Ein “Paukenschlag” zugunsten der Dienste
Zum Besuch von Chef Bundeskanzleramt
Thorsten Frei beim BND
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Dr. Gerhard Conrad
Anlässlich seines ersten mehrstündigen Besuchs beim Bundesnachrichtendienst hat sich der Chef des Bundeskanzleramts, Bundesminister Thorsten Frei, namens der Bundesregierung in aller Öffentlichkeit, Klarheit und Bestimmtheit zur Bedeutung des Dienstes und der Notwendigkeit seiner deutlichen Stärkung im vitalen Sicherheitsinteresse Deutschlands geäußert.
Er verstehe sich als
„der politische Sachwalter für den BND, der dafür kämpft, dass die rechtlichen Befugnisse stimmen, dass die wirtschaftlichen Voraussetzungen stimmen, um die notwendige Aufklärung betreiben zu können“.
Der BND falle in die „Bereichsausnahme von der Schuldenbremse“, und die Regierung wolle noch in diesem Jahr das BND-Gesetz novellieren, um Befugnis und Kontrolle „in ein gutes Verhältnis“ zu bringen.
Man müsse, so Frei, angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage und des Krieges in Europa „ganz anders arbeiten als in der Vergangenheit“. Mehr Befugnisse, präzisierte Frei, brauche der BND vor allem „bei IT und Cyber“. Der BND sei anders als etwa in den USA mit ihren vielen Diensten, Deutschlands einziger Auslandsnachrichtendienst, der auch militärische Aufklärung betreibe, und darum „von unschätzbarer Bedeutung“. Was er an Wissen bereitstelle, sei Grundlage für die Arbeit der Bundeswehr und der Regierung.
Es werde künftig nicht mehr gelingen, „dass wir unsere Sicherheitsinteressen auslagern an die USA und andere“. Deutschland müsse selbst Verantwortung übernehmen „für uns und unseren Kontinent“. Die finanziellen, personellen und rechtlichen Spielräume müssten „aufwachsen in den nächsten vier Jahren, daran führt kein Weg vorbei“. Er sagte zu, die Mittel für den BND „im zweistelligen Prozentbereich“ aufzustocken.
Was er bei seinem Besuch gesehen habe, resümierte Frei, habe seine Wertschätzung „für die Produkte des BND, die ich täglich konsumiere, nochmal gesteigert“, sagte Frei und versprach, regelmäßig in der Chausseestraße vorbeizuschauen.
Dieser Besuch und insbesondere seine öffentlichkeitswirksame Einbettung setzen Maßstäbe und lassen auf einen Paradigmenwechsel gerade auch in der öffentlichen Positionierung der Bundesregierung gegenüber den Nachrichtendiensten des Bundes hoffen. Bekanntlich hat der GKND in den vergangenen Jahren mehrfach auf die politische Notwendigkeit einer über die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung kommunizierten Wertschätzung, und hier ins Sonderheit des Bundeskanzleramtes als vorgesetzter oberster Bundesbehörde, hingewiesen. Nur so lassen sich Schritt für Schritt eingefahrene gesellschaftliche Negativperzeptionen relativieren. Es geht hierbei nicht um Apologetik, sondern um eine kritisch-konstruktive Positionierung zu der verfassungsrechtlich klar indossierten Aufgabenerfüllung des Dienstes, deren politische, wirtschaftliche und rechtliche Sicherstellung ja im ureigensten Verantwortungsbereich der Bundesregierung und des Gesetzgebers liegt. Umso bedeutsamer sind diese Ausführungen auch unter dem Aspekt, dass in der Zuständigkeit des Kanzleramtsministers nicht nur die Dienst- und Fachaufsicht über den ihm unterstellten BND liegen, sondern auch die Koordination der Nachrichtendienste des Bundes, also des BfV und des BAMAD, die bekanntlich in der Ressortverantwortung von BMI und BMVg liegen. Bei der Förderung von zielführenden Rahmenbedingungen für alle Dienste kann das Bundeskanzleramt damit wichtige Impulse setzen, wenn es das will. All dies scheint sich hier nunmehr in vielversprechender Weise anzudeuten.
