Better late than never?

Anmerkungen zur Öffentlichen Bewertung des PKGr zur Russischen Einflussnahme in Deutschland


Die folgende Fassung des Papers enthält keine Fußnoten. Die vollständige Fassung können Sie über das PDF abrufen

Dr. Gerhard Conrad

Am 13. März 2024 trat das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) mit einer signifikanten gemeinsamen Bewertung gemäß §10 II 1 des PKGr-Gesetzes zur Russischen Einflussnahme in Deutschland an die Öffentlichkeit. Derartige gemeinsame Stellungnahmen des geheim tagenden Gremiums sind selten. Sie sind in der Regel Ergebnis einer längeren systematischen Befassung mit einem bedeutsamen Sachverhalt, den es grundsätzlich zu bewerten und politisch anzugehen gilt. Hierzu kann das Gremium dann auch konkrete Schritte definieren, die es der Bundesregierung zur Prüfung und Umsetzung nahelegt. Das PKGr hat sich in dieser Weise mit der defizitären Eigensicherung des Bundesnachrichtendienstes im Nachgang zum Verratsfall Carsten L. ebenso beschäftigt wie mit den Regelungen des §105 BBG zur Anzeigepflicht der Erwerbstätigkeit von Beamten und öffentlichen Bediensteten in sicherheitsempfindlichen Funktionen nach Ausscheiden aus dem Dienst.

Die jüngsten Veröffentlichungen von Rechercheergebnissen zu russischen Geheimdienstimplikationen im Fall WireCard/Marsalek wie die russische hybride Informationsoperation im Zusammenhang mit dem abgehörten Gespräch hoher Bundeswehroffiziere zum Waffensystem Taurus hat das Gremium nunmehr zum Anlass genommen, energisch auf die Gefährdungslage durch russische hybride Kriegsführung hinzuweisen und bedrohungsadäquate Gegenmaßnahmen seitens der Bundesregierung und der zuständigen Behörden einzufordern. Moniert wird in klaren Worten, dass dies bisher nicht geschehen sei:

Die „Tragweite der Bedrohung (ist) weder von allen politisch Verantwortlichen noch in der Gesellschaft in Deutschland insgesamt erkannt worden“.

Man erwarte von der Bundesregierung, sich hier proaktiver und energischer aufzustellen. Im Rahmen seines Kontrollauftrags werde sich das PKGr „weiterhin intensiv mit den Beiträgen der Nachrichtendienste des Bundes und ihrer besonderen Rolle vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen befassen, die Mittel im Blick haben und sich mit konkreten Vorschlägen zu Wort melden“.

In persönlichen Anmerkungen einzelner PKGr-Mitglieder gegenüber den Medien wird das zusätzlich betont:

Die Bevölkerung müsse erkennen, dass Russland seit mehr als zehn Jahren einen hybriden Krieg gegen die EU und die NATO führe. Ziel sei die Spaltung und Destabilisierung der westlichen Staatenbündnisse, so das CSU-Mitglied des PKGr, Alexander Hoffmann. Konstantin Kuhle von der FDP wird namens seiner Partei besonders deutlich:

„Die gezielte russische Einflussnahme wird in Deutschland mit einer Gleichgültigkeit und Bräsigkeit unterschätzt, die sich liberale Demokratien bei der Sicherheitslage nicht mehr erlauben können“.

Auch Christoph de Vries (CDU) mahnte:

„Deutschland steht seit Langem im Mittelpunkt russischer Einflussoperationen, und die Tragweite dieser Beeinflussung ist weder den politischen Akteuren noch der Gesellschaft insgesamt bewusst. Wir müssen wachsamer und wehrhafter werden“.

Zur Gefahrenabwehr gehöre dabei auch, dass die deutschen Geheimdienste mit mehr Personal und Befugnissen ausgestattet würden. Die Dienste müssten darüber hinaus stärker „vor dieser systematischen und strategischen Einflussnahme warnen“. Auch die Bundesregierung, so wiederum PKGr-Vorsitzender Notz (Grüne), müsse diese Problematik deutlich ernster nehmen. Von Seiten der SPD sind keine ergänzenden Stellungnahmen bekannt geworden. Gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1PKGrG sind für die Verabschiedung einer Öffentlichen Bewertung zwei Drittel, also 7 von 10 Stimmen der Mitglieder erforderlich (CDU/CSU 4, SPD 3, Grüne 2, FDP 1).

Im Zusammenhang mit der gemeinsamen Stellungnahme wurde bekannt, dass offenbar auch jüngste Gespräche mit den baltischen Diensten noch einmal die Virulenz und Bedeutung russischer hybrider Kriegsführung deutlich vor Augen geführt hätten.

Diese Stellungnahme kann aus Sicht des GKND nur begrüßt werden: Zum einen verweist sie in der wünschenswerten Deutlichkeit und Eindringlichkeit auf einen gravierenden Gefährdungssachverhalt, dem mit einer massiven Ertüchtigung zu begegnen ist, zum anderen nimmt das Gremium hier seinen Kontrollauftrag auch im Sinne einer „positiven Kontrolle“ wahr, die sich auf die von der Bundesregierung einzufordernde Schaffung adäquater Befähigungen richtet und nicht allein auf die Feststellung möglicher Regelverstöße der Dienste. Ein ähnliches Verständnis der Aufgabenwahrnehmung konnte auch bereits in den Stellungnahmen zur Eigensicherung des BND und der Aktivitäten pensionierter Geheimnisträger erkannt werden. Es hat den Anschein, als folge das PKGr hier nunmehr dem Beispiel des Intelligence and Security Committee of Parliament (ISC) in Großbritannien, dessen Auge stets auf beide Kontrolldimensionen, Befähigung wie Rechtmäßigkeit, gerichtet ist. Nicht nur die „Überwachungsgesamtrechnung“, sondern auch eine „Befähigungsgesamtrechnung“ rückt damit zumindest einmal ansatzweise in das Spektrum des auch öffentlichen parlamentarischen Umgangs mit den Diensten. Es bleibt zu hoffen, dass sich hier allmählich ein Paradigmenwechsel im Sinne einer gemeinsamen, öffentlichkeitswirksamen Verantwortung für die Dienste als elementarer Teil der deutschen Sicherheitsarchitektur entwickeln möge.

