundlage für politische und militärisch-strategische Entscheidungsfindung wie für ihre operativ-taktische Umsetzung. All dies wird in dem Maße zu ertüchtigen sein wie dies auch die Bundeswehr zur Wahrnehmung ihrer erhöhten Verantwortung werden muss.
Eine bemerkenswerte Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang lediglich eine Passage zur Klimapolitik dar, in der die Sicherheitsorgane des Bundes im allgemeinen wie sogar der Bundesnachrichtendienst selbst explizit Erwähnung finden:
Die Bundesregierung wird die Klimakrise auf der Tagesordnung der Sicherheitsorgane des Bundes sowie regionaler und globaler Sicherheitsorganisationen verankern und deren Fähig-keiten zum Umgang mit Klimasicherheitsrisiken systematisch stärken.
„Um die Auswirkungen der Klimakrise auf unsere nationale Sicherheit besser bewerten und informierte Handlungsentscheidungen ableiten zu können, wird die Bundesregierung eine Un-tersuchung führender wissenschaftlicher Institutionen zusammen mit dem Bundesnachrichtendienst in Auftrag geben“.
Die sicherheitspolitischen Konsequenzen der Klimakrise sind bereits seit Jahren Gegenstand nachrichtendienstlicher Aufklärung im anglo-amerikanischen Raum. Ob hierzu die hier angedeutete Einbettung des BND in einen wissenschaftlichen Kontext erforderlich sein wird, mag dahinstehen. Zu begrüßen bleibt jedenfalls, dass die etablierte Erkenntnis, dass auch diese existenzielle Herausforderung eine sicherheitspolitische Dimension hat, nunmehr Eingang in die Nationale Sicherheitsstrategie gefunden hat. Dies kann jedoch das beschriebene strukturelle Defizit in der Konzeptualisierung der Nachrichtendienste im außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungsprozess nicht kompensieren; ganz im Gegenteil: Es unterstreicht diesen „blinden Fleck“ ein weiteres Mal.
Fazit:
Grundsätzlich ist somit kritisch anzumerken, dass die Ziele einer Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik klar herausgearbeitet werden müssen, um aus ihnen Vorgaben für die Aufgabenstellung von „Intelligence“ abzuleiten. Dessen ungeachtet enthält die Nationale Sicherheitsstrategie auch in der vorliegenden Form bereits zahlreiche Ansätze zu einer zielgerichteten und integrierten Vorgehensweise. Diese hätten jedoch in Bezug auf die Dimension Intelligence, gerade auch in Anlehnung an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Mai 2022, klarer und konsistenter herausgearbeitet werden können. Intelligence im besten Fall immer nur stillschweigend „mitzudenken“, wird jedenfalls nicht zur angestrebten „Weiterentwicklung der strategischen Kultur in Deutschland“ beitragen können.
Auch hier gilt, dass „die eigentliche Zeitenwende … nicht zu allererst im Portemonnaie stattfindet, sondern im Kopf. Und wir alle wissen, dass dort die Veränderung am schwierigsten hinzubekommen ist“.
Für den Vorstand
Dr. Gerhard Conrad