In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass Bundesminister Frei an seiner klaren Position zum BND auch schon Jahre zuvor im Bundestag keinen Zweifel hat aufkommen lassen. Unvergessen sind seine Aussagen in der Bundestagsdebatte zur Reform der Kontrolle der Nachrichtendienste am 28. Mai 20203, also zur Hochzeit der Einhegungskampagne im Gefolge des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 19. Mai 2020, die hier noch einmal in Erinnerung gerufen werden sollen:
„Der Bundesnachrichtendienst bedroht keine Verfassungsgüter und auch nicht die Bürger, sondern sichert das demokratische Selbstbestimmungsrecht und die Freiheit Deutschlands. Das hat er in vielen Einzelfällen ganz konkret in den letzten Jahren im Zusammenspiel mit den anderen Sicherheitsbehörden bewiesen. Um diesen Anspruch zu erfüllen, braucht es zwingend auch eine funktionierende strategische Fernmeldeaufklärung. Die Herausforderungen in der Welt sind enorm gestiegen, genau wie die Bedrohungspotenziale durch staatliche und nichtstaatliche Akteure. Dazu kommt, dass Deutschland heute mehr denn je internationale Verantwortung übernimmt. Allein elf Bundeswehrmandate werden im Bundestag beschlossen. Jeder einzelne Soldat, der im Ausland für sein Land Dienst leistet, vertraut auf die Informationsgewinnung durch den BND. Die Arbeit des Nachrichtendienstes schützt das Leben unserer Staatsbürger im In-und Ausland. Dafür können wir alle sehr dankbar sein. Anders als diejenigen, die eine Abschaffung von BND oder Verfassungsschutz fordern, und das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichtes als Steilvorlage dafür heranziehen, bin ich überzeugt, dass wir bei der nationalen Sicherheit keine Kompromisse eingehen dürfen und unsere Dienste erstklassig ausstatten und befähigen müssen. Dies ist auch nach dem Karlsruher Urteil möglich. Dort gibt es keine Forderung nach besserer parlamentarischer Kontrolle. Denn diese üben wir schon heute mustergültig aus. Vielmehr fordern die Verfassungsrichter, die Eingriffs-, Löschungs-, Kontroll- und Übermittlungsverfahren auch im Sinne der Verhältnismäßigkeit zu überprüfen und zu reformieren. Diese Herausforderung nehmen wir an. Und zwar so, dass der BND auch in Zukunft in der Lage ist, seine Aufgaben zum Schutz unseres Landes und als zuverlässiger Sicherheitspartner in der Welt wahrnehmen zu können.“
Die weitere Entwicklung hat erkennen lassen, dass das auf dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufbauende gesetzgeberische Projekt in seiner konkreten Ausgestaltung dem Erfordernis ausreichender Befähigung und Wirksamkeit nicht entspricht. Umso ermutigender ist es, nun aus berufenem Munde zu erfahren, dass gerade in diesem sensitiven Bereich zügig legislative Schritte in Angriff genommen werden sollen, mit denen die dringend erforderliche Agilität und Handlungsfähigkeit des Dienstes in seiner Aufgabenwahrnehmung sichergestellt werden sollen. All dies ist vor dem Hintergrund der epochalen Herausforderungen für die Sicherheitsarchitektur Europas dringlicher denn je.
„Geld ist nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts“, dies hatte der BND – wie auch die Bundeswehr und andere sicherheitspolitische Akteure – in den Jahrzehnten nach 1990 am eigenen Leibe erfahren müssen. Aus dem Stadium der dramatischen strukturellen Unterfinanzierung hatte der Dienst unter seinem scheidenden Präsidenten Bruno Kahl dankenswerterweise bereits herausgeführt werden können, auch wenn gerade in den Jahren nach 2022 seitens der Bundesregierung keine Schritte erkennbar waren, über das bis dahin erzielte Niveau hinauszugehen. Es ist nicht zuletzt das bleibende Verdienst der heutigen Oppositionspartei der Grünen, dass mit ihrer Unterstützung die Bereichsausnahme aus der Schuldenbremse mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit im Bundestag zustande kommen konnte. Die in Aussicht gestellten erheblichen Zuwächse der kommenden Jahre werden dringend zur materiellen und technischen Ertüchtigung im Zeichen von luft- und weltraumgestützter Aufklärung ebenso erforderlich sein wie für die Sicherstellung der nachrichtendienstlichen Zukunftsfähigkeit in allen Dimensionen des Cyberraums, sei es in Spionageabwehr und Gegenspionage, sei es in einer auftragsgemäßen Nachrichtenbeschaffung zu sicherheitspolitisch wie militärisch relevanten Sachverhalten. Technik ist hierbei nur so gut wie jene, die sie bedienen, aber eben auch jene, die ihre Ergebnisse fachkompetent analysieren und in handlungsbefähigende Lageerkenntnisse für die Bundesregierung, die Bundeswehr und Exekutivbehörden veredeln können. Erhebliche, auch kostenwirksame Anstrengungen, einschließlich innovativer Maßnahmen werden hier im Bereich der Personalwirtschaft in den kommenden Jahren vorzunehmen sein, um dem nunmehr anerkannten Anspruch auf Selbständigkeit und Eigenverantwortung in der zeitgerechten und qualitätsvollen nachrichtendienstlichen Unterstützung von Entscheidungsprozessen gerecht zu werden.
Wenn dies einhergehen sollte mit einer Neustrukturierung der deutschen Sicherheitsarchitektur auf Bundes- und Länderebene bis hin zu einem Sicherheitsrat samt nachgeordnetem Gemeinsamen Lage- und Analysezentrum der Bundesregierung im Bundeskanzleramt, würde eine ganz neue Qualität der Informations- und Handlungsüberlegenheit gegenüber den Bedrohungen und Herausforderungen im Inneren wie Äußeren in den Bereich des Möglichen rücken. Wenn dies darüber hinaus getragen werden sollte von einem Mentalitätswandel in der Nutzung von nachrichtendienstlichen Erkenntnissen und Lagebeurteilungen in den politischen, militärischen und sicherheitlichen operativen Entscheidungsprozessen, von einer Haltung des Forderns und Förderns seitens der Bedarfsträger, würde sich eine neue Realität im Sinne einer konsolidierten und zukunftsfähigen Intelligence Culture entwickeln können.
Erste Signale deuten auf die Möglichkeit eines solchen sicherheitspolitischen Paradigmenwechsels hin. Hierzu wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Personalentscheidung für die Nachfolge im Amt des BND-Präsidenten zählen. Mit Botschafter Martin Jäger hat dem Vernehmen nach Bundeskanzler Merz persönlich einen in vielfältigen internationalen Herausforderungen erfahrenen, weltgewandten und krisenerprobten neuen Präsidenten ausgewählt, dessen Wort in einer von der Bundesregierung geschaffenen neuen Sicherheitsarchitektur jedenfalls in dem Maße Gewicht haben dürfte, in dem der Dienst ihn mit Dynamik, Expertise, Energie und Umsicht unterstützt. Es werden alle Seiten aufgerufen sein, hierzu ihren Teil beizutragen.
Für den Vorstand
Dr. Gerhard Conrad