So begrüßenswert die Aussagen der gemeinsamen Erklärung sind, so ernüchternd ist der Umstand, dass dieses sicherheitspolitisch hochrelevante Problem erst jetzt, nach zehn Jahren vielfach national wie international, auch im EU- und NATO-Rahmen ebenso umfänglich wie kontinuierlich berichteter und analysierter russischer hybrider Kriegführung den Weg in eine öffentliche PKGr-Bewertung mit einem klaren und energischen Appell an alle Beteiligten hat finden müssen. Die aktuell monierte „Gleichgültigkeit und Bräsigkeit“ scheint in der Tat nicht nur im öffentlichen Diskurs vorgeherrscht zu haben. Die EU hatte dagegen bereits 2016 mit einer Hybrid Fusion Cell (HFC) im Intelligence Analysis and Situation Centre (INTCEN) des Europäischen Auswärtigen Dienstes erste organisatorische Schritte unter Einbeziehung der Mitgliedstaaten eingeleitet, 2017 folgte die NATO mit der Bildung eines Hybrid Analysis Branch (HAB). Im gleichen Jahr wurde in Helsinki das von NATO- und EU-Mitgliedstaaten geschaffene European Centre of Excellence for Countering Hybrid Threats mit inzwischen 35 Mitgliedstaaten geschaffen. Hybride Bedrohungslagen sind seit 2018 Gegenstand gemeinsamer EU-NATO-Übungen. Auch der GKND hat zur Frage der Resilienz gegen hybride Kriegsführung im November 2021 in seiner Stellungnahme „Hybride Bedrohungen gesamtstaatlicher Handlungsfähigkeit. Überlegungen zu ressortübergreifenden Strukturen für die Erfassung, Analyse und Bekämpfung hybrider Bedrohungen“ den schon damals mehr als eindeutigen Sachstand bewertet und Anregungen für erste praktische Maßnahmen vorgelegt.

Nichts dergleichen scheint seinen Niederschlag in konkreten ressortübergreifenden, analyseund insbesondere handlungsfähigen Strukturen in Deutschland gefunden zu haben. Zu guter Letzt ist die Notwendigkeit einer Abwehr hybrider Bedrohungen im Sommer 2023 immerhin in der ersten Nationale Sicherheitsstrategie festgestellt worden:

„Die Bundesregierung wird eine Strategie zur Steigerung unserer Handlungsfähigkeit gegenüber hybriden Bedrohungen vorlegen. Diese wird darauf zielen, ihre Fähigkeiten zur Erkennung, Analyse und Abwehr hybrider Bedrohungen auszubauen und ihre Instrumente zur Reaktion weiterzuentwickeln. Dazu gehört auch die Stärkung der Analysefähigkeit unserer Nachrichtendienste.

Die Bundesregierung wird die bestehenden Mechanismen und Strukturen zur Abwehr hybrider Bedrohungen in EU und NATO, in G7 und OSZE gezielt nutzen und fortentwickeln; dazu zählen die weitere Ausgestaltung der im Strategischen Kompass der EU vereinbarten Hybrid Toolbox und der Ausbau der NATO-EU-Zusammenarbeit in diesem Bereich.“

Ob aus diesen Absichtserklärungen bereits konkrete Ansätze entwickelt worden sind, muss mangels entsprechender öffentlicher Informationen dahinstehen. Die aktuellen klaren Worte des PKGr deuten jedoch auf wenig Anlass zu Selbstzufriedenheit und Zuversicht hin. Ein im Januar 2024 (!) beschlossenes Programm zur zivilen Sicherheitsforschung (!) mit einer Perspektive bis 2029, dürfte hierbei die Problematik des „too little too late“ nur noch verdeutlichen.

Angesichts der erheblichen und dringlichen Bedrohungslage wird es nunmehr Gebot der Stunde sein, fassbare und praktikable Schritte hin zu leistungsfähigen vernetzten Strukturen in Analyse und Operation zu entwickeln und umzusetzen. Umfassende Analysefähigkeit ist von zentraler Bedeutung, aber nur, wenn sie nicht lediglich Selbstzweck und Ersatz für abgestimmtes und zielorientiertes Handeln ist: Entscheidend ist es, auf der Grundlage eines ressortübergreifend generierten und kontinuierlich aktualisierten Lagebildes auch ressortübergreifend zeitgerecht entscheiden (!) und abgestimmt zielorientiert handeln (!) zu können und zu wollen. Auch dies sind Konsequenzen, die im Lichte der Zeitenwende zu ziehen sein werden, so wie dies aktuell im Rahmen der neuen Konzepte für Gesamtverteidigung angestrebt wird. Es bleibt damit zu hoffen, dass das PKGr auch diesen zentralen Punkt im Sinne einer Befähigungskontrolle wirkungsvoll und konstruktiv aufnehmen und verfolgen wird.

Für den Vorstand

Dr. Gerhard Conrad

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